Die Vernichtung der tropischen Regenwälder ist nicht nur ein Problem für Lateinamerika. Weltweit sind die letzten Naturwälder – also auch in Kanada und Sibirien – von der Ausrottung bedroht. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es seit Jahren auf den verschiedensten politischen Ebenen Bemühungen um den Schutz der Tropenwälder. Die Regenwaldvernichtung ist ein Ökozid bisher unbekannten Ausmaßes, der inzwischen zu einem breiten Bündnis politischer Kräfte geführt hat, die sich dem Schutz der tropischen Regenwälder und ihrer Bewohner verschrieben haben Die historischen Wurzeln des Entwaldungsprozesses reichen 500 Jahren zurück und es scheint, als fände er erst mit der restlosen Abholzung sein Ende. Der Boden, den Kolumbus vor fünf Jahrhunderten betreten hat, war mit tropischen Regenwäldern bedeckt. Was er aus Europa mitbrachte, war ein ökologisches Erbe, das bis heute nachwirkt. Die im biblischen Schöpfungsmythos wurzelnde zwanghafte Vorstellung von der Beherrschung und Unterwerfung der Natur hat sich materiell wie geistig niedergeschlagen. Die ausgedehnten europäischen Wälder waren bereits im 16. Jahrhundert rücksichtslosen Rodungen zum Opfer gefallen. Im Europa des 15. Jahrhunderts herrschte eine geistige Atmosphäre ausgeprägter Angst vor den Naturelementen. Die Wildnis der Wälder galt als Heimstätte böser Geister und Ungeheuer. Zwischen Natürlichem und Menschlichem stand eine Barriere. Das war die Situation, in der die Europäer expandierten. Mit der in den Tropen vorgefundenen Artenvielfalt und der von den Einheimischen praktizierten, Lebens- und Wirtschaftsweise konnten Kolumbus und seine Männer nichts anfangen. Um nicht zu verhungern, importierten sie europäische Pflanzenarten und Pflanzsysteme sowie Tiere, die sich bald als Belastung der sensiblen Ökosysteme erwiesen. Der Import kastilischer Lebens-, Ernährungs- und Wirtschaftsweise schien den Eroberern selbstverständlich. Die Eingeborenen galten in ihrer Arglosigkeit und Hilfsbereitschaft als willige Diener und Objekte der europäischen Zivilisation. Auch das Grundmuster, Gehorsam mit Gewalt zu erzwingen, war zutiefst in der kulturellen Tradition der Eroberer verankert.
Die Kolonialgeschichte beginnt, indem die „Neue Welt“ in die „Alte Welt“ verwandelt wird. Es bleibt zu fragen, ob es je einen Abschied von diesen Akkulturationsbestrebungen gegeben hat. Kolumbus war ein heimatloser Geselle ohne familiäre Bindungen, ohne inneren Halt. Er glaubte sich von Gott auserwählt. Doch wie steht es um unser Seelenheil? Wo sind unsere Wurzeln, unsere Orientierungen? Selbst unsere helfenden Gesten haben oftmals noch den Touch des Allwissenden.
Heutige Entwicklungspolitik scheint sich von der Idee kultureller Überlegenheit wenig entfernt zu haben
Betrachtet mensch die deutsche Entwicklungspolitik im Bereich des Tropenwaldschutzes, gewinnt mensch den Eindruck notdürftigen Flickwerkes auf der Grundlage scheinbar unumstößlicher Entwicklungsideologien. Und dies, wo längst nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand über das Scheitern der reinen Wachstums- und Modernisierungsstrategien geredet wird. Es fällt schwer, als Entwicklungshilfe zu akzeptieren, was das Geberland unwesentlich belastet und von seinen außenwirtschaftlichen und außenpolitischen Ambitionen geleitet wird.
„Entwicklung“ heißt die Heilige Kuh, in deren Namen scheiternde Projekte und ökologische Verwüstungen entschuldigt werden. Auch die Tropenwaldpolitik macht da keine Ausnahme. Im Mai 1990 legte die Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre“ des Deutschen Bundestages ihren 2. Bericht zum „Schutz der Tropenwälder“ vor. Die mehrheitlich aus Mitgliedern der Regierungsparteien zusammengesetzte Kommission empfahl der Bundesregierung im wesentlichen eine Fortsetzung der tradierten Strategien mit wesentlich aufgestockten finanziellen Mitteln. Die SPD und Die Grünen haben ihre Einsprüche geltend gemacht.
