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Nein! – Senat stimmt gegen die Erhöhung der Agrarzölle

Argentinisches Tageblatt | | Artikel drucken
Lesedauer: 6 Minuten

Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt. Dieser weise Spruch von Wilhelm Busch passt genau auf den überraschenden Ausgang der Abstimmung im Senat über den von der Deputiertenkammer mit knapper Mehrheit von 127 gegen 122 Stimmen gutgeheißenen Gesetzesentwurf zur Ratifizierung des Ministerialbeschlusses 125 über die beweglichen Exportzölle von Getreide und Ölsaaten.

Senat stimmt gegen die Erhöhung der Agrarzölle (Foto: Quetzal-Redaktion, mcm)Allgemein war in politischen Kreisen angenommen worden, dass der Senat den Beschluss der Deputiertenkammer mühelos nachvollziehen würde, besitzt doch die Regierungsfraktion allein eine Mehrheit von 48 Senatoren und mit Alliierten der Radikalen K und anderen etwa 55 von insgesamt 72 Senatoren. Es kam aber in letzter Stunde doch anders. Bis in die frühen Morgenstunden des 17. Juli bei 72 anwesenden Senatoren (eine Rarität im Senat) zählte die Regierungsmannschaft mit 37 Ja- gegen 35 Nein-Stimmen. Als unentschieden geltende Senatoren kippten einer nach dem anderen um, nachdem sieben Justizialisten sich für Nein entschieden hatten. Zuletzt wechselte der Radikale K Emilio Rached aus Santiago del Estero seine Stimme von Ja auf Nein, was zum Patt 36:36 führte und den Vizepräsidenten der Nation Julio César Cleto Cobos als Vorsitzenden des Senats laut Verfassung forderte, im Patt zu entscheiden. Cobos bemühte sich, eine Denkpause einzuschalten, damit die Regierung ein neues Projekt ausarbeite, was der Senat auf Geheiß der PJ-Fraktionsvorsitzenden ablehnte. Daraufhin stimmte Cobos mit Nein und besiegelte das Schicksal des Gesetzentwurfs, das in der laufenden Sitzungsperiode nicht mehr behandelt werden darf.

Sicherlich waren viele Nein-Stimmen im Senat von der unglaublichen Volksversammlung in Palermo vom Vortag beeinflusst worden, wo sich über 200.000 Menschen freiwillig aus dem Landesinneren, der Stadt Buenos Aires und Umgebung einfanden, um den Vorsitzenden der vier führenden Agrarverbänden und dem rethorisch besonders erfolgreichen Agrarsprecher aus Gualeguaychú Alfredo de Angeli zu lauschen. Wie Du mir so ich Dir, dachte im Gegenzug Expräsident Néstor Kirchner, als er zeitgleich eine Versammlung vor dem Kongress einberief, die Gewerkschafter und Aktivisten mit Omnibussen und Geldgeschenken organisierten. Etwa 80.000 Mitläufer kamen und hörten der Brandrede Néstor Kirchner zu, der allerlei erfundene Feinde kritisierte, die Exportzölle als Instrument der Umverteilung pries, aber zum Schluss gelobte, die Entscheidung des Senats anzuerkennen, wie immer sie ausfiele.

Die Agrarführer hatten der Empfehlung der Oppositionspolitikerin Elisa “Lilita” Carrió Folge geleistet, als sie die Volksversammlung in Palermo einberiefen, um von den Straßen aus Druck auf den Senat auszuüben, ebenso wie es ihnen am 20. Juni in Rosario gelungen war, eine Volksversammlung auch auf freiwilliger Basis einzuberufen, die im Vergleich zu der zeitgleich in Salta zur Feier des Tages der Fahne von der Regierung organisierten Kundgebung mit ungleich weniger Gefolgschaft hervorstach. Die Stimme des Volkes hatte für die Landwirtschaft und gegen die Regierung entschieden, wie es auch die Umfragen bezeugten, die die Zustimmung zu dem Kirchner-Ehepaar auf unter 20 Prozent von vorher mehr als 50 Prozent verringerten. Der 127-tägige Konflikt der Regierung mit den Landwirten hatte sich für die Regierung als unnötig und negativ erwiesen und der Wirtschaft mit gewaltigen Umsatzeinbrüchen einen unermesslichen Schaden zugefügt.

