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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Lateinamerika im Schatten der Tillerson-Doktrin
Wende oder Kontinuität?

Peter Gärtner | | Artikel drucken
Lesedauer: 7 Minuten

US-Außenminister Rex Tillerson besuchte vom 1. bis 7. Februar 2018 fünf Länder Lateinamerikas. Seine Visite begann in Mexiko, wo er mit Präsident Enrique Peña Nieto und seinem mexikanischen Amtskollegen Luis Videgaray Gespräche über die künftigen Beziehungen der beiden Nachbarländer führte. Weitere Stationen waren Argentinien, Peru, Kolumbien und Jamaika. Unmittelbar bevor Tillerson seine Reise antrat, hielt er an der Universität von Austin (Texas) eine programmatische Redei. Mit Bezug auf die Monroe-Doktrin, Teddy Roosevelts „Big Stick“ und Kennedys „Allianz für den Fortschritt“ hob er zwei Prioritäten der weiteren US-Außenpolitik hervor: Als Teil der westlichen Hemisphäre genießt Lateinamerika (wieder) die volle Aufmerksamkeit Washingtons, und der Sturz der Regierung von Präsident Maduro in Venezuela bildet dabei den ersten Punkt der imperialen Agenda. China, das inzwischen zum wichtigsten Handelspartner von Argentinien, Brasilien, Chile und Peru aufgestiegen ist, und Russland, durch dessen wachsende Präsenz sich die USA ebenfalls „alarmiert“ fühlen, werden als „neue imperiale Mächte“ gebrandmarkt, die sich aus Lateinamerika fernhalten sollten. Die Zukunft des Kontinents liege in der „multidimensionalen Partnerschaft“ mit den Vereinigten Staaten, die allein eine „sichere und prosperierende Hemisphäre“ garantiere.

Wende oder Kontinuität?

Die Ausführungen des US-Außenministers in Austin haben nicht nur die spanische Zeitung „El País“ veranlasst, von einer „doctrina Tillerson“ zu sprechen.ii Tatsächlich markiert Tillersons Rede einerseits eine doppelte Wende in der US-Lateinamerika-Politik, andererseits signalisiert sie die Rückkehr zur imperialen „Hinterhof-Strategie“, die Lateinamerika wieder fester in die Hegemonialarchitektur der USA einbinden soll. Wie aber passen beide Seiten unter einen Hut? Zunächst einmal versteht sich die „Tillerson-Doktrin“ als eine prononcierte Abkehr gegenüber der Lateinamerika-Politik der zweiten Obama-Administration. Dies war bereits bei den ersten außenpolitischen Aktionen von Donald Trump als neu gewählter US-Präsident gegenüber Kuba deutlich geworden. An die Stelle von Obamas „Wandel durch Annäherung“ trat nun wieder die aggressive Droh- und Embargopolitik.

Zugleich macht Tillerson klar, dass die „America first“-Strategie Trumps keineswegs auf eine Preisgabe des lateinamerikanischen „Hinterhofs“ hinausläuft. Im Gegenteil: Sie erfordert geradezu dessen festere Einbindung in die hegemonialen Strukturen der taumelnden Supermacht. „America first“ bedeutet in diesem Sinne die geostrategische Wiederaufwertung Lateinamerikas als integraler Teil des „hemisphärischen Amerika“. Was ist damit gemeint? Bevor sich die USA im Ergebnis des 2. Weltkrieges als westliche Führungsmacht etablierten, bildeten die Einbeziehung des karibischen Beckens, später ganz Lateinamerikas, und das expansive Ausgreifen in den pazifischen Raum bis nach China die unverzichtbare geopolitische Plattform für den Aufstieg zur globalen Supermacht. Folgt man den Ausführungen Tillersons, dann zeichnen sich folgende Bausteine der von Washington angestrebten imperialistischen Renaissance ab: Entgegen der „Mauer-Rhetorik“ Trumps gegenüber Mexiko beschwört der US-Außenminister geradezu die Segnungen der Nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA) und empfiehlt dem „Rest der Hemisphäre“ die „nordamerikanischen Erfahrungen als Modell“. In diesem Sinne markiert die „Tillerson-Doktrin“ tatsächlich die Abkehr vom frühen „Anti-NAFTA-Trump“. Die Verhandlungen zwischen den drei NAFTA-Partnern USA, Kanada und Mexiko, die inzwischen in die sechste Runde gehen, bestätigen den Kurs zur Modernisierung (nicht zur Abschaffung) des „Nordamerikanischen Blocks“. Die hier nach 9/11 etablierte „Sicherheitspartnerschaft reicht weit über unsere (d.h. der USA – P.G.) und Mexikos Südgrenzen hinaus“ – so Tillerson.

Venezuela im Fadenkreuz

USA_Venezuela_Bild_Redaktion_gcDem weiteren Ausbau bis nach Feuerland steht vor allem ein Land im Wege – Venezuela. Und das gleich mehrfach. Zum einen stellt das Land nach der rechten Gegenoffensive in Paraguay, Argentinien und Brasilien den wichtigsten Pfeiler linker Politik in Südamerika dar. Obwohl sich Hugo Chávez und sein Nachfolger im Präsidentenamt, Nicolás Maduro, seit mehr als 15 Jahren permanenten Angriffen von innen wie von außen ausgesetzt sehen, haben sich sowohl die rechte Opposition als auch die USA bisher die Zähne an der „Bolivarischen Revolution“ Venezuelas ausgebissen. Derzeit verhandeln Regierungs- und Oppositionsvertreter in Santo Domingo. Im April, voraussichtlich am 8., sollen in Venezuela Wahlen stattfinden. Wenige Tage darauf, am 13. April, ist in Lima der fällige Amerika-Gipfel anberaumt. Die USA wollen die bis dahin verbleibende Zeit nutzen, um ein kontinentales Bündnis gegen Venezuela zu schmieden. Angesichts der dort herrschenden Krise erhoffen sie sich gute Chancen für den ihrer Meinung nach längst fälligen Regimewechsel. Im Gespräch sind ein Embargo venezolanischen Öls und eine Seeblockade wichtiger Häfen an der Karibikküste des südamerikanischen Landes. Angesichts der Tatsache, dass von den 1,7 Millionen Barrel pro Tag, die Venezuela im Dezember 2017 gefördert hatte, 600.000 in die USA exportiert werden, kann sich die geplante Maßnahme für Washington durchaus als Bumerang erweisen. Bereits 2016 gingen die meisten Ölexporte des lateinamerikanischen Landes nach Asien (vor allem nach China und Indien).

