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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Am Tag meiner Geburt war Gott krank

Gabriele Töpferwein | | Artikel drucken
Lesedauer: 6 Minuten

Zum 125. Geburtstag von César Vallejo

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Die Dinge sind besser in Mailand. Die Dinge sind viel besser in Mailand. (…)

Ich traf ein Mädchen und einen Dichter. Einer von ihnen war tot (…)

Der Dichter war aus Peru. (…) Er war ein großer Mann aus dem Bürgerkrieg. Er sagte, sein Tod liege in meinen Händen,

da ich als nächster an der Reihe sei, die Schwäche der Liebe zu erklären.

Der Dichter war Cesar Vallejo (…)

Sei jetzt bei mir großer Krieger, dessen Stärke allein von der Gunst einer Frau abhängt.

Leonard Cohen (aus: Death of a Lady‘s Man)

 

César Vallejo, wer war denn das? Dieser peruanische Dichter ist hier, im Land der Dichter und Denker, weitgehend unbekannt. Seltsam genug, zählt er doch zu den bedeutendsten und wichtigsten Stimmen der modernen lateinamerikanischen Poesie. Und zu den folgenreichsten: Zahlreiche bedeutende Poeten des Kontinents wurden von ihm beeinflusst – Nicanor Parra, Ernesto Cardenal, Juan Gelman … Auch im englischen Sprachraum ist die Rezeption und Würdigung seines Schaffens deutlich größer als hierzulande. Ganz offensichtlich gehörten seine Gedichte auch zum Kanon eines Leonard Cohen.

Vallejo stammte aus Santiago de Chuco, einem Provinznest im Norden Perus. Unter seinen Vorfahren finden sich Indigene aus dem Volk der Chimú ebenso wie katholische Priester. Die Laufbahn eines Priesters war auch für das 1892 geborene jüngste von elf Kindern des Anwalts Francisco Vallejo vorgesehen. Aber César studierte schließlich Literatur, Philosophie und Jura in Trujillo und Lima. Sein Studium wurde immer wieder von Phasen des Broterwerbs unterbrochen – als Kassierer auf einer Zuckerplantage und wiederholt als Lehrer. 1915 beendete er schließlich sein Studium mit der Arbeit „El romanticismo en la poesía castellana“. Er schließt sich der Boheme von Trujillo an, veröffentlicht einen Gedichtband und bekommt erste Anerkennung. Ende 1921 musste er nach der falschen Anschuldigung, der geistige Rädelsführer einer Revolte in seinem Geburtsort zu sein, ins Gefängnis. Diese gut 100 Tage sollten ihn nachhaltig prägen. Nach seiner Entlassung ging er nach Lima, und im Juni 1923, als eine erneute Verhaftung drohte, verließ er Peru und ging nach Paris.

Da hatte er in Peru bereits zwei Gedichtbände veröffentlicht und einen Preis gewonnen. Zeigte er sich 1918 in „Los heraldos negros“ noch als Anhänger des modernismo, so hatte er sich mit „Trilce“ (1922) von diesem Label gelöst. Die Gedichte aus „Trilce“ entstanden größtenteils im Gefängnis, in ihnen spiegelte sich diese Erfahrung ebenso wie seine Beobachtungen auf der Zuckerplantage. Diese Gedichte zeichnet eine völlig neue Tonart aus, die ihrer Zeit weit voraus war: Alltagssprache der einfachen Leute, zerstörte Syntax, unvollständige Bilder, neue Wortschöpfungen, Verbindungen von Worten und Passagen, die eigentlich nicht zueinander passen. Er wollte das Elend der Menschen adäquat ausdrücken, mit der herkömmlichen Sprache der Poesie schien ihm das nicht mehr möglich. Er liebte die Menschen, und er litt daran, sie leiden zu sehen. Kann man sagen, dass er zu viel litt? Mitunter schien ihm die Beschäftigung mit schöngeistigen Dingen angesichts des Elends auf der Welt sinnlos, ja überflüssig zu sein.