Nach dem Nein des Senats muss die Regierung befinden, wie sie mit den Exportzöllen fertig wird. Der Ministerialbeschluss 125 gilt nicht mehr und muss formell widerrufen werden. Der Kongress hat plötzlich ein Eigenleben entwickelt. Bisher hatte die Exekutive die Stimmen der Deputierten und Senatoren nach Belieben mit Geldgeschenken oder anderen politischen Vergünstigungen manipulieren können. Die Parlamentarier galten im Volksempfinden nur noch als Notare, die formell die Entscheidungen der Exekutive nachvollziehen. Der Senat hat bewiesen, dass es auch anders ausfallen kann, unbeschadet der käuflichen Stimmen Ja-sagender Senatoren.

Die Koalition zwischen dem Parteisiegel “Front für den Sieg”, mit dem Expräsident Kirchner die Justizialisten einbezog, und den Radikalen der Sorte K (Gouverneure wie Cobos in Mendoza bis Ende 2007, Bürgermeister und Parlamentarier) ist mit den Neinstimmen von Rached und Cobos in die Brüche gegangen. In der Justizialistischen Partei ist eine starke Opposition entstanden, darunter die Expräsidenten Carlos Saúl Menem, Eduardo Duhalde, Adolfo Rodríguez Saá und Ramón Puerta.

Es kam zweitens anders als man erstens dachte. Argentinien ist politisch ein anderes Land nach dem Nein-Sieg im Senat geworden. Die Regierung muss neu anfangen, um die schweren Probleme zu meistern, die auf sie zukommen. Für Abwechslung wird auf jeden Fall gesorgt werden.

Vizepräsident Julio Cobos

Argentiniens Vizepräsident und Vorsitzender des Senats César Cleto Cobos sagt Nein zur Erhöhung der Exportzölle (Foto: Presidencia de la Nación Argentina)Vizepräsident Julio Cobos ist der Held des Tages, weil er gewagt hat, als Vorsitzender des Senats nach einer Pattabstimmung den Gesetzentwurf der Exekutive über die beweglichen Exportzölle mit seinem Nein zu kappen. Cobos war Ende Oktober 2007 als Formelpartner der Präsidentin Cristina Kirchner gewählt worden und galt als Garant der Allianz zwischen der Exekutive und den Radikalen der Sorte K, die ihre UCR-Partei verraten hatten. Als Spezialist für Parteienverrat hat Cobos jetzt die erwähnte Allianz mit dem Ehepaar Kirchner ebenfalls verlassen. In der Volksmeinung wird ihm dieser Verrat hoch angerechnet, weil er in eigener Überzeugung und nicht auf Geheiß seiner Formelpartnerin gehandelt hat. Die gleiche politische Handlung, lies das Nein von Cobos, schillert in verschiedenen Farben in der Landespolitik.

Bevor Cobos sein denkwürdiges Nein aussprach, bemühte er sich vergebens, einen Ausweg zu finden, um selber nicht Stellung nach einem Patt nehmen zu müssen. Sein Antrag nach dem Patt, eine Denkpause zu beschließen, damit die Exekutive mit einem neuen Projekt über die strittigen Exportzölle aufwarte, wurde von den Fraktionschefs der Regierung und Opposition kurzerhand abgelehnt. Danach war Cobos gefordert, Stellung zu beziehen, was er nach einer kurzen Rede widerstrebend tun musste. Für sein Nein entschuldigte er sich, falls er einen Irrtum begangen habe, und dann bezog er sich auf sein Gewissen, als er sagte, er könne das Regierungsprojekt über die beweglichen Exportzölle nicht gut heißen, weil es den Konflikt mit der Landwirtschaft nicht löse, was entschieden zutrifft. Seither schwelgen erregte Befürworter der Landwirtschaft in Lobeshymnen für Cobos, Verrat hin oder her.

aus: Argentinisches Tageblatt, Nr. 31.676, 118. Jahrgang, 19. Juli 2008, S.3.

Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Argentinischen Tageblatt.

Bildquellen:

[01] argentinischer Kongress. Quetzal-Redaktion, mcm.
[02] Vizepräsident und Vorsitzender des Senats César Cleto Cobos. Presidencia de la Nación Argentina.

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