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Die Verstaatlichung der Erdöl- und Erdgasreserven in Bolivien

Enrico Caldas Meyer | | Artikel drucken
Lesedauer: 10 Minuten

„Será un proceso de verdad, será un proceso, pero estamos en ese camino de cambiar ese estado colonial, el modelo neoliberal y qué mejor todavía desde Sucre, desde la Casa de la Libertad, recuperar todos nuestros recursos naturales para el pueblo boliviano, para el estado boliviano“ (Evo Morales)

Alles begann (scheinbar) am 1. Mai 2006: Evo Morales, der zu diesem Zeitpunkt frisch vereidigte Präsident von Bolivien, erließ das Dekret 28701. Es beinhaltet die Nationalisierung der bolivianischen Öl- und Erdgasreserven. Morales setzte den ausländischen Mineralölgesellschaften eine Frist von 180 Tagen für die Vereinbarung neuer Verträge, um die Kontrolle über Produktion und Vertrieb an das staatliche Energieunternehmen Yacimientos Petrolíferos Fiscales de Bolivia (YPFB) abzugeben oder andernfalls des Landes verwiesen zu werden. Wie ernst es Morales war, zeigte, dass am gleichen Tag 56 Erdöl- und Erdgasfelder, sowie zwei Raffinerien von bolivianischen Streitkräften besetzt worden. Für den Präsidenten war der Schritt innenpolitisch von hoher Bedeutung, denn nach seiner Wahl im Dezember 2005 war dies die erste Bewährungsprobe zu zeigen, dass seinen zahlreichen Wahlversprechen auch Taten folgen. Was bedeutet dieses Dekret für die Beteiligten? Ist es das Ende der überdurchschnittlichen Gewinne ausländischer Investoren und der Anfang einer Goldenen Zukunft für Bolivien?

Im Blickpunkt der Investoren liegen vor allem die Erdgasvorkommen. In Bolivien befinden sich nach Venezuela die zweitgrößten Vorkommen in ganz Südamerika.

Die Verstaatlichung der Erdöl- und Erdgasreserven in Bolivien

Insgesamt werden die Energieressourcen von 20 ausländischen Mineralölkonzernen kontrolliert. Der Großteil wird jedoch unter drei Unternehmen „aufgeteilt“: Darunter sind neben der brasilianischen Petrobras, die spanisch-argentinische Repsol-YPF und die französische Total. Zu den anderen Gesellschaften mit eher geringen Anteilen gehören unter anderem British Gas, British Petroleum (BP), Dong Wong, ExxonMobile und Royal Dutch Shell. Im Gegensatz zur Darstellung der internationalen Medien, welche dieses Dekret mit völligem Entsetzen kommentierten, kam es nicht aus heiterem Himmel, sondern setzte vielmehr bereits zuvor beschlossene innenpolitische Ziele um. Ausgangspunkt ist das unter dem ehemaligen Präsidenten Carlos Mesa verabschiedete Gesetz zur Verwendung der nationalen Kohlenwasserstoffe vom 17. Mai 2005 (Ley No. 3058). Es sah unter anderem die Erhöhung der Besteuerung von 18% auf 50% vor und hatte die Renationalisierung der YPFB zum Ziel. Aufgrund formaler Mängel konnten die Verträge mit den Ölkonzernen bezüglich der Renationalisierung nicht binnen 180 Tagen angepasst werden. Die praktische Umsetzung kam umso mehr ins Stocken, als das Thema mehr und mehr zum Spielball für den im Dezember 2005 anstehenden Wahlkampf polemisiert wurden.

Stellt man sich vor, dass 1996 mit der alten „Ley de Hidrocarburos“ die Besteuerung von 50% auf 18% gesenkt wurde (unter anderem durch den Einfluss der Weltbank, die mit ihren Krediten eine verstärkte Liberalisierung der Märkte anstrebt, um damit mehr Direktinvestitionen anzuziehen), dann sollte allen Beteiligten bewusst sein, dass Bolivien eine wahre Goldgrube für Unternehmen war. Trotz dieser Senkung konnte die Armut in der Bevölkerung, zwei Drittel lebt nach Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) unterhalb der Armutsgrenze von 2$ pro Tag, nicht beseitigt werden. Nicht nur der dadurch wachsende politische Druck auf die Regierung, sondern auch die sehr geringe Besteuerung waren mit Sicherheit stets Bestandteil der rationalen Planungen der internationalen Ölkonzerne. Für sie stellen das Dekret und dessen Umsetzung mit Sicherheit keine Überraschung dar, sondern das war vielmehr nur eine Frage der Zeit, aber keineswegs eine der Sorge, denn die Investitionen haben sich schon längst amortisiert.

