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Mehr als nur der Postmann – Zum Tod des chilenischen Schriftstellers Antonio Skármeta

Gabi Töpferwein | | Artikel drucken
Lesedauer: 5 Minuten

Bei dem Namen Antonio Skármeta fällt mir, seltsam genug, als erstes nie das Buch „Mit brennender Geduld“ ein, dessen Verfilmung den Schriftsteller berühmt machte und das nun schlagartig wieder in aller Munde ist. Es ist eine Erzählung, die mir auch bei der Nachricht von seinem Tod sofort in den Sinn kam. „Der Radfahrer vom San Cristóbal“, eine der frühen Erzählungen Skármetas, erzählt die Geschichte eines jungen Mannes aus der unteren Mittelschicht, der ein Radrennen gewinnen will, um mit dem Preisgeld die Behandlung seiner schwerkranken Mutter bezahlen zu können. Überzeugt von der Vorstellung, dass, wenn seine Mutter stirbt, auch er sterben müsse, („es stand fest, meine Kinobesuche hatten mir geschadet“) wird das Radrennen für ihn faktisch zu einem Kampf um Leben und Tod. Erzählt wird dieser Kampf unprätentiös, in einer metaphernreichen Sprache.

Am 15. Oktober starb Antonio Skármeta in Santiago de Chile. Seine Erzählung „Der Radfahrer vom San Cristóbal“ habe ich noch einmal gelesen, gewissermaßen als mein Gedenken an diesen Schriftsteller. Für mich wird sie wohl auch weiterhin das Werk Skármetas sein, das mir als erstes in den Sinn kommt, wenn sein Name fällt.

Esteban Antonio Skármeta Vranicic wurde am 7. November 1940 als Kind kroatischer Einwanderer in Antofagasta geboren. Er war Schüler am renommierten Instituto Nacional in Santiago und studierte Philosophie an der Fakultät für Philosophie und Bildung der Universität Chile, dem sich dank eines Fulbright-Stipendiums ein Studium in New York anschloss. In New York, wo er zwei Jahre lebte, studierte er außerdem Theater am Actor’s Studio und schrieb seine ersten Erzählungen.

Diese Vielseitigkeit zeichnete in fortan aus. Skármetas Wirken beschränkte sich nicht allein auf die Literatur, er arbeitete am und für das Theater, für Film und Fernsehen, er schrieb selbst Liedtexte. Aus den USA nach Chile zurückgekehrt wurde er Regisseur einer Theatergruppe am Pädagogischen Institut. Später führt er bei zwei Filmen Regie und spielte auch in mehreren Filmen mit. Eine Reihe von Filmdrehbüchern stammen aus seiner Feder, so z.B. für den Film „Es herrscht Ruhe im Land“ von Peter Lilienthal. 1983 verfilmte er sein eigenes Drehbuch „Ardiente paciencia“ (Mit brennender Geduld), daraus entstand dann ein Roman gleichen Namens. In den 1990er Jahren adaptierte der britische Regisseur Michael Radford die Geschichte und drehte  den Film „Il postino“ mit Philippe Noiret in der Hauptrolle. Mit dem Film wurden Autor und Buch berühmt. „Ardiente paciencia“ wird inzwischen unter dem Titel „El cartero de Neruda“ verlegt.

Bereits 1968 begann Antonio Skármeta fürs Fernsehen zu arbeiten, so in der Sendung „Libro abierto“ beim Sender der Universität Chile. Weitere Programme sollten folgen. Nach seiner Rückkehr aus dem Exil schuf er „El Show de los libros“, die in Chile sehr beliebt war und auch in anderen Ländern Lateinamerikas und in den USA ausgestrahlt wurde.

Doch sein wichtigtes Metier wurde und blieb das Schreiben. Im Jahr 1967 erschien ein erster Band mit Erzählungen „El entusiasmo“. Sein zweites Buch „Desnudo en el tejado“ (das auch „Der Radfahrer vom San Cristóbal“ enthielt) gewann 1969 den Preis der Casa de las Américas. 2015 erschien sein letzter Erzählungsband „Libertad de movimiento“.

Während seines Exils in Westberlin erweiterte Antonio Skármeta sein literarisches Spektrum und begann, Romane zu schreiben. Insgesamt erschienen zehn Romane von ihm, von „Soñé que la nieve ardía“ (Ich träumte, der Schnee brennt) über „Insurrección“ (Der Aufstand), „La boda del poeta“ (Die Hochzeit des Dichters) bis zu „Los días del arco iris“ (Die Tage des Regenbogens).

Skármeta  war ein viel geehrter Künstler. Dem Preis der Casa de Las Américas sollten noch zahlreiche andere Ehrungen folgen – Premio Altazor, Premio Planeta, die Goethemedaille und der Órden al Mérito Artístico y Cultural Pablo Neruda, um nur einige zu nennen. Nicht zu vergessen der Nationale Literaturpreis Chiles, der ihm 2014 verliehen wurde.

Die Vielseitigkeit des Chilenen beschränkte sich nicht allein auf die Künste; der Philosoph Antonio Skármeta war auch Hochschullehrer. Er unterrichtete Philosophie, Axiologie und Literatur – in Chile, den USA und Deutschland. Nach (West)Deutschland, um exakt zu sein, nach Westberlin war er 1975 gekommen, als Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD. Und er blieb für die nächsten Jahre. Er hatte bis dahin in Argentinien und Bolivien im Exil gelebt. Als Unterstützer der Allende-Regierung und Mitglied des Movimiento de Acción Popular Unitaria (MAPU) musste er Chile nach dem Putsch 1973 verlassen; erst 1989 kehrte er zurück. Zeitlebens blieb er ein politisch engagierter Mensch; schlussendlich tat er es sogar seinem Freund und Kollegen Pablo Neruda gleich und wurde Diplomat. Der sozialistische Präsident Ricardo Lagos ernannte Skármeta im Jahr 2000 zum Botschafter Chiles in Deutschland. Dieses Amt, in dem er sich in besonderem Maße für den kulturellen Austausch der beiden Länder einsetzte, hatte er drei Jahre lang inne.

Mit dem Tod von Antonio Skármeta verlor die chilenische Literatur einen ihrer wichtigsten Vertreter. Der chilenische Präsident Gabriel Boric erinnerte daran, als er sich von seinem Landsmann verabschiedete.

Danke Maestro, für das gelebte Leben. Für die Geschichten, die Romane und das Theater. Für das politische Engagement. Für die Show der Bücher, die die Grenzen der Literatur erweitert hat. Für den Traum, dass der Schnee in Chile brennt, der dich so sehr verletzt hat.

 


Bild: [1] Rodrigo Fernández, CC BY-SA 4.0

 

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