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Landlosigkeit und Sojaboom in Paraguay

Tobias Wallusch | | Artikel drucken
Lesedauer: 8 Minuten

Bestimmt die Landwirtschaft in Paraguay: Soja - Foto: Scott Bauer, Public DomainAuch mehr als 20 Jahre nach dem Sturz des Diktators Alfredo Stroessner ist Landlosigkeit und damit einhergehende Armut in Paraguay weit verbreitet. Extensiver Sojaanbau und Viehzucht in großem Maße prägen das Bild und lassen wenig Raum für Parzellen der KleinbäuerInnen. Und auch der ehemalige Bischof Fernando Lugo, der 2008 als sozialer Hoffnungsträger die Präsidentschaftswahlen für sich entscheiden konnte, vermochte bislang wenig dagegen auszurichten.

Paraguay, das mit Argentinien und Uruguay den Cono Sur bildet, den „südlichen Kegel“ Südamerikas, ist nach Bolivien das ärmste Land des Kontinents. Der industrielle Sektor ist kaum entwickelt, je etwa 40% der Bevölkerung sind im Dienstleistungssektor und der Landwirtschaft beschäftigt. Während ersterer vor allem ökonomisch prekäre Beschäftigungen wie Straßenhandel oder auch kriminelle Aktivitäten wie Schmuggel umfasst, ist der zweite von großer Ungleichheit geprägt. Etwa zwei Prozent der LandbesitzerInnen kontrollieren 83% der landwirtschaftlich genutzten Fläche, was eine extreme Dominanz von Großgrundbesitz bedeutet. 63% der KleinbäuerInnen müssen sich dagegen mit weniger als 5 Hektar Land zufrieden geben, was häufig kaum ausreicht, um einer Familie ein angemessenes Einkommen zu bescheren. Etwa 150.000 bis 300.000 BürgerInnen der etwa 5 Millionen EinwohnerInnen besitzen somit kein oder zu wenig Land. So ungleich ist die Landverteilung in keinem anderen lateinamerikanischen Land.

Dennoch ist Paraguay mit dieser ungleichen Verteilung nicht allein, geradezu klassisch ist das Thema für den Kontinent seit seiner Kolonialisierung durch die EuropäerInnen. Auch die Unabhängigkeit der Staaten zu Beginn des 19. Jahrhunderts änderte daran wenig, da sie von der herrschenden Schicht gemacht wurde, um koloniale Steuerfesseln abzuwerfen, nicht aber um die Gesellschaften sozial umzugestalten. Und nur wenige Länder verwirklichten in den folgenden 200 Jahren gezielt tiefgreifende Änderungen der Landverteilung, Paraguay zählt nicht zu diesen.

Ruinöser Dreibundkrieg

Außerdem stand Paraguay von 1865 bis 1871 im sogenannten Dreibundkrieg (Guerra de la triple alianza) den Nachbarn Argentinien, Brasilien und Uruguay gegenüber, die das damals im kontinentweiten Vergleich wohlhabende Land ruinierten. 90% aller paraguayischen Männer starben, wirtschaftliche Zentren wurden verwüstet und zur Begleichung der Kriegsschulden mussten große Flächen aus Staatsbesitz an ausländische GeldgeberInnen verkauft werden. Ehemaliges Gemeinschaftsgut wurde so in Großgrundbesitz konzentriert. Ländereien dienten außerdem dazu, mächtige Personen aus Wirtschaft und dem Militär in das Herrschaftsgefüge einzubinden und für Gefolgschaft zu belohnen. Heute zeugen große Felder von Status und Wohlstand, kaum eine/r BürgerIn der/die nicht von einer kleinen Chacra für den Altersruhestand träumt. Oder dieses auch nur aufkauft, um darauf zu warten, dass die Grundstückpreise steigen und die Felder so später ertragreich veräußert werden können. In der Zwischenzeit liegt das Land brach, während einige Kilometer weiter Landlose um Almosen betteln müssen. Auch viele deutsche StaatsbürgerInnen befinden sich unter solchen landhortenden SpekulantInnen.

