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Proibido Proibir: Verbieten verboten

Peter Grüttner | | Artikel drucken
Lesedauer: 5 Minuten
Aus Zement bist du gemacht und zu Zement wirst du wieder werden - Paulo vor dem Häusermeer Rio de Janeiros. Foto: Filmcapture.

Aus Zement bist du gemacht und zu Zement wirst du wieder werden - Paulo vor dem Häusermeer Rio de Janeiros. Foto: Filmcapture.

 Mit Proibido Proibir legt der 1942 in Chile geborene Regisseur Jorge Durán einen Film vor, der in etwa 100 Filmminuten einen Großteil der kulturellen Themen und Symbole Lateinamerikas und ganz speziell Brasiliens bedient und in Beziehung zueinander setzt. Stichwort Beziehung: Hier wäre weniger doch mehr gewesen. Viele Minuten dieses an sich sehr sehenswerten Filmes verstreichen, in dem Paulo die neue Freundin seines besten Freundes Leon umwirbt. Nichts gegen Romantik, hier ist’s aber deutlich zu viel des Guten. Denn die sehr spannende Geschichte über das Funktionieren der brasilianischen Gesellschaft, über die Selbstbilder ihrer Akteure, die Wirkung der stellenweise sehr poetischen und kraftvollen Bilder – all das droht auf der Strecke zu bleiben, weil Paulo sich selbst auferlegt hat, dass Letícia für ihn tabu ist, also eigentlich …

Und so scheint es anfänglich, als würden Bibelstellen in einen modernen Kontext gesetzt, als würde der Kannibalen-Topos aktualisiert und würde die Figur des Che Guevara bemüht, nur der Ausschmückung einer Romanze wegen.

Aber zurück zum Plot: Der Film erzählt vom Leben (und Lieben, aber das hatten wir ja bereits) der drei jungen Leute Paulo, Letícia und Leon, die an der Universidade Federal do Rio de Janeiro, (UFRJ – die größte staatliche Uni) in Rio studieren. Paulo ist angehender Mediziner und Hobbyphilosoph, Leon studiert Soziologie, arbeitet an einer Untersuchung und die Dame, die beiden die Köpfe verdreht, strebt einen Abschluss als Architektin an. Echtes Kino fängt endlich an, als Paulo sich mit einer Patientin in seinem Lehrklinikum anfreundet und so von ihrer Geschichte erfährt. Ihre beiden Söhne, die „alles mögliche“ verkaufen, besuchen Sie einfach nicht, und so verspricht Paulo, der Sache nachzugehen.

Leon und Letícia auf dem Areal der Fakultät für Sportwissenschaften der UFRJ. Foto: Filmcapture.

Leon und Letícia auf dem Areal der Fakultät für Sportwissenschaften der UFRJ. Foto: Filmcapture.

Und hier konzentriert sich Durán auf das, was seine anderen Filme so besonders macht: Der fast schon beiläufige, jedoch nie wertende Blick auf die am Rande der Gesellschaft. Ob damals mit Pixote (1981), in dem er vom Überleben eines Straßenjungen in São Paulo erzählt, oder aber in Como nascem os anjos (1996), in welchem zwei flüchtige Favelabewohner ins Haus einer wohlhabenden Amerikanerin eindringen und so zwei Welten aufeinander treffen – hier werden die Geschichten derer erzählt, die sonst nur in der vorfabrizierten Rolle der Ganoven und Diebe auftauchen. So führt der Film das Publikum an den Konflikt zwischen Favelabewohnern und Polizei heran, für die es sich bei den Favelados ohnehin um Verbrecher handelt (erinnert sei an einen Richter, der bei Favelados schon mal von lixo genético, also genetischem Abfall, sprach). Nachdem die Polizei den einen Sohn der Patientin erschossen hat, wird der zweite, der Zeuge der Tötung seines Bruders war, gesucht und fristet sein Leben daher versteckt in einer Hundehütte.

Spannend ist, was angesichts dieses Unterschieds zum eigenen Leben(-sstandard) bei zwei Protagonisten einsetzt. Paulo tut, was die Mittelschicht für gewöhnlich tut: Er empfiehlt, dass sich dieser Ungerechtigkeit ein Anwalt, ja, der Staat, jedenfalls jemand anderes annehmen müsste. Für die Figur Leons, dem der Regisseur hier vielleicht ein wenig zu plakativ einen ständigen Minderwertigkeitskomplex als Schwarzer unterstellt, erfordert die Situation zwar beherztes, aber doch kurzsichtiges (und für ihn sehr gefährliches) Eingreifen.

Was Proibido Proibir ferner sehenswert macht, ist der angenehme Bruch, der sich im brasilianischen Kino seit ein paar Jahren vollzieht: Es gibt eben keine per se bösen oder guten, legal oder illegal handelnden Menschen. Alles ist im Fluss, fast alle sind, bewusst oder unbewusst, in das System eingebunden. Und so wirkt es doch recht glaubwürdig, dass ausgerechnet Paulo schwer dem Haschisch verfallen ist und zugleich aber einen zu unrecht des Drogenhandels verdächtigen Favelabewohner befreien möchte, eigentlich nichts vom Staat hält, aber nach staatlicher Unterstützung für die Armen verlangt.

Letícia:"Es ist so verdammt schön hier." Foto: Filmcapture.

Letícia:"Es ist so verdammt schön hier." Foto: Filmcapture.

Noch kurz zur Poesie des Films. Es hätte durchaus auch ein Kunstfilm werden können, denn Durán setzt hier auf eine sehr ästhetische Bildsprache. Großartige Szenen: Mal steht ein winziger Mensch vor einem schier unendlich hohen Plattenbau, mal blickt man von oben auf einen verloren wirkenden Menschen in einer Zementwüste herab, ein anderes Mal der Blick auf ein Meer ärmlich zusammengezimmerter Hütten. Und am Ende dann diese wundervolle Sequenz im Stahlbetongerüst eines verfallenen Aussichtsturms, dessen Idee der Moderne, der Idee vom besseren Leben, einer gerechteren Zukunft mit der Hauptstadt Brasília „verbaulicht“ werden sollte und heute doch nur noch inmitten der grünen Unendlichkeit ihren Platz zu haben scheint.

Proibido poibir (Verbieten verboten)
(Brasilien/Chile/Spanien, 2007)
Regie: J. Durán
Produktion: Ceneca Producciones,
in Deutschland verlegt bei Icestorm.

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