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Krenak, Ailton: Ideen, um das Ende der Welt zu vertagen

Laura Wägerle | | Artikel drucken
Lesedauer: 4 Minuten

Das Leben ist nicht nützlich

„Ideen, um das Ende der Welt zu vertagen“ vom brasilianischen Philosophen Ailton Krenak stellt die Frage, mit welcher Erwartungshaltung wir dem Leben, unseren Mitmenschen, der Natur, der Sprache … begegnen. Knapp 140 Seiten sind aufgeteilt in acht Kapitel.

Krenak lebt am Rio Doce im Bundesstaat Minas Gerais. Der Zeitraum der Vorträge liegt zwischen 2017 und 2020. Sie wurden entweder live in Brasilien oder auch Portugal gehalten, bzw. zu Corona-Zeiten via Live Stream übermittelt. Seine Gruppe, die Krenak, gehören zur Gruppe der Jê, einer von etwa 250 Gruppen in Brasilien, die ihre Lebensweise aus der Zeit vor der Eroberung fortführen. Sie leben in Dörfern am Ufer des Rio Doce, der 2015 vom Durchbruch des Staudamms von Bento Rodrigues betroffen war, und der in der Zeit nach dem Bruch als ökologisch tot galt.

Die im Buch vorgetragenen Ideen sind mit großer Wahrscheinlichkeit den meisten westlichen Lesern fremd. Immer wieder stößt er die Leserschaft darauf, dass die technologischen Erfindungen eigentlich nur die Verletzlichkeit des Menschen als Teil der Natur „wegmachen“ sollen. Doch die derzeit sich anbahnende ökologische Katastrophe zeige, so Krenaks Argumentation, dass wir auf keine erdenkliche Art und Weise unserer Körperlichkeit entkommen können. Der Versuch, mittels immer mehr industrieller Produktion unsere Lebensumstände bequemer zu machen, hat uns überhaupt erst zu Klimawandel und Artensterben geführt. An dieser Tatsache macht er seine Kritik sowohl am Begriff der Nachhaltigkeit als auch an dem des „Grünen Wachstums“ fest: Die Leute wollten die Dinge, die unser Leben auf dem Planeten zerstören, nur für noch neuere und noch schönere Dinge aufgeben. Der Kapitalismus wolle uns sogar die Idee verkaufen, wir könnten das Leben reproduzieren.

Der Titel des Buches – „Ideen, um das Ende der Welt zu vertragen“ – beschreibt Krenak selbst als eine Provokation. Gleich in Kapitel 1 schildert er, wie er ihn ohne weiter darüber nachgedacht zu haben einem Mitglied der Universidade de Brasília als Titel für einen Vortrag nannte. Nur, um sich anschließend wieder in Ruhe seinem Garten widmen zu können. Er greift das Thema auf, als er schildert, dass die Ängste, welche die westliche Gesellschaft gerade angesichts des Klimawandels erfassen, Ängste sind, die antizipieren, dass die Welt untergehen könnte. Seit der Eroberung durch die Portugiesen sind solche Ängste aber das täglich Brot der brasilianischen traditionellen indigenen Gruppen. Somit verfügen seine Leute über 500 Jahre Weltuntergangserfahrung. Darüber hinaus hat seine Gruppe erst vor Kurzem wieder einen mit dem Bruch des Staudamms erlebt. Seine Empfehlung zur Vertagung des Weltuntergangs ist, dass, wer sich mit der radikal einfachen Erfahrung des Lebendigseins zufriedengeben kann, kein Bedürfnis mehr haben wird, sich ausbeuterisch zu verhalten. Während es traditionellen indigenen Gruppen auf der Welt genüge, ihr Auskommen mit dem, was die Erde gibt, zu bestreiten, riefen die anderen – wir im Westen – dazu auf, den Menschen als etwas Besonderes, von der Erde Abgetrenntes zu betrachten. Daraus ergebe sich eine Vorstellung von der Menschheit als solches, die besondere Eigenschaft hat, welche nur ihr zugehörig sind. Sie heben die Menschheit von allen anderen Lebewesen ab. Mit dieser irrigen Vorstellung ausgestattet, stellt man sich vor, dass man ein Recht hat, seine Besonderheit auszuleben und sich ausbeuterisch zu verhalten.

Es geht Krenak auf keinen Fall darum, seinen Lebensstil als einzig richtigen darzustellen, sodass wir alle in den Amazonas-Regenwald ziehen und von den Fischen im Fluss leben sollten. Er selbst knüpft Netzwerke mit traditionellen indigenen Gruppen auf der ganzen Welt. Zusammenarbeit mit Bewohnenden von Städten, die sich so sehr wie indigene Gruppen das harmonische Zusammenleben mit der natürlichen Umwelt wünschen und dies in Form von agroökologischem Anbau und Permakultur durchführen, ist für ihn eine Option.

 

Ailton Krenak

Ideen, um das Ende der Welt zu vertagen

btb Verlag München 2021

 


 

Bildquelle: [1] CoverScan

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