Die Otomies leben im Osten des Bundesstaates Hidalgo, welcher im Zentrum der mexikanischen Republik liegt. Dort besiedeln sie hauptsächlich das Valle del Mezquital (Tal von Mezquital), eine Fortsetzung des Valle de Mexico.
Die vielen verschiedenen Bedeutungen, die ihrem Namen beigemessen werden, sind charakteristisch für die bewegte Vergangenheit und Gegenwart dieses Volkes. Sie selbst nennen sich nänü, was soviel heißt wie die, die zwei Sprachen sprechen. Einige Autoren leiten den Namen otomi aus dem Nahua ab und übersetzen ihn mit Jäger, die Pfeile tragen. Andere wiederum führen ihn auf othó – Volk ohne Wohnsitz – zurück.
Die Otomies waren wahrscheinlich die ersten Bewohner der Täler von Tula, Mexiko und Toluca. In Tula ließen sich die Otomies noch vor den Tolteken nieder, wurden jedoch von ihnen unterworfen und in ihr Reich eingegliedert. Erst beim Untergang dieses Imperiums im Jahre 1168 zogen sie sich in Richtung Westen, ins Tal von Toluca, zurück. Dort blieben sie nicht lange, um dann weiterzuziehen in den Norden des Tales von Mexiko. Die Niederlage im Krieg gegen das Volk der Tepenaken war Anlaß zu erneuter Emigration in südlichere Gebiete. Die vorkoloniale Geschichte der Otomies mündete in eine Niederlage gegen die Azteken, von deren Herrschaft sie sich durch Unterstützung der spanischen Truppen befreien wollten. Doch dieses Bündnis brachte ihnen nicht die ersehnte Freiheit und Mündigkeit, denn spanische Kolonisatoren drangen bald in ihre Gebiete vor. So bekamen die nänü ihnen bisher unbekannte Auswirkungen fremder Herrschaft zu spüren: europäische Krankheiten wie die Pocken breiteten sich aus und es erfolgte eine Unterweisung in den katholischen Glauben durch Missionare.
Der Versuch, dieses Volk auf friedlichem Wege zu bekehren, seßhaft zu machen und mit häufig nicht erfüllten Versprechungen der Versorgung mit Grundnahrungsmitteln für das Christentum zu begeistern, schlug jedoch fehl.
So drangen die Spanier im Jahre 1700 endgültig ihn das Gebiet der Otomies vor und machten sie zu Knechten auf ihrem eigenen Land; diejenigen, die sich nicht unterwerfen wollten, mußten in die Berge fliehen oder wurden ermordet. Von diesem Augenblick an waren sie nicht mehr unter der Obhut der Missionare, sondern unter der des spanischen Militärs.
Da das Valle del Mezquital trotz des Flusses Tula und verschiedener Thermalquellen ein sehr trockenes und wenig fruchtbares Gebiet ist, blieben die Otomies vor einer vollständigen Vertreibung verschont. Im 16. und 17. Jahrhundert entstehende Bergwerke erlaubten ihnen die Entwicklung einer gewissen Marktwirtschaft, dennoch wurden sie um 1700 noch einmal in trockenere und marginalere Gebiete abgedrängt. Ihr Land wurde von den Kolonisatoren zur Rinderzucht genutzt, Ranches entstanden und den Jägern, die Pfeile tragen blieb meist nur die Möglichkeit der Verdingung ihrer Arbeitskraft, um zu überleben.
Im 19. Jahrhundert wurde das Mezquital zum Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen Regierungstreuen und Unabhängigkeitskämpfern. Wieder beteiligten sich die Otomies an diesem Krieg, auf Seiten der für die Unabhängigkeit von der spanischen Krone kämpfenden Truppen. Von deren Sieg erhofften sie sich auch eine Veränderung ihrer Lebensbedingungen, ein Wunsch, der jedoch nicht in Erfüllung ging. Die Latifundien wurden unter Kreolen und Mestizen verteilt, die Otomies blieben weiterhin Lohnarbeiter in ihrem eigenen Land.
Trotz der schwierigen Lebensbedingungen hat es diese ethnische Gruppe geschafft zu überleben. Ihre Kultur entwickelte sich unter dem Einfluß der verschiedenen Völker, von denen sie im Laufe der Geschichte unterworfen und vertrieben worden waren. Doch die Otomies bewahrten sich ihre eigene Sprache und Weltsicht, erfanden Tänze, Lieder und entwickelten ein eigenes Kunsthandwerk .
Die soziale Organisation der Otomies ist patrilokal, die Frauen ziehen also zum Wohnort der Ehepartner. Das verheiratete Paar bleibt erst eine Zeitlang bei den Eltern des Mannes wohnen und baut sich dann mit deren Hilfe oder durch reziproke Nachbarschaftshilfe sein eigenes Haus. Dieses Haus besteht meist aus zwei Teilen, einem Wohn- und Schlafraum und einem Eßraum. Bei manchen Häusern befindet sich die Küche außerhalb, nur wenige Wohnungen sind mit Latrinen ausgestattet. Die traditionellen Bauten sind aus Materialien der Umgebung hergestellt, wie zum Beispiel Agavenfasern, Fichtenholz und Palmblättern. Für die Dächer wird jedoch oft Wellblech und Asbest verwendet; viele Häuser sind aus Stein erbaut.
