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Parlamentarischer Putsch gegen Paraguays Präsidenten

Sven Schaller | | Artikel drucken
Lesedauer: 6 Minuten

Eine Analyse zu den Hintergründen der Amtsenthebung von Fernando Lugo

Paraguay: Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Fernando Lugo - Foto: Fernando Lugo APCAm 22. Juni 2012 setzte der paraguayische Senat den Schlusspunkt hinter die Präsidentschaft von Fernando Lugo. Mit 39 zu vier Stimmen wurde der Amtsenthebungsklage, die die Abgeordnetenkammer nur einen Tag vorher eingereicht hatte, stattgegeben. Lugo trage demnach die politische Verantwortung für die 17 Opfer einer gewaltsamen Auseinandersetzung um Land in der Ortschaft Canindeyú am 16. Juni 2012, so die Hauptbegründung. Sein Nachfolger, der bisherige Vizepräsident, Federico Franco von der Liberal-Radikalen Authentischen Partei (Partido Liberal Radical Auténtico, PLRA), wurde noch am gleichen Tag vereidigt.

Lugo selbst nannte das Vorgehen gegen ihn einen parlamentarischen Putsch. Das würde bedeuten, eine Akteursgruppe hätte staatsstreichartig die Macht im Land übernommen. Er verdächtigt in einem Telesur-Interview konkret Horacio Cartes und dessen Colorado-Partei (Asociación Nacional Republicana – Partido Colorado, ANR-PC) hinter den Vorkommnissen zu stehen. Angesichts von deren 29 Abgeordneten (von 80) in der Abgeordnetenkammer und den 15 Senatoren (von 45) spielt der ANR sicherlich eine Rolle. Aber es erklärt nicht, warum auch die 26 Deputierten und 14 Senatoren der PLRA gegen ihn stimmten, zumal der PLRA Bündnispartner in Lugos Patriotischer Allianz für den Wandel (Alianza Patriótica para el Cambio) ist. Wenn es einen parlamentarischen Putsch gegeben hat, dann durch die PLRA. Eine mögliche Erklärung für diese Handlungsweise besteht vordergründig darin, dass Lugo nach der blutigen Räumungsaktion in Canindeyú den Innenminister Carlos Filizzola von der PLRA entließ und Rubén Candia Amarilla ernannte, offenbar einen Sympathisanten der Colorados (obgleich der ANR dies sofort verneinte). Daraufhin kündigten die vier weiteren PLRA-Minister in der Regierung ihre weitere Zusammenarbeit auf – und legten somit möglicherweise den Grundstein für das Amtsenthebungsverfahren.

Die Verfassungsmäßigkeit des Ad-hoc-Amtsenthebungsverfahrens scheint – zumindest nach außen – gewahrt geblieben zu sein. Denn gemäß Artikel 225 der Verfassung Paraguays kann der Präsident wegen „schlechter Ausübung seiner Funktionen, Straftaten bei der Ausübung seines Amtes oder allgemeinen Straftaten“ einem politischen Prozess unterworfen werden. Bei Zwei-Drittelmehrheit im Sinne der Anklage im Senat und in der Abgeordneten-Kammer erfolgt die Amtsenthebung. Obwohl die „schlechte Ausübung seiner Funktionen“ umbestritten ein sehr subjetives Moment darstellt und der politischen Interessenartikulation der verschiedenen Akteure unterliegt, spricht im Falle Lugos nichts Gravierendes dafür, dass bei dem Verfahren die Verfassung verletzt worden wäre. Es wurde lediglich moniert, dass zuerst das Verfahren eingeleitet und erst danach beschlossen wurde, wie die konkreten Regeln dafür lauten.

Auf seine Verfassungsmäßigkeit muss allerdings der sehr kurze Zeitrahmen, der Lugo zu seiner Verteidigung zur Verfügung stand, geprüft werden. Gerade einmal 19 Stunden Vorbereitung und zwei Stunden Plädoyer wurden ihm zugebilligt. Gegen die Stimmen der Senatoren und Abgeordneten der Colorado-Partei und der PLRA hätte aber auch mehr Zeit nichts am Resultat geändert: Lugo wurde seines Amtes enthoben. Denn die Mehrheitsverhältnisse in beiden Kammern gegen ihn bestanden ja schon vorher.

Paraguay: Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Fernando Lugo - Foto: Fernando Lugo APCDennoch ist die Situation viel komplexer, als dies in den Agenturberichten dargestellt wird. Sowohl die Akteure, der Zeitpunkt als auch die Geschwindigkeit und der Anlass der Amtsenthebung werfen Fragen auf. Das betrifft zunächst die Rolle der PLRA. Deren machtpolitische Ambitionen sind (und waren) stets andere als die von Lugos Bündnis für den Wandel – trotz ihrer offiziellen Einbindung. Und so gilt die PLRA als die entscheidende blockierende Kraft, die das Reformprogramm des Präsidenten bislang unterbunden hat. Obwohl Lugo praktisch von Anfang an diesem Widerstand ausgesetzt war, bleibt unklar, warum sie nun maßgeblich zu dessen Sturz beitrug.