Zwar gibt es ein Gesetz, dass es dem Staat erlaubt, nicht genutztes Land zu enteignen, doch das Parlament, in dem sich viele LandbesitzerInnen wiederfinden, konnte anfügen, dass die EigentümerInnen hierfür angemessen entschädigt werden müssen. Und sobald sich ein Gebäude auf den Ländereien befindet, darf das Gesetz überhaupt nicht angewandt werden. Die Regierung von Fernando Lugo, der 2008 als Bischof mit Unterstützung der sozialen Bewegungen die Präsidentschaftswahlen gewann, hat zwar versprochen Land zu verteilen, kommt so aber nur schleppend voran. Außerdem baut die Wirtschaft des Landes elementar auf dem Export von Agrarprodukten auf, der in erster Linie von großen Farmen gewährleistet wird. Diese widmen sich seit Beginn der 1970er Jahren immer mehr dem Anbau von Soja, das seit der BSE-Krise als Futtermittelersatz und seit wenigen Jahren in Folge des Booms von Agrotreibstoffen hohe Preise auf dem Weltmarkt erbringt. Paraguay ist wegen seiner weitläufigen Fläche, dem heißen Klima und der Bodenqualität laut Studien hervorragend für den Anbau dieser Pflanze geeignet.

Soja – Devisenbringer und Sorgenkind

Sojafeld in Paraguay - Foto: Yenia Rivarola, Public DomainBereits heute stellt die Ausfuhr von Soja etwa 50% der gesamten Exporte Paraguays dar, das Land ist damit der viertgrößte Sojaproduzent der Welt, was bei seiner geringen Einwohnerzahl erstaunlich ist. Diese starke Ausrichtung der Exporte auf Soja stellt eine Gefahr für den Fall dar, dass die Preise wieder fallen sollten. Außerdem ergibt sich hieraus eine große Macht für die Sojalobby, die Steuererleichterungen genießt, kaum Widerspruch gegen ihre Niedriglöhne erfährt und nur wenig Rücksicht auf die Umwelt nehmen muss. Die Menge des exportierten Sojas könnte ferner noch größer sein, doch oft mangelt es an den zur Verfügung stehenden Transportmitteln. Das führt dazu, dass Soja im Land selbst zu einem Spottpreis veräußert wird und einer Vielzahl von Produkten beigemischt ist. Kaum ein Saft oder eine Süßigkeit ohne die milchige Farbe verarbeiteten Sojas.

Kritisch sind auch die Bedingungen, unter denen Soja angebaut wird: Es kommt zum Einsatz giftiger Pestizide, die in Europa verboten sind, wie beispielsweise Endosulfan. Winde verstreuen den Dünger häufig in das Umland, so dass Menschen damit in Kontakt kommen. Es kam so bereits zum Tod eines Kindes, auch gibt es Berichte über Missbildungen bei Neugeborenen. Angebaut wird zudem auf etwa 90% der Flächen das genmanipulierte Roundup Ready Soja von Monsanto, deren problematische Implikationen bekannt sind. Erfordert wird beim Anbau zwar nur noch ein bestimmtes Herbizid, Roundup mit dem Wirkstoff Glyphosat, das dafür jedoch sämtliche Vegetation um die Sojapflanze herum abtötet und sogar das Grundwasser vergiften kann. Es entsteht eine Abhängigkeit von den Lieferungen Monsantos, die diesen Sojasamen und das Pestizid herstellen. Interessanterweise wurde der Samen bereits vor Genehmigung durch den paraguayischen Staat im Land angebaut, weswegen ähnlich wie im Nachbarland Brasilien vermutet wird, dass Monsanto selbst die Pflanze ins Land geschmuggelt hatte.

