Am 3. Juli 2023 gab US-Präsident Joe Biden seine Absicht bekannt, Elliott Abrams zum Mitglied in der Beraterkommission der Vereinigten Staaten von Amerika für öffentliche Diplomatie zu berufen. Dies rief selbst in zahlreichen Mainstream-Medien der USA Verwunderung und Empörung hervor. Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen geopolitischen Umbrüche wirft die Ernennung von Abrams aus drei Gründen ein erhellendes Licht auf die Außenpolitik Washingtons. Erstens handelt es sich bei Abrams um einen Politiker aus dem illustren Kreis der führenden Neokonservativen (Neocons), was zu der Frage führt, über welchen Einfluss diese außenpolitischen Hardliner verfügen. Zweitens lohnt es sich, die Aufmerksamkeit auf die besonderen persönlichen „Qualitäten“ von Abrams zu lenken, was Rückschlüsse über den Zustand der US-Diplomatie zulässt. Immerhin stand er in den letzten 40 Jahren im Dienste von vier US-Präsidenten – Ronald Reagan (1981-1989), George W. Bush (2000-2008), Donald Trump (2017-2021) und nun auch Joe Biden. Drittens lassen sich anhand der Karriere dieses typischen Neocons wichtige Kontinuitäten und Schwerpunkte der Außen- und Sicherheitspolitik der USA bis hin zum Ukrainekrieg nachzeichnen.
Die Neokonservativen – Wer sie sind und was sie wollen
Um eine erste Vorstellung zu gewinnen, seien zunächst die wichtigsten Prinzipien und Vertreter dieser außenpolitischen Richtung kurz vorgestellt. Der Begriff „neokonservativ“ geht auf die frühen 1970er Jahre zurück, als sich eine Gruppe New Yorker Intellektueller formierte, die dem American Jewish Committee (AJC) nahe standen und die damalige „Linkswende“ des US-amerikanischen Liberalismus kritisierten. Als Kristallisationspunkte dienten zunächst das Magazin „The Public Interest“, das von Irving Kristol und Daniel Bell 1965 gegründet worden war, und später „Commentary“ mit Norman Podhoretz als Herausgeber. In den 1980er Jahren unterstützten sie die Politik von Ronald Reagan. Nach dem Ende des Kalten Krieges machten sich die Neokonservativen für eine Außenpolitik stark, die auf fünf Eckpfeilern beruht (Vaisse, S. 5-9):
(1) Internationalismus: Die Neokonservativen sind fest von der Notwendigkeit einer aktiven Außenpolitik der USA überzeugt, die auf die Durchsetzung einer liberalen Weltordnung gerichtet ist. Als sicherheitspolitische „Falken“ wenden sie sich scharf gegen jede Form von Isolationismus und gegen die Reduzierung der globalen Präsenz der USA.
(2) Primat (Primacy): Für dieses Prinzip stehen solche Begriffe und Konzepte, die von führenden Neokonservativen zur Beschreibung des Primats der USA geprägt wurden, wie „the benevolent empire“ (das wohlmeinende Imperium – Robert Kagan), „the indispensable nation“ (die unverzichtbare Nation – Madeleine Albright) oder „the unipolar moment“ (das unipolare Moment – Charles Krauthammer). Um den Status der USA als „einzige Supermacht“ solange wie möglich aufrechtzuerhalten, propagieren und verfolgen die Neokonservativen eine Strategie der präventiven Ausschaltung bzw. Niederhaltung potentieller Rivalen. Sie wurde 1992 von Paul Wolfowitz – ebenfalls ein führender Neokonservativer – in der Defense Planning Guidance als Grand Strategy für die unipolare Ära nach dem Ende des Kalten Krieges ausgearbeitet. Die sogenannte Wolfowitz-Doktrin basiert auf der Zivilreligion des „amerikanischen Exzeptionalismus“ und geht davon aus, dass alles, was gut für die USA ist, auch dem Rest der Welt gut tut.
(3) Unilateralismus: Hierbei handelt es sich um ein außenpolitisches Axiom, welches das einseitige Agieren Washingtons legitimieren soll. Demgemäß definieren allein die USA die Regeln, an die sich zwar alle anderen zu halten haben, ohne dass sich aber das Weiße Haus an diese gebunden fühlen muss. Dem entsprechend bilden die USA „Koalitionen der Willigen“, um ihre Interessen von Fall zu Fall durchzusetzen. Das Völkerrecht behindert eine derartige Politik nur. Die Formel von der „regelbasierten Ordnung“ ist die aktuelle Version dieses Prinzips.
