In ihrer Wahlheimat Mexiko ist die gebürtige Leipzigerin Olga Costa (1913–1993) längst als eine der wichtigsten und populärsten Protagonistinnen der mexikanischen Moderne etabliert. Vom 1. Dezember 2022 bis zum 26. März 2023 widmete das Museum der bildenden Künste Leipzig der Künstlerin nun eine große Ausstellung in ihrer Geburtsstadt, mit überwältigender Resonanz bei Publikum und Presse. Mehr als 50.000 Besuchende sahen die Schau, die Costas eigene Werke in einen breiteren Dialog mit Positionen anderer Künstler*innen der mexikanischen Moderne stellte, darunter Frida Kahlo, Diego Rivera, María Izquierdo und Rosa Rolanda. Mit rund 90 Positionen bot sich so ein wahres Panorama der mexikanischen Kunst des 20. Jahrhunderts. Die Ausstellung entstand als Kooperation mit dem Instituto Estatal de la Cultura de Guanajuato (GTO) und dem Instituto Nacional de Bellas Artes y Literatura (INBAL) in Mexiko und wurde gemeinsam mit einem wissenschaftlichen Beirat, dem Expert*innen aus Mexiko angehörten, konzipiert. Herausragende Leihgaben kamen aus bedeutenden internationalen Sammlungen wie dem Museo de Arte Moderno in Mexico, des Museo de Arte Olga Costa y José Chávez Morado, dem National Museum of Mexican Art in Chicago sowie bedeutenden Privatsammlungen in Mexiko und Deutschland.
Bereits die Ausstellungseröffnung im Beisein des mexikanischen Botschafters S.E. Francisco José Quiroga Camero und der Generaldirektorin des GTO Maria Adriana Camarena de Obeso, untermalt von den Klängen der Mariachi-Band „El Dorado“ war einer der Veranstaltungshöhepunkte des letzten Jahres im MdbK. Hinzukamen weitere Formate, wie etwa eine Sonderführung anlässlich des Internationalen Frauentages am 8. März, sowie ein umfangreiches Führungsangebot, u.a. auch in spanischer Sprache.
Wer aber war Olga Costa?
Die Tochter eines jüdischen Musikers und angehenden Komponisten wurde 1913 unter dem Namen Olga Kostakowsky in Leipzig geboren. Die Eltern stammten ursprünglich aus dem ukrainischen Odessa, das damals zum russischen Zarenreich gehörte. Ihre Kindheit verbrachte Olga in Berlin, wohin die Familie noch während des Ersten Weltkriegs umzog. Ihre Erinnerungen an diese Zeit in Deutschland waren düster: die Familie lebte in prekären Verhältnissen, zeitweise wurde der Vater, ein überzeugter Sozialist, aus politischen Gründen inhaftiert. 1925 wanderten die Kostakowskys schließlich nach Mexiko aus. Beeindruckt von den monumentalen Wandbildzyklen Diego Riveras und anderer, begann Olga Costa mit dem Studium der Malerei bei Carlos Mérida, das sie jedoch nicht abschloss. Erst nach der Heirat mit ihrem Kommilitonen, dem Maler José Chávez Morado, fand sie Ende der 1930er Jahre als Autodidaktin wieder zurück zur Kunst. In dieser Zeit verkürzte und latinisierte sie ihren Geburtsnamen in Costa. Als Mitglied in zahlreichen nationalen Künstlervereinigungen verfügte sie über ein weit gespanntes Netzwerk, zu dem auch Frida Kahlo und Diego Rivera zählten. Von Anfang an wurde Costa als genuin mexikanische Künstlerin wahrgenommen und als solche im In- und Ausland ausgestellt. Ihre Bilder zeigen die Menschen in ihrer gewöhnlichen Umgebung und Szenen des alltäglichen Lebens. Hinzu kommt ein ausgeprägtes Interesse für die Bräuche und das Leben der Indigenen Bevölkerung. Später dominierten poetische Natureindrücke ihr künstlerisches Schaffen. Zeit ihres Lebens war Costa eine begeisterte Sammlerin: In ihrem Künstlerrefugium in Guanajuato trug sie gemeinsam mit ihrem Mann eine bedeutende Sammlung von prä-hispanischer, Indigener und kolonialer Kunst zusammen. Immer wieder komponierte sie diese Artefakte zu eindrucksvollen Stillleben. Ihrer kulturpolitischen Überzeugung entsprechend machte Costa diese Sammlungen der Öffentlichkeit zugänglich und schenkt große Teile an regionale Museen. Auch das ehemalige Wohnhaus Costas in Guanajuato ist heute ein Museum.
