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Der Dresdner Codex

Mario Krygier | | Artikel drucken
Lesedauer: 6 Minuten

Zeugnis einer untergegangenen Hochkultur

Die christlichen Missionare haben ganze Arbeit geleistet, als sie im Zuge der Verbreitung des vermeintlich wahren Glaubens die Schriftdokumente der Mayakultur in Flammen aufgehen ließen. Das bedrückende Resultat ihrer Gründlichkeit ist die Tatsache, dass der Nachwelt nur vier Codices erhalten blieben. Drei davon hat einer der Eroberer selbst, der Aztekenbezwinger Hernán Cortés, bereits vor der Verbrennung zusammen mit anderem Beutegut nach Europa bringen lassen. Hier wird jeweils eine dieser Mayahandschriften heute in Madrid, in Paris und eben auch in Dresden aufbewahrt. Der Dresdner Codex gilt dabei zu Recht als das älteste, künstlerisch wertvollste und letztlich auch aufschlussreichste Originaldokument der Maya. Keine andere Quelle gibt in solchem Umfang Auskunft über die Götterwelt und die astronomischen Kenntnisse der Maya.

Neben Berechnungen zu Umlaufzeiten von Venus und Mars sowie zur Vorhersage von Sonnen- und Mondfinsternissen beinhaltet der Codex Handlungsanweisungen, Prognosen und Prophezeiungen zur Landwirtschaft bzw. zur Durchführung von Ritualen. Das akkordeonartig gefaltete Dokument besteht aus Feigenbastpapier, das mit einer feinen Stuckschicht überzogen und beidseitig mit Pinsel bemalt wurde. Insgesamt zählt man 78 Tafeln, wovon 74 gestaltet sind, die sich auf 39 Blättern befinden. Jede Tafel ist etwa 9 cm mal 20 cm groß. Aufgrund von Teilung und falschem Zusammenfügen ist die Nummerierung der Tafeln unter den Mayaforschern nicht einheitlich.

1739 wurde der Codex dem Dresdener Bibliothekar Johann Christian Götze von einem Wiener Privatsammler vermutlich geschenkt. 1813 veröffentlichte Alexander von Humboldt einige Seiten dieser Handschrift in „Voyage aux regions equinoctiales du nouveau continent“. Im Folgenden beschäftigten sich einige weitere Persönlichkeiten mit der Neuzeichnung, Faksimilierung, Deutung und Übersetzung. Von besonders großem Wert sind die Arbeiten des Dresdner Bibliothekars Ernst Wilhelm Förstemann, dem es um 1885 gelang, einen beträchtlichen Teil der Mayamathematik, der Kalender- und Astronomiedaten zu identifizieren.

Als Beispiel für partielle Übersetzungen seien folgende Passagen angegeben:

u mak’  wah

xaman ek’    ox ok wah

“Der Gott

des Polarsterns

Xaman Ek’

empfängt die Maisnahrung.

Überfluss an Nahrung

[ist die Prophezeiung].

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u pak’aj    tzen

chaak        ajawlel“

Er pflanzte

die Nahrung,

der Regengott

Chaak,

der Herrscher.”

Die spannendsten Inhalte sind zweifellos jene zur Astronomie. Die Tafeln enthalten Daten von 176 bis 1210 nach Chr. Die ausführlichsten Aufzeichnungen gibt es zu den Finsternisprognosen und zur Venus. Ausgehend von einem Longcount-Startdatum werden sukzessive 69 Distanzzahlen addiert, woraus sich die Finsternisprognosedaten ergeben. Genauere Ausführungen dazu gibt es in “Don Eric und die Maya” bzw. in “Faszination 2012 – Das Buch zum Mayakalender”. In letzterem Buch werden auch im Kontext der Ermittlung der Kalenderumrechnungszahl die Venustafeln analysiert. Der Dresdener Codex enthält sechs Seiten zum Venuskalender. Seite 24 ist die Einführungsseite, welche angibt, wie man zum Basisdatum des Venusjahres kommt. Außerdem liefert sie Vielfache von Venusjahren sowie Korrekturzahlen. Die restlichen fünf Seiten entsprechen je einem Venusjahr.

