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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Gruppe der Hundert – Lateinamerikanische Umwelt-Allianz

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Lesedauer: 6 Minuten

Vorschlag an die 19 lateinamerikanischen Präsidenten anläßlich des ersten Iberoamerikanischen Gipfel in Guadelajara (Mexiko), übergeben durch Gabriel Garcia Märquez und Homero Aridjis.

„Ein Jahr bevor die 500 Jahre der Begegnung zweier Welten und zweier Naturen sich vollenden, einige Jahre vor dem Ende des 20. Jahrhunderts und des 2. Jahrtausend befindet sich die Erde in der schlimmsten ökologischen Krise ihrer Geschichte, einer Krise, die nicht nur das Leben lausender Pflanzen und Tiere aufs Spiel setzt, sondern auch selbst das Überleben der Menschheit. Darum soll weder das Thema der Umwelt in der Versammlung der 19 Präsidenten der lateinamerikanischen Länder beiseite geschoben werden, noch dürfen unsere Nationen von den globalen Entscheidungen zum Schutz des Naturerbes der Menschheit ausgeschlossen werde. Um deutlicher zu sein: wir Männer und Frauen der Literatur aus Lateinamerika schlagen unseren Staatsoberhäuptern vor, eine lateinamerikanische ökologische Allianz auf möglichen Gebieten der Zusammenarbeit zu bilden, mit dem Zweck des Schutzes und der Erhaltung der biologischen Vielfalt unserer Länder.

Wir wissen,

  • daß fast die Hälfte der tropischen Wälder der Welt verschwunden sind,
  • daß die Erde zwischen 16 und 20 Millionen Hektar Waldes jährlich verliert,
  • daß jede Stunde eine Spezies ausstirbt,
  • daß um das Jahr 2000 drei Viertel des tropischen Waldes Amerikas vernichtet sein werden,
  • daß möglicherweise 50% aller Lebensformen verloren gehen werden.

Wir werden in etwas mehr als 40 Jahren alles zerstören, was die Natur in Millionen Jahren geschaffen hat. Es sind folgende Fragen zu stellen: Haben die tropischen Regenwälder eine Zukunft? Haben wir und die Welt eine Zukunft? Die Folgen der Zerstörung der Naturressourcen und die Schäden der Umwelt sind schon ein Teil des lateinamerikanischen Bewußtseins und es gibt keine Nation auf unserem Kontinent, die vor den widrigen Auswirkungen fliehen kann. Lateinamerika hat vieles zu retten:

  • Es besitzt 58 % (Brasilien allein 33%) der 900 Mio. Hektar des tropischen Waldes der Erde,
  • Panama besitzt so viele Pflanzenarten wie ganz Europa,
  • das peruanische Reservat von Tambopata ist das reichste Vogel- und Schmeterlingshabitat der Welt,
  • die Pflanzen und Tiere, die in Tepuis (Venezuela) leben, sind wahre Naturschätze,
  • der Lacandon-Regenwald ist der größte feuchte tropische Wald Nordamerikas,
  • durch das Amazonasbecken fließt jeden Tag nicht nur ein Fünftel des Süßwassers der Erde, sondern in seinen Regenwäldern befindet sich auch ein Fünftel der Vogelarten unseres Planeten,
  • Mexiko und Kolumbien sind zwei der vier reichsten Länder der Welt an Flora und Fauna.

Wir sind uns der Vielfältigkeit der Umweltproblematik und der schwierigen Wirtschaftssituation unserer Nationen bewußt. Darum wollen wir unsere Vorschläge in vier Punkten konkretisieren. An aller erster Stelle steht der Schutz unserer tropischen und nichttropischen Wälder, bedroht von der vollständigen Zerstörung, angefangen bei den Lengawäldern des Feuerlandes (Chile) bis hin zu den Urwäldern des Chihuahuagebirges (Mexiko).

Einer der Beschlüsse zur Kooperation, der während des Guadalajaratreffens vorbereitet werden könnte, ist der eines Amazonas – Vertrages zwischen den südamerikanischen Ländern, die das reichste komplexe Ökosystem der Erde sowie die breiteste genetische Bank teilen. Schon die Wahrscheinlichkeit, dieses Naturerbe der Menschheit und besonders das der lateiamerikanischen Völker in Rauch und Heuboden verwandelt zu sehen, scheint uns unerträglich. Ein ökologischer Verlust dieser Größe wird ein Desaster für den ganzen Planeten, denn das Leben kennt keine Grenzen. Mexiko und Guatemala teilen den Usumacinta-Fluß und den großen tropischen Regenwald, der Chiapas und El Peten bedeckt sowie die wertvollen Spuren der Maya-Kultur. Während der Blütezeit dieser Kultur, im ersten Jahrtausend unserer Zeit, war der Usumacinta eine wichtige Verbindung und die Städte an beiden Ufern herrschten über weite Gebiete. Um die Erhaltung der Umwelt in dieser Zone zu sichern, die die der Gefahr der totalen Zerstörung ausgesetzt ist, sollte ein binationaler öko-archeologischer Park geschaffen werden, der beide Seiten des Flußufers erfaßt. Dieser Park würde als Modell dienen, damit in den Amerikas geteilte Projekte in Grenzzonen entstehen und die schon existenten Erhaltungsprogramme ergänzen, wie das des Biosphäre-Reservates Montes Azules.