(4) Militarismus: Um die zuvor genannten Prinzipien durchzusetzen, bedarf es nach Meinung der Neokonservativen der militärischen Dominanz der USA. Als führende Militärmacht der Welt müssen die Vereinigten Staaten in der Lage sein, potentielle Rivalen ggf. auch per Krieg auszuschalten. Die zahlreichen Interventionen der USA in allen Teilen der Welt seit Ende des Kalten Krieges sind nicht nur ein unübersehbarer Hinweis für das Ausmaß der Militarisierung der Außenpolitik Washingtons, sondern auch für deren verheerenden Folgen für den Rest der Welt. Scheiternde Staaten, Ausbreitung des Terrorismus, Destabilisierung ganzer Regionen, Flüchtlingsströme, Umweltzerstörung und nicht zuletzt die Verstrickung der USA in verhängnisvolle und vermeidbare Kriegsabenteuer zeugen von der katastrophalen Bilanz der US-Kriegsführung.
(5) Demokratie: Dieses Prinzip ist Teil des imperialen Selbstverständnisses der USA und schon deshalb kein Alleinstellungsmerkmal der Neokonservativen. Dieses liegt vielmehr darin begründet, dass sie Demokratie mit militärischer Stärke kombinieren – ein spezieller Mix, der zutreffend als „Wilsonianismus in Militärstiefeln“ (Wilsonianism in boots – Hassner 2002, S. 43) bezeichnet wird. Der Verweis auf Demokratie zur Legitimierung von „regime change“ im Sinne Washingtons bildet ein zentrales Merkmal der „Farbrevolutionen“. In dieser Spielart der hybriden Kriegsführung haben es die Neokonservativen inzwischen zu zweifelhafter Meisterschaft gebracht. Es sind die zielgerichtete Zusammenführung und die geschickte Handhabung die genannten fünf Prinzipien, die die Neokonservativen von anderen Strömungen und Schulen der US-amerikanischen Außenpolitik unterscheiden.
Elliott Abrams – ein zweifelhafter, aber gefragter Protagonist der US-Diplomatie
Elliott Abrams, Jahrgang 1948, hat nach seiner akademischen Ausbildung (Harvard University, London School of Economics und Harvard Law School) als Rechtsanwalt und Referent verschiedener Politiker gearbeitet. Unter Präsident Ronald Reagan gelang ihm ein rasanter Aufstieg in die oberen Ränge des Außenministeriums. Er wurde zuerst Staatssekretär für internationale Organisationen, dann für Menschenrechte und schließlich für interamerikanische Angelegenheiten. In dieser Zeit, als die USA in Zentralamerika konterrevolutionäre Stellvertreterkriege führten, tat sich Abrams als glühender Verteidiger der blutigen Diktaturen in Guatemala und El Salvador hervor. Um deren zahlreichen Menschenrechtsverletzungen und Massaker an der Zivilbevölkerung zu verschleiern, griff er auch auf Lügen und Verleumdungen der Opfer zurück.
Gerichtsnotorisch war sein Agieren in der Iran-Contra-Affäre. Als im November 1986 ein US-amerikanischer Söldnerpilot bei einer illegalen Waffenlieferung an die Contras in Nicaragua abgeschossen wurde, erschien Abrams auf CNN und erklärte, dass niemand, der mit in der US-Regierung in Verbindung stehe, etwas mit diesen Flügen zu tun habe. Allerdings gelang es der Reagan-Administration nicht, die Angelegenheit unter den Teppich zu kehren. Im Gegenteil: Der US-Kongress beauftragte im Januar 1987 Sonderkommissionen mit weiteren Untersuchungen, in denen nachgewiesen werden konnte, dass unter der Regie des Nationalen Sicherheitsrates (NSC) ein Deal zur illegalen Finanzierung der Contras, die gegen die Sandinisten in Nicaragua kämpften, eingefädelt worden war. Neben Einnahmen aus dem Drogenhandel kamen die Gelder aus geheimen Waffengeschäften, in die Israel und der Iran involviert waren. Neben anderen verantwortlichen Regierungsmitgliedern wurde 1987 auch Abrams verurteilt, weil er in einer Anhörung über den Iran-Contra-Skandal absichtlich falsche Informationen verbreitet hatte. Seine Strafe war nur symbolisch: 50 Dollar Bußgeld, 100 Sozialstunden und zwei Jahre Bewährung. Unter Reagans Nachfolger George H.W. Bush wurde er 1992 begnadigt.
