Offiziell feiern Costa Rica, El Salvador, Guatemala, Honduras und Nicaragua am selben Tag, dem 15. September, den Jahrestag ihrer Unabhängigkeit von Spanien. Alle fünf Länder gehörten ebenso wie Chiapas bis 1821 zur Capitanía General de Guatemala. Auch das Gebiet, auf dem sich heute der Staat Belize erstreckt, war formell Teil der Generalkapitanie. Anders als in Mexiko oder Südamerika erlangte das Reino de Guatemala, wie die spanische Kolonie auch genannt wurde, seine Unabhängigkeit im Windschatten äußerer Umbrüche auf friedlichem Wege. Wie in Peru und Mexiko schuf der liberale Aufstand im Januar 1820 in Spanien eine neue Situation. Als Agustín Iturbide am 24. Februar 1821 mit seinem Plan von Iguala Kurs auf die Unabhängigkeit Neu-Spaniens nahm, erkannte die verunsicherte Kolonialelite in Guatemala-Stadt darin eine günstige Gelegenheit, sich unter den Schutz des mächtigen Nachbarn im Norden zu retten. Die Unabhängigkeitserklärung vom 15. September 1821 war in ihren Augen nur das Vorspiel für den Anschluss des Reino de Guatemala an das mexikanische Kaiserreich, der dann am 5. Januar 1822 auch vollzogen wurde. Das mexikanische Intermezzo fand mit dem Sturz Iturbides am 19. März 1823 ein schnelles Ende, so dass Zentralamerika als Bundesrepublik am 1. Juli ein zweites Mal seine Unabhängigkeit – diesmal von Mexiko – verkündete. Chiapas zog es hingegen vor, bei Mexiko zu bleiben. Das Schicksal des neuen Staatswesens stand jedoch unter keinem glücklichen Stern. Nach einem blutigen Bürgerkrieg zerbrach die zentralamerikanische Föderation 1840 in Einzelstaaten, die sich zwischen 1847 (Guatemala) und 1864 (Honduras) zu „unabhängigen und souveränen Republiken“ erklärten. Der hoffnungsvolle Traum von Zentralamerika als dem „großen Vaterland“ (patria grande) war gescheitert. Trotz mehrfacher Versuche, die Einheit wieder herzustellen, blieb die Fragmentierung in fünf Kleinstaaten (patrias chicas) bis heute erhalten. Daran haben auch die Anläufe zu erneuter regionaler Integration in Gestalt des Zentralamerikanischen Gemeinsamen Marktes (MCCA) während der 1960er Jahre und des Zentralamerikanischen Integrationssystems (SICA) ab 1991 nichts geändert. Selbst beim gemeinsamen Unabhängigkeitstag, dem 15. September, sind sich die fünf Schwesterrepubliken nicht einig. So hatte es El Salvador vor zehn Jahren vorgezogen, sich der ersten Welle des Bicentenario 2009-2011 anzuschließen. Anlass war der „erste Ruf nach Unabhängigkeit“ (primer grito de Independencia) vom 5. November 1811 in San Salvador, den das kleinste Land des Isthmus für sich reklamiert. In Costa Rica wurde 2012 im Parlament der Vorschlag diskutiert, den Unabhängigkeitstag auf den 29. Oktober zu verlegen. Damit solle dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die damals schwer erreichbare Provinz im äußersten Süden des Reino de Guatemala erst Wochen nach der Unterzeichnung der Unabhängigkeitsakte in Guatemala-Stadt einen entsprechenden Beschluss fassen konnte. Wie dieser kurze Überblick zeigt, weist auch die Unabhängigkeit Zentralamerikas Besonderheiten auf, die einer tiefer gehenden Betrachtung bedürfen. An dieser Stelle muss jedoch aus Platzgründen eine Skizze der wichtigsten Zusammenhänge genügen. Allen, die an mehr interessiert sind, seien die Literaturhinweise am Ende des Artikels empfohlen.
