Die Frage, wie es nach dem Tod von Fidel Castro im November 2016 und dem für 2018 angekündigten Rückzug seines Bruders Raúl in Kuba weitergehen wird, stellen sich sowohl die Freunde und Unterstützer des sozialistischen Kubas als auch viele der Besucher und Touristen, die das Land bereisen. Auch in den fünf Veranstaltungen, die der QUETZAL zusammen mit verschiedenen Partnern in der Zeit vom 27. Juni bis 4. Juli 2017 in Sachsen und Thüringen durchgeführt hat, wurde intensiv über dieses Thema diskutiert. Im Meinungsaustausch mit den beiden kubanischen Gästen Luis Clergé und Lydia Tablada kamen zahlreiche Argumente zur Sprache, die in diesem dritten Beitrag zum kubanischen Paradox aufgegriffen und vertieft werden. In diesem Sinne ist der Autor zwar der alleinige Verantwortliche für den Inhalt, fühlt sich aber zugleich zu Dank an jene verpflichtet, die an den genannten Veranstaltungen miteinander über Gegenwart und Zukunft Kubas diskutiert haben.
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Der globale Rahmen: Die Krise des Kapitalismus als große Unbekannte
Wenn über Kuba und seine weitere Entwicklung debattiert wird, kann dies nicht losgelöst von der Krise des globalen Kapitalismus erfolgen (siehe PROKLA-Redaktion 2016). Seit 2008 die Finanzmärkte in einem Maße erschüttert wurden, die nur mit der Weltwirtschaftskrise von 1929 verglichen werden können, haben sich die Ungleichheiten und Spannungen innerhalb des kapitalistischen Weltsystems dramatisch zugespitzt. Der Krisenbogen spannt sich von ungelösten globalen Problemen (Klimawandel, Energie- und Ernährungskrise, Migration, nukleare Aufrüstung) über die Krise des Westens (Krise der EU, Trumps unberechenbare Präsidentschaft des „America first“) bis hin zum Pulverfass im Nahen Osten, wo mehrere Konflikte und Kriege (Palästina-Konflikt; Kurden-Problem, Kriege in Syrien, Irak und Jemen; Konflikte um den Iran; Konflikt um Katar) die Region erschüttern.
Vor diesem Hintergrund vollzieht sich eine dramatische Verschiebung der internationalen Kräfteverhältnisse, deren Dynamik sich aus vier Quellen speist: Erstens hat die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten offenbart, dass sich die USA in einem mehrfachen Dilemma befinden. Im Inneren haben die sozialen Spannungen ein bislang nicht gekanntes Ausmaß erreicht. Innerhalb der Elite finden heftige Auseinandersetzungen über die künftige Rolle der USA im internationalen System statt, was vor allem Deutschland nutzt, um gegenüber der westlichen Hegemonialmacht Boden gut zu machen. Nach 2008 war es der Bundesrepublik gelungen, ihre Vormachtstellung innerhalb der EU auf Kosten der EU-Südländer und Frankreichs durchzusetzen: Europa spricht nun (wieder) deutsch! Außerdem kann sich Deutschland einmal mehr als Weltexportmeister feiern. Aus diesem Aufstieg resultiert die zweite Dynamik im internationalen Kräftemessen. Auf dem G 20-Gipfel in Hamburg im Juli 2017 traten die Spaltung des Westens und die deutschen Führungsambitionen vor allem beim Problem des globalen Klimawandels zutage, ohne sich jedoch darauf zu beschränken.
