Im Jahr 2008 initiierte die bolivianische Regierung das „Proyecto Litio“ (Lithium-Projekt) als rein staatliche Initiative zur Entwicklung einer Pilotanlage für Lithiumkarbonat und andere Minerale am Salar de Uyuni (Uyuni-Salzsee). Das Projekt erfuhr von Anfang an die Unterstützung der lokalen Gemeinschaften durch die Federación Regional Única de Trabajadores Campesinos del Altiplano Sud (FRUTCAS, Vereinigung indigener Arbeiter in der südlichen Hochebene Boliviens), welche die fünf Provinzen im Südosten des Departamentos Potosí vereint und seit über 20 Jahren die natürlichen Ressourcen der Region verteidigt. Besonders im Kampf gegen einen Vertrag mit der Lithium Corporation, der die Regierung unter Jaime Paz den Salar und seine reichen Ressourcen überlassen wollte, war die Frutcas aktiv.
Von Anfang an gab es aber auch innerhalb der aktuellen Regierung Versuche, den Lithium-Abbau zu privatisieren, wie etwa die Erklärungen des damaligen Ministers für Kohlenwasserstoffe Óscar Coca, der eine öffentlich-private Partnerschaft anstrebte, deren Kapital aus privaten Mitteln zur Verfügung gestellt werden sollte, wobei aber Vertreter und Institutionen des Departamentos Potosí die Entscheidungsgewalt hätten. So zum Beispiel Institute der Universidad Tomás Frías, die Parallelstudien zum staatlichen Projekt mit deutscher Unterstützung ankündigten. Darüber hinaus übten auch große internationale Konzerne Druck aus, um ihren Anteil beim Lithium-Abbau zu sichern. Die Frutcas wies Privatisierungstendenzen wiederholt zurück und setzte sich für die Umsetzung des „Proyecto Litio“ als staatliche Initiative ein. Denn die Lithium-Vorräte im Salar stellen mit 50 % des weltweiten Lithium-Vorkommens das größte Abbaugebiet der Welt dar und sind damit ein strategisch wichtiger Rohstoff.
Trotz der inhärenten Probleme eines solchen Pilotprojekts in Bolivien – Privatisierungsversuche und staatliche Bürokratie – treibt das staatliche Bergbauunternehmen COMIBOL gemeinsam mit der Dirección Nacional de Evaporíticos (Landesamt für Evaporitvorkommen) seit zwei Jahren das Projekt mit dem Bau einer Pilotanlage auf dem Llipi-Llipi, Río Grande, Provinz Nor Lípez am Salar voran. Nun ist der Bau der Anlage fast abgeschlossen und die Ausrüstung für die Verarbeitung der Lake und für die Produktion von Kaliumchlorid (700.00 Tonnen pro Jahr) und Lithiumkarbonat (Li2CO3) wird eingebaut. Sowohl Kaliumchlorid als auch Lithiumkarbonat sind Produkte mit einer hohen Wertschöpfung und einem stabilen internationalen Markt. Zusätzlich zu den Proben vor Ort und einem Bohrprogramm zur Evaluierung der Vorkommen wurden in dem Projekt die technischen Voraussetzungen für die Lithium-Produktion geschaffen, die aufgrund des hohen Magnesiumanteils sehr aufwendig ist. Bolivien ist also durchaus in der Lage, seine natürlichen Ressourcen zu industrialisieren.
Trotzdem übten Privatisierungsbefürworter in den letzten Monaten immer stärkeren Druck auf das Projekt und auf die Regierung aus. Aus der nationalen Presse geht die Zahl der internationalen Konzerne hervor, die Bolivien wiederholt Besuche abstatteten, um die Position der Regierung zur Durchführung einer rein staatlichen Initiative zu untergraben und direkt über ihre Beteiligung an dem Projekt zu verhandeln. Die Hauptinteressenten sind große japanische Unternehmen wie Sumitomo, Mitsubishi, JOGMEC (ein staatliches japanisches Unternehmen), der französische Konzern Bolloré zusammen mit Eramet, die brasilianische Vale do Rio Doce, der staatliche koreanische Konzern Kores sowie Samsung und LG, die chinesische Guan Citic Group und Interessenten aus Russland, Italien und dem Iran.
Der wissenschaftliche Ausschuss
Vor dem Hintergrund, dass Bolivien nicht über die notwendigen technischen Mittel verfügt, um die natürlichen Rohstoffvorkommen zu industrialisieren, ernannte das Bergbauministerium im Juli 2009 mit dem Ministerialerlass 0089 ein „Comité Científico para la Investigación sobre Industrialización de los Recursos Evaporíticos de Bolivia“ (CCIIREB, wissenschaftlicher Ausschuss für die Industrialisierung der Evaporitvorkommen Boliviens) als autorisiertes wissenschaftliches Gremium zur Unterstützung der Industrialisierung der bolivianischen Salzseen durch den Staat.