Der Kolonialpakt bekommt erste Risse, hält aber stand (1810-1820)
Während in Reaktion auf den Kollaps der Bourbonenmonarchie im Mai 1808 in weiten Teilen Spanisch-Amerikas zunächst Autonomieforderungen laut wurden, die sich später (ab 1810) zu rufen nach Unabhängigkeit steigerten, blieb es im Reino de Guatemala erstaunlich ruhig. Erst die Wahlen zu den Cortés in Cadiz sowie der Ausbruch des Unabhängigkeitskampfes in Mexiko unter der Führung von Miguel Hidalgo und José María Morelos brachte Bewegung in den scheinbar festgefügten Kolonialalltag. Der Aufschwung der antikolonialen Bewegungen in Südamerika 1810/11 trugen das ihre dazu bei, dass auch auf dem Isthmus intensiver über die politische Zukunft diskutiert wurde. Die erste offene Konfrontation mit der Kolonialadministration suchten die Einwohner San Salvadors, als sie sich am 5. November 1811 erhoben. Die vom Generalkapitän José de Bustamante entsandten Truppen stellten am 22. Dezember Ruhe und Ordnung wieder her. Inzwischen war es auch in Nicaragua (Granada am 12. Dezember und León am 13. Dezember 1811) und Honduras (Tegucigalpa Anfang 1812) zu Erhebungen und Unruhen gekommen. Mit der Kapitulation von Granada am 25. April 1812 kehrten im Süden wieder stabile Verhältnisse ein. In Guatemala-Stadt kamen Verschwörer, die sich seit dem Oktober 1813 im Konvent von Belén versammelt hatten, durch Verrat gar nicht erst zum Zug. Der vorerst letzte Versuch, sich gegen die Kolonialmacht aufzulehnen, ereignete sich am 24. Januar 1814 in San Salvador. Als dann in Spanien König Fernando VII. am 4. Mai 1814 die liberale Verfassung von 1812 verbot, regte sich im Reino de Guatemala bis 1820 kein Widerstand gegen die absolutistische Restauration. Wie ist die – im Vergleich zu den Unabhängigkeitskämpfen in Mexiko und Südamerika – schwache Ausprägung der antikolonialen Bewegung im Reino de Guatemala zu erklären?
Drei Aspekte verdienen es, besonders hervorgehoben zu werden: Erstens handelte es sich beim zentralamerikanischen Revoltezyklus von Ende 1811 bis Anfang 1814 sich nicht um Aktionen, die die Unabhängigkeit von Spanien zum Ziel hatten. Vielfach ging es den Protestierenden darum, den Rücktritt korrupter oder repressiver Kolonialbeamter oder die Zurücknahme bzw. Reduzierung von Steuern, Abgaben und Auflagen durchzusetzen. In der Protestbewegung trafen sich die Interessen von zwei unterschiedlichen Gruppen. Die kreolischen Eliten in den Provinzen beanspruchten mehr Autonomie gegenüber Guatemala-Stadt, während die Subalternen (kleine und mittlere Agrarproduzenten, indigene Gemeinschaften, städtische Handwerker, Händler, Hausbedienstete etc.) Verbesserungen ihrer sozioökonomischen Situation und mehr Mitsprache einforderten Zweitens hielt die kreolische Elite in Guatemala-Stadt trotz eigener Machtansprüche am Pakt mit der spanischen Kolonialadministration fest. Unter dem Eindruck der Ereignisse in Mexiko und Südamerika fanden beide Seiten relativ schnell zu einem konterrevolutionären Konsens. Allerdings erwies sich die liberale Verfassung von Cádiz 1812 zunehmend als Quelle des Konflikts. Während kreolische Aristokraten wie José de Aycinena und José María Peinado in ihr eine Chance sahen, ihre Macht innerhalb des liberalisierten spanischen Kolonialimperiums auszubauen, war sie für Generalkapitän Bustamante eine Quelle der Unsicherheit und Instabilität, die angesichts der andauernden imperialen Krise nach Möglichkeit blockiert werden sollte. Auch die kreolische Elite der anderen Provinzen des Reino de Guatemala beriefen sich auf die Verfassung von 1812, allerdings mit dem Ziel, sich gegen die Bevormundung durch die Oligarchie in der Hauptstadt zur Wehr zu setzen. Als die Einwohner von San Salvador im November 1811 rebellierten, standen Aycinena und Peinado an der Spitze der Truppen, die Bustamente mit der Niederschlagung des Aufstandes beauftragt hatte. Aus Sorge um ihre Vormachtstellung gegenüber den Provinzen hielt die kreolische Elite von Guatemala-Stadt lieber am Kolonialpakt fest, als sich auf die Seite der Rebellen in San Salvador, Tegucigalpa, León oder Granada zu schlagen.
