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Scherzer, Landolf: Buenos días, Kuba

Gabriele Töpferwein | | Artikel drucken
Lesedauer: 4 Minuten

rezensiert_Landolf_Scherzer_Titel„Nein, ich will nicht urteilen.“ Von Landolf Scherzer kennt man diese Haltung; seine Bücher sind keine Gebrauchsanweisung, sie erklären uns die Welt nicht, und sie geben auch keine Meinung vor. Gerade das macht sie so lesenswert. Nach Kuba ist er gefahren, um das Land kennenzulernen und zu verstehen, und weniger, um alte Hoffnungen zu bestätigen oder Urteile zu fällen, die zumeist nur die eigenen Verluste spiegeln. Da Scherzer offen auf andere zugeht, sich für ihre Geschichten interessiert, findet er schnell ihr Vertrauen. Die ihm entgegengebrachte Offenheit beschert ihm und uns viele Informationen und Einsichten. Einige seien im Folgenden stichpunktartig zusammengefasst.

Ausreise: Viele Kubaner suchen im Ausland nach einem leichteren Leben, fern von dem alltäglichen Mangel im Land. Scherzer lernte z.B. einen jungen Restaurator kennen, der sein Geld als cuentapropista verdient, den Sozialismus in Kuba nicht so toll findet und sich um ein Visum für Deutschland bemühte. Die Erlebnisse im Heimatland seiner Freundin führten ihn zu der Erkenntnis, dass er in Kuba wohl „manches … anders sehen wird“. Sein kleiner Bruder dagegen, der Mitglied der kubanischen 4 x 100-Meter-Staffel ist, würde nie ins Ausland gehen, auch wenn man ihm noch so viel Geld anbiete.

Bildung: Wie auch die Gesundheitsversorgung ist die Bildung, egal ob in Schule oder Universität, in Kuba kostenlos und sehr gut. Kubaner sind gut ausgebildet, und das wissen sie genau.

Cuentapropistas: Das sind Leute, die nicht nur auf eigene Rechnung, sondern auch für richtiges Geld arbeiten, also für den Konvertierbaren Kubanischen Peso (CUC). Der verständliche Hunger vieler Kubaner nach Konsum führt damit zu einem doppelten Exodus der Fachkräfte. Nicht wenige verlassen das Land oder ihren Beruf. Warum als Lehrer arbeiten, wenn man mit Reparaturen ein Vielfaches verdienen kann. Die Regierung kontrolliert mittlerweile die Preise, auch um Spekulation zu verhindern. Das gefällt nicht jedem. Bereits vor Jahren wurde angekündigt, den CUC, der das Land spaltet, abzuschaffen. Warten wir‘s ab.

Fidel: Landolf Scherzer landete im November 2016 auf der Karibikinsel, einen Tag nach seiner Ankunft starb Fidel Castro. Der Autor erlebte neun Tage Staatstrauer, weinende Kubaner und stundenlanges Anstehen, um an Fidels Urne vorbeidefilieren zu dürfen. Die Verehrung für den Máximo Líder ist offensichtlich nicht „verordnet“, sie hindert die Kubaner aber nicht, die Missstände im Land zu kritisieren.

Internet und Blogger: Der Internetzugang ist in Kuba stark eingeschränkt; es gibt einfach zu wenig Kapazität und damit zu wenige Privatanschlüsse, weshalb Handy- und Laptop-Besitzer die Hotspots an Restaurants und Hotels nutzen müssen – und können. Blogger, die sich zu politischen Fragen äußern, gibt es in Kuba offenbar reichlich. Doch die Mehrzahl von ihnen wird nicht vom Westen hofiert, vermutlich, weil sie, wie z.B. der homosexuelle Journalist, der Scherzer über die kubanische Bloggerszene und el paquete semanal aufklärte, den Sozialismus in Kuba nicht abschaffen, sondern verändern wollen. Und dabei durchaus erfolgreich sind.

Santería: Die synkretistische Religion ist dem Vernehmen nach sogar eine Touristenattraktion. Für die Kubaner gehört sie zum Alltag, ebenso wie der Sozialismus. Als Scherzer einen Santería-Priester für eine private Zeremonie aufsuchte, verfolgte dieser im Fernsehen gerade eine Sendung über Fidel Castro.

Reisefreiheit: Die Kubaner dürfen mittlerweile reisen, wohin sie wollen; jedenfalls theoretisch. Praktisch gibt es da einige Stolperfallen. Eine ist das Geld, auch in Kuba kann sich nicht jeder eine Auslandsreise leisten. Andererseits wollen die Länder, die früher laut Reisefreiheit für die Kubaner verlangten, diese jetzt gar nicht haben.

Wohnungen: Wohnraum ist billig, und wenn man zehn Jahre regelmäßig seine Miete zahlt, wird die Wohnung Eigentum des Mieters, der sie dann mit seinem zumeist schmalen Einkommen instand halten muss. Landolf Scherzer machte die Erfahrung, dass Kubaner ihren deutschen Freund nicht gern in ihre Wohnung einluden. Der Verfall der Bausubstanz in Kuba ist ja hierzulande ein beliebtes Thema. Aber es wird umfangreich restauriert, woran übrigens auch ein Thüringer beteiligt ist.

Außerdem geht es in diesem Buch um die prekäre Versorgungslage, den Erfindungsreichtum der Kubaner, el paquete semanal, Tabak, ein Solardorf, Solidarität, einen Baum ohne Namen, die Vermietung von Privatzimmern als Liebesnest, den erfolglosen Versuch, wichtige Briefe im Außenhandelsministerium abzugeben und und und …

 

Landolf Scherzer

Buenos días, Kuba. Reise durch ein Land im Umbruch

Aufbau Verlag, Berlin: 2018

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