Die Programm-Macher von Fernsehsendern organisieren ihre Arbeit offensichtlich in Kampagnen. Nicht nur, dass wir von allen Sendern gleichzeitig mit Arzt- oder Zooserien malträtiert werden, auch Dokumentationen erleben thematische Häufungen. Im August/ September wurden die Ägypter von den Mayas abgelöst. Drei dieser Sendungen haben wir uns angesehen.
• Von Ärzten und Pflanzen
Es ist durchaus möglich…, es könnte sein…, wir glauben…, die Mayas haben sicher, vielleicht… So könnte das Fazit dieser Sendung zur Medizin bei den Mayas lauten. „Im Bann der grünen Götter“ heißt eine Reihe von Dokumentationen, die sich mit den Ärzten in alten Kulturen beschäftigt.
Und in dem Film von Andreas Orth geht es also um die Ärzte der Maya-Könige. Maya-Könige? Wieso eigentlich muss man die Herrscher von Stadtstaaten Könige nennen? Und überhaupt, haben die Ärzte der Mayas nur die Herrscher behandelt? Der Film begibt sich auf die Spur des verschwundenen Wissens der präkolumbischen Mediziner. Die Archäologie vermag ja inzwischen Unglaubliches festzustellen: Archäologen können an Knochen aus der Steinzeit bestimmen, welche Krankheiten der Betroffene hatte, selbst, was so auf seinem Speiseplan stand. Mit welchen Krankheiten also plagten sich die alten Mayas herum und welche Kräuter hatten sie dagegen? Das sind wirklich interessante Fragen… Nur leider beschäftigt sich dieser Film nicht damit. Stattdessen kann man vor allem verschiedenen Wissenschaftlern bei der Suche nach Pflanzen zusehen, die die Maya-Ärzte als Heilpflanzen genutzt haben könnten. Die Betonung liegt auf könnten. Nichts Genaues weiß man nicht. Und da sich die Filme weitgehend auf die Pflanzen beschränken und kaum nach den Krankheiten fragen, gegen die sie tatsächlich genutzt wurden, bleiben Erkenntnisse auch aus.
Mitunter erweckt der Film den Eindruck, als wäre es geradezu unglaublich, was die Mayas bereits über Heilpflanzen wussten. Manches von diesem Wissen findet man heute noch bei ihren Nachfahren. Die schlichte Tatsache, dass die Menschheit auch ohne chemische Analysen durch Beobachtung und Erfahrung erstaunliche Entdeckungen und Erfindungen machte, scheint den Filmemachern unbekannt zu sein. Auch hierzulande vermochte die Volksmedizin ja mehr, als man ihr angesichts der spärlichen Überbleibsel heute allgemein zutraut. Aber sie konnte keine Wunder vollbringen, ebensowenig wie die sogenannte Schulmedizin das kann.
Nur leider bekommt man im Laufe des Films immer wieder den Eindruck, dass solche Wunder durchaus möglich sein werden – wenn man nur die vielen Heilpflanzen der Mayas wieder entdecken und sie medizinisch nutzbar machen könnte. Ja, da gibt es eine Pflanze, die hilft sogar gegen Krebs! Und eine andere …. Lassen wir das. Die Filmemacher scheinen sich nur für die Pflanzen zu interessieren und nicht dafür, was die Heilkunst der Maya-Ärzte tatsächlich vermochte. Doch das wäre die eigentlich interessante Geschichte gewesen: Was machte eigentlich den Bann der grünen Götter aus?