Innerhalb dieser Gemengelage setzte sich drittens die spanische Kolonialadministration durch. Neben der geschickten Kombination von militärischer Macht und einer Politik des „teile und herrsche“ kam Bustamente die Rückkehr Fernandos VII. auf den spanischen Thron im März 1814 entgegen. Der König stellte sich an die Spitze der absolutistischen Restauration und beendete das liberale „Experiment“ von Cádiz. Die Frage, wie man es mit der Verfassung halten solle, war damit als Konfliktpunkt innerhalb der Kolonialeliten erst einmal vom Tisch. Dennoch blieben die Konflikte, die dem Revoltezyklus 1811-1814 zugrunde lagen, weiterhin virulent.
Mit dem Plan Pacifico zur (ersten) Unabhängigkeit (1821)
Als der Aufstand der Liberalen in Spanien und das erneute Inkrafttreten der Verfassung von Cádiz 1820 wieder einmal die Spielregeln des Kolonialpaktes änderten, kam auch im Reino de Guatemala Bewegung in die scheinbar festgefügten Fronten. Die Liberalen (cacos) nutzten die Gunst der Stunde und gründeten den El Editor Constitucional mit Pedro Molina, einem begnadeten Publizisten, an der Spitze. Zu seinen Mitstreitern gehörten auch José Francisco Barrundia und Francisco José Córdoba. Ungeachtet aller Anstrengungen der Liberalen hatte aber diesmal die Fraktion der Konservativen (bacos) unter Führung des Honduraners José Cecilio del Valle bei den Wahlen zu den Gremien (ayuntamiento, diputación provincial) die Nase vorn.
Die größte Erschütterung der kolonialen Ordnung im Vorfeld der Unabhängigkeitserklärung stellte die Erhebung der Kiché in San Miguel de Totonicapán im Sommer 1820 dar. Die indigene Bevölkerung des Ortes hatte sich geweigert, den Indiotribut zu entrichten. Dabei berief sie sich auf die Wiedereinführung der Verfassung von 1812. Bereits 1811 hatten die Cortes in Cádiz diese Kolonialsteuer verboten. Als nun die Behörden versuchten, den Tribut dennoch einzutreiben, rebellierten die Einwohner von Totonicapán am 9. Juli unter Führung von Atanasio Tzul und Lucas Aguilar. Dass diese Erhebung aber nicht auf die Unabhängigkeit von Spanien zielte, wird daran deutlich, dass deren Anführer erklärten, im Namen Fernandos VII. die politische Macht in diesem Teil des zentralen Hochlands ausüben zu wollen. Nach einer Phase der Unsicherheit schlug die Kolonialmacht zurück. Am 3. August besetzten die Ladino-Milizen von Quetzaltenango, Salcajá und San Carlos Sija, die mit 1.000 Mann angerückt waren, weitgehend friedlich das Zentrum der Erhebung. Den verhafteten Anführern wurde im März 1821 per Erlass des Präsidenten der Audiencia ihre Gefängnisstrafe erlassen.
Mit Beginn den neuen Jahren beschleunigten sich die Ereignisse, die schließlich zur Unabhängigkeit Zentralamerikas führen sollten. In Mexiko eilte Iturbide von Sieg zu Sieg, womit die Unabhängigkeit des großen Nachbarn im Norden immer näher rückte. Angesichts dieser neuen geopolitischen Konstellation ergriff der Aycinena-Clan die Initiative und entwickelte einen „Plan Pacifico“. Dieser beinhaltete einen Elitepakt, der den friedlichen Übergang des Reino de Guatemala vom Kolonialstatus zur Unabhängigkeit sichern sollte. Er lief darauf hinaus, dass alles beim Alten blieb – nur ohne Spanien als Kolonialmacht. Stattdessen wollte sich die kreolische Oligarchie von Guatemala-Stadt unter die Fittiche von Iturbide begeben. Allein dieser verfügte in den Augen der Aycinenas über die notwendigen Voraussetzungen, um die Herrschaft der guatemaltekischen Kreolen abzusichern.
