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Rezension: „Herz des Himmels – Herz der Erde“

Laura Wägerle | | Artikel drucken
Lesedauer: 9 Minuten

Als „Herz des Himmels – Herz der Erde“ im Jahr 2012 erschien, ging ein Zyklus der langen Zählung des Maya-Kalenders zu Ende. Damals wurde diese Tatsache zum Teil in unseren Medien zu einer „Prophezeiung vom Ende der Welt“ hochstilisiert. Dies hat sich bekanntlich nicht erfüllt. Wie wir im Film vom Kunsthistoriker Alonso erfahren, bedeutete das Ende dieses Zählungszyklus lediglich den Beginn eines neuen. Die Maya selbst erwarteten keinen Untergang der Welt – und wenn doch, dann eine Reinigung der heutigen. Wichtig und aktuell an diesem Film ist, dass er der durch diese „Prophezeiung“ ins Gespräch gekommenen Maya-Mythologie ein aktuelles Gesicht gibt, beziehungsweise gleich fünf: die von Chepita, Chan K’in, Felipe, Flori und Alonso. Der Film tut das, indem er dieser Angehörigen der Maya-Ethnien zeigt, wie sie in Südmexiko und Guatemala leben und arbeiten. Sie sprechen über ihren Bezug zur Geschichte der Maya, zur Spiritualität, Kosmovision und ihr Verhältnis zu den Ländern, in denen sie wohnen. Wir sehen sie während ihrer alltäglichen Arbeiten, in Gesprächen mit Bekannten, Freunden, Lehrmeistern und Kollegen, und lernen die sie umgebende Natur und Kultur kennen.

Fünf Protagonisten

Rezension_Herz_des_Himmels_Chepita_Foto - SnapshotChepita gehört zur Tzotzil-Ethnie und lebt in Chamula im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas. Von ihr erfahren wir über die Härte des Lebens auf dem Land, wo sich die Einwohner mit den langfristigen Auswirkungen des Freihandelsabkommens NAFTA zwischen den USA und Mexiko auseinandersetzen. Chepita erzählt persönliche Details ihres eigenen Lebens: Wie sie als Säugling mit Kaffee gefüttert wurde, weil der Mutter die Milch ausgegangen war, und wie sie in der Kosmovision der Maya ein spirituelles Zuhause gefunden hat. Wir sehen sie auf dem Feld bei der Maisernte, in der Stadt beim Einkauf und beim von Kerzen erleuchteten nächtlichen Schreibunterricht mit Frauen aus ihrer Gemeinde. In ihrem Leben widerspiegeln sich Tatkraft und Änderungswille. Sie spricht mit ernster Miene von den Folgen des Freihandelsabkommens zwischen Mexiko, den USA und Kanada für die südmexikanischen Maisproduzenten und von dem Rassismus, der in den Städten kolonialen Ursprungs in Chiapas immer noch vorherrscht. „Für mich ist das Wichtigste, auch die Herzen der Menschen zu öffnen“, umschreibt sie die Grundlage ihres spirituellen und politischen Engagements.

Chan K’in lebt im Lacadón-Regenwald in Chiapas und durchläuft eine Ausbildung zum Schamanen. Er tritt dabei in die Fußstapfen seines Vaters. Wir sehen ihn in seinem weißen Gewand umgeben von Tieren, Wäldern und wie er kraftvoll sein Kanu über den Fluss steuert. Seine Besorgnis gilt der in seinen Augen verloren gegangenen Verbindung zwischen Göttern und Menschen sowie der andauernden Naturzerstörung in seiner Heimat: „Yo vivo con las árboles“, bekennt er: „Ich lebe mit den Bäumen“. Wenn die Bäume sterben, so wird das auch sein Tod sein. Wir sehen, wie er Wissen über Kräuter und Rituale von Weisen seines Dorfes vermittelt bekommt: Er möchte Menschen heilen und den Kontakt zur Natur wieder herstellen, wie er in der Maya-Spiritualität allgegenwärtig ist. Rezension_Herz_des_Himmels_Chan Kin_Foto - Snapshot

„Are v tzihoxic vae – Das ist die Kunde“. So beginnt der Schöpfungsmythos im Popol Vuh. Hierin erscheint das „Herz des Himmels“ als weiblicher Schöpfergott und das „Herz der Erde“ als männlicher. Zu Beginn des Films sehen wir – wie auch im Buch zunächst beschrieben – Himmel und Meer. Der Film ist gespickt von solchen Einlesungen aus der Schöpfungsgeschichte der Maya, die unterlegt werden mit Bildern vom Werden der Natur – symbolisiert an einer Schildkröte und ihren Nachkommen, um die sich Chepita kümmert. Wenn uns der Film also an die Maya-Mythologie heranführen will, dann mit dem Ziel, dass wir sie als etwas Beginnendes und immer wieder neu Lebendiges auffassen.