1997 gehörte Abrams zu den Mitbegründern des PNAC (Project for the New American Century), in dem sich führende Neokonservative auf Initiative von William Kristol und Robert Kagan zusammengefunden hatten, um die Grundlagen für ein „neues amerikanisches Jahrhundert“ auszuarbeiten. Zu den 26 Erstunterzeichnern gehörten außerdem: Jeb Bush (1999-2007 Gouverneur von Florida und Bruder von George W. Bush), Dick Cheney (2001-2009 Vizepräsident der USA), Francis Fukuyama (Politikwissenschaftler und Buchautor), Donald Kagan (Historiker und Vater von Robert und Frederick Kagan), Zalmay Khalilzad (2003-2009 nacheinander Botschafter in Afghanistan, Irak und bei den Vereinten Nationen), Norman Podhoretz (neokonservatives Urgestein und 1960-1995 Herausgeber des Magazins „Commentary“), Donald Rumsfeld (2001-2006 Verteidigungsminister der USA) und Paul Wolfowitz (2001-2005 Stellvertretender Verteidigungsminister der USA).
1998 schickte das PNAC ein Schreiben an US-Präsident Bill Clinton (1994-2000), in dem es eine Intervention der USA im Irak forderte – ein „Projekt“, das fünf Jahre später unter George W. Bush in die Tat umgesetzt wurde. Als einer der wichtigsten Architekten des Irak-Krieges von 2003 gilt Elliott Abrams. Seine Zugehörigkeit zu den Neokonservativen zeigt sich nicht nur in seiner Mitarbeit am PNAC und anderen Think Tanks (Center for Security Policy, Hudson Institute, Ethics and Public Policy Center), sondern auch in seinen familiären Bindungen. So war er seit 1980 mit Rachel Decter, der Stieftochter von Norman Podhoretz, verheiratet, die 2013 einer Krebserkrankung erlag.
Abrams zweite Chance – von Bush zu Trump
Unter Präsident George W. Bush kehrte Abrams in den Regierungsdienst zurück. Ab Juni 2001 war er als Senior Director der NSC für Demokratie, Menschenrechte und internationale Organisationen zuständig. Im Dezember 2002 wechselte er innerhalb des NSC und übernahm bis Februar 2005 im gleichen Rang das Ressort für den Nahen Osten und Nordafrika. Von 2005 bis 2009 übernahm Abrams das Amt des stellvertretenden Sicherheitsberaters für globale Demokratiestrategie. Als Sonderbeauftragter für Israel und Palästina im Nationalen Sicherheitsrat verhinderte er nach der Wahl von 2006 in Palästina die Bildung einer Regierungskoalition aus Hamas und Fatah. Nachdem George W. Bush seine zweite Amtszeit beendet hatte, berief der einflussreiche Council of Foreign Relations (CFR) Abrams 2009 zum leitenden Verantwortlichen (senior fellow) für den Nahen Osten. 2014 bis 2019 war er außerdem Vorstandsmitglied der Denkfabrik National Endowment for Democracy (NED).
Obwohl er während des Wahlkampfes 2016 Ronald Trump scharf kritisiert hatte, berief ihn dieser zum Sonderbeauftragten für Venezuela (2019-2021) und den Iran (2020-2021). US-Außenminister Mike Pompeo lobte Elliott Abrams, dieser sei “ein wahrer Gewinn für unsere Mission, dem venezolanischen Volk bei der vollen Wiederherstellung von seiner Demokratie und seines Wohlstands zu helfen“. Sofort nach seiner Ernennung nahm Abrams Kontakt zum militärischen Kommando für Lateinamerika (SouthCom) auf, um den venezolanischen Präsidenten Nicolás Maduro zu stürzen. Um dieses Ziel zu erreichen, zogen die USA unterhalb der Schwelle der direkten militärischen Intervention alle Register: Anerkennung des Oppositionspolitikers Juan Guaidó als Präsident Venezuelas, Boykott der staatlichen Ölgesellschaft PdVSA, Beschlagnahme venezolanischer Guthaben und Investitionen im westlichen Ausland, Staatsstreichversuche, Anzetteln von Grenzstreitigkeiten mit den Nachbarländern Kolumbien und Brasilien und Informationskrieg. Diese Regime-Change- Strategie stürzte Venezuela in eine tiefe wirtschaftliche und soziale Krise. Das eigentliche Ziel – der Sturz Maduros – gelang jedoch nicht. Auch im Falle des Iran scheiterte Washington mit seiner Strategie der Erpressung.
