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de Santis, Pablo: Die Übersetzung

Gabriele Eschweiler | | Artikel drucken
Lesedauer: 3 Minuten

Die Sprache des Acheron

Als der Keramikleuchtturm von seinem Schreibtisch fallt und in unzählige Stücke zerbricht, werden in dem Übersetzer Miguel De Blast Erinnerungen an einen Übersetzer-Kongress wach, die allerdings – so warnt er gleich zu Anfang – genauso bruchstückhaft sein können wie das von ihm notdürftig zusammengeflickte Andenken an Puerto Esfinge. Das Bruchstückhafte, Unvollendete oder Unvollendbare beherrscht dann auch die Motivik des Romans.

Der Kongress hatte fünf Jahre zuvor stattgefunden. Schon die Unwirtlichkeit des Ortes an der argentinischen Atlantikküste und die Tatsache, dass das Hotel del Faro ein halbfertiggestellter Bau war, lassen nicht viel Gutes erwarten. Unter den Kollegen, die zu dem Kongress erscheinen, sind namhafte Experten auf dem Gebiet der Geheimsprachen, darunter auch einige alte Bekannte von De Blast. Insbesondere freut er sich über ein Wiedersehen mit Ana, einer alten Liebe, die er damals an seinen Rivalen und mittlerweile zum Star im Literaturbetrieb avancierten Silvio Naum verloren hatte. Die junge Journalistin Ximena, die für die lokale Presse über den Kongress berichtet, stellt zwischen den Konferenzteilnehmern und den Einheimischen das Verbindungsglied dar und erfüllt eine Beobachterfunktion. Ihr fällt auch die unerfreuliche Aufgabe zu, das erste Todesopfer zu entdecken. Die Tagung ist spätestens ab diesem Moment zum Scheitern verurteilt und erinnert in diesem an die Erzählung „Der Kongress“ (1975) von Jörge Luis Borges. Das eigentliche Kongressgeschehen rückt mehr und mehr in den Hintergrund, und die Atmosphäre wird zusehends klaustrophobisch -ähnlich wie in zahlreichen Kriminalgeschichten von Agatha Christie, in denen in geschlossenen Räumen Verbrechen aufzuklären sind. Die vordringliche Frage, die sich alle stellen, ist, ob einer der Übersetzer der Mörder ist.

Als De Blast zusammen mit Ximena ein zweites Mal den Schauplatz des Mordes aufsucht, findet er eine nicht mehr gültige Münze. Auf die erste Bluttat folgen zwei weitere und auch bei deren Opfern werden die gleichen Münzen entdeckt. Besteht hier ein Zusammenhang zu dem Fährmann Charon aus der griechischen Mythologie, dem für das „Übersetzen“ der Seelen der Verstorbenen über die schlammige Flut des Acheron ins Reich der Toten ein Obolus in Form einer unter die Zunge gelegten Münze zu entrichten war?

Am Ende scheint Miguel De Blast dem Geheimnis auf die Spur gekommen zu sein, gibt sein Beweisstück jedoch wieder aus der Hand und lässt es dabei bewenden.

Mit diesem Roman hat der Argentinier Pablo De Santis eine gelungene Mischung aus unterhaltsam spannender, zugleich unkonventioneller Kriminalliteratur und anspruchsvollen Gedanken zum Thema Sprachen und ihre Übertragbarkeit vorgelegt.

Pablo De Santis, geboren 1963 in Buenos Aires, ist der Verfasser zahlreicher Kinder- und Jugendbücher sowie Comic-Szenarios. Mit seinem Roman Filosofia y Letras (1998) schaffte er den internationalen Durchbruch.

Pablo De Santis: Die Übersetzung, Aus dem Spanischen von Gisbert Haefs, Unionsverlag Zürich 2000.

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