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Dino Saluzzi: Imágenes

Gonzalo Compañy | | Artikel drucken
Lesedauer: 4 Minuten

Saluzzi_imagenes_BookletImágenes, das neue Album des argentinischen Bandoneonisten und Komponisten Dino Saluzzi ist eine besondere CD, nicht nur weil es rund um seinen 80. Geburtstag erschien, sondern vielmehr, weil es sich um ein Werk für solo piano handelt. Obwohl der Komponist nicht ausschließlich Stücke für sein Instrument, das Bandoneon, schreibt, ist es das erste Mal, dass Werke für Klavier aus seiner Feder aufgenommen und veröffentlicht werden. Die zehn Stücke, die Imágenes [dt. Bilder] enthält und die im Zeitraum 1960-2002 komponiert wurden, spielt Saluzzi hier nicht selbst. Am Klavier saß der außergewöhnliche Pianist Horacio Lavandera. Lavandera (geboren 1984 in Buenos Aires), der in Argentinien u.a. Schüler des legendären Pianisten Antonio de Raco (1915-2010) war, hat in den letzten Jahren mit großen Komponisten wie etwa Pierre Boulez, Mauricio Kagel oder Karlheinz Stockhausen gearbeitet. Bei den vorliegenden Aufnahmen folgte er den Anweisungen des im Studio anwesenden Saluzzis.

Ohne Anspruch auf Erklärungen würde ich doch sagen, dass bereits das erste Stück, das der CD den Namen gibt, andeutet, worum es im Ganzen geht. Imágenes stellt am Anfang einige Fragmente des Allegretto der Sturm-Sonate von Beethoven dar, streift das Thema einige Takte später etwa Alberto Ginastera und begegnet dann Fredéric Chopin. Nach einer kurzen Stille hört man, wie die Pferde Beethovens zurückkommen, um das Thema mit ihren Hufen zu schlagen. Aus der Staubwolke taucht mühsam die Melodie in einem Ostinato wieder auf und pfeift einen Tango von Carlos Gardel. Die Voraussetzungen für die Geburt des Eigenen sind bereits geschaffen, nun geht die Melodie mit Vorsicht und Neugier voran. Sie lässt einige Akkorde fallen, so wie man sich während des Lebens in verschiedenen Orten niederlässt, Freundschaften schließt, Spuren hinterlässt. Dann beschleugnigt sich das Thema, und die Akkorde fallen massiv. Die Schritte folgen einer bestimmten Richtung und klingen sicher, als ob sie erfahrener seien. Beethoven, das Ostinato und die absteigende Reihenfolge Chopins sind nun wieder zu hören, doch verschmelzen sie diesmal mit dem Thema. Die Melodie wird komplizierter, ihr Tempo nimmt zu, und sie stürzt auf der Spitze eines Crescendos ab. Aus der Staubwolke entsteht nun eine neue Melodie.

Obwohl man sagen würde, Saluzzis Werk sei zeitlos, trifft das meiner Meinung nach hier nicht zu. Imágenes scheint mir der Versuch zu sein, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander zu versöhnen. Im Stück Montañas entwickelt sich beispielweise das Thema auf organische Weise, nachdem es sich von den schweren Akkorden befreien konnte. Die Motive enstehen zwar aus der Vergangenheit, doch sie entscheiden sich für einen eigenen Weg. Während in einigen Fällen die Vergangenheit in Vergessenheit geraten wird (Media noche), wird sie in anderen aus einer neuen Perspektive zurückgerufen (Claveles; Donde nací). Los recuerdos stellt das Thema allmählich so dar, das es an eine Reminiszenz erinnert. Nachdem die Ideen im Laufe der Takte deutlicher werden, sprudeln sie schließlich hervor, und nach Erreichen des Höhepunkts kehren sie erfüllt und versöhnt zurück, um sich schließlich aufzulösen. Während Vals para Verenna und Romance wie unschuldige, frische, zarte Tänzen klingen, ist Moto perpetuo Bewegung pur, eine kurze Fuge, die sich über alles hinwegsetzt.

Wie können Bilder wirklichkeitsgetreu beschrieben werden? Wie schreibt man über etwas, das ohne Wörter geliefert wurde? Man sagt, Dino Saluzzi baue musikalische Brücken, doch ich denke, dass er sie pulverisiert. Wenn Saluzzi sagt, die Musik sei eine Brücke, heißt das, dass wir weder Brücke noch Schilder brauchen, die uns die richtige Richtung zeigen. Die Musik erfordert tiefste Ehrlichkeit zu uns selbst. In den Stücken Los recuerdos, Media noche und Donde nací findet sich ein immer gleiches Motiv in der musikalischen Form einer huella. Diese kurze, harte Kadenz taucht auf, als wäre sie auf der Suche. Wenn sie am Ende des letzten Stückes zum letzen Mal erscheint, weiß man, dass sie ihren richtigen Platz gefunden hat oder als wäre sie sich bewusst, dass ihre Zeit bald zu Ende geht. Die Resonanz des letzten Akkords bleibt schwebend in der Luft, ebenso wie sich das Gedächtnis dem Leben zur Verfügung stellt.

Dino Saluzzi: Imágenes

Horacio Lavandera, Klavier

ECM, 2015

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[Bildquelle: Booklet]

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