Wie bereits erwähnt, ist das Siedlungsgebiet der Otomies sehr trocken und unfruchtbar; durch einen staatlichen Bewässerungsplan werden heutzutage die aguas negras (Schwarze Wasser) aus der Hauptstadt in das Tal geleitet, um damit die Felder zu bewässern und das Vieh zu tränken.
Der Mittelwert der Temperatur liegt zwischen 9° und 18°C und ist großen Schwankungen unterwerfen. Von November bis Februar kann es Frost geben, die stärksten Regenfälle sind im Juni und September mit Niederschlägen zwischen 77 und 217mm. Die Vegetation setzt sich dementsprechend aus dornigen Gewächsen, fiberhaltiger Agave, einigen Fruchtbäumen und dem Maguey, als der die Landschaft beherrschenden Pflanze, zusammen. Aus seinem Saft wird unter anderem der alkoholhaltige pulque hergestellt. Viele Pinien- und Eichenwälder bestimmen ferner das landschaftliche Bild.
Die Fauna setzt sich aus Kaninchen, Hasen, Coyoten, Eichhörnchen, dem Ameisenbär, Füchsen, Schlangen, Adlern und Tauben zusammen.
Gartenanlagen sind die rentabelste und zugleich das ökologische Gleichgewicht am meisten schädigende Anbauform. Die Familien arbeiten neben der Bewirtschaftung ihrer eigenen Flächen als Lohnarbeiter. Sie betreiben in geringem Umfang Viehzucht und fertigen kunsthandwerkliche Gegenstände zum Verkauf auf dem dörflichen Markt an: aus Palmblättern hergestellte Hüte und Tonkrüge für den pulque werden dort von ihnen feilgeboten.
Die Produktion des Maguey, von Mais, Bohnen, Nopal (eine Kakteenart) und Kalebassen (Kürbissen) stehen im Vordergrund. Diese Grundnahrungsmittel werden durch Kräuter, Früchte und wilde Tiere ergänzt.
Die wichtigsten Händler auf den Märkten sind Mestizen, den Otomies hingegen bringt der Verkauf ihrer spärlichen Produkte kaum Gewinn. Dies veranlaßt sie zur Migration, auf der Suche nach Lohnarbeit werden sie in die Hauptstadt und in den letzten Jahrzehnten auch verstärkt in Richtung Vereinigte Staaten getrieben. Die Männer suchen in der Stadt Arbeit als Bauarbeiter, während die Frauen sich als Dienstmädchen verdingen.
Die wichtigste soziale Einheit der Otomies ist die Familie, die meist 7-15 Personen umfaßt. Soziale Beziehungen zu anderen erschöpfen sich in Zusammenkünften der Gemeinschaft der ejidos (unveräußerliches Gemeindeland, in der Regel kollektiv bewirtschaftet) und sportlichen Wettkämpfen.
Die Bedeutung der religiösen Hierarchie hat gegenüber der zivilen an Bedeutung verloren, die Autoritäten der Dörfer sind an die aktuellen administrativen Institutionen gebunden.
Die Religiosität der Otomies ist beeinflußt vom Katholizismus, in den abgelegensten, traditionellsten Gemeinden besteht jedoch weiterhin ein magisch-religiöser Einfluß, der sehr wahrscheinlich aus vorspanischer Zeit stammt: es fand eine Vermischung von einheimischen und christlichen Gottheiten statt, ein besonderer Totenkult wird gepflegt und Erklärungen von Krankheiten sowie andere Aspekte der Weltsicht weichen von katholischen Vorstellungen ab.
Von den im Jahre 1990 1.888.366 Einwohnern des Bundesstaates Hidalgo sprechen 117.393 Personen Otomi. Ihre Sprache gehört zur Familie otomi-pame, einer viele verschiedene geschichtliche und kulturelle Traditionen vereinenden Sprachgruppe, die sich in fünf Gruppen unterteilen läßt.
Die Gemeinden der Otomíes im Valle del Mezquital verfügen in der Mehrzahl über Trinkwasser und sind zu 70% an das Stromnetz angeschlossen. Verschiedene Landstraßen und Schnellstraßen, die von Mexiko-Stadt ausgehend durch ihr Gebiet führen, verbinden die größten Gemeinden. Die Anwesenheit nichtstaatlicher Organisationen im Siedlungsgebiet der Otomies spielt eine wichtige Rolle für die Entwicklung der indigenen Dorfgemeinschaften. Durch ihre Mithilfe werden Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensbedingungen entwickelt. Allerdings zwangen Finanzierungsprobleme in den letzten Jahren diese Organisationen zu starker Limitierung ihrer Aktivitäten.
Zusammenstellung und Übersetzung: Mären Rößler
entnommen aus: Pueblos indigenas de Mexico -Otomies del Valle del Mezquital