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Nicht mal mit einer Blume…
Zur Erinnerung an den Internationalen Frauentag

Michelle Caldas Meyer | | Artikel drucken
Lesedauer: 6 Minuten

Ein altes Sprichwort in Brasilien besagt: „Man sollte nie eine Frau schlagen. Nicht mal mit einer Blume“. Leider ist dies eine veraltete Utopie. Heutzutage werden Frauen weltweit von ihren Männern oder Angehörigen brutal geschlagen und leiden unter psychischem Druck sowie Diskriminierung. Zum internationalen Frauentag rückt das Thema zwar immer wieder in die Öffentlichkeit, die Realität jedoch ändert sich nur ganz langsam. Die aktuelle Situation in Brasilien lässt sich wie zu jeder anderen Gelegenheit auch, durch einen kleinen Scherz verdeutlichen: die Frauen haben einen besonderen Tag für sich, weil die anderen Tage des Jahres den Männern gehören. Sexistisch, aber teilweise wahr. Einerseits können die brasilianischen Frauen in den letzten Jahren viele Erfolge aufweisen, andererseits wird ihnen hingegen durch die neuen Gesetze nicht weitergeholfen, da diese in der Stille des eigenen Hauses kaum kontrolliert werden können.

Wenn man die Rechte der brasilianischen Frauen im Verlauf der Geschichte analysiert, ist zu erkennen, dass es ein sehr langsamer Prozess war. Die ersten Gesetze diesbezüglich entstanden am Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Ausrufung der Republik. Damals wurde das Thema angesprochen, jedoch blieben die Frauen auch weiterhin ihren Männern untergeordnet. Zum Beispiel besaßen nur Männer das Recht, Eigentumsbelange zu regeln, während die Frauen eine sekundäre Rolle spielten. Erst 1962 mit dem „Statut der verheirateten Frauen“ und dem Unterhaltsgesetz (1968) erhielten die Frauen sowie ihre Kinder einen rechtlichen Schutz und Anspruch auf Unterhaltsleistungen. Zu Beginn der 60er Jahre sicherten sich die Frauen zudem die Gleichberechtigung in Bezug auf ihre politischen Rechte. Mit der aktuellen Verfassung aus dem Jahr 1988 erfuhren die Frauenrechte eine weitere Stärkung. Es wurden beispielsweise Scheidungsrichtlinien verankert und Frauen auch als Landeigentümerinnen, etwa von staatlichen Konzessionen anerkannt. Mitte der 90er Jahre traf dann der brasilianische Gesetzgeber eine mutige Entscheidung: das Konkubinatsgesetz schützte die langjährige Lebensgemeinschaft und stellte die Rechte der Lebensgefährten mit denen von verheirateten Paaren gleich. Dies war eine sehr kontroverse Entscheidung, die die katholische Gesellschaft sowie manche konservativen Frauen erstaunte, da auch eine eventuelle Liebhaberin ihres Mannes durch das Gesetz geschützt werden würde. Noch ein wichtiger Schritt für den physischen Schutz der Frauen vor Gewalt bestand in der Verabschiedung des Gesetzes „Maria da Penha“ im Jahr 2006, aufgrund dessen gewalttätige Männer in präventive Haft genommen werden können. Dadurch haben die Frauen ein Recht auf polizeilichen Schutz und somit die Chance, sich etwas freier zu bewegen.

Trotz solcher Schutzmaßnahmen sind die Frauen nicht gefeit gegen häusliche Gewalt oder Vorurteile im Beruf. Die Gesetze sind lediglich eine Richtlinie. Die Tradition und die patriarchalische Gesellschaft ändern sich nur sehr langsam.

In Brasilien litt bereits eine von fünf Frauen unter irgendeiner Art von physischer oder sexueller Gewalt durch Männer. Alle 15 Minuten ist eine Frau davon betroffen. Dies wird von der Gesellschaft kritisiert, aber teilweise toleriert. Die Frauen haben Angst und schämen sich für ihre Situation. In einer großen bundesweiten Fernsehumfrage des Fernsehsenders Globo vom 6. März 2009 sagten 91% der Zuschauer, dass sie zumindest schon einmal in ihrem Leben miterlebt haben, wie eine Frau unter den Folgen von Gewalt leiden musste. Nur wenige Mutige besitzen die Kraft, zur Polizei zu gehen, um ihre Ehemänner anzuzeigen. Es gibt sogar eine Hotline (der Frauen-Beratungszentrale), um betroffenen Frauen Hilfe anzubieten. Zu Beginn erstreckt sich diese jedoch meist nur auf seelischen Trost und Aufklärung. Der wichtige Schritt, ihren Mann zu verlassen oder mit ihm ein besseres gemeinsames Leben zu führen, erfordert meist die Unterstützung von anderen. Aber physischer Schutz wird nicht durch ein Telefonat allein geboten. Aufgrund dessen entstehen durch die Kooperation von Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) und anderen betroffenen Frauen, besonders in den ärmeren Vierteln, Frauen-Selbsthilfegruppen, die sich dagegen wehren möchten. Zum Beispiel gibt es mit der Aktion „Pfeife“ eine einfache und zugleich effektive Kampagne, die in Recife/Nordbrasilien begann, von den Vereinten Nationen gelobt und weiter verbreitet wurde. Jedes Mal, wenn ein Mann eine Frau bedroht oder schlägt, fängt sie oder sogar die Nachbarinnen an zu pfeifen. Der Lärm des kleinen plastischen Spielzeugs, der die ganze Nachbarschaft alarmiert, hemmt häufig den gewalttätigen Mann, da er befürchten muss, dass jemand die Polizei ruft.

