Die Tarahumaras bewohnen das Gebiet der Sierra Madre, das sich über den Staat Chihuahua und den Südwesten von Durango und Sonora erstreckt. Sie teilen sich dieses Gebiet mit den Tepuhuanes, den Pimas und den Guarojios. Sie sind die größte ethnische Gruppe in dieser Region, weshalb die Sierra dort auch Sierra Tarahumara genannt wird.
Sich selbst nennen die Tarahumaras rarámuri, was Läufer bedeutet (wörtlich: Läufer zu Fuß) und das ist ein Synonym für Mensch.
Bei der Ankunft der Spanier lebten zahlreiche Völker auf dem Gebiet des heutigen mexikanischen Bundesstaates Chihuahua. Nebenden Tarahumaras, die die östlichen Ausläufer der Sierra Tarahumara besiedelten, waren das u.a. die Pimas, Salineros, Cocoyomes und Conchos. Über Leben und Kultur der Tarahumaras in präkolumbischen Zeiten ist wenig bekannt. Vermutlich lebten sie in Beziehungen, die auf Verwandtschaftsverhältnissen beruhten. Ein cacique oder principal, so glaubt man, regierte eine oder mehrere rancherías, es gab aber keine einheitliche Regierung für das gesamte Volk der raramuri.
Die Kolonisation des Staates Chihuahua begann in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts mit der Ausbeutung einer Mine und der Gründung von Santa Barbara, der ersten spanischen Siedlung 1580. Nachdem 1631 die Ausbeutung der Mine von San Jose de Parral begonnen hatte, entwickelte sich Parral zu einem bedeutenden Markt für die Produkte und das Handwerk der raramuri. Aber sehr schnell rissen Viehzüchter und Ackerbauern das beste Land an sich und die Tarahumaras zogen sich immer mehr in die Sierra zurück. Vor allem die Jesuiten versuchten in den Folgejahren, mit ihrer Missionstätigkeit Einfluß unter den raramuri zu erlangen. Gegen diese Veränderung ihrer gesellschaftlichen Beziehungen, so wurden anstelle der caciques neue Autoritäten eingesetzt und raramuri, die nicht den katholischen Glauben annahmen, mit strengen Strafen belegt, gab es ein ganze Reihe von Aufständen. Auch nach der Vertreibung der Jesuiten im Jahre 1767 brachen mehrmals Rebellionen der raramuri aus, so 1876, 1895 und 1898. An den Kämpfen während der mexikanischen Revolution nahmen die raramuri nur „zufällig“ teil.
Heute werden die sozialen Prozesse in der Region von der Ausbeutung der Wälder und dem Landbesitz bestimmt, sie finden ihren Ausdruck in den ungleichen Beziehungen zwischen Mestizen und Tarahumaras.
Infolge der Nutzung der Wälder kamen sehr viele Immigranten in die Region, weshalb die Zahl der Mestizen heute die der raramuri übersteigt. Das war zu Beginn des Jahrhunderts noch umgekehrt. Laut der Volkszählung von 1990 leben heute im Staat Chihuahua gut 50.000 Menschen, die die Sprache der Tarahumaras sprechen, im ganzen Land sind es etwa 54.000. Das Nationale Indigenistische Institut (INI) rechnet dagegen mit fast 99.000 Tarahumaras allein in den 17 Munizipien ihres Hauptsiedlungsgebietes.
Ihren Lebensunterhalt erwirtschaften die Tarahumaras hauptsächlich mit der Kultivierung von Mais. Ihm ist der größte Teil des alltäglichen und zeremoniellen Lebens gewidmet. Die Felder liegen meist verstreut auf kleinen Hochebenen und an Berghängen. Der Boden und die Lage der Felder erlauben nur eine manuelle Bodenbearbeitung und den Einsatz von Tieren. Die landwirtschaftlichen Arbeiten werden in den Familien ausgeführt und, falls notwendig, wird die Familie von den Familien der Nachbar-rancherias unterstützt. Diese werden zu einer tesgüinada eingeladen, bei der die aus fermentierten! Mais hergestellte tesgüino getrunken wird. Tesgüinadas sind häufig genutzte Gelegenheiten des sozialen Zusammenlebens und auch eine Art „Heiratsmarkt“.
In den Munizipien von Balleza wird darüber hinaus der Tierhaltung große Aufmerksamkeit geschenkt. Der Besitz von Tieren – Kühe, Pferde, Ziegen, Schafe und Hühner – ist bei den Tarahumaras ein Zeichen von Reichtum.
In einigen Gebieten der Sierra hat der Rauschgifthandel großen Einfluss auf das soziale und kulturelle Leben der Tarahumaras; zum einen, weil er den Raub des Landes der indigenen Völker – nicht nur der Tarahumaras – begünstigt, und zum anderen wegen des Machtmißbrauchs und der Gewalt von Seiten der Rauschgifthändler als auch derer, die sie bekämpfen.