Was bleibt, ist die Jagd nach Pflanzen, die sehr schnell einen schalen Beigeschmack hinterlässt. Die Jäger der verborgenen Schätze sind vor allem Europäer und Nordamerikaner, und man wird den Eindruck nicht los, dass die Filme über die „grünen Göttern“ vor allem diese Jagd zu unserem Wohl dokumentieren wollen. Ich habe auch den Beitrag über die Ärzte der Pharaonen gesehen und denke daher, dass man von einem weitgehend einheitlichen Konzept dieser von Gisela Graichen konzipierten Reihe sprechen kann. In dem Film über die Ärzte der Mayas wird die Gefahr der Biopiraterie zumindest thematisiert. Was eventuell daran liegt, dass die Lateinamerikaner inzwischen misstrauisch geworden sind, wenn ausländische Wissenschaftler durch ihre Wälder streifen.
• • Von Opfern und Tätern
Gute Krimis können sehr spannend sein, zumal, wenn es sich um alte Kriminalfälle handelt – und das hier ist ein richtig alter Fall. Der US-amerikanische Archäologe Arthur Demarest findet 2005 mit seinem Team in Cancuén, einer einst bedeutsamen Mayastadt in Guatemala, ein Massengrab mit den Überresten von 31 Menschen – Männer, Frauen, Kinder. Untersuchungen bringen die Gewissheit, dass die Toten Opfer eines Verbrechens geworden sind. Die Knochen, darunter auch die von Säuglingen, weisen Verletzungen durch spitze Waffen auf, wurden zum Teil zerstückelt. Alles deutet darauf hin, dass es sich bei den Opfern um Mitglieder der Herrscherfamilie, zumindest aber um Angehörige der Oberschicht handelt. Man findet kostbaren Jadeschmuck bei den Knochen, die Schädel einiger Kinder waren verformt (Langschädel galten bei den reichen Mayas als „schick“). Nicht weit von diesem Massengrab findet sich das Grab eines Mannes, der mit den Insignien der Macht geschmückt ist, aber offensichtlich eilig verscharrt wurde. Den Grabbeigaben ist zu entnehmen, dass es sich dabei um den Herrscher von Cancuén handelt. Und ganz in der Nähe wird auch das Grab einer Frau gefunden, vermutlich seiner Ehefrau. Wurden die beiden ebenfalls getötet?
Der Fund ist ohne Zweifel eine Sensation, und die Forscher versuchen, dem Verbrechen auf den Grund zu gehen. Wurde die Stadt überfallen, die Herrscherkaste gezielt ausgelöscht? Gab es etwa eine Revolte? Sind die Gräber von Cancuén ein Beleg für den Niedergang der klassischen Mayazivilisation, für den Unmut der Bevölkerung infolge Missernten und Hunger? Man vermutet schon lange, dass es Aufstände am Ende der Maya-Klassik gab, fand man doch Stelen, die bewusst zerstört worden sind – gestürzt und zerschlagen, die Herrschernamen getilgt.
Demarest geht bereits 2005 von einem Überfall auf die Stadt aus. Nicht fertiggestellte Verteidigungsanlagen weisen darauf hin, dass man sich im reichen Cancuén nicht mehr sicher fühlte. Es ist bis heute unklar, was zu diesem Mord und in dessen Folge zum Untergang von Cancuén führte. Experten rätseln, ob die Aufgabe der Stadt den Beginn des Endes der klassischen Mayas darstellt.
Simon Boyce und Steven Talley versuchen in ihrem Film „Das Maya-Massaker“ dem Geheimnis des Massenmordes von Cancuén auf die Spur zu kommen. Leider tun sie das nicht besonders seriös. Im Stile einschlägiger Fernsehserien wird dramatisiert, emotionalisiert, behauptet. Grausig, grausam, grauenhaft – selbst das Vokabular passt zum Boulevard. Die Autoren berichten, dass die Maya-Untertanen den Machtdemonstrationen ihres Herrschers schaudernd folgten, ganz so, als wären sie selbst dabei gewesen. Bereits zu Beginn des Films, als noch keinerlei wissenschaftliche Erkenntnis zu den Knochen genannt wurde, wird klar gemacht, dass es sich um einen Massenmord handelt. Da ist von den Oberen Zehntausend die Rede, den Reichen und Schönen der Mayas usw. usf. Es gibt nichtssagende Spielszenen, ein ganz klein wenig nacktes Fleisch (was war die Maya-Oberschicht doch ausschweifend!), jede Menge Spekulation und ein bisschen Unsinn.