Drittens vollzieht sich an der Semi-Peripherie des Weltsystems der Aufstieg wichtiger Schwellenländer, die mit dem comeback Russlands als global player einhergeht. Innerhalb dieser Gruppe haben sich die BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) als Club formiert, um innerhalb der kapitalistischen Weltordnung Reformen und größeres Mitgestaltungsrecht für die nicht-westliche Welt einzufordern. Zwar sind auch die BRICS-Staaten von der Krise des globalen Kapitalismus nicht verschont geblieben, aber gerade die drei Großen unter ihnen (RIC – Russland, Indien und China) haben nach wie vor das Potential, als verbündetes Gegengewicht zum gespaltenen Westen wirksam zu werden. Eine vierte Dynamik ergibt sich aus den globalen, regionalen und lokalen Folgen der neoliberalen Globalisierung insgesamt. Diese münden in eine soziale Polarisierung, die sich sowohl innerhalb der betroffenen Länder – von den USA über die EU und die Schwellenländer bis nach Afrika – als auch im Weltsystem selbst manifestieren. Der Aufstieg verschiedener Fundamentalismen, der Trend zum Ausnahmezustand, die wachsende Zahl von Kriegen und bewaffneten Konflikten sowie die zunehmende Migration sind bislang die sichtbarsten Folgen der neoliberalen Globalisierung. In Anlehnung an Lenins Definition der revolutionären Situation lässt sich feststellen, dass die Herrschenden – die alten Mächte des Westens – nicht mehr so regieren können wie bisher, während die Unterdrückten (und Aufsteiger) nicht mehr so leben wollen wie bisher. Im Sinne dieser für Alternativen offenen Situation stellt der Ausgang der globalen Krise des Kapitalismus für alle eine große Unbekannte dar, die sowohl neue Möglichkeiten als auch zunehmende Gefahren in sich birgt.
Die Errungenschaften der kubanischen Revolution: Die sichere Konstante
Um deutlich zu machen, worum es bei dieser „sicheren Konstanten“ geht, sei zunächst ein Gedankenexperiment gestattet, das die Bedeutung der Revolution als Fundament des sozialistischen Kubas veranschaulichen soll: Wie wäre es heute um Kuba bestellt, wenn diese Revolution unter der Führung von Fidel Castro nicht stattgefunden hätte? Als Orientierungspunkte für eine Antwort können vergleichbare Länder wie die Dominikanische Republik, Puerto Rico, Guatemala oder Panama herangezogen werden. Kuba und die genannten vier Länder liegen in derselben Region (Weitere Karibik) und haben eine ähnliche historisch-kulturelle Prägung (Hispano-Amerika). Außerdem verfügen sie über eine vergleichbare Bevölkerung und Wirtschaftskraft. Mit 11,2 Mio. Einwohnern liegt Kuba zwischen Guatemala (15,2 Mio.) und Panama (3,7 Mio.) bzw. Puerto Rico (3,6). Die Dominikanische Republik hat 10,6 Mio. Einwohner. Anhand des BIP pro Kopf lässt sich die ökonomische Position der fünf Länder im globalen Vergleich gut verorten (siehe Tabelle 2).
Tabelle 2: BIP pro Kopf (in US-Dollar) im globalen Vergleich (230 Länder für 2015)
A) Länder mit hohen Werten |
A) Wert (mit Rang) |
B) Kuba mit vier Nachbarländern |
B) Wert (mit Rang) |
C) Länder mit niedrigen Werten |
C) Wert (mit Rang) |
USA |
56.300 (19) |
Puerto Rico |
28.500 (64) |
Indien |
6.300 (158) |
Saudi-Arabien |
54.600 (21) |
Panama |
20.000 (85) |
Honduras |
5.000 (168) |
Deutschland |
47.400 (29) |
Dominikan. Rep. |
14.900 (108) |
Bangladesh |
3.600 (178) |
Japan |
38.200 (42) |
Kuba |
10.200 (135) |
Kenia |
3.300 (185) |
Spanien |
35.200 (50) |
Guatemala |
7.900 (149) |
Haiti |
1.800 (201) |
Quelle: http://www.laenderdaten.de/wirtschaft/BIP_pro_kopf.aspx; die Werte beziehen sich für Kuba auf 2010 und für Puerto Rico auf 2013.
Ungeachtet aller Unterschiede sind den vier Nachbarländern Kubas folgende Merkmale gemeinsam: Erstens handelt es sich um kleine und abhängige kapitalistische Länder unter der geopolitischen und ökonomischen Kontrolle der USA, die sich zweitens im Innern durch eine enorme Polarisierung zwischen Arm und Reich „auszeichnen“. Ihre Wirtschaft basiert drittens im Wesentlichen auf Renten (Tourismus, Maquila-Industrien, Kanal-Einnahmen im Falle Panamas, Rücküberweisungen) und ist damit höchst einseitig bzw. nicht nachhaltig ausgerichtet. Ohne Revolution würde Kuba all diese Merkmale teilen.
Was hat nun aber die Revolution bewirkt, um die oben geschilderte Situation zu ändern? Erstens – und das ist für die Kubaner immens wichtig – hat sie das Land aus dem Status einer Halbkolonie der USA befreit und den Kubanern ihre nationale Würde wiedergegeben. Seit 1959 hat Kuba allen Versuchen der USA widerstanden, die Revolution und ihre Errungenschaften rückgängig zu machen – bis 1990 mit Hilfe der Sowjetunion, danach aus eigener Kraft.