Dies verweist auf zwei weitere Punkte, die Venezuela ins Fadenkreuz des US-Imperialismus rücken. Seine engen Beziehungen zu China, Russland, Kuba und Iran stellen für Washington den entscheidenden geopolitischen Stein des Anstoßes dar. Alle vier genannten Länder stehen auf der „schwarzen Liste“ der vergangenen wie der gegenwärtigen US-Administration ganz oben. Mit einem Regimewechsel in Caracas würde Trump mit einem Schlag seine stärksten Widersacher auf der regionalen wie globalen Bühne in die Defensive treiben.

Drittens bildet Venezuela das südamerikanische Hauptkettenglied in der hemisphärischen Allianz, die unter Washingtons Führung bis 2040 zum neuen Zentrum der globalen Energiepolitik ausgebaut werden soll. Ohne die immensen Ölvorkommen Venezuelas ist dieses ehrgeizige Ziel nicht zu erreichen. Mit der „Rückeroberung“ Venezuelas würde Washington also drei „Fliegen“ mit einer Klappe schlagen: Erstens würde er den verbliebenen Linksregierungen in der Region einen schweren Schlag versetzen und sie ihrer wichtigsten Bastion auf dem Kontinent berauben. Im Umkehrschluss ließe sich das reaktionäre imperiale „Roll Back“ bis nach Kuba vorantreiben. Zweitens würden die globalen Hauptrivalen der USA, China und Russland, ihren wichtigsten geopolitischen Verbündeten in der westlichen Hemisphäre verlieren. Dies könnten die USA dann nutzen, um ihre Vormachtstellung im „Hinterhof“ wieder herzustellen. Allerdings blieben dann immer noch die engen Außenhandelsbeziehungen zwischen Lateinamerika und China als Hindernis für ein solches Vorhaben bestehen.

Viertens kämen die USA ihrem Ziel, die westliche Hemisphäre unter ihrer Führung zum neuen Zentrum der globalen Energiepolitik auszubauen, ein entscheidendes Stück näher. Die „Fracking Revolution“ in den USA selbst, Öl- und Gas-Importe aus Kanada und die Eingliederung der weltgrößten Erdölvorkommen in Venezuela würden zusammen mit der Funktion des US-Dollars als Hauptwährung des Ölbusiness und der weltweiten militärischen Dominanz der USA ein Machtpotential darstellen, das dann dem „America first“ von Donald Trump ein ganz neues, erschreckendes Gewicht verleihen würde.

Mexiko und Brasilien – zwei Unbekannte in der Rechnung von Rex T.

Die oben genannten Punkte belegen, welch zentrale Bedeutung den Wahlen in Venezuela im April dieses Jahres zukommt. Angesichts der Schwäche und Zersplitterung der rechten Opposition haben die Chavistas, die sich dessen, was auf dem Spiel steht, sehr wohl bewusst sind, gute Chancen, das Blatt zu ihren Gunsten zu wenden. Sie müssten dann diese politische Chance auch nutzen, um einen Ausweg aus der Krise zu finden. Dies schließt ein, nicht weiter in der Extraktivismusfalle zu verharren, sondern einen Transformationspfad weg vom Öl zu eröffnen. Ohne eine solche Alternative blieben die Errungenschaften der „Bolivarischen Revolution“ auf der Strecke, und Washington hätte erneut Gelegenheit, seine Karten auszuspielen.

Aber auch im unmittelbaren Einflussbereich der USA, beim südlichen Nachbarn Mexiko, braut sich etwas zusammen, was das Blatt gegen Trump und Tillerson wenden könnte. Dort stehen im Juli 2018 Wahlen an, bei denen Andrés Manuel López Obrador im dritten Anlauf die Präsidentschaft gewinnen könnte. 2006 und 2012 war er nur knapp und unter höchst umstrittenen Umständen seinen Konkurrenten Felipe Calderón (PAN) und Enrique Peña Nieto (PRI) unterlegen. Mit ihm würde ein Präsident ins Amt kommen, der bereit wäre, sich mit der „Machtmafia“ des Landes anzulegen und den USA Paroli zu bieten.

In Brasilien, wo Lula (Luiz Inacio da Silva) trotz der juristischen Schachzüge, die ihn politisch matt setzen sollen, an seiner Kandidatur für die 2018 in Brasilien stattfindenden Präsidentschaftswahlen festhält, haben die linken Kräfte und sozialen Bewegungen die Chance, der rechten Offensive der alten Elite ein Ende zu bereiten und selbst zum Angriff überzugehen. In beiden Fällen ist der Ausgang offen. Nichtsdestotrotz besteht in beiden Ländern die reale Möglichkeit, das Blatt zu wenden. Damit würde auch der Kampf um die Zukunft Lateinamerikas in eine neue Runde gehen. Und Rex Tillerson hätte dann wohl auch ernsthafte Schwierigkeiten, seine Doktrin auch umzusetzen.

 

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