Bei der Umsetzung ihres Plans gingen Juan José und Mariano de Aycinena* äußerst geschickt vor. Zunächst bezogen sie die drei prominenten Liberalen vom Editor Constitucional (neben Molina und Barrundia noch Mariano de Beltranea) in die Ausarbeitung ihres Plans ein. Zuvor hatten sie Kontakt zu Iturbide aufgenommen und den Generalkapitän Gavino Gaínza ins Vertrauen gezogen. Mitte August 1821 lag der Plan in schriftlicher Form und unterzeichnet von seinen fünf „Redakteuren“ vor. Nun musste schnell und entschlossen gehandelt werden. Zwischen dem 28. August und dem 3. September hatten Tuxtla, Comitán und Ciudad Real dem Plan von Iguala zugestimmt und damit einseitig den Anschluss der Provinz Chiapas an Mexiko vollzogen. Unter Leitung von Generalkapitän Gaínza traten – wie im „Plan Pacifico“ vorgesehen – am 15. September alle wichtigen Gremien und Würdenträger des Reino de Guatemala im Real Palacio der Hauptstadt zusammen. Vertreten waren die Audiencia (mit 13 Amtsträgern), die Diputación Provincial (sechs Personen), das Ayuntamiento der Hauptstadt (fünf Personen, darunter Mariano de Aycinena), 13 katholische Würdenträger einschließlich des Erzbischofs Ramón Casaus y Torres, drei Amtsträger der Universidad de San Carlos, Abgesandte des Colegio de Abogados und des Consulado de Comercio (zusammen drei) sowie zehn Militärs. Außer den 53 Offiziellen befanden sich im Vorsaal des Real Palacio folgende Personen: Juan José de Aycinena, José Francisco Barrundia, Pedro Molina mit seiner Frau sowie Basilio Porras. Nach einer heftigen Debatte über die Erklärung der Unabhängigkeit auf der Grundlage des Plans von Iguala verließ eine Mehrheit von 28 Personen, die dagegen gestimmt hatten, die Versammlung. Die „Acta de Independencia“, die von José Cecilio del Valle nach Maßgabe des „Plan Pacifico“ verfasst worden war, unterschrieben schließlich nur 13 der 53 Amts- und Würdenträger, darunter Gaínza als neuer Jefe Político und Mariano de Aycinena.
Zustandekommen und Inhalt der Unabhängigkeitserklärung zeigen klar, dass ihre Autoren und Unterzeichner, ein enger Kreis der Kolonialelite, alles darangesetzt haben, das Kolonialsystem möglichst unverändert zu übernehmen. Die wichtigste Veränderung war die friedliche Trennung vom liberalen Spanien, aber bereits mit der Absicht, die alte Kolonialmacht durch Mexiko zu ersetzen. Bis hin zur personellen Kontinuität des obersten politischen Amtes, verkörpert durch die Fortführung der Regierungsgeschäfte durch den ehemaligen spanischen Generalkapitän Gaínza, sollte ansonsten alles beim Alten bleiben.
Das mexikanische Intermezzo
Aus mexikanischer Sicht war der Anschluss der Gebiete des Reino de Guatemala eine logische und notwendige Fortsetzung der eigenen Unabhängigkeit. Das imperiale Projekt von Iturbide beinhaltete die Übernahme aller spanischen Besitzungen, die nicht in Südamerika lagen. Während seine Erwartungen in Bezug auf Kuba und Puerto Rico nicht in Erfüllung gingen, schien sich in Zentralamerika eine ausgesprochen günstige Situation zu entwickeln. Für die Befürworter einer Annektion (anexionistas) war der Anschluss an Mexiko genauso logisch und verheißungsvoll wie für Iturbide selbst. Allerdings hatten beide Seiten die Sprengkraft ihres Einheitsprojektes unterschätzt. Statt Stabilität und Prosperität gerieten beide Partner in einen Strudel sich überstürzender Ereignisse, in deren Ergebnis die endgültige Trennung unvermeidlich war. Die entscheidenden Stolpersteine lagen im Falle Mexikos in der imperialen Arroganz, die Iturbide vor allem nach seiner Ernennung zum Kaiser am 21. Juli 1822 an den Tag legte. Beim Reino de Guatemala konzentrierten sich die Auseinandersetzungen auf die Frage, ob die verschiedenen Provinzen die Regierung in Guatemala-Stadt anerkannten oder nicht. Paradoxer Weise entwickelte sich der Anschluss an Mexiko, der seitens seiner Initiatoren Stabilität und Sicherheit bringen sollte, zu einer Triebkraft weiterer Fragmentierungen.