Felipe ist Angehöriger der Cakchikel-Ethnie und lebt in Guatemala. Bis ins Erwachsenenalter hinein hatte er sich als Mestize betrachtet, auch wenn seine Eltern beide Maya waren. Heute ist er ähnlich wie Chan K’in Schamane in Ausbildung und betrachtet es als seine Hauptaufgabe, mittels Ritualen die Energien der Menschen ins Gleichgewicht zu bringen. Als geeigneten Ort dafür sieht er die alten Mayastätten : „Aquí nuestros antepasados nos dejaron su energía“, erklärt er. „Dort haben unsere Vorfahren ihre Energie für uns hinterlassen.“ Das Filmteam bekam für die Dreharbeiten die seltene Erlaubnis, einer Zeremonie beizuwohnen, die Felipe angeleitet hatte. Bei Kerzenschein, Streichermusik und den Geräuschen der Nacht führen er und seine Stammesmitglieder Rituale durch, die helfen sollen, das zu heilen, was Bürgerkrieg und Völkermord in Guatemala im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts an Wunden aufgerissen hat. Über 200.000 Menschen wurden damals ermordet, der Großteil von ihnen gehörte der indigenen Bevölkerung an.

Auch für Flori, Guatemaltekin wie Felipe, spielt der Völkermord eine große Rolle in ihrem Leben. Wir treffen sie im Dorf San Miguel, das außerdem schon seit Längerem vom Bau einer großangelegten Goldmine betroffen ist. In Floris Familie wurden während des Bürgerkrieges Onkels und Cousins von Armeeangehörigen umgebracht. Im Gespräch mit ihrer Mutter und anderen weiblichen Familienangehörigen versucht sie, diesem Grauen Raum zu geben: „Meine Mutti weinte und weinte, stimmt’s, Mama?“. Doch auch die Mine beschäftigt die Menschen von San Miguel: Über den Pfarrer und andere externe Quellen informieren sich die Bewohner zu Gesundheitsrisiken und langfristigen Folgen für Natur und Umwelt. Ein Baby hat bereits Pusteln auf der Haut entwickelt, während in anderen Gegenden das Wasser ausgeht. Floris Stimme zittert vor Wut, als sie ihr Unverständnis über die Kurzsichtigkeit des weißen Mannes zum Ausdruck bringt: „Sie beuten nicht nur unsere Bodenschätze aus, sondern töten uns obendrein noch und machen uns und unsere Kinder krank.“ Sie hat beobachtet, dass die Weißen offenbar die Dinge getrennt sehen: „Es ist, als ob sie nicht wüssten, dass sie Teil des anderen sind.“

Das Popol Vuh, das heilige Buch der Maya, erzählt von drei göttlichen Versuchen, den Menschen zu schaffen: den ersten Menschen schufen die Götter aus Lehm, den zweiten aus Holz und den dritten aus Mais. Weil nur der letzte Versuch erfolgreich war, betrachten sich die Maya heute als „Maismenschen“. Diese Menschen waren vollkommen: „Die ersten Menschen aus Mais waren mit Hellsicht begabt, und so fürchteten sich die Götter, sie könnten ihnen zu ähnlich werden“. Deshalb blendete sie das Herz des Himmels mit einem Spiegel“ und „[N]un konnten sie nur noch sehen, was vor ihnen war.“

Der Kunsthistoriker Alonso gehört der Tzeltal-Ethnie an. Während seiner Ausbildung wurde ihm klar, dass viele Elemente der Maya-Kunst auf die Astronomie verweisen. „Wenn man sein Leben mit etwas Größerem, Unerreichbaren verbinden kann, überwindet man die Grenzen des Menschlichen.” Ein Besuch der Maya-Stätte Palenque in Chiapas macht ihn nachdenklich: „Hier kann ich meine Vergangenheit antreffen“, erklärt er angesichts des großen mit weißem Stein errichteten Regenwald-Tempels im Regenwald. „Und gleichzeitig erkennen wir hier etwas, was die alten Maya und die Menschen von heute gemeinsam haben: Die Herrscherkaste der Maya isolierte sich in ihren Palästen und wollte getrennt von den einfachen Leuten leben. Dies führte zum Zerfall der alten Maya-Gesellschaft.“ Ähnliches geschehe heutzutage, wo Vertreter großer Konzerne die natürlichen Ressourcen ganzer Gegenden ausbeuteten: „Das System gelangt an seine Grenzen und fängt an, in sich zusammenzubrechen.“

Ende und Neubeginn

Kurz vor Ende des Filmes hören wir von Neuem die ersten Sätze der Schöpfungsgeschichte des Popol Vuhs, während die Kamera Bilder von verbranntem Regenwald einfängt. Doch die allerletzte Einstellung zeigt noch einmal die Bildungsaktivistin und spirituelle Lehrerin Chepita. Sie befindet sich am Strand, trägt eine farbenprächtige Maya-Tracht und hat eine große Plastikschüssel bei sich. Sie stellt sie behutsam hochkant auf den Boden und segnet mit einer Geste die kleinen neugeborenen Schildkröten, die sich darin befinden und sich nun auf den Weg in Richtung Meer machen.