Es bleibt die Frage, warum Trump einen Mann wie Elliott Abrams, der ihn im Wahlkampf derart verunglimpft hatte, mit zwei wichtigen Posten betraute. Bedenkt man ferner, dass Joe Biden als nunmehr vierter Präsident, der im Unterschied zu Reagan, Bush und Trump zudem kein Republikaner ist, ebenfalls auf die Dienste des altgedienten neokonservativen Falken Abrams zurückgreift, dann gewinnt dieser Sachverhalt zusätzlich an Brisanz. Will man in die Causa Abrams klarer sehen, dann muss man den Fokus auch auf jene Neokonservative richten, die bis heute als Planer und Macher der Außen- und Sicherheitspolitik der USA tätig sind.
Krieg in der Ukraine – die jüngste Katastrophe der Neocons
Jeffrey Sachs, ein bekannter US-Ökonom, der in den 1990er Jahren in Osteuropa beim Umbau der Wirtschaft als Berater tätig war, sieht im Krieg in der Ukraine die Neokonservativen am Werk und bezeichnet diesen als deren „jüngste Katastrophe“. Wie gelangt er zu einem solchen Schluss? Lassen wir ihn selbst zu Wort kommen. Gleich am Anfang seines Essays trifft er folgende Einschätzung:
„Der Krieg in der Ukraine ist der Höhepunkt eines 30-jährigen Projekts der amerikanischen neokonservativen Bewegung (Neocons). In der Regierung Biden sitzen dieselben Neokonservativen, die sich für die Kriege der USA in Serbien (1999), Afghanistan (2001), Irak (2003), Syrien (2011) und Libyen (2011) starkgemacht und die den Einmarsch Russlands in die Ukraine erst provoziert haben.“
Namentlich nennt er vor allem Paul Wolfowitz, Robert Kagan, dessen Ehefrau Victoria Nuland sowie Kimberley Allen Kagan, die Schwägerin von Robert Kagan. Paul Wolfowitz war nach seinen Tätigkeiten als stellvertretender US-Verteidigungsminister (2001-2005) und Präsident der Weltbank (2005-2007) Vorsitzender des Wirtschaftsrates USA-Taiwan (U.S.-Taiwan Business Council – USTBC), ein Amt, das er von 2008 bis 2018 ausübte. Für seine Verdienste um die Beziehungen zwischen Taiwan und den USA wurde er am 8. Februar 2023 von Staatspräsidentin Tsai Ing-wen mit einer hohen Auszeichnung geehrt.
Robert Kagan ist ein bekannter Publizist und gilt als führender Intellektueller der Neokonservativen. Neben seiner Tätigkeit in Think Tanks wie Carnegie Endowment for International Peace und die Foreign Policy Initiative verfasst er regelmäßig Beiträge für die Washington Post, The New Republic, World Affairs, Policy Review, Commentary und The Weekly Standard. Er hat etliche Bestseller verfasst, von denen in Deutschland „Macht und Ohnmacht“ (2003) und „Die Demokratie und ihre Feinde“ (2008) erschienen sind. In Hinblick auf die NATO-Osterweiterung und die geopolitische Bedeutung der Ukraine äußert er 2006 folgenden Standpunkt:
„[D]ie Russen und Chinesen sehen in [den „farbigen Revolutionen“ in der ehemaligen Sowjetunion] nichts Natürliches, sondern nur vom Westen unterstützte Putsche, die den westlichen Einfluss in strategisch wichtigen Teilen der Welt stärken sollen. Haben sie so unrecht? Könnte die erfolgreiche Liberalisierung der Ukraine, die von den westlichen Demokratien vorangetrieben und unterstützt wurde, nicht nur das Vorspiel für die Eingliederung dieses Landes in die Nato und die Europäische Union sein – kurz gesagt, für die Ausweitung der westlichen liberalen Hegemonie?“ (Übersetzung aus dem BZ-Artikel von Jeffrey Sachs; zum englischen Original siehe Literatur)
Während Kagan den Artikel als Privatmann verfasste, war seine Frau Victoria Nuland unter George W. Bush als US-Botschafterin bei der NATO tätig. Von 2013 bis 2017 hatte sie unter Barack Obama den Posten als stellvertretende Außenministerin für europäische und eurasische Angelegenheiten inne. Sie nutzte ihr Amt, um 2014 den Sturz des prorussischen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch voranzutreiben. In der jetzigen Administration von Joe Biden war sie als Unterstaatssekretärin maßgeblich für die US-Politik im Krieg in der Ukraine verantwortlich. Nach dem Rücktritt von Wendy Sherman, der bisherigen Vizeaußenministerin in Bidens Kabinett, Ende Juli 2023 soll Victoria Nuland dieses Amt übernehmen. Angesichts dieser Karriere kommt man nicht umhin, Nuland als „die neokonservative Agentin par excellence“ (Sachs) zu bezeichnen.