Die Verantwortung der Industrieländer
Die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen werden von der Kommissionsmehrheit nicht als die eigentlichen Ursachen der Waldvernichtung reflektiert. Derartige Veränderungen, die einen effektiven Tropenwaldschutz langfristig gewährleisten würden, laufen den ordnungspolitischen Vorstellungen von CDU/CSU und FDP zuwider. Stattdessen wird die Stärkung der unternehmerischen Initiativen und des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs in den Entwicklungsländern präferiert. Die Konditionierung von Entwicklungshilfe mit der Entscheidung für eine ökologisch orientierte Soziale Marktwirtschaft scheint angesichts der jüngsten Entwicklungen im Umweltschutzbereich der Bundesrepublik ziemlich makaber. Oppositionsparteien und Nichtregierungsorganisaionen (NRO) fordern hingegen seit langem eine Umkehr des wachstumsorientierten Wirtschaftsmodells, eine Neuorientierung der Entwicklungszusammenarbeit und deutsche Initiativen für eine wirkungsvolle Entschuldung. So ist es sicherlich kein Zufall, daß Brasilien, Mexiko, Indien und Indonesien zu den größten Schuldnerländern gehören und gleichzeitig die höchsten Waldvernichtungsraten aufweisen. Solange in den Industriestaaten auf der Grundlage eines immensen Rohstoffverbrauchs ein Lebensstil jenseits aller vernünftigen Dimensionen „gepflegt“ wird, können mit Entwicklungshilfe nur die Löcher geflickt werden, die durch unser eigenes Verbraucherverhalten und die außenwirtschaftlichen Aktivitäten deutscher Unternehmen erst gerissen werden. Dabei befinden sich die Tropenholzhändler in illustrer Gesellschaft: Agroindustrie, Mineralölgesellschaften, Stahlproduzenten und andere mischen kräftig mit. Dabei werden die entsprechenden Unternehmen nicht müde, ihre Wirtschaftstätigkeit als „Hilfe“ zu deklarieren und ihr Engagement für den Umweltschutz herauszustellen. Dazu als Beispiel Auszüge aus einem Antwortschreiben der Elf Mineralöl GmbH vom 22.1.93 auf meinen schriftlichen Protest gegen deren umweltverschmutzende Praktiken im ecuadorianischen Regenwald: „Die Elf-Gruppe ist (…) eine Mineralölgesellschaft und Sie werden verstehen, daß wir nicht die Absicht haben, unsere Haupt-Geschäftstätigkeit einzustellen.“ Daß es bei der Erdölförderung nicht immer sauber zuginge, entspreche den Tatsachen, aber die Elf-Gruppe „verfügt über diese sauberen Technologien“, die dabei im Sinne nachhaltiger Entwicklung wohlwollend transferiert werden. Unter Berufung auf das in Rio verabschiedete Protokoll, das jedem souveränen Staat das Recht zur Erschließung seiner Bodenschätze zugesteht, heißt es weiter: „Das Land und seine Bewohner stehen (…) vor der Notwendigkeit, dieses Öl zu fördern und sie werden es ganz sicher weiter tun – ob mit oder ohne unsere Hilfe.“ Wir sollten nicht jede Form von Entwicklung „unter negativen Aspekten“ betrachten, die Elf-Gruppe sehe ihre Aufgabe im Gestalten und nicht im Verhindern von Entwicklung.
