QUETZAL veröffentlicht exklusiv die deutsche Übersetzung einer weiteren Reihe von „Microcuentos“ des bolivianischen Schriftstellers Víctor Montoya.
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Don Quijote
Man hat mich in diese Drecksklapsmühle eingewiesen, wo ich Stunden damit zubringe, meine Finger gleich einem Krawattenknoten ineinanderzuschlingen.
Die Hände an den Kopf gepresst gehe ich mal hierhin und mal dorthin und weiß nicht, was ich machen oder sagen soll. Wenn mir langweilig ist, betrachte ich zuweilen das Bild von Don Quijote, das im Zimmer der Psychiaterin, süß wie Dulcinea von Toboso, die Wand ziert. Angelockt vom Gesang der Vögel zieht es mich dann wieder in den Schatten eines Baumes auf den Hof hinaus, wo die Geisteskranken, ein jeder gefangen in seiner eigenen Welt, kreuz und quer durcheinanderlaufen.
Sie reden und reden wie verrückt, sind zu nichts nutze und beten in einer Tour immer wieder das Gleiche herunter: „Ich bin Jesus Christus“, behauptet einer, aber niemand nimmt’s ihm ab. „Ich bin Buddha“, meint ein anderer und auch ihm glaubt keiner. Doch als ich ihnen sage, dass ich Don Quijote von der Mancha bin, biegen sie sich vor Lachen.
Bis ins Mark getroffen schaue ich einen nach dem anderen an und frage: „Was gibt’s denn da zu lachen?“
Nach kurzem Schweigen erklären sie: „Der Wahnsinnige war nicht Don Quijote, sondern Manco de Lepanto, besser bekannt als Miguel de Cervantes.“
Empört über so einen hanebüchenen Unsinn trete ich den Rückzug an, aus dem Schatten des Baumes in den jenes Raumes, in dem das Bild des Ritters von der traurigen Gestalt hängt, wie er in rostiger Rüstung auf seinem irre dreinschauenden Klappergaul sitzt.
Die Verrückte
1
Meine Mutter hat immer erzählt, meine Großmutter sei verrückt gewesen, völlig übergeschnappt. Sie stromerte und überließ ihre Säuglinge einfach sich selbst. Mein Großvater schwang sich aufs Pferd und suchte landauf landab nach ihr, die Peitsche griffbereit und den Revolver am Gurt.
Erst Tage später tauchte sie zu Hause wieder auf – die Kleider zerfetzt, ohne Schuhe, das Haar vom Wind zerzaust. Keine Tränen, kein Wehklagen – trotz geschundenem Körper und verletzter Seele.
2
Meine Mutter hat immer erzählt, meine Großmutter sei verrückt gewesen, so irre, dass einem bang und bänger wurde. Gleich einer Wölfin heulte sie den Mond an und wie die Spinnenfrau lief sie die Wände hoch. Sie riss ihre riesigen Augen auf und zeigte angriffslustig ihre Klauen und Zähne.
Eines kalten Messers Schneide stieß sie in die Hälse ihrer eigenen Brut, die sie schlafend im Bett vorfand. „Ihr seid keine menschlichen Wesen, sondern Ferkel. Der Teufel hat euch gezeugt“, presste sie zwischen ihren Zähnen hervor.
Und weil Gott sie diese Bälger zur Welt hatte bringen lassen, lief sie auf den Hof hinaus, hob ihre Hände zum Himmel und vermaledeite ihn dafür.
3
Meine Mutter hat immer erzählt, meine Großmutter sei verrückt gewesen, reif für die Psychiatrie. Kurz nachdem sie in Vollmondnächten spurlos verschwunden war und Mann und Kinder zurückgelassen hatte, trieb sie ihr Unwesen in angrenzenden Weilern.
Augenzeugen berichteten, sie habe mit wirrem Haar, gezücktem Messer und lautstark kund und zu wissen gegeben, dass sie ihre Eltern, ihre Geschwister, ihren Mann und ihre Kinder ermordet habe und dass der Teufel ihr dies schmackhaft gemacht habe.
Doch eines Tages fesselten die Nachbarn sie an Händen und Füßen, hievten sie auf einen Esel und verfrachteten sie in die weit entfernte Anstalt – wo ich jetzt diese Geschichte schreibe.