Chepitas freundliche Gestik und ihre lebensbejahende Haltung geben dem Film ein sanftes Ende. Wie auch der Maya-Kalender, endet der Film genau genommen mit einem Neuanfang: Chepitas kleine Schildkröten, die sich ins Meer zu neuem Leben aufmachen, symbolisieren dabei die jahrhundertealte Weisheit des Lebens und den Willen, nicht aufzugeben. Alonso, der Kunsthistoriker, hat in seinen Studien herausgefunden, dass es sehr wenige physische Beweise dafür gibt, dass die Maya tatsächlich das Ende der Welt erwarteten, wenn ein Zyklus der langen Zählung zu Ende ging. Und das Beispiel der klassischen Maya selbst zeigt, dass jedes noch so komplizierte und komplexe System früher oder später dem Verfall anheimfallen muss, wenn es sich nicht mit seiner natürlichen Umgebung in Verbindung setzt. Die grausigen Geschichten Floris und Felipes über den Völkermord und seine Folgen für die Psyche und die Gesellschaftsstruktur der Maya in Guatemala legen Zeugnis dafür ab, dass mindestens ein Teil der guatemaltekischen Gesellschaft sich zu diesem Zeitpunkt vom anderen Teil seiner Ganzheit abgewandt hat und ihn zerstören wollte. Gleichzeitig erkennen wir auch in dem rücksichtslosen Vorgehen der kanadischen Bergbaugesellschaft in Floris Heimatdorf die bewusste Ablehnung der Anerkennung des „anderen“, dessen Bedürfnisse nicht in die eigenen Profitpläne zu passen scheinen. Chan K’ins Träume und Gedanken im Zusammenhang mit der Natur zeigen uns weiterhin, dass es auch heute noch Menschen gibt, die in ihrem Wesen eine fragile und dennoch tiefe Verbundenheit zu Pflanzen, Tieren und dem Kosmos tragen, und von denen wir viel lernen können.

Zunächst erfahren wir in diesem Film von einer Region der Welt, die von Raubbau und dem Gesetz des Stärkeren betroffen ist: Es ist das alte Spiel von David gegen Goliath. Bei näherem Hinsehen erfahren wir aber auch von allgemeingültigen menschlichen Bedürfnissen und Stärken, welche die Protagonisten mit ihren Lebensentscheidungen symbolisieren. Technisch und künstlerisch gesehen ist die Dokumentation eine Perle. Wir sehen seltene Bilder von Maya-Zeremonien und berührende Aufnahmen von Menschen in einer grundsätzlich angreifbaren Position. Auch Floris und Chepitas Zeugnisse über die Misshandlung ihrer Familien- und Gemeinschaftsangehörigen zeugen von Aufrichtigkeit und einem vertrauensvollen Verhältnis zwischen Informanten und dem Team hinter der Kamera. So lässt sich sagen, dass der Film zum einen für ethnografisch und völkerrechtlich interessierte Menschen zu empfehlen ist und gleichzeitig auch für diejenigen, die sich von willensstarken und tatkräftigen Menschen inspirieren lassen wollen, die sich in ihrem Leben für einen Weg ohne Gewalt, hin zur Heilung von seelischen Wunden im größtmöglichem Einklang mit ihrer Umgebung entschieden haben. Alles in allem ist dem Filmteam um Frauke Sandig und Eric Black die Verbindung zwischen der Mythologie der alten Mayas und ihren Nachkommen im heutigen Chiapas und Guatemala durch die Zitate aus dem Popol Vuh sowie anhand der Kommentare von Alonso und Felipe zusammen mit den Lebenszeugnissen aller gut gelungen.

Herz des Himmels – Herz der Erde (Mexiko, Guatemala, Deutschland 2012), Regie: Eric Black und Frauke Sandig.

Literatur:
Cordan, Wolfgang (Übersetzer). 1977. Popol Vuh. Leipzig und Weimar: Gustav Kiepenheuer Verlag.

Bildquellen:  [1] Snapshot,  [2] Snapshot.

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