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  Finsternisprognosetafe

Das Besondere an den fünf Venustafeln ist, dass sie nicht nur einen Zeitraum von fünf Venusjahren, sondern von 65 Venusjahren beschreiben. Das ist deswegen möglich, weil fünf Venusjahre ja genau acht Sonnenjahren entsprechen. Nach fünf Venusjahren ergibt sich somit dieselbe Position im 365-tägigen Sonnenkalender. Nur die Tagesposition im Heiligen 260-tägigen Kalender ändert sich. Aber hier gibt es nur 13 Varianten. Genau diese 13 Varianten haben die Mayapriester im oberen Teil der Seite in 13 Reihen aufgeschrieben. Die Mayapriester haben auch noch die Möglichkeit eingebaut, Korrekturfaktoren zu benutzen. Da ein exaktes Venusjahr im Durchschnitt 583,92 statt 584 Tage dauert, würde sich nach 65 Venusjahren schon ein Fehler von fünf Tagen ergeben.

Apropos Fehler: In der Auflistung von Vielfachen der synodischen Umlaufzeit des Mars hat sich der Schreiber Fehler erlaubt. Statt 9.7.0 müsste ja dort 8.12.0 stehen, d.h. oben ist ein Punkt zu viel, während unter ein Strich fehlt. Da dies nicht das einzige derartige Vorkommnis ist, haben wir mal einen genaueren diesbezüglichen Blick auf die Inschriften geworfen, woraus sich ein eigener Artikel mit dem Titel „errare schamanum est“ ergibt.

Beim ersten Blick auf den Dresdner Codex fallen die vielen verschiedenartigen

maya_krygier-venus_jensrohark
Venustafel

Götterdarstellungen auf. Es gibt keine zweite Quelle, die uns dermaßen umfangreich Aufschluss über „den Olymp“ der Mayakultur gibt. Allein der Regengott erscheint 134-mal im codex dresdensis. Der „Zeus“ der Mayagötter, der Schöpfergott Itzamna, sowie der Maisgott sind jeweils über 100-mal vertreten in den drei Cortés-Codices. Man muss die Aufzählung fortsetzen mit dem Todesgott, der Mondgöttin, dem Sonnengott, dem Kriegs- und Opfergott usw. In den drei Codices sind insgesamt mehrere hundert Götterabbildungen von etwa dreißig verschiedenen Göttern zu finden.

Bewusst zuletzt möchte ich noch kurz auf das leidige Thema Weltuntergang eingehen. Oft unterstellt man dem Dresdner Codex, dass er auf dieses Ereignis im Jahr 2012 hinweist. Ein derartig umfassendes und zudem aufgrund der rätselhaften Hieroglyphendarstellung und verblüffenden astronomischen Inhalte selbst schon mythenumwobenes Werk ist doch prädestiniert für eine apokalyptische Prophezeiung, oder?  Tatsächlich sieht man auf einer Tafel das Himmelsband, welches sich als Krokodil, der Figur des Milchstraßenbandes, fortsetzt. Darunter sind Finsternissymbole platziert. Deutlich erkennbar strömen von dort aus Wassermassen herunter. Im zugehörigen Hieroglyphentext heißt es: „Es regnet im Himmel. Schwarz ist der Himmel. Schwarz ist die Erde.“ Diese Aussage ist fast wörtlich so auch im Poopol Wuuj zu finden. An jener Stelle ist die Rede von der Vernichtung der aus Göttersicht misslungenen Schöpfung der Holzmenschen. Es gibt also keinen Bezug auf die Zukunft oder gar auf das Ende des Kalenderzyklus im Jahr 2012.

http://www.faszination2012.de
http://www.faszination-maya.de

 

 

Bildquelle: Quetzal-Redaktion, Jens Rohark

 

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