Fernando Lugo ist besorgt. Doch diesmal nicht wegen seiner Krebserkrankung, sondern wegen 2013. Denn im April nächsten Jahres stehen wieder Wahlen an in Paraguay. Und leider gebe es keinen Fernando Lugo II und auch keinen Klon, sagte er am 19. Januar auf einer Versammlung der Frente Guasú, der Großen Front der vereinten Linken. Es sei niemand da, die Politik des Wandels fortzuführen. Es scheint fast so, als wäre der Hirte alleingelassen worden und seine Schäflein wieder den Wölfen ausgesetzt.
In der Tat bringen sich die konservativen Kandidaten in Position. Bei der Colorado-Partei (der offizielle Name lautet: Asociación Nacional Republicana, ANR) stehen bereits drei Vorkandidaten für das Präsidentenamt fest, bei der Authentischen Radikalen Liberalen Partei (Partido Liberal Radical Auténtico, PLRA) sind es ebenfalls drei. Auch die Nationale Union der Ethischen Bürger (Unión Nacional de Ciudadanos Éticos, UNACE), vormals Teil der Demokratischen Allianz, und die Partei Geliebte Heimat (Patría Querida) haben einen Bewerber benannt. Nur die Frente Guasú sucht weiter nach einem Kandidaten – einen Reformer à la Lugo.
Doch in Paraguay werden immer häufiger Stimmen laut, die dieses (Selbst-)Bildnis von Fernando Lugo in Frage stellen. Die Frustration bei den Schäflein steigt: Die Landlosen und die Armen wenden sich von ihm ab. Was ist aus seinen Versprechungen geworden? Dem Hirten kommt die Herde abhanden.
Dagegen konnte sich eine neue wohlhabende Mittelschicht etablieren, und den Großgrundbesitzern geht es so gut wie nie. Entgegen deren Befürchtungen setzte Lugo die Wirtschafts- und Fiskalpolitik seiner konservativen und neoliberalen Vorgänger fort. Beispielsweise ernannte er den gleichen Finanzminister (Dionisio Borda) wie unter der Präsidentschaft seines Vorgängers Nicanor Duarte Frutos.
Rückblick
Lugo war 2008 angetreten, Reformen in das verkrustete, klientelistische System der bis dato von der konservativen Colorado-Partei dominierten politischen Klasse zu tragen. Er wollte das Los der Armen verbessern. Er plante eine umfassende Landreform, so dass nicht mehr fünf Prozent der Grundbesitzer 90 Prozent des Bodens kontrollieren, während 40 Prozent der Bevölkerung in Armut lebt. Er sagte der Korruption in Politik, Bürokratie und Justiz den Kampf an. Er wollte die Profiteure des Regimes, vor allem die der Militärdiktatur unter Alfredo Stroessner (1954 bis 1989), belangen, ihren widerrechtlich erlangten Besitz konfiszieren.
Mit diesen Versprechungen gelang es ihm, die 61-jährige politische Hegemonie der Colorado-Partei zu brechen. An der Spitze der Patriotischen Allianz für den Wandel (Alianza Patriótica para el Cambio, APC) gewann er mit 40,5 Prozent der Stimmen die Präsidentschaftswahlen. Der Wahlsieg Lugos war somit eine wichtige historische Zäsur.
Widerstände
Doch die traditionellen Parteien wurden durch die Wahl nicht entscheidend geschwächt. Sie besaßen immer noch die Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments. Und mit dieser Mehrheit blockierten sie von Anfang an Lugos Reformpolitik. Hinzu kam der Widerstand bei der Justiz. Sie entschied in den meisten Fällen zugunsten der Großgrundbesitzer und wurde mit nicht unerheblichen Bestechungsgeldern dafür entlohnt.
Zu dem Widerstand aus dem verkrusteten System gesellte sich der Zerfall seiner eigenen Wahlkoalition. Einen entscheidenden Impuls dafür lieferten bereits zu einem relativ frühen Zeitpunkt die Rechtsliberalen. Sie wollten eine weitgehende Umstrukturierung der Landwirtschaft nicht mittragen. Das war umso problematischer, als dass ausgerechnet der erste Agrarminister Lugos, Cándido Vera Bajarano, selbst Großgrundbesitzer, von dieser Partei kam.
Das absehbare Scheitern einer Agrarreform, ja gar der Ansätze für eine Landumverteilung, führte dann zum Abfallen der kommunistischen Plattformen, für die dies eine der zentralen Forderung ausmachte. Ebenso versagten indigene Völker (z.B. die Kelyenmagategma, Ayoreo, Nivaclé) und Organisationen angesichts ausbleibender Verbesserungen ihrer Lage die Unterstützung für Lugo.