Van Gogh
„Dein Ohr! Was ist mit deinem Ohr passiert?“ Der Schankwirt war beunruhigt, ja geschockt.
„Hab‘ ich mir abgeschnitten …“.
„Und was wird aus deinem Selbstporträt? Wie willst du das zu Ende bringen?“
„Ich lege mir einen Verband an – ganz so als hätte ich starke Zahnschmerzen.“
Der Kneipier blickte ihn teilnahmsvoll an, als versuche er ein von tiefsitzenden Ängsten gezeichnetes Leben zu entschlüsseln. „Sicher werden sich deine Bilder in der Kunsthandlung deines Bruders Theo nun verkaufen“, versuchte er dann ohne jeden Übergang den Maler etwas aufzuheitern.
„Glaub ich nicht“, seufzte Van Gogh, in einen Mantel von Melancholie gehüllt. „Derzeit gibt es nichts, was den Stil meiner Kunst weiterentwickeln könnte; nicht das Essen gelber Farbe, kein vergossenes Blut, nicht der Alkohol, kein Erbrochenes und schon gar nicht die Ratschläge von Gauguin, der mit der gleichen Hure ins Bett gestiegen ist, die mir einen Tag zuvor ihre Liebe geschworen hat.“
„Und wie soll‘s jetzt weitergehen?“, fragte der Wirt.
Der Künstler, immer tiefer in eine Depression versinkend, dachte einen Moment nach, leerte sein letztes Glas in einem Zug und erwiderte: „Ich werde mir eine Kugel verpassen und mich in die jenseitigen chromatischen Schwingungen eines Sonnenblumengemäldes befördern.“
Krank vor Liebe
Nur weil ich eine Frau geliebt habe, hält man mich hier in diesem Tollhaus fest.
Alles begann an dem Tag, als ich sie mit meinem Todfeind im Bett erwischte. Ihr schamloser Verrat schmerzte so sehr, dass mein Herz brach.
Ihren Namen möchte ich nicht nennen. Nur so viel: Sie war jung und schön: breite Hüften, pralle Brüste und ein strahlendes Lächeln. Trotz einem leichten Anflug von Pockennarbigkeit um ihre Himmelfahrtsnase war sie so heiß, dass manch einer sich schon bei dem bloßen Gedanken an sie einen von der Palme gewedelt hat.
Die Stürme unerträglicher Eifersucht packten mich und so schloss ich sie im Schlafzimmer ein. Schließlich wollte ich ihr beweisen, dass der Verrat schmerzhafter ist als der Tod und das gab mir die Idee ein, sie ans Bett zu fesseln und meinen Rachegefühlen freien Lauf zu lassen. Ich stach ihr die Augen aus (Ach, ihre wunderschönen Augen!), damit sie nicht mehr nach anderen schauen könnte. Ich schnitt ihr die Zunge ab, um ihre Vorwürfe nicht mehr hören zu müssen, die mich trafen wie Dolche, die sich einem in die Brust bohren. Ich verstümmelte ihre Hände, denn nie wieder sollte ein Ehering einen ihrer Finger zieren. Und ich schnitt ihr die Füße ab, damit sie nicht weglaufen könnte.
Ach, ich Bedauernswerter! Ich hatte ja keine Ahnung, dass ich krank vor Liebe war, bis eines Tages Polizisten vor meiner Tür standen, um mich festzunehmen und Psychiater, um mich in eine Zwangsjacke zu zwängen.
Viele Jahre sind seitdem vergangen.
Ihr haben sie – der modernen Chirurgie sei Dank – Augen, Zunge, Hände und Füße wieder hergestellt. Und ich? Mir haben sie – wie es bei Liebeskranken so Usus ist – lebenslänglich Irrenhaus aufgebrummt. Und hier warte ich auf den Tod, während ich die Gartenblumen mit Wasser versorge. Ich weiß aber, wie die Seelenärzte das sehen werden: Der Verrückte da ist nicht einfach so gestorben – vielmehr hat die Liebe ihn innerlich zerbrochen.
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Übersetzung aus dem Spanischen: Gabriele Eschweiler
Bildquelle: [1-2] Quetzal-Redaktion_CD