In Guatemala-Stadt traten Juan José de Aycinena, Gavino Gaínza und Pedro de Arroyave als die energischsten Befürworter des Anschlusses an Mexiko auf. Hinter ihnen standen die wichtigsten Familien der kreolischen Oligarchie. Die Spitzen der Kolonialbürokratie und der kreolischen Elite in Guatemala-Stadt hatten jedoch nicht mit den Provinzen gerechnet. Mit der Unabhängigkeitserklärung wurde zugleich jenes Band gelöst, das den Isthmus bis dahin zusammengehalten hatte: die zentralistische Politik der spanischen Monarchie. Zwar stimmten alle municipios der Trennung von Spanien zu, viele der lokalen Oligarchien und Eliten ergriffen aber auch die Gelegenheit, um sich gegen die Vorherrschaft Guatemalas auszusprechen. Republikanisch gesinnte Kräfte wie in San Salvador erklärten sich für völlig selbständig, während monarchistische Konservative in Comayagua (Honduras), León (Nicaragua) und Cartago (Costa Rica) selbst ihren Anschluss an Mexiko verkündeten, um auf diese Weise ihre Distanz gegenüber Guatemala zu artikulieren. Wieder andere Städte wie Granada (Nicaragua) und Tegucigalpa (Honduras) anerkannten die Oberhoheit der Hauptstadt.
Die härteste Nuss sowohl für Iturbide als auch für Gaínza, der als Jefe Político der Junta in Guatemala-Stadt vorstand, erwiesen sich die Republikaner in San Salvador. Dort war es am 4. Oktober 1821 zur Rebellion gegen den Intendanten Pedro Barriere gekommen. Nachdem sich auch San Vicente und San Miguel der Bewegung angeschlossen hatten, übernahm am 9. Oktober eine Junta Provisional Consultativa die Amtsgeschäfte. Diese berief José Matías Delgado zum Jefe Político von San Salvador. Am 11. Januar 1822 bildeten die Republikaner eine eigene Regierung (Junta Gubernativa) und brachen jede Verbindung mit Guatemala-Stadt ab. Während der Osten und Westen der Intendancia von San Salvador Iturbide die Treue hielten, bestand das Zentrum auf seiner Entscheidung für eine republikanische Ordnung. Neben San Salvador gehörten Comayagua, León und Quetzaltenango zu jenen Gebieten, die sich den Anordnungen aus Guatemala-Stadt widersetzten.
Um ihre Position gegenüber den Dissidenten zu stärken, rief die Provisorische Regierung unter Gaínza alle ayuntamientos des ehemaligen Reino de Guatemala dazu auf, ihre Haltung zum Anschluss an Mexiko kundzutun. Aus dieser Befragung (span.: consulta) ergab sich Ende 1821 folgendes Bild: Von den 170 ayuntamientos, die die consulta durchgeführt hatten, akzeptierten 104 den Beitritt uneingeschränkt, 11 machten ihre Zustimmung von bestimmten Bedingungen abhängig, 32 erklärten ihre Unterstützung für alle notwendigen Maßnahmen der Junta, 21 bestanden auf einer Entscheidung durch einen Kongress und nur zwei hatten sich gegen den Anschluss an Mexiko ausgesprochen. 77 hatten die Teilnahme bzw. eine Antwort verweigert. Mit Verweis darauf, dass sich damit die ayuntamientos mehrheitlich zur Frage des Beitritts geäußert hätte, von denen nur zwei dagegen seien, beschloss die Regierungsjunta am 5. Januar 1822 den Anschluss des ehemaligen Reino de Guatemala an Mexiko.