Verstärkte Landkonzentration durch Sojaanbau

Des Weiteren sind große Flächen für den Sojaanbau am ertragreichsten, zu deren Erschließung auch nicht vor weitläufiger Abholzung halt gemacht wird. 2004 konnte sich Paraguay des zweifelhaften Titels rühmen, das Land mit der weltweit schnellsten Abholzungsrate zu sein. Außerdem nimmt die Landkonzentration zu, da derartiger Sojaanbau sehr kapitalintensiv ist und kleinbäuerliche Betriebe so kaum konkurrieren können. Für KleinbäuerInnen ist es daher ertragreicher das Land zu verpachten oder dem Druck der meist aus Brasilien stammenden GroßgrundbesitzerInnen nachzugeben und die eigenen Parzellen ganz zu verkaufen. Da der Sojaanbau hochmechanisiert vonstatten geht, werden dabei – übrigens genauso wie in der Viehwirtschaft, einem weiteren wichtigen Wirtschaftszweig – kaum Arbeitsplätze generiert, was BäuerInnen veranlasst in die Städte zu migrieren und sich dort in das Heer der Arbeitssuchenden einzureihen.
Viele nehmen aber auch an den zahlreichen Landbesetzungen teil, die nach Ende der Diktatur rasant zunahmen und denen gegenüber GroßgrundbesitzerInnen bereits mit der Gründung von Privatarmeen gedroht haben. Präsident Lugo machte sich hierbei einen Namen, indem er in der Zeit vor der Präsidentschaft als Bischof im nördlichen Departamento San Pedro die Proteste unterstützte. Seit seinem Wahlsieg 2008 tat sich jedoch wenig, um die Situation zu verändern. Neben dem bereits erwähnten Widerstand des Parlaments ist dafür auch Korruption als Grund anzuführen. Einige MitarbeiterInnen der für die Landverteilung zuständigen staatlichen Behörde INDERT (Instituto Nacional de Desarrollo Rural y de la Tierra – Nationales Institut für ländliche Entwicklung und Land) kümmern sich wenig um gültige Besitztitel, wer am meisten zahlt, der/die bekommt die Fläche zugesprochen. Die Mitglieder indigener Gemeinschaften, die etwa 6% der Gesamtbevölkerung ausmachen, besitzen dabei wegen des Mangels an Ressourcen und juristischer Vertretung erfahrungsgemäß die geringsten Möglichkeiten ihre Interessen durchzusetzen.

(K)Eine Aussicht auf Besserung?

Die 2010 anstehenden Kommunalwahlen werden dabei wenig helfen, um Reformen voranzubringen. Zum einen, da die dazu notwendigen Kompetenzen auf gesamtstaatlicher Ebene zu finden sind, über deren Autoritäten jedoch nicht neu entschieden wird. Zum anderen aber auch, da eher mit einem Erfolg der konservativen Kräfte gerechnet werden muss. Zwar haben es die zersplitterten linken Gruppen endlich geschafft mit dem Espacio Unitario – Congreso Popular (EUCP – Einheitlicher Raum – Öffentlicher Kongress) ein übergreifendes Bündnis einzugehen, was deren Wahlchancen steigern dürfte. Doch die Umtriebe der Guerilla EPP (Ejercito del Pueblo Paraguayo – Paraguayisches Volksheer), die Ende 2009 durch die Entführung des Großgrundbesitzers Fidel Zavala das Land in Aufruhr versetzte, hat die verängstigten BürgerInnen in die Arme der etablierten Eliten getrieben. Ein gesellschaftlicher Dialog über die ungleiche Reichtumsverteilung, der auf solch eine Aktion ebenso hätte folgen können, blieb dagegen aus. Thematisiert wurden vielmehr vermeintliche Probleme der inneren Sicherheit und vermeintliche Verbindungen Lugos zur Guerilla. Kein Wunder bei einer Presselandschaft, die sich fest in den Händen reicher UnternehmerInnen befindet.

Für die Zukunft bleibt zu wünschen, dass die auf den Weg gebrachte Agrarreform konsequenter durchgeführt wird und davon die Masse der KleinbäuerInnen und Landlosen profitiert. Oft erklingen Klagen, dass diese selbst jedoch nichts mit dem „geschenkten Land“ anzufangen wüssten und es verkommen ließen. Nach vielen Jahren der Marginalisierung ist dies durchaus möglich. Daher sind staatliche Begleit- und Bildungsprogramme für begünstigte BäuerInnen zu empfehlen. Aus volkswirtschaftlicher Perspektive wäre außerdem auf längere Sicht eine Diversifizierung der Exportprodukte sowie eine stärkere Reglementierung des Sojaanbaus wünschenswert, so dass von der einseitigen wirtschaftlichen Ausrichtung des Landes abgegangen wird und Mensch sowie Umwelt keinen Schaden mehr nehmen. Bei den verhärteten politischen Fronten und dem großen Einfluss der Sojalobby stellen sich diese Punkte jedoch als schwer realisierbare Ziele dar.

Quellen:
Brot für die Welt/EED/FIAN/Misereor 2007: Wie deutscher Landbesitz in Paraguay effektive Hungerbekämpfung verhindert, Köln/Stuttgart/Aachen/Bonn.
Sonderegger, Reto 2008: Sojarepublik Paraguay? Konflikte um Land und Ernährungssouveränität, Berlin.

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Die vorliegende Publikation ist die vom Autor überarbeitete Fassung seines Artikels, der bereits in der fairquer vom April 2010 (Ausgabe 29) erschien.

Bildquellen: [1] Scott Bauer, Public Domain; [2] Yenia Rivarola, Public Domain

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