Zweitens hat sie das sozialistische Prinzip der Gleichheit tief in der kubanischen Gesellschaft verankert und dafür gesorgt, dass alle Kubaner Bildung und Gesundheitswesen unentgeltlich nutzen können. Zugleich hat sie auf diesen beiden Feldern ein Niveau erreicht, das weit über dem der karibischen und lateinamerikanischen Nachbarn liegt. Die Kindersterblichkeit ist sogar niedriger als in den USA. Dort liegt sie bei 6 Todesfällen je 1000 lebend Geborenen, während es in Kuba nur 4,7 sind. Die Kindersterblichkeit erreicht bei den vier lateinamerikanischen Vergleichsfällen folgende Werte: Puerto Rico 7,7, Panama 10,7, Dominikanische Republik 19,6 und Guatemala 23,5 (alle Angaben unter: https://www.indexmundi.com/g/r.aspx?v=29&l=de; Abruf am 14.7.2017). Der hohe kubanische Standard in Bildung und Gesundheitswesen, der breite internationale Anerkennung und Wertschätzung genießt, beruht auf einer langfristigen Politik des sozialistischen Staates, für den diese Sektoren selbst in der Sonderperiode höchste Priorität besaßen. Die medizinischen Dienstleistungen Kubas für anderen Länder, denen ein hoher fachlicher und technischer Standard zugrunde liegt, erbrachten 2015 Devisen in Höhe von 4,6 Mrd. Euro. Derartige Leistungen kann keiner der vier lateinamerikanischen Vergleichsfälle vorweisen.
Drittens hat die Revolution das regionale Kräfteverhältnis grundsätzlich zugunsten der anti-imperialistischen Kräfte verändert. Kubas solidarische Politik gegenüber den Ländern des globalen Südens und seine sozialen Errungenschaften stellen ein wirkungsmächtiges Beispiel dafür dar, dass eine andere Welt – jenseits des Kapitalismus – möglich ist. Mit dieser doppelten Wirkung von politischer Einflussnahme und antikapitalistischer Symbolwirkung leistet die kleine Inselrepublik auf internationaler Ebene einen zentralen Beitrag im Kampf für eine bessere Gesellschaft. Allein aus diesem Grund verdient sie die Solidarität und Unterstützung aller linken und fortschrittlichen Kräfte. Um die Bedeutung der Revolution von 1959 zu ermessen, braucht man sich nur vorzustellen, wie die Welt aussehen würde, wenn es das sozialistische Kuba nicht geben würde.
Garant für den Fortbestand und den Ausbau der Ergebnisse der kubanischen Revolution ist viertens der sozialistische Staat. Nach dem für 2018 angekündigten Rückzug von Raúl Castro wird eine neue Generation von Politikern die Verantwortung übernehmen. Sie kann sich dabei auf jene zentralen Institutionen stützen, die auch bisher das Überleben der Revolution gesichert haben: die sozialistische Verfassung, die Kommunistische Partei (PCC) und die Armee (FAR). In der Summe bilden die vier genannten Errungenschaften und Ergebnisse der Revolution die Basis für das Überleben des sozialistischen Kubas im kapitalistischen Weltsystem. Dieses ist jedoch von zwei weiteren Bedingungen abhängig, die anschließend diskutiert werden.
Regionale und globale Geopolitik: Die externe Variable
Die Politik, die US-Präsident Donald Trump seit seinem Amtsantritt am 20. Januar 2017 betreibt, hat die Lage in der Welt unsicherer gemacht. Unter dem Motto „America first“ hat er eine Strategieänderung vollzogen, die einerseits auf die Stärkung der westlichen Hegemonialmacht USA zielt, andererseits aber deren internationale Stellung bisher eher geschwächt hat. Insgesamt zeichnet sich sein Politikstil durch ein hohes Maß an Unberechenbarkeit und Arroganz aus, was zu gefährlichen Situationen im Fernen (Nordkorea) und Nahen Osten (Iran, Katar-Krise) geführt hat. Seine Absage an das Pariser Klimaabkommen stellt ein Affront gegen (fast) die gesamte internationale Gemeinschaft dar. Die Gefahr einer nuklearen Konfrontation ist mit Trumps Außenpolitik deutlich gestiegen. Noch ist nicht ganz klar, ob er in China oder in Russland den Hauptfeind der USA sieht.
