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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Das Mädchen: Was geschah mit Elisabeth K.?

Gonzalo Compañy | | Artikel drucken
Lesedauer: 4 Minuten

Gesehen:  Das Mädchen - SnapshotAls ich erfuhr, dass ein Dokumentarfilm über die Militärdiktatur im deutschen Fernsehen kommen sollte, war ich zunächst vorsichtig. Da ich die Sendung verpasst hatte, sah ich mir den Trailer an und war daraufhin gespannt. Doch als ich dann einige Tage später den Film endlich anschauen konnte, muss ich gestehen: Ich bin begeistert!

Das Mädchen heißt Elisabeth Käsemann, eine junge deutsche Soziologin aus Tübingen, die glaubte, dass man dort sein sollte, wo andere Menschen Hilfe brauchen. Während der europäischen Studentenbewegung am Ende der sechziger Jahre war die Befreiung Lateinamerikas ein Ziel vieler engagierter Menschen. In diesem Zusammenhang entscheidet sich die junge Elisabeth genauso wie viele andere Studenten für Argentinien.

Argentinien, „die Kornkammer der Welt“, ein Land, in dem die Industrialisierung zur Vergrößerung der Städte führte, zu deren Nebenwirkungen die spontane Gründung marginalisierter und ausgegrenzter Siedlungen, der Villas Miserias (Elendsviertel) gehörte. In diesem lateinamerikanischen Kuhle Wampe arbeiteten und halfen engagierte Menschen wie Elisabeth mit.

Nach dem Putsch, mit dem die Militärjunta 1976 die demokratische Regierung stürzte, wurde jeder, der seine Opposition zeigte, als „Terrorist“ oder „Subversiver“ denunziert. Während diese Bezeichnungen zur Legitimierung gegenüber der Gesellschaft dienten, wurde gleichzeitig ein geheimes, inoffizielles System von Konzentrationslagern innerhalb des Landes errichtet. In diesem repressiven Kontext half Elisabeth verfolgten Aktivisten, die einen neuen, gefälschten Ausweis brauchten, um unterzutauchen. Nach einem Jahr wurde Käsemann von dem argentinischen Geheimdienst entdeckt und in ein Konzentrationslager verschleppt. Dort wurde sie bestialisch gefoltert und einige Woche später in einer fingierten Konfrontation umgebracht. Die Familie Käsemann musste ohne Hilfe der deutschen Botschaft in Buenos Aires die Überführung der sterblichen Überreste von Elisabeth in ihre Heimat übernehmen.

Bis diesem Punkt handelt der Film von einem unglücklichen, individuellen Schicksal. Man hätte erwarten können, dass er an diesem Punkt endet. Doch nun werden andere Elemente dargelegt, die politische, unbequeme Fragen aufwerfen: Wie waren die diplomatischen Beziehung zwischen der argentinischen Diktatur und der Bundesrepublik Deutschland? Welche Rolle spielte die Fußballweltmeisterschaft 1978? Warum wurde das Freundschaftsspiel der deutschen Fußballmannschaft in Buenos Aires nicht genutzt, um die Befreiung Käsemanns zu fordern?

Während andere Botschaften wie die französische, englische, österreichische sowohl die eigenen als auch argentinische Staatsbürger gerettet haben, entschieden sich die deutschen Diplomaten in Argentinien für das Schweigen und Wegsehen. Der renommierte Historiker und Journalist Osvaldo Bayer brachte ein solches Verhalten auf den Punkt: Während einige Menschen das Wort „Solidarität“ aussprachen, stotterten andere das Wort „Profit“. Während junge, engagierte Menschen wie Elisabeth Käsemann an andere Menschen dachten, spekulieren andere auf zukünftige Geschäfte, denn das Land der nächsten Fußball-WM 1978 präsentierte sich als ein lukratives Ziel. Außerdem fand die deutsche Rüstungsindustrie nach dem von den USA verhängten Waffenembargo gegen die argentinische Junta in den Diktatoren treue, zufriedene Kunden. In diesen Jahren lieferten Firmen wie Thyssen-Henschel, Thyssen-Nordseewerke, Rheinmetall, Blohm & Voss, Dornier u.a. Kampfpanzer, U-Boote oder Zwillingskanonen sowie Atomtechnologie nach Argentinien.

Eine der bedeutungsvollen Szenen des Films zeigt die Filiale von Siemens, die sich am Plaza de Mayo direkt am alten Gemeinderat und gegenüber der sogenannten Casa Rosada befindet. Die berühmte Firma war damals mit der Fernsehübertragung der WM beauftragt. Da diese als eine der wichtigsten Werbemittel der Junta dienen sollte, wird schnell klar, dass Siemens in diesem perfiden Spiel eine Hauptrolle zukam. Wie wir heute wissen, pflegten auch andere Firmen wie Daimler-Benz sehr gute Beziehungen mit den Verbrechern: Acht von neun Gewerkschaftsvertreter bei Daimler-Benz verschwanden damals. Doch damit nicht genug: Es wurde gezeigt, dass Mitglieder der Junta-Geheimdienste in der Botschaft ein und aus gingen, weil sie für deren Sicherheit verantwortlich waren. In diesem besonderen Zusammenhang bedeutete der Fall Käsemann eine Belästigung, deren hohen Preis weder die Diplomaten noch die Politiker zu zahlen bereit waren.

Fast 40 Jahren nach der Tod von Elisabeth Käsemann hat der deutsche Staat offiziell seine Meinung nicht geändert: Sie ist immer noch eine „Terroristin“, die in einer Konfrontation mit den Sicherheitskräften ums Leben kam. Im Zynismus des ehemaligen deutschen Botschafters Kastl oder in der „unpolitischen Zurückhaltung“ des Präsidenten des Deutschen Fußballbundes, Hermann Neuberger, zeigt sich ebenso wie in der feigen Abwesenheit des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt eine beschämende Kälte und Mitschuld.

Buenos días Argentina! Guten Tag, du fremdes Land! Buenos días Argentina! Komm, wir reichen uns die Hand!

Dokumentarfilm. Regie: Eric Friedler. Produktion: Südwestrundfunk und Norddeutscher Rundfunk, ca. 75Min., 2014.

Bildquelle: [1] Snapshot

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