Inzwischen waren auch von mexikanischer Seite die notwendigen Schritte zur Angliederung Zentralamerikas an die konstitutionelle Monarchie eingeleitet worden. Nachdem im Februar 1822 mexikanische Truppen unter Führung von Vicente Filisola in Chiapas eingerückt waren, erteilte ihm Iturbide den Befehl, mit 600 Mann nach Guatemala-Stadt zu marschieren. Am 21. Juni trat der Brigadegeneral sein neues Amt als Generalkapitän an. Vor ihm türmte sich ein Berg ungelöster Probleme auf. Neben der desolaten Finanzsituation und den ungelösten Konflikten zwischen den verschiedenen Territorien bzw. Akteuren erforderte San Salvador seine ganze Aufmerksamkeit. Nachdem Verhandlungen keine Lösung gebracht hatten, zeichnete sich Ende des Jahres die Notwendigkeit eines erneuten Waffenganges gegen die rebellische Stadt ab. Am 22. November bekräftigten die Salvadorianer noch einmal die Unvereinbarkeit zwischen ihren republikanischen Prinzipien und der monarchistischen Ordnung des mexikanischen Kaiserreichs. Gekrönt wurde das Ganze durch den deklarierten Beitritt zu den USA. Daraufhin befahl Filisola am 26. November den Abmarsch aus Guatemala-Stadt. Nach langer Belagerung konnten seine Truppen San Salvador am 9. Februar 1823 friedlich einnehmen.
Der Sturz Iturbides und die zweite Unabhängigkeit Zentralamerikas
Der militärische Sieg Filisolas über die Liberalen in San Salvador erwies sich jedoch als ein politischer Pyrrhus-Sieg. In Mexiko geriet die Herrschaft von Agustín I., wie sich Iturbide als Kaiser nannte, immer mehr ins Wanken. Nach der Auflösung des Kongresses am 31. Oktober 1822 hatte sich zunächst General Santa Ana mit der Forderung nach Einführung der republikanischen Ordnung gegen ihn gewandt. Als sich immer mehr Bundesstaaten dessen Forderungen nach mehr Autonomie angeschlossen hatten, erklärte Iturbide mit dem Argument, dass er damit einen blutigen Bürgerkrieg verhindern wolle, am 19. März 1823 seinen Rücktritt.
Ohne genaue Kenntnis der rasch wechselnden Lage in Mexiko und ohne politische Rückendeckung von dort befand sich Filisola unerwartet in einer völlig neuen, ungünstigen Situation. Zurückgekehrt nach Guatemala-Stadt, hatte er am 12. März ein erstes Manifest zu den Ereignissen in Mexiko verkündet. In der Folgezeit versuchte er einerseits, sich gegenüber den neuen politischen Akteuren in Mexiko neutral zu verhalten und sich ein klares Bild zu machen. Andererseits musste er seiner politischen Verantwortung gegenüber dem ehemaligen Reino de Guatemala nachkommen. Die einzige Möglichkeit, unter derart unsicheren Bedingungen ein Mindestmaß an Stabilität zu gewährleisten, sah er in der Einberufung eines Kongresses. Ein solcher war bereits laut Artikel 2 der Unabhängigkeitserklärung vom 15. September 1821 vorgesehen, aber nie durchgeführt worden. Da nun selbst die überzeugtesten Annexionisten begriffen hatten, dass die conexción mexicana finanziell und politisch gescheitert war, erließ Filisola am 29. März ein entsprechendes Dekret. Die Einladung schloss auch Nicaragua, Costa Rica, Comayagua, Chiapas und Quetzaltenango ein. Bereits drei Monate später, am 24. Juni, wurde der Kongress, bestehend aus 41 Abgeordneten – darunter 18 aus der Provinz Guatemala, in der Hauptstadt feierlich eröffnet. Nachdem dieser am 1. Juli die vollständige Unabhängigkeit verkündet hatte, blieb Filisola nur noch der Rücktritt von allen Ämtern, die mit dem Anschluss an Mexiko verbunden waren. Am 3. August 1823 zog Filisola mit seiner División Auxiliar schweigend aus Guatemala-Stadt ab.
Der Zusammenbruch des Kaiserreichs bewirkte im ehemaligen Reino de Guatemala vier entscheidende Veränderungen: Erstens verkehrten sich die politischen Kräfteverhältnisse ins Gegenteil. Die großen Verlierer waren die anexionistas, die nunmehr als moderados in Opposition zu den siegreichen fiebres (Liberale) standen. Während Guatemala-Stadt als vormaliges Zentrum des Annektionismus diskreditiert war, konnte San Salvador nun die Früchte des Wiederstandes gegen Gaínza und Filisola ernten.