Somit ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass bis zum 29.10.2006 alle in Bolivien tätigen ausländischen Energieunternehmen die neuen Verträge unterschrieben haben. Es stellt sich dadurch genau das Gegenteil der Situation vor 1996 ein. Jetzt verbleiben nicht mehr 82% der Einnahmen bei den Firmen, sondern müssen zukünftig als Steuer an den Staat beziehungsweise die YPFB abgeführt werden. Diese Symbolik zeigt sich auch bei der Unterzeichnung der Abkommen, welche im gleichen Saal geschah, in dem vor 10 Jahren unter Präsident Gonzalo Sánchez de Lozada das Dekret zur Privatisierung erlassen wurde. Im Gegensatz zur TV-Propaganda der Regierung gilt diese Steuer nur für die großen Gasfelder wie San Alberto, San Antonio (Petrobras) und Margarita (Repsol). Bei kleineren Feldern steht den Mineralölgesellschaften ein Anteil von 40% an den Gesamterträgen zu bzw. liegt er im Allgemeinen zwischen 18% und 50%, abhängig von den Produktionskosten und den nötigen Investitionen.

Wo liegt die Motivation von Morales? Neben den bisher zu geringen steuerlichen Abgaben war besonders das Verhalten von Petrobras und Repsol den Brasilianern ein Dorn im Auge Beide Unternehmen haben in hohem Maße das Erdgas zu wesentlich günstigeren Preisen als auf dem Weltmarkt an eigene Tochtergesellschaften außerhalb von Bolivien verkauft, wodurch sich der Wert der Steuer noch weiter verringerte. Hinzu kommt, dass auch die Produktentwicklung aus den Rohstoffen nicht in Bolivien stattfindet, wodurch Arbeitsplätze hätten geschaffen werden können. Durch die zukünftige Regulierung des Preises durch die YPFB soll dies verhindert werden. Die zweite Ursache liegt in der hohen Armut des Landes. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf ist Bolivien nicht nur in Südamerika das ärmste Land, sondern gehört auch in ganz Lateinamerika zu den drei ärmsten.

Die Verstaatlichung der Erdöl- und Erdgasreserven in Bolivien

Durch die Mehreinnahmen sollen ganz nach dem „Vorbild“ des befreundeten venezolanischen Staatschefs Hugo Chávez Sozialprogramme zur Bekämpfung der Armut angestoßen werden.

Kurzfristig war die Handlungsweise von Morales sehr wichtig für ihn selbst, als auch für das Land. Das gilt vor allem für die erhöhten Einnahmen seit Mai 2005, an denen er als damaliger Oppositionsführer mit der Forderung eines höheren Steuersatzes (von 18% auf 50%) maßgeblichen Anteil hatte. So konnten z.B. die Schulden beim IWF zum Dezember 2005 von 170,6 Millionen Sonderziehungsrechten auf 9,6 Millionen reduziert werden, wodurch sich auch die wirtschaftspolitische Macht des IWF gegnüber Bolivien verringert hat. In Anbetracht dessen, dass sich 80% aller Mineralölgesellschaften in der Welt unter Kontrolle und in Besitz von Staaten befinden, kann die Renationalisierung als durchaus legitim betrachtet werden (z.B. gab es bei Russlands Renationalisierung kurze Kritik, sie wurde aber von der internationalen Gemeinschaft weitgehend akzeptiert).

Fraglich ist jedoch, ob die militärische Art und Weise der Durchsetzung des Dekrets gerechtfertigt war? Sicherlich sind mehrere hundert Millionen Dollar immer ein schwergewichtiges Argument, jedoch wird gern vergessen, dass diese Einnahmen nur solange zur Verfügung stehen, wie es auch fossile Energieträger gibt. Auch wenn mit den bisherigen Förderanlagen und der Förderkapazität die Erdgasreserven noch ca. 100 Jahre reichen, darf nicht vergessen werden, dass der Grund dafür in der geringen Produktionsmenge zu sehen ist (diese beträgt nur ca. 200 Milliarden Kubikfuß pro Jahr, im Vergleich dazu beträgt sie bei Venezuela ca. 1050 und bei Argentinien ca. 1400). Darin liegt aber wiederum ein weiteres Problem, denn eine solch lange Förderdauer oder eine entsprechende Ausweitung der Produktion bedingt Investitionen in Milliardenhöhe. Da das BIP von Bolivien im Jahr 2005 nur 9,3 Milliarden US-Dollar betrug, ist das Land demzufolge vollständig von ausländischen Investitionen abhängig.

Ziel sollte es sein, Investitionen in das Land zu ziehen und nicht mit einer Enteignung der Produktionsstätten zu drohen. Entgegen der Ankündigung, das die YPFB die Mehrheitsanteile an den Tochterfirmen der ausländischen Unternehmen übernehmen wolle, wurde davon zunächst einmal Abstand genommen, aber die Unsicherheit aus Sicht der Investoren bleibt – abhängig von der „Laune des Volkes“ und dem damit verbundenen öffentlichen Druck auf Morales. Trotz zugesicherter Investitionen wäre ein weniger populistischer Weg wohl die bessere Alternative gewesen, in dem z.B. die Abgaben auf nur 60-70% erhöht würden, die Firmen aber gleichzeitig „gezwungen“ worden wären, auch End- oder Zwischenprodukte aus Erdgas in Bolivien herzustellen, sowie entsprechende Fachkräfte auszubilden oder Partnerschaften für öffentliche Bildungseinrichtungen zu übernehmen.