In Lateinamerika befeuert er die Spannungen in Venezuela und stößt den NAFTA-Partner Mexiko vor den Kopf. Die kubafeindliche Haltung des neuen Präsidenten stellt gegenüber der von Barack Obama eingeleiteten Normalisierung ebenfalls einen herben Rückschlag dar. Zugleich haben sich die Beziehungen Kubas zur EU verbessert, was seinen Niederschlag in der Unterzeichnung eines gemeinsamen Abkommens über politischen Dialog und Zusammenarbeit am 12. Dezember 2016 gefunden hat. Negativ wirken sich für Kuba die Rechtsentwicklung in Lateinamerika (Brasilien, Argentinien) und die Krise des engen Verbündeten Venezuela aus. Der in Kolumbien eingeleitete Friedensprozess, für dessen Zustandekommen Kuba einen wichtigen Beitrag geleistet hat, zeitigt sicher positive Wirkungen, ist aber in seinem Ausgang noch offen.
Vor diesem Hintergrund gewinnen die Beziehungen zur Volksrepublik China weiter an Bedeutung. Wie in anderen lateinamerikanischen Ländern ist das ostasiatische Land auch für Kuba ein wichtiger Außenhandelspartner geworden. Bei den Importen belegt China nach Venezuela und der EU den dritten Platz. Die kubanischen Exporte in die Volksrepublik lagen 2015 bei 15 Prozent und damit fast so hoch wie die, die für Kanada bestimmt waren. Auch hier befanden sich Venezuela und die EU auf dem ersten bzw. zweiten Platz (siehe Tabelle 3).
Tabelle 3: Außenhandelsbeziehungen Kubas 2015
Land |
Exporte nach (Anteil in %) |
Importe aus (Anteil in %) |
Kubanische Exportprodukte |
Anteil (in %) |
Venezuela |
25 (2014: 32) |
34 |
Fertigwaren (v.a. pharma. Erz.) |
38 |
EU |
21 |
28 |
Nahrungsmittel (v.a. Rum, Tabak, Zucker) |
30 |
Kanada |
16 |
4,4 |
Nickel |
13 |
China |
15 |
12 |
Brennstoffe |
11 |
Quelle: Schmieg, Evita: Kuba „aktualisiert“ sein Wirtschaftsmodell. SWP-Studie, Februar 2017
Russland zeigt ebenfalls Interesse am Ausbau seiner Beziehungen zur Karibikinsel. Es verzichtete auf die Rückzahlung von 90 Prozent der kubanischen Schulden und ist bereit, verstärkt in die dortige Wirtschaft zu investieren. Angesichts der rückläufigen Öllieferungen aus Venezuela bieten russische Unternehmen an, die Lücke zu schließen. Deutschland hat seine Beziehungen zu Kuba zwar in letzter Zeit verbessert, liegt aber gegenüber solchen EU-Ländern wie Spanien, Italien, Frankreich und den Niederlanden immer noch weit hinten.
Alles in allem hat sich an der geopolitischen Situation Kubas im Grundsatz wenig geändert: Die USA sind unter Trump in ihre feindselige Haltung zurückgefallen, während die Bedeutung des strategischen Verbündeten Venezuela wegen der dortigen Krise abnimmt. Im Gegenzug engagieren sich China und Russland aus geostrategischen Gründen stärker in und für Kuba. Kanada und – mit Abstrichen – Brasilien bleiben ebenso wie die genannten vier EU-Länder wichtige Handelspartner. Deutschland wird wohl trotz aller ökonomischen Begehrlichkeiten auch in Zukunft nicht über seinen ideologischen Schatten springen können und deshalb in der Zusammenarbeit mit Kuba weiterhin auf hinteren Rängen zu finden sein. In dem Maße, wie die Konturen einer multipolaren Welt weiter Gestalt annehmen, wird sich die geopolitische Position Kubas normalisieren und damit verbessern. Umgekehrt bleibt die Existenz eines sozialistisch orientierten Kubas ein zentraler regionaler Faktor bei der Durchsetzung einer post-westlichen Ordnung.
Revolutionäre Politik nach Fidel und Raúl: Die innere Variable
Letztlich entscheiden die Kubaner über die Zukunft ihres Landes. Viel wird davon abhängen, wie sie an die Bearbeitung ihrer Probleme gehen. Um deutlich zu machen, welche Spielräume dafür bestehen, sollten diese nach ihren Ursachen und Dimensionen in drei Kategorien unterschieden werden.
