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Arroyo, Marcela: De par en par

Gonzalo Compañy | | Artikel drucken
Lesedauer: 6 Minuten

Obwohl der spanische Ausdruck „de par en par“ wörtlich „paarweise“ bedeutet, wird er in der Regel verwendet, um sich eher auf eine Offenheit zu beziehen – auf eine aufrichtige und kompromisslose Selbsthingabe. Es ist also kein Zufall, dass dies der Titel des neuen Albums der argentinischen Sängerin Marcela Arroyo ist. Arroyo, die seit über 20 Jahren in der Schweiz lebt, wird auf der 2021 erschienen Platte De par en par von vier argentinischen Musikern begleitet: Pablo Allende (Arrangements, Gitarren und Backing Vocals), Federico Abraham (Kontrabass), Pablo Lacolla (Perkussion) und Diego Clark (organische Perkussion und Backing Vocals), sowie dem Peruaner César Correa (Klavier und Keyboards) und dem Schweizer Matthieu Michel (Trompete und Flügelhorn).

De par en par, Arroyos fünfte Aufnahme, stellt einerseits etwas Besonderes vor, weil sie zum ersten Mal eine vergleichsweise große Anzahl ihrer eigenen Kompositionen enthält (sechs von insgesamt zehn), und zum anderen, weil im Gegensatz zu den vorherigen Alben Stücke interpretiert werden, die zum folkloristischen Repertoire Argentiniens gehören. Dabei ist zu bedenken, dass ihre vier vorangegangenen Alben (Puerta Sur, 2009; Pasión poética – Buenos Aires hora cero, 2012; New Tango Songbook, 2014 und Tres Mil Uno, 2016) grundsätzlich auf den Tango fokussiert sind, mit Schwerpunkt auf dem Werk Astor Piazzollas, in dessen Oper María de Buenos Aires Arroyo auch mehrmals die Hauptrolle spielte. Wenn ihre Entscheidung für einen Repertoirewechsel mit Schwerpunkt auf der folkloristischen Musik in Betracht gezogen wird, ist es lobenswert, dass dieses Album gerade in einem Jahr veröffentlicht wurde, in dem die Plattenindustrie eine Welle von Piazzolla-Hommàges im Zuge seines hundertjährigen Jubiläums herausbrachte – was nicht zuletzt Arroyos Aufrichtigkeit und Desinteresse an Opportunismus unterstreicht.

Das Album beginnt mit dem titelgebenden Stück De par en par, einer aus der Feder der Sängerin stammenden Zamba, deren Text die bereits erwähnte Grundsatzerklärung darstellt: den Mut zu haben, sich zu eröffnen, sich angstfrei in das Neue zu stürzen. Der Titel Palabras para Julián (Arroyo-Allende), ein Song für ihren kleinen Sohn, wird ein aus einer klassischen Gitarre, Trommel und Kontrabass bestehendes Trio des vorangegangenen Stückes durch Michels Trompete und die Klangfarben Allendes E-Gitarre und Lacollas Schlagzeug bereichert – und auf diese Weise auch die vielfältigen Möglichkeiten des Ensembles vorgestellt.

Der dritte Titel des Albums, Abrazo (Arroyo), ist eine langsame jazzige Ballade, bei der Arroyos süße Stimme von einem punktierten Beat mit gedämpfter Trompete, Besenschlagzeug, Klavier und Kontrabass untermalt wird. Es folgt Barrio, eine weitere Komposition der Argentinierin, ein perkussiver, uruguayischer Candombe, dem neue Klangfarben hinzugefügt werden – insbesondere durch das treffende Auftauchen des Keyboards, das die rhythmische Vielseitigkeit von Arroyo und den übrigen Musikern zeigt. Dies wird unmittelbar danach mit der Aufführung von Gato panza arriba bestätigt, der berühmten Komposition des Duos Juan Falú und José Manuel Pepe Núñez, welche bereits auf Arroyos vorherigem Album, Tres Mil Uno, zu hören ist. Doch im Gegensatz zu dieser ersten Version, einem mehr als mutigen Arrangement für Kontrabass und Gesang, greifen nun die Musiker auf Gitarre und Trommel zurück und nähern sich so eher dem Original. Die Aufnahme des Stücks Coplas al agua, einer Komposition des Gitarristen Juan Quintero, die 2003 auf dem gefeiertem Debütalbum seines Aca Seca Trios das Licht der Welt erblickte, kann als mehr als angemessen betrachtet werden. Hier gelingt Arroyo und ihrer Band eine treffende Version, die der ohnehin wunderschönen Interpretation des Trios in nichts nachsteht.

