Zu guter Letzt ist das Scheitern vollkommen: Larsen, der Held des abschließenden Bandes von Juan Carlos Onettis Santa-María-Trilogie stirbt, ohne seine ehrgeizigen Ziele auch nur ansatzweise umgesetzt zu haben. Doch selbst dieses Scheitern scheint dem Autor nicht ausreichend zu sein, lässt er seinen Protagonisten doch wieder auferstehen. Nicht einfach damit, dass er mit „Leichensammler“ die Vorgeschichte seines Romans „Die Werft“, erst 1964, also drei Jahre nach diesem veröffentlicht. Nein, er lässt Larsen schließlich in einem späteren Roman tatsächlich aus dem Grabe steigen und setzt damit in besonderer Weise seine Praxis fort, die Geschichten der Bewohner der erfundenen Stadt Santa María in seinen Romanen und Erzählungen weiterzuführen. Aber das ist bereits eine andere Geschichte.
Die vorliegende Geschichte, also „Die Werft“, beginnt mit Larsens stiller, doch nichtsdestotrotz aufmerksam registrierter Rückkehr nach Santa María, in ein wirklich dreckiges Kaff. Fünf Jahre zuvor, nach seinem gescheiterten Versuch, in der Stadt ein Bordell zu betreiben (vgl. Leichensammler), war er aus Santa María verbannt worden. Jetzt wagt er sich zurück, um die Geschäftsführung in der titelgebenden Werft zu übernehmen. Der Unternehmer Jeremías Petrus hat ihm diesen scheinbar lukrativen, gut bezahlten Posten angeboten. Doch Petrus‘ Werft erweist sich als heruntergekommen und marode und ist damit ein Abbild der Stadt Santa María mit ihren bröckelnden Fassaden. Larsen soll das insolvente, schon lange nicht mehr arbeitende Unternehmen wieder flott machen.
Dieses Angebot bietet ihm nicht zuletzt eine Chance, es den Bewohnern von Santa María zu zeigen und sich für die Schmach der Verbannung zu rächen. Und so geht er, das arme Dickerchen, dieser unbegrabene Tote, diese kleine Arbeitsameise, seine neue Arbeit in der Werft unverdrossen an: Er erscheint täglich in seinem Büro, arbeitet für eine allgemeine Bestandsaufnahme alte Akten auf und erträgt die Verachtung seiner Mitarbeiter Kunz und Gálvez, die schon zu viele scheiternde Geschäftsführer kommen und gehen sahen und ungerührt ihren Lebensunterhalt mit dem illegalen Verkauf der Konkursmasse der Werft bestreiten. Larsen braucht die beiden, auch um seine eigenen Illusionen über den Erfolg seiner Arbeit aufrechterhalten zu können; ist ihm doch von Beginn an klar, dass das Ganze eine Farce ist. Es ist ein Spiel, und Sie wie er wissen, dass der andere spielt. (…)Petrus braucht einen Geschäftsführer, damit der Gauner nachweisen kann, dass die Werft nach wie vor funktioniert. Sie wollen Gehaltsgutschriften ansammeln für den Fall, dass eines Tages ein Wunder geschieht… Teil dieses Spiels ist für den Helden auch die Werbung um Angélica Inés, die geistig zurückgebliebene Tochter seines Arbeitsgebers, könnte ihm eine solche Heirat doch den Weg in die bessere Gesellschaft von Santa María ebnen.
Schlussendlich vermag er aber keinen seiner hochfliegenden Pläne umzusetzen, sondern nur noch sein Scheitern anzuerkennen. Zusammengesunken und regungslos saß er jetzt auf dem höchsten Punkt der Welt, mit Bewußtsein im vollkommenen Zentrum der Einsamkeit, die er in längst vergangenen Jahren so oft geahnt und fast gewünscht hatte.
Onetti erzählt seine Geschichte in der für ihn typischen fast distanzierten, sehr verschlungenen Sprache, der man aufmerksam folgen muss, um nicht den Faden zu verlieren. Dabei erweist sich sein Held Larsen als nur ein Gescheiterter in einem umfangreichen Kosmos von Gescheiterten, den der Uruguayer in seinen Texten entwirft. Santa María ist in diesem Kosmos eine heruntergekommene Stadt, bevölkert von heruntergekommenen Bewohnern. Erstaunlich an einer solchen literarischen Fiktion ist vielleicht nur, dass Juan Carlos Onetti nach eigener Aussage Santa María erfunden hatte, als er, fern von Montevideo, Sehnsucht nach ebendieser Stadt hatte.
Juan Carlos Onetti
Die Werft
Suhrkamp Taschenbuch Verlag. Berlin 2017