Die Kleidung der Tarahumaras hat sich im Laufe der Zeit verändert. In einigen Teilen der Sierra ist die traditionelle Kleidung bereits verschwunden. Vor allem die Frauen halten an der traditionellen Bekleidung fest. Diese besteht aus einem Rock oder siputza, der aus einem mit kräftigen Farben bedruckten Gewebe besteht. Die Frauen tragen mehrere Röcke übereinander, so daß der siputza mehr Volumen erhält. Die napatza ist eine in Brusthöhe gefältelte Bluse mit weiten Ärmeln und einem kleinen runden Kragen. Dazu ein chiníqui, ein Tuch in der Art eines Schals, das an seinen Rändern mit sehr schönen Blumenmotiven bestickt ist. Um den Kopf tragen sie ein Tuch, das sie koyera nennen und an den Füßen Sandalen – aka genannt. Die Männer tragen einen Kittel, der ebenfalls napatza genannt wird, und aus weißem oder bedrucktem Tuch gemacht wird und im allgemeinen bis zur Taille, mitunter aber auch bis zu den Unterschenkeln reicht. Die tagora oder cotensa besteht aus weißem Tuch, sie wird in Form einer Hose getragen und an der Taille mit einer Wollschärpe zusammengehalten. Außerdem tragen sie wie die Frauen koyera und aka. Vor allem die Männer haben die Kleidung der Mestizen übernommen. Bei den Gouverneuren sind Jacken im Stil von Smokings sehr verbreitet.
Das soziale Leben gründet sich auf die Kleinfamilie aus Vater, Mutter und Kindern. Das jungverheiratete Paar lebt zunächst bei den Eltern der Frau und verläßt diese erst, wenn es sich ein eigenes Haus leisten kann. Die Tarahumaras leben um Dörfer herum, zu denen eine bestimmte Anzahl von rancherias gehören. In diesen Orten findet man die Kirche, die Schule, den Laden und eine Klinik. An der Spitze des Dorfes steht der Gouverneur oder siriame, der den sonntäglichen Zusammenkünften vorsteht und dabei eine Predigt – nawesari – hält. Er füngiert als Richter bei auftretenden Konflikten, organisiert Feste und ist außerdem der Vertreter gegenüber den Autoritäten. Er wird von einem zweiten und dritten Gouverneur unterstützt, die ihn beraten und in seiner Abwesenheit vertreten.
Ihre Religion ist in allen Lebensbereichen präsent, in der politischen Ordnung, in moralischen Werten sowie in Normen und Bräuchen. Sowohl Auffassungen aus der Zeit vor der Evangelisierung als auch Elemente des Katholizismus beherrschen die religiösen Anschauungen. In den Überlieferungen der raramuri heißt es, daß Gott ihnen zu Beginn der Zeiten das Leben gegeben habe. Die chabochis dagegen, d.h. die Mestizen, erhielten das ihre vom Teufel. So erklären sich die raramuri das bis heute gespannte Verhältnis zur Gesellschaft der Mestizen.
Die wichtigsten Gottheiten sind der mit der Sonne verbundene Tamuje-Onorá oder auch Onóruame (Unser Vater) und Tamuje Yerá bzw. lyeruame (Unsere Mutter), die mit dem Mond und der Jungfrau Maria assoziiert wird. Die Angehörigen der Dörfer treffen sich sonntags, um das „Gebet des Maestro“ zu hören, das im allgemeinen in ihrer Muttersprache gehalten wird. Manchmal werden auch katholische Priester eingeladen, um eine Messe abzuhalten und die Taufe vorzunehmen. Darüber hinaus existieren andere Rituale, die nicht in der Kirche zelebriert werden. Dazu gehören die curación (Heilung) und die Bündnisse, die in Abhängigkeit vom Agrarzyklus geschlossen werden. Diese Zeremonien finden auf irgendeinem rancho statt, auf den zu kultivierenden Feldern oder in den Bergen; dabei wird getanzt, gegessen und tesgüino getrunken.
Die Feste der raramuri sind eng mit dem Agrarzyklus verbunden. Zu den wichtigsten Festen gehören Lichtmeß (La Candelaria, 2.2.), die Osterwoche (Semana Santa), das Fest zu Ehren des Ortspatrons und natürlich die Feier zu Ehren der Jungfrau von Guadelupe (12.12.). Bei den Zeremonien werden vor allem die Tänze Matachines und Yumari getanzt (nur zu Ostern tanzt man andere Tänze) und dem Gott Onoruame werden tesgüino und Speisen angeboten, die mit den Anwesenden geteilt werden.
Zusammenstellung: Gabi Töpferwein
entnommen aus: Pueblos Indigenas de Mexico – Tarahumaras, Mexico 1994