QUETZAL veröffentlicht exklusiv die deutsche Übersetzung einer weiteren Reihe von „Microcuentos“ des bolivianischen Schriftstellers Víctor Montoya.
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Hamlet
Nicht sein oder sein
Der Räuber
Er war der Robin Hood der Städte. Nicht dass er einen Köcher mit Pfeilen und olivgrüne Kleidung trüge! Aber seiner Pflicht, gleich nach einem Banküberfall die Beute an Arme zu verteilen, war er sich sehr wohl bewusst.
Zorn
Eine verschmähte Frau ist wie vom Teufel geritten. In den Adern dieser Furie wallt Gift und ihre Zunge ist ein Dolch von Fleisch.
Der Thronerbe
Der König – ins Greisenalter gekommen – bedurfte eines Thronfolgers. Aber sein einziges Kind, eine junge und schöne Prinzessin, zog die schwarzen Sklaven den weißen Kriegern vor. Also ersann der ungeduldig einen blonden und hellhäutigen Enkel herbeisehnende Monarch eine List. Er veranlasste, dass einer seiner Sklaven die Prinzessin immer nur des Nachts in ihrem Schlafgemach besuchte, sie schwängerte und anschließend spurlos verschwand.
Neun Monate später brachte sie ein weißes Kind zur Welt und fragte sich, wie das mit einem schwarzen Vater möglich sein konnte. Niemand rückte mit der Wahrheit heraus, bis der König ihr auf dem Sterbebett enthüllte, dass der Erzeuger seines Thronerben einer seiner weißen Krieger sei, der nur so getan habe, als sei er ein Schwarzer.
Raserei
In einem Dorf im Andenhochland, fernab von der Hand Gottes, aber umso näher an der des Teufels, überraschte ein Bergmann seine Frau mit einem anderen Mann genau in dem Bett und Zimmer, in dem sie ihm die Treue geschworen hatte.
Blind vor Eifersucht und rasend vor Wut tötete er erst beide und zerstückelte dann die Frau.
Der einzige Zeuge dieses entsetzlichen Verbrechens, der gemeinsame Sohn des Ehepaars, rannte tränenüberströmt an seinen Lieblingsort, den Fußballplatz, wo er sich an der Querlatte des Tors erhängte.
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Übersetzung aus dem Spanischen: Gabriele Eschweiler
Bildquellen: [1-2] Quetzal-Redaktion_CD