Die zweite Frage betrifft den Zeitpunkt des parlamentarischen Putsches. 2013 finden die nächsten Wahlen statt. Möglicherweise soll neun Monate vor dem Wahlgang die handstreichartige Machtübernahme der Liberalen die Linke im Land entscheidend schwächen. Denn trotz aller Kritik aus dem außerparlamentarischen (linken) Lager war es Lugo, der die Hoffnungen auf sozialen Wandel verkörperte. Alles liefe nun bei den nächsten Wahlen auf das klassische Zwei-Parteien-System zwischen Colorados und PLRA hinaus. Die Geschwindigkeit, mit der dieser Prozess der Amtsenthebung ablief, würde auch in dieses Bild passen.

Bleibt die Frage nach den Anlässen – oder vorgeschützten Anlässen – der Amtsenthebung. Denn die Vorwürfe sind größtenteils absurd. Zum einen soll Lugo Kontakt zu Mitgliedern der Paraguayischen Volksarmee (Ejército del Publo Paraguayo, EPP), einer als Terrororganisation eingestuften Guerilla-Gruppe, gepflegt haben. Zum anderen soll er dafür verantwortlich sein, dass es bislang keine nennenswerten Fahndungserfolge gegen sie gebe. Außerdem trage Lugo die Verantwortung dafür, dass es 2009 eine Demonstration „junger Sozialisten“ auf einem Kasernengelände gegeben habe. All diese skurrilen Anschuldigungen führen jedoch zum komplexen Kernproblem: der Agrarreform, den Landlosen und der Gewalt. Konkret wird ihm vorgeworfen, die politische Verantwortung für den Tod von elf Landbesetzern und sechs Polizisten in Canindeyú zu tragen. Dort hatten Ende Mai 2012 mehrere Hundert Landlose ein 2000 Hektar großes Landgut besetzt. Dessen Besitzer, Blas Riquelme, war unlängst siegreich aus einem Gerichtsprozess hervorgegangen, in dem ihm vorgeworfen wurde, dass er sich illegal Staatseigentum angeeignet habe. Denn bei der Übergabe des Landgutes während der Diktatur von Alfredo Stroessner (1954-1989) hätte es zahlreiche Unregelmäßigkeiten gegeben. Wie so oft entschied die korrupte paraguayische Justiz zu Gunsten des Grundbesitzers.

Paraguay: Landlose - Foto: Quetzal-Redaktion, Steffi HolzDas ist kein Einzelfall. Im Laufe der Jahre manifestierte sich auf diese Art und Weise eine Situation, in der der Großteil der in der Landwirtschaft Beschäftigten fast kein, die kleine Elite der Hacendados (zwei Prozent) aber fast das gesamte Agrarland (83 Prozent) besitzt. Hinzu kommen mindestens 20 Prozent ausländischer Eigentümer mit ihrer Monosojaproduktion. Es war Lugos großes Anliegen bei seinem historischen Wahlsieg im Jahr 2008, mit einer umfassenden Agrarreform diese Ungleichverteilung zu beenden. Aber durch den Widerstand im Parlament, neben den traditionell mit den Großgrundbesitzern verbandelten Colorados auch durch die PLRA – seinem eigentlichen Bündnispartner, blieb die Reform schon in ihren Ansätzen stecken. Immer wieder kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Militärs und Landbesetzern. Fernando Lugo blieb zunehmend isoliert – vor allem parlamentarisch. Bei dem umstrittenen Einsatz in Canindeyú, der zum Amtsenthebungsverfahren geführt hat, geht es also um mehr, nämlich das System: landwirtschaftlicher Großgrundbesitz vs. soziale Teilhabe.

Offenbar hat sich mit der Amtsenthebung einmal mehr die starke landbesitzende Oligarchie des Landes durchgesetzt – und ihren größten politischen Widersacher neutralisiert. Inwiefern sich nun der Kampf radikalisiert – zumal das Militär schon seine Loyalität gegenüber Federico Franco bekundete und die Landlosen, Indigenen und Kleinbauern weiterhin für eine Umverteilung des Landes eintreten werden – ist ungewiss. Eine politische Lösung scheint derzeit aber wieder in weite Ferne zu rücken.

Bildquellen: [1], [2] Fernando Lugo APC; [3] Quetzal-Redaktion, Steffi Holz

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