In diesem Jahr (2009) startete die Regierung zudem eine Kampagne gegen Gewalt an Frauen, die aber die Männer zum Fokus hat. Die jeweiligen Bundesstaaten, Ärztevereine sowie Anwaltskanzleien unterstützen aktiv die Aktion „Ich sage Nein zu Gewalt gegen Frauen“. Dadurch sollen Männer aufgeklärt werden, was sie ihren Frauen antun, wenn sie sie schlagen oder bedrohen. Die Kampagne begann offiziell am Frauentag mit der Beleuchtung der Jesus-Statue am Corcovado mit pinkem Licht. Dies geschah natürlich mit dem Einverständnis der katholischen Kirche, welche darin eine gelungene Aktion sah.

Trotz der vielen Kampagnen und Aktionen hatte der Frauentag dieses Jahr in Brasilien einen herben Beigeschmack. Der Fall eines neunjährigen Mädchens polemisierte die Gewalt gegen Frauen und generierte eine öffentliche Debatte über die katholische Kirche. Das Mädchen und ihre behinderte Schwester wurden drei Jahre lang von ihrem Stiefvater missbraucht. Nachdem das kleine Mädchen über Bauchschmerzen klagte, stellte sich heraus, dass sie mit Zwillingen schwanger war. Die Mutter zeigte daraufhin ihren Mann an. Die Ärzte rieten zu einer Abtreibung, welche das brasilianische Gesetz unter den Bedingungen erlaubt, dass die Schwangerschaft durch eine Vergewaltigung entstanden ist und/oder wenn es eine Gefahr für das Leben der werdenden Mutter darstellt. Im Fall des Mädchens trafen beide Kriterien zu. Eine grausame Geschichte mit klarem Ende. Aber die katholische Kirche musste sich darüber äußern und exkommunizierte die Mutter sowie die Ärzte, die der Abtreibung zustimmten und diese letztlich durchgeführt hatten. Wäre das nicht schon genug, sagte der Bischof von Recife – mit Unterstützung aus Rom –, dass den Stiefvater im Sinne der Kirche keine Schuld trifft. Er hätte eine grauenvolle Tat begangen, aber die Abtreibung sei schlimmer als die Vergewaltigung. Der Präsident Luis Inacio „Lula“ da Silva sprach sich für das Mädchen und ihre Familie aus, worauf der Bischof rasch antwortete: Lula sollte vor seinen Reden einen Theologen konsultieren, damit er keine Fehler über die katholische Doktrin verbreitet.

Dazu gab es zwar weitere verschiedene Kritikpunkte an der Entscheidung der Kirche, aber allein der geschilderte Fall zeigt auf, welchen hohen Stellenwert weiterhin einige traditionelle Werte in der brasilianischen Gesellschaft haben. Im bekanntesten Krankenhaus für sexuelle Gewalt, das Pérola Byington in Sao Paulo, betreffen 43% der täglichen Fälle Mädchen im Alter von weniger als 12 Jahren, deren Schwangerschaft aus einer Vergewaltigung herrührt. Dies verdeutlicht, wie stark auch jetzt noch die Gewalt gegen Frauen und Mädchen verschwiegen und von der Gesellschaft stillschweigend toleriert wird.

Hauptsächlich muss den brasilianischen Frauen klar werden, dass sie durch unsere starre Traditionen und Erziehung die gewalttätigen Männer der Zukunft erziehen. Man kann keine Gesellschaft ändern, wenn die Frauen ihre Aufgabe als Mütter unterschätzen. Die Frauen sollen nicht nur Mut zur Selbstverteidigung, sondern auch Mut zur Veränderung gewinnen.

Links zum Thema:
http://www.bemquerermulher.com.br
http://www.ipas.org.br/ (Dieser Link konnte am 24.03.2013 nicht mehr abgerufen werden.)
http://www.violenciamulher.org.br/

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