Zweitens hatte die Niederlage der anexionistas zwar Klarheit in Bezug auf Regierungsform – Republik statt Monarchie – gebracht, aber keineswegs die Frage des Verhältnisses von Zentralregierung und Provinzen geklärt. Obwohl die Bezeichnung als „Vereinigte Provinzen“ bzw. „Föderation“ eine gewisse Richtung erkennen lässt, blieb die Kompetenz- und Machtverteilung innerhalb des neuen Staatswesens bis zu seinem Auseinanderbrechen ein Streitpunkt.
Drittens war Zentralamerika durch den Bruch mit Mexiko geopolitisch verwaist. Einerseits war die geopolitische Bedeutung der Region nach wie vor groß, andererseits fehlten dem neuen Staat die Ressourcen, um aus dieser Bedeutung politische Stärke zu beziehen. Im Gegenteil: Die neue Konstellation weckte die Begehrlichkeiten der Nachbarn und Großmächte. Obwohl sie um Einfluss auf dem Isthmus rivalisierten, hatten sie dennoch ein gemeinsames Interesse, die bereits bestehende Fragmentierung weiter zu verstärken.
Viertens erlitt die zentralamerikanische Föderation bereits im Zuge ihrer Gründung dauerhafte territoriale Einbußen. Dies betraf weniger die ungesicherten karibischen Grenzgebiete (Mosquitia) oder britischen Kolonialbesitz (Belize), die schon unter der spanischen Kolonialherrschaft territorial umstritten waren, sondern in erster Linie Chiapas. Der geschickten Strategie der Mexikaner, die diesen Teil das Reino de Guatemala aus strategischen Gründen nicht aufgeben wollten, konnten die Zentralamerikaner nichts Gleichwertiges entgegensetzen. Zwar wurde Soconusco, das sich von Chiapas abgespalten hatte, am 18. August in die zentralamerikanische Föderation aufgenommen. Der größere Rest wurde jedoch nach einer umstrittenen consulta am 14. September 1824 an Mexiko angegliedert.
Das Scheitern des patria grande
Der Konsolidierung des neuen Staates, der sich am 1. Juli 1823 unter dem Namen „Provincias Unidas del Centro de América“ (Vereinigte Provinzen von Zentralamerika) für frei und unabhängig erklärt hatte, standen von Anfang zahlreiche Hindernisse entgegen. Allein die Ausarbeitung und Verabschiedung der Verfassung zogen sich bis zum 22. November 1824 hin. Die anschließende Wahl des Präsidenten der „República Federal de Centro América“, wie der Bundesstaat auf dem Isthmus nun hieß, erwies sich als Präludium eines Bürgerkrieges, der von 1826 bis 1829 währte. Die Spannungen entzündeten sich daran, dass der Salvadorianer Manuel José Arce, selbst ein Liberaler, sich nur mit Hilfe der Konservativen gegen den Honduraner José Cecilio del Valle durchsetzen konnte, der zuvor im ersten Wahlgang die Stimmen von 41 der 82 Abgeordneten erhalten hatte.
In den Auseinandersetzungen um das Amt des ersten Präsidenten der zentralamerikanischen Föderation zeigen sich bereits jene Konfliktlinien, an denen die junge Republik schließlich zerbrechen sollte. Zum grundlegenden politisch-ideologischen Konflikt zwischen Konservativen und Liberalen kamen zweitens die politisch-ökonomische Widersprüche zwischen Zentrum (Guatemala) und Peripherie (Provinzen) sowie drittens die politisch-territorialen Rivalitäten auf lokaler Ebene (Lokalismus). Im Konflikt zwischen Guatemala und El Salvador bündelten sie sich zu einem gordischen Knoten, der dann nur noch mit dem Schwert des Krieges zu durchtrennen war. In Guatemala, das in der Tradition des kolonialen Zentrums stand, hatten die Konservativen ihre Hochburg. El Salvador, wo der größte Teil des wichtigsten Exportgutes Indigo produziert wurde, bei der Vermarktung aber von der Handelsoligarchie in Guatemala-Stadt abhängig war, drängte auf eine Umverteilung der Macht. Die politische Plattform für die Herausforderung der guatemaltekischen Dominanz bildeten der Liberalismus und dessen Eintreten für eine föderale Republik, der in El Salvador seine tiefsten Wurzeln hatte. Vom Lokalismus war El Salvador zwar weniger als alle übrigen Gebiete Zentralamerikas betroffen. Dafür hatte Guatemala mit diesem Übel schwer zu kämpfen. Als Zentrum von Los Altos (westliches Hochland) stand Quetzaltenango in Konflikt zum Führungsanspruch von Guatemala-Stadt. Die eigentliche Tragik Zentralamerikas besteht darin, dass Guatemala und El Salvador, die als einzige die staatliche Einheit innerhalb der kolonialen Grenzen hätten durchsetzen können, durch die genannten Konfliktlinien nicht nur voneinander getrennt waren, sondern auch die beiden Hauptkonfliktpole im ersten wie im zweiten Bürgerkrieg bildeten.