Erstens existieren bis heute historische Prägungen fort, die Kuba mit seinen lateinamerikanischen Nachbarn teilt. Dazu zählen sowohl die strukturellen Defizite, die sich aus der Zugehörigkeit zum globalen Süden ergeben (peripherer Platz innerhalb des Weltsystems, Fixierung auf Rohstoffexporte und Verwertung der Natur, Erbe der Massensklaverei) als auch daraus resultierende Mentalitäten wie Klientelismus, Korruption und Caudillismo. Die Spielräume, dies aus eigener Kraft ändern zu können, sind mittelfristig eher gering.
Zweitens zeitigen die geopolitischen und geoökonomischen Gegebenheiten eine ähnliche Wirkung wie die strukturellen Defizite. Zum einen handelt es sich bei Kuba um eine kleine Insel mit wenigen Ressourcen, die zum anderen in unmittelbarer Nachbarschaft zu den USA liegt, welche seit 1959 alle Anstrengungen unternommen haben, um die Revolution rückgängig zu machen. Die kubanische Führung kann zwar versuchen, durch Bündnisse und eine geschickte Außenpolitik die schlimmsten Folgen der Embargo-Politik zu mindern. Aber deren Beendigung liegt zuvörderst in den Händen Washingtons. Auch die bisher tiefste Krise, die das revolutionäre Kuba in Gestalt der „Sonderperiode“ durchmachen musste, ist den geopolitischen Folgen des Zusammenbruchs der Sowjetunion und nicht eigenen Fehlern geschuldet.
Eine dritte Kategorie stellen die hausgemachten Fehler und Fehlentwicklungen dar. Während erstere auf falsche politische Entscheidungen zurückgehen, sind letztere eher das Resultat von Verwerfungen, die sich aus den Problemen der ersten (historisch-strukturelle Faktoren) und zweiten Kategorie (Geopolitik und Geoökonomie) ergeben.
Die hohe Kunst der Politik besteht nun darin, die notwendigen Korrekturen so durchzuführen, dass trotz der aufgezeigten Probleme eine Verbesserung für alle Kubaner erreicht werden kann. Der Schlüssel dafür bleiben der sozialistische Charakter des Staates und seine enge Verbindung mit dem anti-imperialistischen, egalitären Nationalismus der Kubaner. Für die kommende Etappe zeichnen sich zwei Problemfelder ab, deren Lösung über die Zukunft Kubas (mit)entscheiden wird. Dabei handelt es sich erstens um den Abbau der sozialen Ungleichheit, die durch den unterschiedlichen Zugang zum konvertierbaren Peso (CUC) bedingt ist, und zweitens um den Aufbau einer nachhaltigen Landwirtschaft.
Die wachsende soziale Ungleichheit resultiert in erster Linie aus der Anpassung der kubanischen Wirtschaft an den ökonomischen Druck, der von der neoliberalen Globalisierung und den Folgen des US-Embargos ausgeht. Der Zugang Kubas zu internationalen Krediten und ausländischen Investitionen gestaltet sich äußerst schwierig und ist mit Zugeständnissen an die Kapitalgeber verbunden. Dies wird vor allem im Tourismussektor deutlich, wo 85 Prozent der Vier- und Fünf-Sterne-Hotels von ausländischen Unternehmen kontrolliert werden. Um ausländische Unternehmen für Investitionen in der Sonderwirtschaftszone Mariel zu gewinnen, muss die kubanische Regierung diesen ebenfalls weitreichende Konzessionen machen. Für das Auslandskapital ist vor allem die Kombination von billigen Löhnen und guter Bildung ein wichtiger Investitionsgrund. Dass der kubanische Staat nach wie vor die politische Kontrolle über den Öffnungsprozess beansprucht, wirkt für manches Unternehmen hingegen eher abschreckend.