Der Grundsatzerklärung zufolge hat dieses Gremium zum Ziel, „wissenschaftliches und technisches Know-how bereit zu stellen und konkrete Vorschläge zur Entwicklung und Umsetzung von Abläufen bei der Industrialisierung der Evaporitvorkommen des Plurinationalen Staates Bolivien zu erarbeiten.“ Im Artikel 3 heißt es explizit: „Die Politik des Plurinationalen Staates Bolivien zur Produktion von Lithium als rein staatliches Unterfangen im Rahmen der vollständigen Industrialisierung der Evaporitvorkommen unterstützen und respektieren.“
Die Aufgaben des Ausschusses bestehen darin, die wissenschaftliche und technische Unterstützung zur Umsetzung des nationalen Projekts für den Abbau und die Produktion von Lithiumkarbonat in Arbeitsgruppen zu organisieren, da in jedem Salar unterschiedliche Abbau- und Verdunstungsanlagen eingesetzt werden müssen.
Der Ausschuss ist eine gemeinnützige Organisation mit ehrenamtlichen Mitarbeitern. Die Mitarbeit von einzelnen Personen oder ausländischen Unternehmen verpflichtet nicht zur Aktienbeteiligung am Pilotprojekt.
Das strategische Unternehmen
Im Rahmen der Verfassung und der Bergbaupolitik der momentanen Regierung ist die Schaffung strategischer Unternehmen für die Entwicklung einiger großer Abbauprojekte vorgesehen, wie beispielsweise in Mutún und im Salar von Uyuni. Für das Projekt Mutún hat die Regierung bereits mit dem indischen Unternehmen JINDAL einen Joint-Venture-Vertrag abgeschlossen. Aufgrund der noch fehlenden Investitionen seitens JINDAL hat sich die Durchführung des Projekts bereits um zwei Jahre verzögert.
Zwei Jahre nach Beginn des Lithium-Projekts der COMIBOL verkündete die Regierung am 10. März 2010 das Präsidialdekret Nr. 0444, in dem die Schaffung der Empresa Boliviana de Recursos Evaporíticos (EBRE, Bolivianisches Unternehmen für Evaporitvorkommen) festgelegt wird. Im Artikel 4 heißt es: „(EXKLUSIVRECHT DES STAATES) Lithium wird zum strategischen Element für die Entwicklung Boliviens erklärt, womit alle Rechte am Abbau, der Verarbeitung, Industrialisierung und kommerziellen Nutzung dem Plurinationalen Staat Bolivien zufallen.“ Damit bleibt der Status des staatlichen Projekts erhalten. Eine Schwäche des Dekrets liegt darin, dass das Unternehmen mit seinem Hauptsitz in La Paz angesiedelt wird und nicht wie laut Artikel 371 und 372 der Verfassung vorgesehen im Departamento Potosí.
Zivile Institutionen in Potosí, wie das Comité Cívico de Potosí (COMCIPO), wiesen daher das Dekret sofort mit der Begründung zurück, dass der Sitz des Unternehmens in La Paz sei, obwohl sich der Salar in Potosí befinde, und dass keinerlei Festlegungen über die Gewinnverteilung getroffen worden seien. Das COMCIPO drohte mit einem unbegrenzten Generalstreik, falls das Dekret nicht annulliert würde.
Zwei Wochen vor den Kommunal- und Regionalwahlen im Departamento machte die Regierung einen Rückzieher und annullierte das Dekret, statt die Fehler und Schwachstellen zu korrigieren. Das Lithium-Projekt liegt damit vorerst auf Eis.
Dieses Vorgehen scheint den Zielen diverser staatlicher Interessenten sowie den Konzernen zugute zu kommen. Dies zeigen vor allem einige Erklärungen von Regierungsbehörden, welche die Verlagerung des Hauptsitzes nach La Paz während der Verhandlungen mit den privaten Akteuren über ihre Beteiligung am Projekt als unumgänglich rechtfertigen. Der Vizeminister für Regierungskoordination W. Chávez sagte dazu: „Es handelt sich um ein Unternehmen, das in Zukunft die Finanzierung eines großen nationalen Projekts, sicher mit einigen ausländischen Investitionen, sicherstellen wird … die Regierung treibt diesbezügliche Verhandlungen voran. Deshalb steht auch der endgültige Hauptsitz der Empresa Boliviana de Recursos Evaporíticos noch nicht fest. Dieser wird erst nach Abschluss der Verhandlungen mit den Investoren und Förderern gesetzlich festgelegt.“
Der größte private Interessent ist der japanische Konzern SUMITOMO, der in der Region bereits mit dem großen Silberabbauprojekt in San Cristóbal vertreten ist. Der japanische Minister für Wirtschaft, Handel und Industrie Chaiki Takahashi gab an, dass die Verhandlungen über den Lithiumabbau in Bolivien auf gutem Wege seien und bestätigte die baldige Vertragsunterzeichnung. „Wir möchten die finanzielle und technische Unterstützung für dieses Projekt so bald als möglich umsetzen. Es gibt noch keinen endgültigen Vertrag, aber nach den Regierungsgesprächen denke ich, dass wir auf dem besten Wege sind,“ erklärte der Minister nach einem Treffen mit dem bolivianischen Regierungsminister Óscar Coca.
