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Lateinamerika: Eine neue Welle, aber welche?

Redaktion | | Artikel drucken
Lesedauer: 4 Minuten

Noticias_Lateinamerika_Bild_Quetzal-Redaktion_gcZuletzt am 13. Oktober 2019 sind tausende Protestler in Haïtis Hauptstadt Port-au-Prince gegen Präsident Jovenel Moïse auf die Straße gegangen und haben seinen Rücktritt gefordert. Bei früheren Demonstrationen fanden 17 Personen den gewaltsamen Tod. Ähnliches zeigte sich in den Straßen Quitos, wo sich Präsident Lenín Moreno auf den Druck der Straße hin gezwungen sah, die Regierung aus Quito in die etwas ruhigere Stadt Guayaquil umzuziehen, ohne dabei auf eine exzessiv brutale Antwort den Demonstranten gegenüber zu verzichten. Auch hier wurden Personen getötet und mehr als 1.300 verletzt. Nachdem die Demonstranten Regierungsgebäude besetzt hatten, verhängte Moreno eine Ausgangssperre. Schließlich erfüllte er die Forderung insbesondere der indígena-Organisationen, jenes Dekret zurückzunehmen, mit dem auf Druck des IWF die staatlichen Subventionen für Treibstoff abgeschafft worden waren. Ob das aber für eine längerfristige Beruhigung der Situation reicht, ist ungewiss. In Perú löste der „einsame“ Präsident Martín Vizcarra den Kongress auf, der von einer Partei angeführt wurde, die gegenüber dem früheren autoritären Regenten Alberto Fujimori und dessen Tochter Keiko loyal ist. In Argentinien, mehrfach von Generalstreiks erschüttert, ist es ein offenes Geheimnis, dass die jetzige rechtskonservative Regierung unter Mauricio Macri die nächsten Wahlen nicht überdauern wird. In Venezuela (bzw. Barbados) sind die von Norwegen initiierten Versöhnungsgespräche zwischen Präsident Nicolás Maduro und Oppositionsführer Juan Gaidó gescheitert. Ein Ende der „presidential crisis“ ist nicht in Sicht. Über 80 % der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Etwa ein Drittel ist geflüchtet, viele von ihnen zu Fuß. Das Land liefert kein Erdöl mehr zum Vorzugspreis. Nun könnten sich auch die wenigen noch verbliebenen Alliierten von ihm abwenden. Die Angst, dass Sanktion zur Intervention wird, bleibt akut. In Honduras „beging“ man im Juni des Jahres den zehnten Jahrestag des Staatsstreiches gegen Hoffnungsträger Manuel Zelaya. Seitdem gilt das Land als Paradebeispiel eines Narco-Staates. Nun hat gar die New Yorker Staatsanwaltschaft festgestellt, dass Präsident Juan Orlando Hernández für seine Wahlkampagne 2013 mehr als eine Million Dollar von den mexikanischen Narcos erhalten hat, die damit ihren „Schutz vor Verfolgung“ erreichen wollten. Die Nachrichten von August und September über Protestdemonstrationen (u.a. gegen die Privatisierung des Gesundheits- und Bildungssystems) gegen die Regierung und deren repressive Antwort darauf sind allen noch im Gedächtnis. Wie ist die Welle all dieser Ereignisse politisch einzuordnen? In Lateinamerika, das in seiner stürmischen und opferreichen Geschichte jeweils dreimal von Autoritarisierungs- und Demokratisierungswellen erfasst wurde, um dann zum Ort einer linken pink tide zu werden, die ihrerseits von einer Welle rechtskonservativer Regierungen (etwa Jair Bolsonaro in Brasilien, Mauricio Macri in Argentinien oder auch Lenín Moreno in Ecuador) abgelöst wurde, ist nun eine neue Welle aufgeschlagen. Mehrere Ursachen wirken hier zusammen: das weltweite Sinken der Ölpreise, die Verringerung des wirtschaftlichen Wachstums bei einer massiven Steigerung der Rate absoluter Armut (seit 2008) und die Erhöhung der Verschuldung, aber auch Drogen- und andere Korruptionsgeschäfte, ob bei linken oder rechten Präsidenten, und das alles im Kontext, soweit überhaupt vorhanden, schwacher demokratischer Institutionen. Ja, es ist eine neue Welle, die sich da über den Subkontinent ergießt. Eine Welle der Krisen? Gewiss. Nur das? Gewiss nicht. Eine (vor)revolutionäre Welle? Beileibe nicht. Also pure lateinamerikanische Normalität? Wohl auch nicht. Nennen wir diese Welle vorläufig: Welle der Rebellionen im Ebbstrom der linken oder/und rechtskonservativen Tiden. Aber Obacht! Denn, wie Wikipedia unter dem Stichwort „Ebbe“ schreibt: „Gerät ein Schwimmer in einen Ebbstrom, kann er von diesem weit ins Meer hinausgetragen werden. Wenn er dort nicht Hilfe findet oder aus eigenen Kräften zurückschwimmen kann, kann er ertrinken.“ (Bildquelle: Quetzal-Redaktion, gc)

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