Ein Rundgang durch die Ausstellung
Nahezu das gesamte Untergeschoss des MdbK war der Ausstellung gewidmet, kräftige Farben sorgten für eine außergewöhnliche Stimmung.
Eröffnet wurde der Rundgang durch Costas eindrucksvolles Selbstbildnis (Abb. 1), in dem sich die Malerin selbstbewusst mit dem Pinsel in der Hand inszeniert. Distinktion und Bekenntnis zu ihrem mexikanischen Umfeld halten sich in diesem Bild, das kurz nach ihrer ersten erfolgreichen Einzelausstellung entstanden ist, die Waage.
Der folgende Raum bot Gelegenheit, Costa als Künstlerin näher kennenzulernen. Werke aus allen Schaffensphase und eine Auswahl ihrer bevorzugten Sujets waren hier zu sehen: einfühlsame Porträtstudien aus der Frühzeit, Landschaftspanoramen, Stillleben und nicht zuletzt botanische Studien, denen sie sich in den späten Jahren widmete. Im Zentrum – nicht allein dieses Raumes – sondern der gesamten Ausstellung stand jedoch zweifellos die großformatige „Obstverkäuferin“ (Abb. 2). Mehr als 50 Obstsorten gilt es hier zu entdecken und eine selbstbewusste Verkäuferin lädt zu feministischen Interpretationen ein. Nicht ohne Grund zählt Costas einziger öffentlicher Auftrag in Mexiko zu den populärsten Ikonen der nationalen Moderne.
Ganz im Zeichen der mexikanischen Malerei des 20. Jahrhunderts stand das folgende Kapitel. Es zeigte Positionen, mit denen Olga Costa sich zum Zeitpunkt ihrer Ankunft in Mexiko konfrontiert sah, oder mit denen sie sich während ihrer Ausbildung auseinandersetzte. Hierzu zählen Malereien ihres Lehrers an der Akademie, Carlos Mérida, Werke ihres späteren Ehemannes José Chávez Morado, das berühmte Früchtestillleben „Los cocos“ von Frida Kahlo (Abb. 3), wie auch eindrucksvolle Zeugnisse der postrevolutionären mexikanischen Freilichtmalschulen.
Den Besucher*innen wurde bei der Betrachtung zahlreicher Werke Mexicanidad, die spezifische Qualität des Mexikanisch-Seins, vor Augen geführt (Abb. 4). Dieser Begriff zeugt von der Suche nach einer neuen nationalen Identität, die das postrevolutionäre Mexiko prägte. Das Bewusstsein für die Kultur und Geschichte des Landes rückte in den Mittelpunkt und die Indigene Bevölkerung fand neue Anerkennung. Die Künstler*innen fokussierten sich auf Mexicanidad als Leitmotiv, so auch Costa. Ihre Arbeiten befassen sich mit der Indigenen Bevölkerung, Bräuchen, dem Día de los Muertos (Tag der Toten) und Arte Popular.
Costas Interesse findet in Werken wie „Tehuana con sandía“ (Abb. 5) Ausdruck. In dem Gemälde schildert sie in ihrer leuchtenden Farbigkeit den Schmuck und die nahezu ikonische Kleidung einer Tehuana, die noch heute als ein Symbol Mexikos gilt. Neben einem Stillleben Frida Kahlos wurde das Werk zu einem absoluten Blickfang in der Ausstellung.
Die vielfältige Kunstszene im postrevolutionären Mexiko blieb patriarchal dominiert. Die staatlichen Aufträge waren den männlichen Künstlern vorbehalten, dennoch stieg die Zahl der künstlerisch tätigen Frauen an. Sie initiierten Projekte und Ausstellungsorte, um mehr Sichtbarkeit zu erlangen. So entstand ein intellektuelles Netzwerk, in dem sich auch Costa engagierte. Arbeiten wie „La balada de Frida Kahlo“ verweisen in der Sektion zu diesem Netzwerk (Abb. 6) auf die gegenseitige Inspiration und die engen Freundschaften der Beteiligten. Die in Frankreich geborene Alice Rahon knüpfte in Mexiko eine enge Beziehung zu Frida Kahlo, der sie nach ihrem Ableben diese surrealistische Arbeit widmete.