Die interamerikanische Umweltkooperation muß ein erstrangiges Ziel unserer Nationen sein, um die Lebensvielfalt zu erhalten und zu schützen. Im Rahmen dieser Kooperation sollte eine Vereinbarung getroffen werden, die die Wanderrouten der Seeschildkröte schützt, denn wenn keine Nation sie wirksam erhalten kann, so reicht aber eine einzige sie auszurotten. Ein Basisabkommen müßte der Wandernatur der Seeschildkröte den Ostpazifik (von Chile bis Mexiko) und an den karibischen und atlantischen Küsten entlang, gerecht werden. …

Bezüglich der Wandervögel: der am meistens bevölkerte Flugweg Amerikas verläuft durch den Osten Mexikos, kreuzt Mittelamerika und mündet am Amazonas. Eine enorme Konzentration von Vögeln folgt diesem Weg jedes Jahr. Ein anderer wichtiger Korridor führt von der pazifischen Seite Kanadas hinunter und es gibt manche Arten, die bis hin zum Süden Chiles und nach Argentinien ziehen. Es gibt kein lateinamerikanisches Land, wo keine große Vogelwanderung geschieht, wie die der Wanderdrossel, des Wanderfalken, der hellen Blaufederkrickente, des großen Wanderadlers, des Playeros, des Zarapatas. Beunruhigt von der Gefahr der Ausrottung der biologischen Vielfalt unseres Kontinents, bitten wir die Präsidenten Lateinamerikas um den Schutz der Wandervögel durch die Förderung von Reservaten in den Ländern, durch die die Wanderungen führen oder die etwaiges Ziel dieser Vogelarten sind, unter der Bedingung, dass jedes Land selbst über die Realisierung entscheidet. Die zu schützenden Lebensräume sind feuchte Gegenden, Inseln, Wälder, Grasweiden, Wüsten und Strande.

Jedes Jahr werden Tonnen giftigen Abfalls in Lateinamerika abgeladen, das sich in einen bevorzugten Ort der Überführung gefährlichen Mülls von Gesellschaften aus den USA, Europa und Japan verwandelt hat. 78 % des Abfalls kommen aus den USA. Die häufigsten Bestimmungsorte für den Müll sind die Länder der Karibik, Zentralamerika, Brasilien, Argentinien und Mexiko, Länder, die schon genug Probleme mit dem eigenen Müll haben, werden noch durch fremden Müll heimgesucht. Der größte Teil des Mülls besteht aus nuklearem Abfall, chemischen Substanzen, giftigen Flüssigkeiten, Verbrennungsrückständen, Resten von Mineralien, Schmiermitteln, Farbstoffen und Klärschlamm. Dieser Typ des Handels nimmt zu; oft wird unter dem Deckmantel des Recycling und meist unerlaubt durch giftige Rückstände die Umwelt belastet. Auf diese Weise werden. das menschliche Leben und die physische Gesamtheit unserer Fauna und Flora für Jahrzehnte gefährdet. Auf Grund der Schwierigkeit, die Menge, die Art und das Endziel des Mülls zu kontrollieren, fordern wir auf dem gesamten Kontinent das Verbot des Handels im grenzüberschreitenden Verkehr für giftige und nukleare Abfälle sowie nationale und internationle Gesetzesfestlegungen gegen diese Aktivitäten. Unsere Gesetzgebungen und Normen müssen den strengsten Bestimmungen der hochentwickeltem Länder entsprechen. Wir müssen dafür sorgen, daß sich Lateinamerika nicht in eine Giftmüllhalde der industriellen Welt verwandelt. Herren Präsidenten:

Wir sind Teil eines globalen Problems, das globale Lösungen verlangt. Wir müssen eine Umweltpolitik definieren, die unsere reiche Artenvielfalt effizient schützt. Wir sind sicher, daß Ihr Zusammenwirken eine lateinamerikanische Umweltallianz herbeiführen wird und die politische Entscheidung, die diese in einer jeden Nation begleiten wird, eine Maßnahme sein werden, die den gegenwärtigen und künftigen Generationen der Lateinamerikaner nutzen und ein Beispiel sein wird, dem andere Staatschefs anderer Kontinente folgen werden. Die Umwelt ist ein Thema, das in einer Agenda eingeschlossen sein muß, in der die Zukunft des menschlichen Seins debatiert wird.“

Zu den Unterzeichnern gehören u.a.: Octavio Paz, Jorge Amado, Gabriel Garcia Marquez, Juan Carlos Onetti, Carlos Fuentes, Luis Cardoza y Aragon, Mario Benedetti, Ernesto Sabatto, Augusto Roa Bastos, Nicanor Parra

aus: El País, Madrid 21.07.92

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