Die Liberalen hatten unter der militärischen Führung des Honduraners Francisco Morazán zwar im ersten Bürgerkrieg gesiegt, waren aber letztlich nicht in der Lage, die Föderation zu retten. Zu den bereits erwähnten Konfliktlinien kamen politische Fehlentscheidungen und Intrigen äußerer Akteure (vor allem Großbritanniens). Als 1837 in Guatemala eine Cholera-Epedemie ausbrach, brachte dies das Fass zum Überlaufen. Unter Führung von Rafael Carrera erhob sich die Landbevölkerung und stürzte die liberale Regierung von Mariano Gálvez. Morazán, seit 1830 Präsident der Föderation, sah sich zum Eingreifen genötigt. Nach wechselhaften Kämpfen, an denen sich auch die Konservativen der Nachbarländer (Honduras, Nicaragua) beteiligten, unterlag Morazán am 19. März 1840 in der entscheidenden Schlacht in Guatemala-Stadt seinem Gegner Carrera. Damit gehörte die zentralamerikanische Föderation endgültig der Geschichte an. Der Versuch von Morazán, das Blatt noch einmal zu wenden, endete mit seiner Hinrichtung am 15. September 1842 in San José (Costa Rica) – genau 21 Jahre nachdem das Reino de Guatemala seine Unabhängigkeit erklärt hatte.
*Mariano de Aycinena y Piñol (16.9.1789-22.1.1855) gehörte 1820-1826 als Syndikus mehrfach dem Stadtrat von Guatemala-Stadt an. 1827-1829 war er Staatschef der Provinz Guatemala. Nachdem liberale Truppen unter Führung von Francisco Morazán Guatemala-Stadt besetzt hatten, musste er ins Ausland fliehen. 1837 kehrte er zurück und übte unter der konservativen Regierung von Rafael Carrera verschiedene hohe politische Ämter (Parlamentsabgeordneter, Regierungsberater, Bürgermeister der Hauptstadt) aus. Juan José de Aycinena y Piñol (29.8.1792-17.2.1865) war der Neffe von Mariano de Aycinena und wie dieser ein führender Kopf der konservativen Oligarchie von Guatemala-Stadt. 1826-1829 stand er als Rektor an der Spitze der Universität von San Carlos. Auch er musste 1829 emigrieren und kehrte 1837 in seine Heimatstadt zurück. Dort war er 1840-1865 wieder als Rektor der Universität tätig. 1859 wurde er von Papst Pius IX. zum Bischof ernannt.
Literatur: Cabezas Carcache, Horacio: Independencia centroamericana. Gestión y ocaso de „Plan Pacifico“. Guatemala 2010 Dym, Jordana: From Sovereign Villages to National States: City, State, and Federation in Central America, 1759-1839. Albuqerque 2006 Gärtner, Peter: Zwischen zwei Kontinenten. Geschichte und Gegenwart Zentralamerikas. Münster 2020, S. 137-172 Hawkins, Timothy: José de Bustamente and Central American Independence. Colonial Administration in an Age of Imperial Crisis. Tuscaloosa 2004 Pinto Soria, Julio: La independencia y la federación (1810-1840), in: Pérez Brignoli, Héctor (Hrsg.), De la ilustración al liberalismo, Historia General de Centroamérica, Bd. III, San José 1994, S. 73-140 Taracena Arriola, Arturo (Hrsg.): La primera guerra federal centroamericana, 1826-1829. Nación y estados, republicanismo y violencia. Guatemala 2015 Vázquez Olivera, Mario: El Plan de Iguala y la independencia guatemalteca, in: Ibarra, Ana Carolina (coord.): La independencia en el sur de México. México 2017, S. 385-422 Woodward, Ralph Lee: Central America – A Nation Divided. New York 1999, S. 76-119.
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