Die anschließende Sektion zeugte vom besonderen Interesse der Künstlerinnen am Bild der Frau, von Porträts kleiner Mädchen, über Aktdarstellungen bis hin zu Selbstporträts. Die hier gezeigte früheste Arbeit Costas in der Ausstellung „La novia“ (Abb. 7) von 1941 setzte sich nicht nur mit dem weiblichen Körper und gängigen Schönheitsidealen auseinander, sondern reflektiert auch Rollenbilder in der mexikanischen Gesellschaft.
Den spannenden Abschluss bot ein Raum mit Grafiken, die abgesehen von wenigen Leihgaben größtenteils zur Sammlung des MdbK zählen. Doch wie gelangten die Arbeiten aus Mexiko hierher? Sie stammen von der 1937 in Mexiko-Stadt gegründeten Vereinigung Taller de Gráfica Popular (Werkstatt der Volksgrafiker, TGP). Die Mitglieder wollten mit Druckgrafiken Aufmerksamkeit für soziale und gesellschaftliche Problematiken generieren.
Der TGP spielte während des Zweiten Weltkriegs eine prägende Rolle im Kampf gegen den Faschismus und zog mit seiner aktivistischen Haltung neue Mitglieder an, darunter Costas Ehemann Jóse Chávez Morado. Als Ausstellungsort diente die von Costa mitbegründete Galería Espiral. Der deutsche Kommunist Georg Stibi leitete in den 1940er Jahren den TGP. Mit Ende des Krieges kehrte er mit seiner Ehefrau Henny nach Deutschland zurück und war als Chefredakteur der Leipziger Volkszeitung tätig. Das MdbK erwarb 1983 einen Teil ihrer Sammlung. Aufmerksame Besucher*innen konnten auf den Grafiken persönliche Widmungen der Künstler*innen an das Ehepaar entdecken.
Zunehmend besetzten im TGP Künstlerinnen verantwortliche Positionen und engagierten sich für die Friedensbewegung, sowie die Rechte von Frauen und Afroamerikaner*innen. Vor dem Hintergrund des Kalten Kriegs sendeten Mitglieder 1959 ihre Grafiken in die DDR. Fanny Rabel, eine der wenigen Schülerinnen Frida Kahlos, warnte in einer Arbeit, die an Aktualität nicht verloren hat, vor der Bedrohung durch atomare Waffen (Abb. 8). So nahm sie mit anderen am internationalen Wettbewerb „Frieden der Welt“ teil, der anlässlich der Buchkunstausstellung in Leipzig stattfand. Die Werke übergab der Rat der Stadt anschließend an das MdbK.
Die Grafiken im MdbK zeugen somit von dem künstlerischen Austausch zwischen Mexiko und der DDR. Dem spannenden Thema der Künstler*innen aus den sogenannten sozialistischen Bruderländern und der Einwanderungsgeschichte in DDR widmet sich aktuell noch bis zum 10. September im MdbK die Ausstellung Re-Connect. Kunst und Kampf im Bruderland.
Zur Olga Costa-Ausstellung ist ein Katalog in englischer und deutscher Ausgabe im Hirmer Verlag erschienen.
Credits Pressebilder:
[1] Olga Costa: Autorretrato (Selbstbildnis), 1947, Colección Andrés Blaisten, © VG Bild-Kunst Bonn, 2022 / SOMAAP
[2] Olga Costa: La vendedora de frutas (Die Obstverkäuferin), 1951, Acervo Museo de Arte Moderno. INBAL / Secretaría de Cultura, © VG Bild-Kunst Bonn, 2022 / SOMAAP
[3] Frida Kahlo: Los cocos (Die Kokosnüsse), 1951, Acervo Museo de Arte Moderno. INBAL / Secretaría de Cultura, © Banco de México Diego Rivera Frida Kahlo Museums Trust / VG Bild-Kunst Bonn, 2022 / SOMAAP
[4, 6] Ausstellungsansichten, Alexander Schmidt/Punctum, 2022
[5] Olga Costa: Tehuana con sandía (Tehuana mit Wassermelone), 1952, Modern Art International Foundation, New York, Courtesy Manuel Reyero IV., © VG Bild-Kunst Bonn,
2022 / SOMAAP
[7] Olga Costa: La novia (Die Braut), 1941, Instituto Estatal de la Cultura de Guanajuato, Museo de Arte Olga Costa – José Chávez Morado, Guanajuato, © VG Bild-Kunst Bonn, 2022 / SOMAAP
[8] Fanny Rabel: Ohne Titel (Atombombe), 1959, Museum der bildenden Künste Leipzig, © VG Bild-Kunst Bonn, 2022 / SOMAAP