Kimberley Allen Kagan ist die Gründerin (2007) und Präsidentin des Institute for the Study of War (ISW) – ebenfalls ein neokonservativer Think Tank. Neben ihr gehören Jack Keane (US-General im Ruhestand), Kelly Craft (ehemalige US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen und in Kanada), William Kristol (Mitbegründer und stellvertretender Direktor des PNAC), David Petraeus (US-General im Ruhestand) sowie weitere sechs Vertreter verschiedener Firmen und Investmentfonds, die im Militärbereich tätig sind, dem Vorstand des ISW an. Das Institut hat sich auf die Berichterstattung über die und die Analyse der von den USA geführten Kriege in Afghanistan, Irak und Syrien spezialisiert. Seit Februar 2022 berichtet es täglich über die Kampfhandlungen in der Ukraine und nimmt damit einen zentralen Platz in der medialen Orchestrierung dieses Krieges im Sinne der USA ein. Rüstungs-, Technologie- und IT-Konzerne wie General Dynamics, Raytheon, L3 Technologies und Microsoft sind an der Finanzierung des ISW maßgeblich beteiligt.
Unverzichtbare Kriegstreiber
Sowohl in den unübersehbaren Qualitäten eines Elliott Abrams als Stehaufmännchen der US-Diplomatie als auch in den Karrieren der Familiendynastie Kagan manifestiert sich die verhängnisvolle Rolle, die die Neokonservativen in den letzten dreißig Jahren gespielt haben. Mit ihrem speziellen Mix aus Militarismus, Arroganz und ideologisch motiviertem Hass haben sie ihr Land in immer neue Kriegsabenteuer getrieben. Was anfangs von den lichten Höhen des „unipolaren Moments“ so einfach schien, erweist sich im Rückblick als Katastrophe – für die zahlreichen Opfer im Nahen und Mittleren Osten, in Afrika, in Lateinamerika und nun auch in der Ukraine, aber auch für die USA selbst und die von ihnen errichtete und angeführte Weltordnung. Anstatt die Vorherrschaft der „unverzichtbaren Nation“ zu festigen, stehen die Neokonservativen vor einem Scherbenhaufen. Bereits kurz nach dem Fall der „Berliner Mauer“ haben die gestandenen Kalten Krieger in Washington mit der Invasion in Panama im Dezember 1989 eine Kette von Kriegen entfesselt, um ihre neue Macht als „Sieger der Geschichte“ zu demonstrieren. Dabei agierten die Neokonservativen immer deutlicher als Vordenker und Speerspitze jenes unheilvollen Kurses, mit dem sie ihr Land in einen Stellvertreterkrieg mit Russland getrieben haben. Dieser erweist sich mehr und mehr als ein „point of no return“ beim Übergang von der Unipolarität der Pax Americana zu einer multipolaren Weltordnung. Damit geraten die Neokonservativen ans Ende ihrer bisherigen Rolle als unverzichtbare Kriegstreiber. In dem Maße, wie die neue Weltordnung Konturen annimmt, werden sie ins Abseits gedrängt – nicht zuletzt deshalb, weil die Prämissen ihrer Politik brüchig geworden sind. Insofern sollte man die obige Zwischenüberschrift künftig mit einem Fragezeichen versehen. Anhand der weiteren Karriere von Abrams, Kagan und Nuland wird sich dieser Wechsel genauer beobachten lassen.
Literatur:
Alterman, Eric: Die Karriere des Elliott Abrams, Le Monde diplomatique vom 7.3.2019, Zugriff vom 23. Juli 2023 unter: www.monde-diplomatique.de/artikel/!5575895
Hassner, Pierre: The United States: the empire of force or the force of empire? Chaillot Paper No 54, September 2002, Zugriff vom 24. Juli 2023 unter: www.iss.europa.eu/nc/actualites/actualite/browse/52/article/theunitedstatestheempireofforceortheforceofempire/
Kagan, Robert: League of Dictators? Why China and Russia Will Continue to Support Autocracies. Washington Post vom 30. April 2006, Zugriff vom 24. Juli 2023 unter: www.washingtonpost.com/archive/opinions/2006/04/30/league-of-dictators-span-classbankheadwhy-china-and-russia-will-continue-to-support-autocraciesspan/5948eda4-ccde-46d7-8655-9ae991d0bf6f/
Sachs, Jeffrey: Die Ukraine ist die neueste Katastrophe amerikanischer Neocons. Berliner Zeitung vom 30. Juni 2022, Zugriff vom 23. Juli 2023 unter: www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/die-ukraine-ist-die-neueste-katastrophe-amerikanischer-neocons-li.242093
Vaisse, Justin: Why neoconservatism still matters. The Lowy Institute for International Policy, April 2010