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Rosende, Mercedes: Ursula fängt Feuer

Gabriele Eschweiler | | Artikel drucken
Lesedauer: 4 Minuten

Alles auf Anfang

Nach den turbulenten Ereignissen in den ersten drei Romanen um die uruguayische Hobbykriminelle Ursula López handelt der vierte Teil „Ursula fängt Feuer“ im Wesentlichen von ihrer Flucht nach Brasilien. Die leere Zeit auf der langen Busfahrt von Montevideo nach Chuy/Chuí, wo die Grenzen zweier Länder kurioserweise mitten durch den Ort verlaufen, füllt Ursula mit Reflexionen über ihre Vergangenheit, aber auch über eine sorglose Zukunft, die sie sich – nun endlich eine reiche Frau – rosig ausmalt und von der sie sich ebenso erhofft, dass sie ihre traumatischen Kindheitserinnerungen ein für alle Mal abschütteln kann. Augenscheinlich mit leichtem Gepäck unterwegs ist Ursula in Wirklichkeit jedoch mit ihrer Vorgeschichte, die unaufhörlich in ihre Gegenwart hereinbricht, schwer beladen.

All ihre Komplexe, Ängste, Neurosen, die Wut, die sie sogar morden lässt, die Klaustrophobie, ihr Neid und ihre Minderwertigkeitsgefühle kann sie nicht ablegen, ganz egal wie weit sie reist. Sie hofft inständig, insbesondere ihrem Vater, der sie über seinen Tod hinaus unerbittlich weiter verfolgt und nach wie vor mit verletzenden Worten herabzusetzen weiß, zu entrinnen: „Ich werde dieses zahnlose Höllenmaul durchqueren, bis ich meine Zuflucht erreiche, wo ich vor der Vergangenheit, die unnachgiebig ihre Schlinge nach mir auswirft, geschützt bin.“ Ursula flieht somit nicht nur vor der Polizei und den von ihr geprellten Mitkriminellen, sondern in erster Linie vor sich selbst.

Wie schon in „Falsche Ursula“ nimmt sie auch dieses Mal wieder die Identität einer fremden Person an. Ihr Verlangen eine andere als sie selbst zu sein, spricht sie in „Der Ursula Effekt“ mit klaren Worten an: „Ich bin die Frau, […] die endlich […] eine andere werden möchte“. Dahinter steckt der Wunsch, so der Qual, in ihrer eigenen Haut stecken und ihr Leben führen zu müssen, zu entgehen. Gleichzeitig folgt sie damit aber auch einer in der Welt des Verbrechens gängigen Praxis. Der legendäre Tom Ripley, der aus der Feder der US-amerikanischen Kriminalautorin Patricia Highsmith stammt, begeht unter falscher Identität und mit hoher krimineller Energie kaltblütig zahlreiche Morde. Ähnlich wie Ursula ist auch er ein sehr einsamer und innerlich leerer Mensch, den tiefe Unsicherheit gepaart mit einem starken Verlangen nach sozialer Akzeptanz antreiben. 

Der Originaltitel des Romans „Nunca saldrás de aquí“ (dt.: Da kommst Du nie raus) lässt sich neben der offensichtlichen Bedeutung des Eingeschlossen- oder Gefangenseins auch als der Fluch interpretieren, der auf Ursula lastet. Alle Bemühungen – selbst die drastischsten –, ihr Schicksal zu verändern, missglücken. Weder die Morde an ihrem Vater und ihrer Tante noch das Annehmen der Identität ihrer Namensvetterin haben ihr bisheriges Leben entscheidend verbessert. Das Geld, das ihr ungeplant in die Hände gefallen ist, wird ihr bestimmt auch nicht helfen und die neue Identität, die sie sich unlängst zugelegt hat, hätte sie um ein Haar das Leben gekostet. Alle ihre noch so aberwitzigen Bemühungen scheitern letztendlich daran, dass sie ihren ureigenen Teufelskreis nicht durchbrechen kann, ganz egal welche Wendung ihr Leben auch nimmt. Zwar mag sie dem Phönix aus der Asche gleich auf wundersame Weise mit heiler Haut aus dem geschlossenen Kofferraum eines lichterloh brennenden Autos entkommen, der Tragik ihres verfehlten Lebens hingegen nicht. Den schweren Ballast ihrer unsäglichen Kindheitserinnerungen abwerfen und sich selbst mit all ihren Schwächen, aber auch Stärken endlich akzeptieren zu können, wäre für Ursula ein großer Segen, dessen sie bisher jedoch nicht teilhaftig werden durfte. 

So bleibt es abzuwarten, ob es ihr, die am Ende des Romans recht versöhnliche Töne anschlägt, gelingen wird, den angedachten „Waffenstillstand […] mit dem Leben“ in die Tat umzusetzen, um am Ende mit sich selbst Frieden schließen zu können.

 

Mercedes Rosende

Ursula fängt Feuer

Unionsverlag. Zürich 2025

 


Bildquelle: [1] CoverScan

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