Wenn man bedenkt, wie sensationell der Fund in Cancuén tatsächlich war, wie interessant die Fragen sind, die er aufgeworfen hat, dann kann man nur feststellen, dass die Autoren ihren Krimi richtiggehend vergeigt haben. Wie kann man aus dieser Vorlage nur einen so oberflächlichen Film machen?
• • • Von Bildern und Zeichen
Die Zivilisation der Mayas brachte eine ganze Reihe von Errungenschaften hervor, unter denen ihr Kalender und ihre Schrift zu den bekannstesten gehören. Bis heute hat die Kalendertradition Bedeutung unter der Mayas, und nach wie vor bringen sie dem geschriebenen ebenso wie dem gesprochenen Wort Hochachtung entgegen. Und das, obwohl die aggressive Christianisierung im Zuge der Konquista alles tat, um die präkolumbische Kultur zurückzudrängen. Das Schriftsystem der Mayas wurde vernichtet, lediglich vier von unzähligen Handschriften, Kodizes genannt, blieben erhalten (in Dresden, Madrid, Mexiko und Paris).
Bischof Diego de Landa hatte seinerzeit mit Hilfe eines Mayas versucht, die Schrift der Mayas aufzuzeichnen, weniger aus Hochachtung vor der kulturellen Leistung als vielmehr als Möglichkeit, mit diesem Wissen das Heidentum der Indígenas besser bekämpfen zu können. Seine Aufzeichnungen verschwanden in der Versenkung, wurden ebenso vergessen wie die gesamte Kultur dieses Volkes.
Erst nach der Entdeckung der ersten versunkenen Mayastädte am Ende des 18. Jahrhunderts erwachte auch das Interesse an den seltsamen Bildern und Zeichen, die sich an Gebäuden und Stelen fanden. Seit nunmehr 200 Jahren versuchen Abenteurer und Forscher, diese Schrift zu entziffern. Es ist ihnen inzwischen gelungen, nach vielen Irrungen und Ungereimtheiten und ganz ohne Rosetta-Stone.
Diesem jahrhundertelangen Ringen um das Verständnis der vergessenen Glyphen der Mayas widmet sich der Film „Der Maya-Code“ des US-Amerikaners David Lebrun. Die Darstellung der Erforschung einer Schrift ist nun eigentlich eine eher theoretische Angelegenheit, aber Lebrun hat daraus eine höchst spannende Geschichte gemacht. Und das völlig ohne Spekulationen, markige Sprüche oder Spielszenen. Ja, man kann historische Dokumentationen auch noch ohne Laienspiel drehen!
Mit Hilfe historischer Darstellungen und Animationen (zur Schrift) lässt der Film die vielen Etappen bei der Suche nach dem Maya-Code Revue passieren, angefangen von den Aufzeichnungen de Landas (die dieser selbst nie verstand) bis zur Gegenwart, in der man immerhin ca. 90% der Glyphen weitgehend entziffern kann.
Dem Exzentriker Constantine Rafinesque (1783-1840) gelang vor fast 200 Jahren mit der Entzifferung des Zahlensystems die erste große Entdeckung auf einem langen Weg. Es sollte noch bis zum Jahr 1983 dauern, bis dem US-Amerikaner David Stuart dann der entscheidende Durchbruch gelang. Stuart hatte entdeckt, dass die Schreiber der Maya für ein und dieselbe Silbe verschiedene Zeichen benutzten. Offensichtlich hatten sie einen breiten Spielraum beim Schreiben, und sie hassten es, sich zu wiederholen. Je häufiger ein Wort benutzt wurde, desto zahlreicher die Varianten seiner Schreibung. Diese Entdeckung ließ das System der Silben schrumpfen und ermöglichte die Erkenntnis, dass auf den Stelen nicht einfach Herrscherdaten, sondern ausformulierte Sätze standen.