 

Ein Mann geht vorbei mit einem Brot über der Schulter.

Soll ich da über meinen Doppelgänger schreiben? (…)

Ein Maurer fällt vom Dach, er stirbt und aß noch nicht zu Mittag.

Soll man dann die Tropik erneuern, die Metapher?

Der Schmerz packt uns, Menschenbrüder,

von hinten, im Profil,

er macht uns verrückt in den Filmtheatern,

und nagelt uns an die Grammophone.

 

In Europa veröffentlichte er zunächst keine neuen Gedichte, er schrieb Essays, Prosatexte, arbeitete als Journalist. Und er wurde schließlich zum großen Mann aus dem Bürgerkrieg. Vallejo wollte dazu beitragen, die Unterdrückung von Menschen, ihr Leiden, ihr Unglück zu beenden. Im Marxismus, mit dem er sich intensiv beschäftigt hatte, sah er eine Lösung für die scheinbar unlösbaren Übel der Welt. In Paris gründete er eine Zelle der Kommunistischen Partei Perus. Später in Spanien, wo er kurze Zeit lebte, nachdem er in Frankreich wegen seines politischen Engagements zur Persona non grata erklärt worden war, schließt er sich der KP Spaniens an. Er bereiste mehrmals die Sowjetunion, um dieses Experiment der Umgestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse aus der Nähe kennenzulernen.

Er unterstützte aktiv die spanische Republik, und als 1936 der Bürgerkrieg in Spanien ausbrach, war er unermüdlich für die Sache der Republik unterwegs. Mit España, aparta de mí este cáliz setzte er ihren Kämpfern ein Denkmal. Der Band, der in Spanien erschien, ist ein Epos über die Kraft und das unermessliche Leid eines Volkes.

 

Spanien, achte auf dich selbst!

Achte auf die, die dich lieben!

Achte auf deine Helden!

Achte auf deine Toten!

Achte auf die Republik!

Achte auf die Zukunft!

... wenn die Mutter Spanien fällt, sage ich, wie man so sagt -,

kommt, Kinder der Welt; geht sie suchen! …

(España, aparta de mí este cáliz)

 

In seinem selbstlosen Kampf gegen das Leiden der anderen hat der Künstler sein eigenes wohl aus dem Blick verloren. Im April 1938 starb César Vallejo nach wochenlangem Krankenlager in Paris. Seine Frau Georgette schrieb später, es sei eine verschleppte Malaria gewesen, die ihn das Leben kostete. Ein behandelnder Arzt sagte, er hätte noch niemals einen Menschen sterben sehen, der eigentlich nur müde sei. Pablo Neruda benannte in einem Nachruf die Lebensbedingungen, die den alten Kämpfer der Hoffnung schließlich aufzehrten: Die vielen Hungerszeiten, die vielen Einsamkeiten, die vielen Meilen unterwegs, an die Menschen denkend, an die Gerechtigkeit, an die Feigheit der Hälfte der Menscheit (Pablo Neruda: César Vallejo ist tot).

Heute, am 16. März 2017 jährt sich César Vallejos Geburtstag zum 125. Mal.

 

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Im Rimbaud Verlag Aachen ist eine vierbändige Ausgabe der Gedichte von Cesar Vallejo erschienen:

Spanien, nimm diesen Kelch von mir/ España, aparta de mí este cáliz. Werke Bd. I

(spanisch/ deutsch). 1998; ISBN 978-3-89086-863-9

Menschliche Gedichte/ Poemas humanos. Gedichte Werke Bd. II

(spanisch/ deutsch). 2. Aufl. 2010; ISBN 978-3-89086-864-6

Trilce. Werke Bd. III

(spanisch/ deutsch). 1998; ISBN 978-3-89086-865-3

Die schwarzen Boten/ Los heraldos negros. Werke Bd. IV

(spanisch/ deutsch). 2000; ISBN 978-3-89086-794-6

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