Nach der Schlappe, die die Regierung im Parlament erlitten hat, stellt sich jetzt grundsätzlich die Frage der Exportzölle. Vorher standen diese nicht zur Diskussion, da diese Steuern stillschweigend angenommen oder zumindest geduldet wurden, einmal als der reale Kurs im Jahr 2002 in die Höhe gesprungen war, und dann als die Preise der argentinischen Exportcommodities eine nie dagewesene Hausse erlebten, mit Zunahmen der Weltmarktpreise von 200% und mehr. Exportzölle hat es in Argentinien schon im 19. Jahrhundert gegeben, und im 20. Jahrhundert in verschiedenen Perioden direkt oder über eine Devisenbewirtschaftung mit Kursdifferenzen für Kauf und Verkauf, oder verschiedenen Wechselkursen. Auch in Perioden, in denen sie angeblich abgeschafft wurden, wie ab 1976 und dann ab 1991, bestanden Exportzölle für Ölsaaten, um Speiseöl und Sojamehl u.a. Nebenprodukte zu begünstigen, die in Europa und vielen Ländern mit einem höheren Zoll als die Rohstoffe belastet werden. Gegenwärtig bestehen Exportzölle oder Exportbeschränkungen (die eine ähnliche Wirkung haben) für bestimmte Produkte in etwa 40 Ländern.
Es ging dieses Mal hier nicht um die Exportzölle als solche, sondern um das Ausmass dieser Zölle und die Einführung einer progressiven Skala im Verhältnis zu den Weltmarktpreisen. Bei Steuern muss man stets vernünftig handeln und den Sinn für Mass und Mitte bewahren. Dafür gibt es kaum objektive Massstäbe; es ist eine Sache der Erfahrung und des gesunden Menschenverstandes. Wenn die Sätze der Gewinnsteuer plötzlich verdoppelt würden, dann würden die Betroffenen wohl auch auf die Strasse gehen.
Die Kirchners haben die Exportzölle bei Getreide und Ölsaat prinzipiell mit dem Argument verteidigt, dass dadurch die internen Lebensmittelpreise unter den internationalen liegen, so dass die Bevölkerung mit billigen Lebensmitteln versorgt wird. Ausserdem werden dann die Einnahmen, die das Schatzamt durch diese Zölle erhält, für soziale Ausgaben eingesetzt, so dass eine dopppelte Sozialpolitik betrieben wird.
Die Vertreter der Landwirtschaft kontern, dass sie mit Exportsteuern auch vor der Erhöhung stark zur Lebensmittelverbilligung und zur Staatskasse beitrugen, wobei sie ausserdem noch die Gewinnsteuer, die MwSt. u.a. Steuern und Sozialabgaben zahlen. Wenn jedoch die Produktion durch zu hohe Sätze der Exportsteuern belastet wird, dann wird schliesslich weniger produziert, oder auf alle Fälle weniger als möglich. Die Landwirte betonten, dass zuerst produziert werden muss, bevor man an Einkommensverteilung denkt.
Der Anbau von Sojabohne u.a. Arten in Grenzgegenden, wo die Erträge niedrig sind und die Ernten wegen unzureichendem Regen oft ganz verloren gehen, erfordert einen höheren Preis als in der Zentralgegend der sogenannten feuchten Pampa. Ebenfalls treten höhere Kosten ein, wenn intensiv gedüngt wird, wobei zu berücksichtigen ist, dass Düngemittel und allerlei Chemikalien für die Landwirtschaft im Zuge der Erdölhausse viel teurer geworden sind. Die Landwirte weisen schliesslich auch auf die regionale Verteilung des Volkseinkommens hin. Exportzölle verlagern Einkommen vom Land auf die städtischen Gegenden und verhindern schliesslich, dass im Landesinneren mehr Arbeitsplätze geschaffen werden, so dass die interne Migration von armen ländlichen Gegenden in die Umgebung der Grossstädte, meistens in Elendsvierteln, zumindest verringert wird.
Obwohl die Ablehnung des Gesetzesprojektes über die Bestätigung des Beschlusses 125 des Wirtschaftsministeriums vom 11.3.08, den Beschluss als solchen nicht antastet, der somit weiter wirksam blieb, hat die Präsidentin den Willen des Parlamentes richtig interpretiert und gestern Nachmittag per Dekret den Wirtschaftsminister beauftragt, jenen Beschluss ausser Kraft zu setzen, so dass vorerst für Sojabohne der Exportzoll von 35% gilt, und auch für Weizen (28%), Mais (28%) und Sonnenblume (32%) die Sätze, die vor dem 11. März in Kraft waren. Das Dekret wird am Montag im Amstblatt veröffentlicht. Obwohl das Gesetzesprojekt in der Deputiertenkammer mit knapper Mehrheit genehmigt worden war, und sich im Senat eine Pattsituation ergab, die Vizepräsident Cobos gegen das Projekt entschied, ist es in Wirklichkeit so, dass eine grosse Mehrheit der Abgeordneten und Senatoren unter starken Druck gesetzt wurden, damit sie für die Regierung stimmen. Sie standen innerlich auf der Seite der Landwirte, wobei für manche diese Loyalität mit der Regierung hohe politische Kosten in ihrer Provinz hatte. Jetzt können sie wieder aufatmen. Ende gut, alles gut. Jetzt wird voraussichtlich ein hoher Verkauf (und Export) von Sojabohne und Mais eintreten, der sich unmittelbar positiv auf die Konjunktur auswirken dürfte.