Zwischen Rafinesque und Stuart, der bei seiner Entdeckung übrigens erst 17 Jahre alt war, trug die Arbeit zahlreicher Forscher Stück für Stück zum besseren Verstehen bei. Der Dresdner Bibliothekar Ernst Förstemann (1822-1906) berechnet die Zeitangaben des Dresdner Kodex‘ und erschließt den Kalenderkreis, Eric Thompson (1898-1975) erstellt ein numerisches Klassifizierungssystem der Glyphen, Tatiana Proskouriakoff (1909-1985) entdeckt, dass die Stelen nicht Götter, sondern die Geschichte von Herrschern darstellen, Cyrus Thomas (USA) erkennt die Silbenglyphen und Juri Knorosow (1922-1999) findet heraus, dass das Maya-Schriftsystem eine Kombination aus Zeichen und Silben ist. Es wären hier noch zahlreiche Namen zu nennen. Auch in der Gegenwart tragen verschiedene Forscher zum Verständnis der Schrift bei. So beschreiben Schele/ Freidel in ihrem Buch „Die wunderbare Welt der Maya“, dass David Stuart während einer Konferenz im Jahre 1989 seinem Kollegen Freidel zuflüsterte, er habe jetzt endlich zusammen mit Stephen Houston eine Glyphe für das Wort way – schlafen, träumen, Zauberer – entschlüsselt. Zwei Wochen später bekamen die Forscher einen Brief von dem Deutschen Nikolai Grube, in dem dieser ihnen die Entschlüsselung derselben Glyphe mitteilte. Die Geschichte ist also noch lange nicht zu Ende.
Es ist eine Stärke des Films, dass er den Prozess der Entschlüsselung der Maya-Glyphen nachvollziehbar macht. Das System der Zahlen oder der Zusammensetzung der Glyphen wird gut erklärt, sodass der Zuschauer wenigstens ansatzweise verstehen kann, worum es in diesem Schriftsystem geht – das ist ja bei der Komplexität der Schreibweisen nicht gerade einfach.
Darüber hinaus macht „Der Maya-Code“ deutlich, dass die Entzifferung der uralten Schrift nicht einfach eine archäologische Herausforderung ist. Für die zeitgenössischen Mayas haben die alten Aufzeichnungen eine enorme Bedeutung. Sie sind Bestandteil einer Geschichte, die man ihnen gewaltsam genommen hat, ein Teil ihrer jahrtausendealten Kultur. Jetzt haben sie die Möglichkeit, sich diese Kultur zurückzuerobern. Die Archäologen selbst sehen ihre Aufgabe auch darin, die Mayas dabei zu unterstützen; das dürfte recht neu sein in dieser Disziplin. Die ersten Schrift-Kurse für Mayas wurden von Maya-Forschern gehalten, denn außer ihnen war niemand in der Lage, die Zeichen zu entziffern. Und so lernen die Mayas von heute, das alte Schriftsystem zu verstehen. Auch Kinder werden bereits an die Glyphen herangeführt. Die zeitgenössischen Mayas können damit an ihre alte Schriftkultur anknüpfen. Völlig verlorengegangen ist diese übrigens nie. Über die Jahrhunderte hinweg haben die Schreiber der Mayas alte Schriften und die Fähigkeit, sie zu schreiben und zu lesen an ihre Schüler weitergegeben: So bewahrten sie mit lateinischen Buchstaben geschriebene Texte in altertümlichem Maya.
Im Bann der grünen Götter. Die Ärzte der Mayakönige (2004). 3sat, 19. September 2008
Das Maya-Massaker (2006). 3sat, 22. August 2008
Der Maya-Code (2008). arte, 20. September 2008
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