Der französische Konzern Bolloré hat ebenfalls Interesse an dem Projekt bekundet und wird dabei durch die französische Botschaft vertreten.
In diesem Konflikt leben die regionalistischen Interessen wieder auf, die in verschiedenen Vorschlägen zum Ausdruck kommen. Neben der COMCIPO verlangt nun auch die Universidad Tomas Frías de Potosí, dass das Projekt ausschließlich dem Departamento zugute kommen soll. Die Provinz Daniel Campos fordert eine Gewinnbeteiligung von 40 %. Leider verliert sich damit die Debatte über die wichtigen Fragen über die Entwicklung des Bergbaus in Bolivien und die bolivianische Lithium-Strategie im Regionalismus. Darüber hinaus trägt diese Opposition zur Privatisierung eines ursprünglich staatlichen Projekts bei, beispielsweise durch die Forderung nach der Auflösung der Finanzreserven, die den alleinigen Anspruch des Staates auf die Nutzung der Ressourcen im Salar garantiert.
Vor diesem Hintergrund verstärkte die am stärksten vertretene soziale Organisation der Region, die FRUTCAS, am 11. und 12. April ihre Forderung nach einem rein staatlichen Unternehmen und der Erhaltung der Finanzreserve. Sie plädierte für die Schaffung eines strategischen Unternehmens, der „Evaporíticos Bolivia, Empresa Pública Nacional Estratégica“ (EB – EPNE, Evaporitvorkommen Bolivien, national-staatliches, strategisches Unternehmen), mit Rechtssitz in Llipi-Llipi, Kanton Rio Grande (Prov. Nor Lipez), einer Gewinnverteilung nach Re-Investitionen (20 %), Staatskasse (15 %), Herkunftsdepartamentos (20 %), Herkunftsgemeinden (30 %), COMIBOL (8 %) und mit einer Kontrolle durch den Consejo de Control Social (Rat der sozialen Kontrolle), bestehend aus Vertretern der regionalen Basisorganisationen. Diese Forderung wurde in den Gesetzesentwurf aufgenommen. Auch die parlamentarische Gruppe von Oruro stellte eine ähnliche Forderung.
Was soll nun aus dem staatlichen Projekt werden, das die regionalen Gemeinschaften initiiert haben?
Jetzt beginnt eine neue Etappe der Interessenkonfrontation. Einerseits nutzen die Behörden in Potosí die Annullierung des Dekrets aus, um ein neues Dekret vorzuschlagen, das die Beteiligung der Behörden im Departamento sichert und sowohl regionalistischen als auch privaten Interessen dient. Dies wird vor allem deutlich, weil das vorgeschlagene Dekret dem Staat kein Exklusivrecht im Projekt mehr einräumt (wie in Art. 4 des ausgesetzten Dekrets). Darüber hinaus wird für die Unternehmensführung die Beteiligung von Institutionen und Organisationen festgelegt, die ausschließlich dem Departamento Potosí verbunden sind. Die Beteiligung des Departamentos Oruro, das ebenfalls zum Teil am Salar liegt, wird dabei außen vor gelassen. Die notwendigen Studien sollen ausschließlich von der Universidad Tomas Frías durchgeführt werden, so dass die strategische Bedeutung und der nationale Charakter des staatlichen Projekts nicht beachtet werden.
Andererseits werden die Konzerne auch weiterhin Druck auf die Regierung und die Region ausüben, um das Projekt bald für private Finanzierungsmaßnahmen zu öffnen. Dafür werden sowohl von Einheimischen als auch von Außenstehenden stets dieselben Argumente bemüht: erstens, Bolivien hat keine ausreichenden Mittel für die Umsetzung des Projekts und zweitens, braucht Bolivien die technische Ausrüstung und die Kapazitäten der ausländischen Unternehmen, um das Projekt auf den Weg zu bringen.
Damit wiederholt sich die Geschichte Boliviens: Das Land ist zu labil und zu stark von internationalen Konzernen abhängig und verfügt darüber hinaus über keine ausreichend konzipierte nationale Bergbaupolitik, um diese Abhängigkeit zu überwinden. In den nächsten Wochen und Monaten entscheidet sich, wie es mit dem Lithium-Projekt weitergehen soll, abhängig von der Mobilisierung der sozialen Organisationen im südlichen Hochland, die traditionell die Privatisierung der natürlichen Rohstoffe in ihrer Region bekämpfen. Davon hängt die Zukunft des wichtigsten Rohstoffs im bolivianischen Erdreich ab. Ein neuer Kampf beginnt.
Quelle: Petropress Nr. 19, April 2010. Herausgegeben vom Centro de Documentación e Información Bolivia (CEDIB).
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Übersetzung aus dem Spanischen: Ariane Stark
Bildquellen: [1] Quetzal-Redaktion, mk
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