Mit seiner anti-neoliberalen Wirtschaftspolitik festigt Morales seine eigene Position, jedoch besteht gleichzeitig die Gefahr, dass sich Bolivien wirtschaftlich isoliert. Bolivien besitzt beim Erdgas gerade einmal einen Weltmarktanteil von ca. 0,4 %. Dies zeigt umso mehr, dass die Ölfirmen nicht von Bolivien abhängig sind, sondern es der umgekehrte Fall ist. Deutlich wird das an den prognostizierten Direktinvestitionen 2007, welche von 1,6 Mrd. $ (2006) auf nur 0,2 sinken. Das Land kann seiner Armut nur entkommen, wenn Rechtssicherheit und Vertrauen in die wirtschaftspolitischen Entscheidungen langfristig gewährleistet werden. Morales sollte sich auf keinen Fall zu sehr auf seinen politischen Verbündeten Chávez verlassen und sein Land schon gar nicht mit Venezuela verwechseln, das im Vergleich zu Bolivien ein Vielfaches an fossilen Energieträgern besitzt. Aktuell ist das internationale Medienbild davon geprägt, dass Morales dem venezolanischen Präsidenten nacheifert, ohne zu merken, dass das Land mit dem Rücken zur Wand steht. Wie viel Geld wird denn von den Einnahmen in naher Zukunft auch bei der Bevölkerung ankommen? Dies ist vor allem von der Korruption als auch vom weiteren Abbau der Schulden abhängig. Es ist nicht sichergestellt, dass eine so starke Erhöhung der Einnahmen durch das sehr hohe Korruptionspotential auch auf den staatlichen Konten landet, denn der weltweite Korruptionsreport 2006 sieht Bolivien als das Land mit der zweithöchsten Korruption in Lateinamerika (Platz 117 von 159), nur Venezuela ist mit Platz 137 schlechter. Besser ist Boliviens Position hingegen hinsichtlich der internationalen Verschuldung. Sowohl der Kredit bei der Internationalen Entwicklungsorganisation (IDA) der Weltbankgruppe von 1,6 Milliarden $ als auch der Kredit bei der Interamerikanischen Entwicklungsbank (IADB) von ebenfalls ca. 1,6 Mrd. $ sollen zu ca. 90% bzw. 80% erlassen werden. Dies entspricht einem Anteil von 30% des BIP, der nicht zurückgezahlt werden muss und somit für Maßnahmen zur Armutsbekämpfung, z.B. für das Programm zur Alphabetisierung, zur Verfügung stehen würde. Diese Maßnahmen werden zudem durch finanzielle Darlehen Venezuelas und der Entsendung von Ärzten aus Kuba verstärkt.

Aufgrund der starken Abhängigkeit Brasiliens von bolivianischem Erdgas, welches seinen Bedarf zu ca. 50% aus dem Nachbarland abdeckt, wird Brasilien ein Interesse daran haben, auch in Zukunft in Bolivien zu investieren. Das Verhältnis beider Länder zueinander hat sich jedoch verschlechtert. Vor allem vor und während den brasilianischen Präsidentschaftswahlen kam der brasilianische Staatschefs Luiz Inácio Lula da Silva erheblich unter Druck, denn vor der eigenen Bevölkerung musste er einerseits das Verhalten von Morales verurteilen, andererseits durch die starke Abhängigkeit „gute Mine zum bösen Spiel“ machen. Hieran wird auch die zwiespältige Lage in Lateinamerika deutlich. Die Erdöl- und Erdgasreserven ermöglichen einer Vielzahl von Ländern in Südamerika hohe Einnahmen, gleichzeitig sind sie aber kontraproduktiv für den weiteren Integrationsprozess. Sobald die neue Pipeline zwischen Venezuela und Brasilien fertig sein wird, verstärkt sich die Konkurrenz um Erdgasexporte nach Brasilien zum Nachteil von Bolivien und der Zusammenarbeit in Südamerika. Anstatt die Bedeutung des MERCOSUR zu stärken und einen wirklichen Gegenpol zum Projekt der Gesamtamerikanischen Freihandelszone (FTAA) zu bilden, d.h. sich gegenseitig zu unterstützen und die Einnahmen effizient zu investieren, sind diese fast ausschließlich Grundlage für Konfliktpotential.

Abschließend kann die Lage Boliviens in etwa wie folgt beschrieben werden: Das Land wird in den nächsten drei bzw. vier Jahren enorme Fortschritte machen, jedoch ausgehend von einem sehr niedrigen Entwicklungsniveau. Eine „goldene Zukunft“ wird es aber nicht geben!

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