In dem Zusammenhang darf auch nicht vergessen werden, dass Lugo nicht davor zurückschreckte, den Ausnahmezustand auszurufen und gegen die sozialen Bewegungen vorzugehen. Zwar berief er sich dabei auf den Kampf gegen den Terrorismus, vor allem gegen die paraguayische Guerrilla EPP, doch das teilweise brutale Vorgehen des Militärs gegen Protestierende und Landbesetzer kosteten dem Präsidenten viele Sympathien in der Zivilgesellschaft.
In dem Teil der konservativen Bevölkerung, die ihn z.T. 2008 wählte, weil er als ehemaliger Bischof katholische Grundwerte verkörperte, führte das Bekanntwerden, dass der frühere Geistliche Vater zugleich leiblicher Vater einer Tochter ist, zu einem Skandal. Dadurch verlor er die Zustimmung von weiten Teilen der gesellschaftlichen Mitte.
Ohne Rückhalt in den eigenen Reihen und vor allem wegen des Widerstands des Parlaments und der Justiz blieb somit der größte Teil seiner Reformvorhaben stecken, bevor sie richtig begonnen hatten.
Erfolge
Trotzdem kann Lugo einige wichtige und möglicherweise richtungsweisende Erfolge verbuchen. Außenpolitisch gelang es ihm, mit Brasilien einen neuen Vertrag über die Vergütung der im binationalen Wasserkraftwerk Itaipu erzeugten Energie auszuhandeln. Fortan erhält Paraguay für die Überlassung seiner Elektrizitätsanteile an Brasilien 250 Millionen Euro pro Jahr statt wie bisher 85 Millionen Euro.
Ebenfalls von Bedeutung ist die Wiederbelebung des Regionalen Integrationsblockes URAPABOL zwischen Uruguay, Paraguay und Bolivien. Im Mittelpunkt stehen dabei Fragen der Energieversorgung, vor allem mit bolivianischem Gas, und die Errichtung von weiterverarbeitenden Industrien, um die Abhängigkeit von Primärprodukten (hauptsächlich Soja) zu durchbrechen und dringend benötigte Arbeitsplätze zu schaffen.
Außerdem gelang es ihm, zusammen mit Evo Morales die Grenzstreitigkeiten, die aus dem Chaco-Krieg (1932-35) herrührten, endgültig beizulegen.
Auf wirtschaftlichem Gebiet zeigen die nackten Zahlen eine positive Entwicklung für Paraguay auf. 2010 wuchs das Bruttoinlandsprodukt um 14,5 Prozent. Allerdings entstammen über 50 Prozent dieses Wachstums nach wie vor aus der Landwirtschaft, vor allem der Sojaproduktion. Diese schafft aber kaum neue Arbeitsplätze. Und der generierte Reichtum bleibt in den Händen der wenigen Großgrundbesitzer. Nicht einmal die Staatskasse profitiert großartig. Denn die Abgaben auf die Sojaexporte betragen gerade einmal 3,5 Prozent, den zehnten Teil dessen, was in Argentinien als Abgaben verlangt wird. Es wundert deshalb wenig, dass die Fiskalquote bei niedrigen 13 Prozent verharrt. Damit fehlen natürlich auch die nötigen Mittel, um Sozialprogramme aufzulegen. In der Konsequenz sank die Armutsquote in diesem Boomjahr auch nur um drei Prozent und liegt derzeit bei 37,8 Prozent der Bevölkerung.
Innenpolitisch bedürfen drei Projekte einer besonderen Erwähnung. Zum einen ist es Lugo gelungen, ein kostenloses Schulsystem zu etablieren und schrittweise auszubauen, auch wenn die Zahl der Analphabeten nach wie vor hoch bleibt. Zum anderen richtete er ein kostenloses Gesundheitssystem ein. Der Staat zahlt fortan in den öffentlichen Krankenhäusern – deren Zustand allerdings meist erbärmlich ist – die Behandlung und die Medikamente. Außerdem wurden Gesundheitsteams (Unidades de Salud Familiar, USF) gebildet, um gerade in den ländlichen Räumen und Armengebieten eine bessere medizinische Versorgung zu erreichen. Derzeit gibt es bereits 600 solcher USF; etwa 1500 sollen es einmal werden. Die dritte wichtige innenpolitische Zäsur ist Lugos Einsatz für die Aufarbeitung der Geschichte. So wurden 2011 erstmals mehr als 240 Opfer der Stroessner-Diktatur entschädigt. Dafür stellte die Regierung etwa 6,4 Millionen Euro zur Verfügung.
Diese Erfolge können jedoch das Scheitern beim wichtigsten politischen Vorhaben – der Agrarreform – nicht wettmachen. Und auch beim Kampf gegen die allgegenwärtig grassierende Korruption hat sich die Bevölkerung von ihm ein energischeres Vorgehen erhofft. All diese Aspekte haben seit der Wahl 2008 dazu geführt, dass der Hirte zunehmend ohne Herde agiert.
Bildquellen: [1] Fernando Lugo APC; [2] Quetzal-Redaktion, Steffi Holz; [3] BaseIS/Quetzal-Redaktion, ssc