Die Ballade Cocina de mi infancia (Arroyo) führt uns zurück zu den Stationen der Kindheit – wobei sie nicht zufällig etwa an Plegaria para un niño dormido, eine der zahlreichen Hymnen des legendären Songwriters Luis Alberto Spinetta (1950-2012), die Generationen von Argentiniern prägt, erinnert. In die gleiche Richtung geht das darauffolgende Stück Rosario Pastrana, das vom bereits erwähnten Duo Falú-Núñez geschrieben wurde und seit seiner Veröffentlichung 1986 zum festen Bestandteil des argentinischen Folk-Repertoires geworden ist. Dabei handelt es sich um ein Stück im Tempo einer Vidala chayera, die mit akustischer Gitarre, Kontrabass und Schlagzeug mehr als elegant vorgeführt wurde.

Vor dem Ende kommt Arroyo mit ihrer Komposition Candombe mío heraus, einem weiterem, optimistischen Candombe, in dem die Band in Bestform klingt und sich Michels Trompete und Correas Klavier mehr als präzise beweisen. Zum Schluss: nichts Geringeres als Cantora de Yala, eines der Stücke des fruchtbaren Duos Gustavo Cuchi Leguizamón (1917-2000) und Manuel Castilla (1918-1980) – ein intimer Abschluss im gleichen Zamba-Rhytmus, mit dem das Album auch beginnt. Es sei daran erinnert, dass die Sängerin bereits auf dem Album Tres Mil Uno in Begleitung von Andreas Engler an der Geige und Daniel Schläppi am Kontrabass eine sehr akkurate Version dieses Songs vorgelegt hatte. Darüber hinaus stellt das Stück eine Herausforderung für jedes Duo dar, das nach dem Erscheinen 2004 des von Liliana Herrero und Juan Falú konzipierten Hommàges an Leguizamón-Castilla, dessen Version das Duo Arroyo-Allende zweifelsohne huldigt.

Wenn auch nicht unbedingt in Bezug auf die Klangfarben, so weist De par en par doch Kontinuitätslinien zum bereits erwähnten Album Tres Mil Uno auf, auf dem die Sängerin bereits ihre Liebe zum volksmusikalischen Repertoire des Nordwestens Argentiniens andeutete. In diesem Sinne können diejenigen von uns, die die Aufnahme von Leguizamón-Castilla- und Falú-Núñez-Kompositionen feierten und sich Arroyos Vorstoß in dieses Subgenre der populären Musik wünschten, mit dem Erscheinen dieses neuen Arroyos-Albums mehr als zufrieden sein.

Was die Instrumentenausrüstung betrifft, so gehen die Linien eher auf das Album Pasión poética – Buenos Aires hora cero zurück, bei dem die Sängerin nicht von einem Duo (Puerta Sur, New Tango Songbook und Tres Mil Uno), sondern von einem kleinen Orchester, dem Ensemble Saxismtango, unter der Leitung der berühmten Bandoneonspieler Marcelo Nisinman begleitet wird. Dem neuen Jazz-Ensemble, das sich nun zu De par en par zusammengefunden hat, gelingt es ebenfalls die ohnehin schon fruchtbare Stimme der Sängerin noch zu verstärken.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass dies ein persönliches Album ist, was sich in der Entscheidung für ein Repertoire zeigt, das überwiegend aus eigenen Kompositionen besteht, und selbstverständlich im Inhalt der Texte, die sich alle unverblümt auf Arroyos Leben beziehen. In diesem Sinne ist auch die Auswahl der vier verbleibenden Stücke, wahre Perlen der Volksmusik Argentiniens, zu verstehen, deren Interpretation immer wieder zu neuen Ergebnissen führt. Das Zusammentreffen von Marcela Arroyo mit diesen sechs wunderbaren Musikern in einem Aufnahmestudio kann nur ein Grund zum Feiern sein – mit offenen Armen.

Marcela Arroyo

De par en par

Double Moon Records, 2021

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