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Espero tua (re)volta – Ein Film von Eliza Capai über die Schüler- und Studentenbewegung in São Paulo

Gabi Töpferwein | | Artikel drucken
Lesedauer: 4 Minuten

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Wenn sie die Schulen schließen, legen wir die Stadt lahm.

Das Wichtigste gleich zu Beginn: Sehen Sie sich diesen Film an.

Espero tua (re)volta ist kurzweilig und informativ, der Film macht Hoffnung und gleichzeitig auch unglaublich wütend. Die Regisseurin und Autorin Eliza Capai lässt drei junge Paulistanos ihre Geschichte erzählen, oder, um genau zu sein, zwei Paulistanas und einem Paulistano: Nayara Souza, Marcela Jesus und Lucas „Koka“ Penteado. Die drei sind in der Schüler- und Studentenbewegung aktiv und ihre Geschichte ist nicht zuletzt die einer Jugendrevolte.

Die Erzählung beginnt im Jahr 2013. In São Paulo wird eine Erhöhung der Bustickets um umgerechnet 5 Cent beschlossen. In der Folge kommt es zu starken Protesten von Schülern und Studenten, die eine Rücknahme der Preiserhöhung forderten. Diese mag uns läppisch vorkommen, für die Ärmsten in der Metropole sind diese fünf Cent existenzbedrohend. Die 17-jährige Marcela Jesus erklärt das sehr anschaulich, als sie vom „echten Leben“ in São Paulo berichtet. Für ihre Familie hieß das bisher nicht selten eine einfache Entscheidung zu treffen: Essen oder Miete. Für beides reichte oft das Geld nicht. Die Massenproteste, an denen die Schüler und Studenten maßgeblich beteiligt sind, haben schließlich Erfolg.

Zwei Jahre später folgt dann die Entscheidung, 93 Schulen zu schließen und die etwa 200.000 betroffenen Schüler umzuverteilen. Das zielte letztlich auf die Schwächung öffentlicher Schulen, größere Klassen bedeuten eine Senkung des Schulniveaus, was die Bildungschancen vor allem von Schülern aus ärmeren Familien weiter verschlechtern würde. Das ist den Schülern sehr schnell klar, und so kommt es zu neuen Protesten. Zunächst gibt es vereinzelte Schulstreiks, doch schließlich nehmen sich erste Schulen ein Beispiel an der „Revolution der Pinguine“ in Chile. Die ersten Schulen werden von den Schülern besetzt, auf dem Höhepunkt der Proteste blockieren die Schüler etwa 200 Schulen. Die besetzten Bildungseinrichtungen erweisen ich als wahre Schulen der Demokratie: Alle Entscheidungen werden gemeinsam getroffen, es gibt Diskussionsrunden zu Themen wie Sexismus und Rassismus, die im normalen Unterricht keine Rolle spielen. Und für die Aufrechterhaltung des gemeinsamen Lebens sind alle verantwortlich, was auch heißt, dass auch die Jungen in der Küche eingesetzt werden.

Vom ersten Moment an, war da etwas ganz Neues. So etwas hatte ich noch nie erlebt: Eine Gemeinschaft, in der alles möglich war, wo ich frei wählen konnte, was ich sein wollte. Und das tat ich auch.

Als die Aufmerksamkeit der Medien nachlässt, werden die Aktionen nach draußen, auf die Straße getragen. Es kommt zu Demonstrationen und Straßenblockaden. Den Demonstrationen und Blockaden begegnet die Militärpolizei zunehmend mit Gewalt, die Schüler werden verprügelt und verhaftet. Dieses brutale Vorgehen gegen Kinder und Jugendliche stößt in der Bevölkerung auf wenig Verständnis, und als Gouverneur Geraldo Alckmin seine Zustimmungswerte sinken sieht, rudert er zurück. Er verkündet die Aussetzung der Reorganisation der Schulen. Der Bildungsminister, der sich nach eigener Aussage für das Niveau der öffentlichen Bildung schämt, tritt zurück.

Doch dann ändert sich alles in einer Weise, die die ProtagonistInnen des Films niemals für möglich hielten. Die Schüler- und Studentenbewegung, die nach ihren Erfolgen von 2013 und 2015 glaubt, sie könne alles gewinnen, muss schnell erkennen, dass dies ein Trugschluss ist. Im Jahr 2016 erfolgt die Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff. Michel Temer, der die Macht übernimmt, friert umgehend das Bildungsbudget ein. Die erneuten Protesten schlägt die Militärpolizei mit äußerster Brutalität nieder. Brutale Zwangsräumungen der inzwischen 1.000 besetzten Schulen und Universitäten werden zur Normalität, den Sicherheitskräften ist der Gebrauch von Waffen ausdrücklich erlaubt. Im Jahr 2019 wird mit Jair Bolsonaro ein Rechtsextremer Präsident. Er verkündet nach seiner Wahl, er werde die Proteste in Brasilien stoppen.

Die von der Polizeigewalt traumatisierte Marcela stellt fest, sie hätte eigentlich aufhören sollen. Doch sie tat es nicht, ebenso wenig wie Nayara und Lucas. Der politische und menschliche Reifeprozess der drei kann in diesem Film gut nachvollzogen werden. Wir erleben den Spaß (Studentenbewegung ist aber auch Party), die Ernsthaftigkeit, die Zweifel und die Angst der jungen Akteure, die lernen müssen, sich für ihre Rechte selbst einzusetzen. Inzwischen geben die drei ProtagonistInnen ihre Erfahrungen an Jüngere weiter, voller Hoffnung, dass mehr und mehr Brasilianer erkennen, dass Widerstand für die ganze Gesellschaft wichtig ist.

Espero tua (re)volta

Regie: Eliza Capai. 95 Min.

Brasilien 2019

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Bildquelle: [1] Snapshot

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