Indessen wurde bei dieser langdauernden Diskussion eine Pandora-Büchse geöffnet. Denn jetzt werden die Exportsteuern allgemein in Frage gestellt. Wenn es zu Klagen vor Gericht kommt, kann man davon ausgehen, dass schliesslich der Oberste Gerichtshof (wahrscheinlich in in einem “per Saltum”, um das Verfahren zu beschleunigen) die Exportzölle als solche verfassungskonform erklären wird, da man den betreffenden Artikel der Verfassung in diesen Sinn auslegen kann.
Doch sofort stellen sich zwei weitere Fragen: einmal, ob die Exportzölle vom Kongress oder von der Exekutive festgesetzt werden. Das Zollgesetz von Januar 1981 bestimmt, dass die Regierung sie festsetzen kann. Da dieses Gesetz aus der Zeit der Militärregierung schon 1984 vom Kongress in einem Artikel geändert wurde, kann man dies dahingehend auslegen, dass das Gesetz als solches bestätigt wurde. Ohnehin sind Gesetze der Militärregierung prinzipiell gültig, solange sie nicht ausdrücklich ausser Kraft gesetzt oder geändert werden.
Die zweite Frage bezieht sich auf die Höhe der Sätze, und wann ein Satz als konfiskatorisch betrachtet werden kann. Der Oberste Gerichtshof hat in den 30er Jahren entschieden, dass ein Satz von über 33% konfiskatorisch war. Der jetzige Oberste Gerichtshof kann dies anerkennen oder nicht. Streng genommen ist eine Steuer konfiskatorisch, wenn sie die Substanz, also das Vermögen, angreift. Doch der Begriff wird allgemein als Synonym für “übertrieben” eingesetzt, und hier ist man auf die Vernunft, den Sinn für Realität und den gesunden Menschenverstand der Richter angewiesen, die die oberste juristische Instanz des Landes bilden.
Logischerweise sollte der Kongress sich jetzt mit der Ausarbeitung einer neuen Rahmenordnung für Exportzölle befassen, wobei mehrere Abgeordnete und Senatoren schon Projekte vorgelegt haben. Wie weit das Parlament dann direkt die Sätze bestimmt, oder nur Richtlinien für die Exekutive festsetzt, mit einer Höchstgrenze und einer Beziehung der Exportzölle auf die Weltmarktpreise und den realen Wechselkurs, sei dahingestellt.
Beiläufig ist noch ein anderes Problem aufgetreten. Das Regelwerk des Mercosur verbietet Exportzölle unter den Mitgliedern. Als Argentinien bei der Zusammenkunft in Tucumán auf der eigenen Entscheidungsgewalt bezüglich Exportzöllen beharrte, entgegnete der Vertreter von Uruguay, dass dies auf alle Fälle der Genehmigung der Mercosur-Behörde bedürfe. Es besteht kein Zweifel, dass Exportzölle mit einem gemeinsamen Markt unvereinbar sind, auch wenn dieser unvollständig ist. Sie könnten bestenfalls als Notmassnahme für eine bestimmte Zeit zugelassen werden.
Eine Lösungsmöglichkeit bestünde darin, die Exportzölle als Vorschuss auf die Gewinnsteuer und eventuell auf andere Steuern zu gestalten, indem den Landwirten gestattet wird, einen bestimmten Prozensatz auf ihren Umsatz von der Gewinnsteuer abzuziehen. Das hätte jedoch die Folge, dass die grossen Landwirte, die einer ständigen Kontrolle des Steueramtes unterliegen, die Exportzölle schliesslich nicht oder nur in geringem Umfang zahlen würden, die vielen kleinen und mittleren Landwirte, die die Gewinnsteuer u.a. Steuern weitgehend hinterziehen, diesen Vorteil nicht hätten. Theoretisch ist das in Ordnung, da man davon ausgehen muss, dass alle, die von den Steuern erfasst werden, sie zahlen müssen. Aber politisch ist der Fall nicht einfach. Der Staat würde dabei Einnahmen verlieren, auch wenn sich die Steuerbehörde ernsthaft mit der Kontrollproblematik bei der Landwirtschaft befasst und dabei erfolgreich ist.
Bei der öffentlichen Diskussion haben sich Wirtschaftler wie M.A. Broda dafür eingesetzt, die Exportzölle abzuschaffen und statt dessen eine nationale Bodensteuer einzuführen. Nun wird der landwirtschaftliche Boden ohnehin schon stark besteuert, einmal durch die Gemeinden, dann durch die Provinzen, und schliesslich auf nationaler Ebene indirekt durch die Steuer auf persönliche Güter. Eine starke Erhöhung der Bodenbesteuerung wäre noch viel konfliktiver als die Exportzölle, weil es eine feste Steuer ist, die in schlechten Jahren, in denen sich Verluste oder sehr niedrige Gewinne ergeben, oft nicht gezahlt werden kann. Und wenn diese Steuer niedrig angesetzt wird, dann geht die Rechnung mit dem Verlust der Einnahmen aus den Exportzöllen eben nicht auf.
aus: Argentinisches Tageblatt, Nr. 31.676, 118. Jahrgang, 19. Juli 2008, S.9.
Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Argentinischen Tageblatt .