Nachhaltige Forstwirtschaft
Der mit dem Ziel des Tropenwaldschutzes initiierte Tropical Forestry Action Plan (TFAP), über den die meisten Geberländer ihre für die Forstwirtschaft bestimmten Entwickungshilfegelder leiten, hat sich inzwischen als sozial und ökologisch schädlich erwiesen. Die Umsetzung der Pläne hat in vielen Tropenländern zu einer wesentlichen finanziellen Stimulierung der Forstwirtschaft geführt. Bei der Planung und Durchführung sind die lokale Bevölkerung und NRO kaum einbezogen worden. Umweltorganisationen schätzen ein, daß der TFAP eine Beschleunigung der Waldvernichtung mitverantwortet. Während die Regierungsparteien und die Bundesregierung grundsätzlich an dem Plan festhalten wollen und nur die Notwendigkeit von Umstrukturierungen im Management sehen, fordern Opposition und NROs seit langem erfolglos ein Moratoriuni über die TFAP-Zahlungen. Die Idee der „nachhaltigen Forstwirtschaft“ zieht sich wie ein roter Faden durch TFAP, die International Tropical Timber Organisation (ITTO), die Walderklärung der UN-CED von Rio de Janeiro, das „Pilot-programm zur Bewahrung der brasilianischen Regenwälder“ der G 7 und natürlich auch durch die Diskussionen innerhalb der Regenwaldbewegung. Es offenbart sich ein generelles Manko: die Bestimmung des Nachhaltigkeitsbegriffes macht ohne Inhaltsangaben keinen Sinn. Während Forstleute von „nachhaltigem Ertragsmanagement“ (bezogen auf Holz) reden, meinen Umweltschützer die Nachhaltigkeit der Ökosysteme. Daß die deutsche Tropenholzlobby bei der Enquete-Kommission und der Bundesregierung gute Arbeit geleistet hat, läßt sich ohne Schwierigkeiten erkennen. Die Kommissionsmehrheit hält eine „nachhaltige Forstwirtschaft in weiten Teilen tropischer Wälder (…) für prinzipiell möglich“. Bei „entsprechend sorgfältiger Vorgehensweise“ sei die selektive Holznutzung möglicherweise die „einzige nachhaltige Nutzungsweise tropischer Feuchtwälder“. Mit der Nachhaltigkeitsdebatte in unmittelbarem Zusammenhang steht die Frage der Importrestriktionen. Von Oppositionsparteien und NRO wird ein Importverbot gefordert, bis eine Einigung über die Kennzeichnung von Hölzern aus nachhaltiger Bewirtschaftung und entsprechende Kontrollmöglichkeiten erzielt sind. Die Kommissionsmehrheit und auch die Bundesregierung folge in ihrer Argumentation der Holzwirtschaft: ein Importverbot schade den Exportländern, die Bevölkerung begreife die Notwendigkeit des Waldschutzes nur, wenn aus der Nutzung des Waldes auch Gewinn gezogen werden könnte.
Derart utilitaristisches Denken war schon Kolumbus eigen. Inzwischen hat die Branche der Tropenholzhändler mit der Verabschiedung eines auf freiwilliger Selbstverpflichtung beruhenden Verhaltenskodex die Flucht nach vorne angetreten. „Zufällig“ gelangten aber interne Papiere des Vereins Deutscher Holzeinfuhrhäuser in die Hände des Vereins „Rettet den Regenwald“ in Hamburg. Aus denen läßt sich entnehmen, daß die Holzhändler selbst nicht an die Umsetzbarkeit nachhaltiger Holznutzung glauben. Es soll lediglich erreicht werden, „daß die Grünen etwas beruhigt sind“. Seit 1989 haben ca. 140 Organisationen das Regenwald-Memorandum unterzeichnet.
Es geht um das Ende des Raubbaus an den verbliebenen Primärwäldern und den Schutz der Lebensräume der indigenen Waldvölker
Die Auswirkungen der Waldvernichtung auf die Klimaregulation der Erde sind bereits heute offenbar. Es ist klar, daß dringend ein Maßnahmepaket zum Tragen kommen muß, das der Verantwortung der Industriestaaten in weit größerem Umfang als bisher Rechnung trägt. Bis jetzt ist der Regenwaldbewegung kehl Durchbruch gelungen. Es ist zu hoffen, daß die Phase der Orientierung und des Kraftschöpfens in der Bewegung nach der Regenwälder-Kampagne ’92 bald abgeschlossen ist und das Thema der Regen- und Naturwälder generell wieder auf die Tagesordnung gesetzt wird.