Ein entscheidendes Instrument der politischen Kontrolle der Öffnung gegenüber dem Weltmarkt ist die Einführung einer Zweitwährung. Dem 1993 offiziell zugelassenen US-Dollar folgte 2004 der konvertierbare Peso (CUC), der direkt an ersteren gekoppelt ist und zum Wechselkurs von 1:24 mit dem kubanischen Peso (CUP) getauscht werden kann. Der Zugang zu Devisen, der sich für die Kubaner auf der Insel höchst ungleich gestaltet, ist aber zugleich der entscheidende Motor der wachsenden sozialen Unterschiede innerhalb der Bevölkerung. Diejenigen, die durch Verwandte im Ausland, durch Einnahmen im und um den Tourismus oder durch staatliche Sondervergütungen ausreichend über CUC verfügen, zählen zu den Gewinnern, die anderen hingegen zu den Verlierern dieses Systems. Die Staatsführung ist sich dieses Problems sehr wohl bewusst und plant deshalb seit 2013 die Zusammenlegung von CUC und CUP. Dass die Währungsreform trotz aller Ankündigungen bisher noch nicht umgesetzt wurde, zeugt von den damit verbundenen Problemen und Unwägbarkeiten, die vor allem aus der notwendigen Abwertung resultieren. Generell muss der Staat stärker als bisher dafür sorgen, dass die negativen Auswirkungen der ökonomischen Öffnung durch eine gezielte und differenzierte Sozialpolitik abgebaut oder zumindest gemildert werden.
Ausblick: Kuba als Alternative zur imperialen Lebensweise?
Ein zweites Problemfeld stellt die Landwirtschaft dar. Hier geht es im Kern darum, die Produktivität und Diversität so weit zu steigern, dass das Grundprinzip der Nahrungssouveränität durchgesetzt und die einseitige Abhängigkeit von Nahrungsmittelimporten überwunden werden kann. Der Zusammenbruch der Sowjetunion und der damit verbundene externe Schock haben eine tiefgreifende Transformation des kubanischen Agrarsektors eingeleitet. Die auf Monokultur beruhende agroindustrielle Zuckerproduktion musste weitgehend aufgegeben werden. So reduzierte sich die Anbaufläche von Zuckerrohr von 1.420.300 ha im Jahr 1990 auf 405.000 ha im Jahr 2014. In den 1990er Jahren wurde die Produktion von Lebensmitteln für die Kubaner zu einer Überlebensfrage. Besonders die mit Mais und Bohnen bewirtschafteten Flächen konnten von 1990 bis 2014 hohe Zuwächse verzeichnen, was in entsprechenden Ernteerträgen seinen Niederschlag gefunden hat (Spoor/ Thiemann, S. 8, Tabellen 2 und 3). Damit war zugleich ein enormer Bedeutungsverlust des staatlichen Sektors verbunden, während die Genossenschaften und in letzter Zeit besonders der Privatsektor an Bedeutung gewonnen haben (Tabelle 4).
Tabelle 4: Kuba – Struktur der Landnutzung 2007-2013 (in %)
Jahr |
Gesamt |
Staatssektor |
Nichtstaatl. Sektor |
UBPC |
CPA |
CCS & Privatsektor |
2007 |
100 |
35,8 |
64,2 |
36,9 |
8,8 |
18,5 |
2011-2013 |
100 |
17 |
83 |
23 |
9 |
51 |
Quelle: Botella Rodríguez 2017, S. 67. Die Unidades Básicas de Producción Cooperativa (UBPC) gingen 1993 aus staatlichen Agrarbetrieben hervor. Während das Land nach wie vor dem Staat gehört, ist die Produktion selbst genossenschaftlich organisiert. Die Cooperativas de Producción Agropecuaria (CPA) entstanden 1975 und funktionieren durchgängig kollektiv. Die Cooperativas de Creditos y Servicios (CCS) sind Zusammenschlüsse von individuell wirtschaftenden Agrarproduzenten, die seit 1961 als Kredit- und Dienstleistungsgenossenschaften fungieren (Boillat et al. 2012, S. 603-605).
Die Veränderungen sind noch beeindruckender, wenn man bedenkt, dass der Staat in den 1970er Jahren etwa 80 Prozent der Agrarfläche bewirtschaftete, welche sich nunmehr auf 17 Prozent reduziert hat. Im selben Zeitraum ist der entsprechende Anteil des Privatsektors von 12 Prozent auf über 50 Prozent gestiegen (Boillat et al 2012:603). Der so entstandene bäuerliche Privatsektor ist ebenso wie die Agrargenossenschaften in starkem Maße durch agro-ökologische Produktionsmethoden charakterisiert. Hervorzuheben ist ferner die urbane Landwirtschaft, die insgesamt 50.000 ha Anbaufläche umfasst. 70 Prozent des Nahrungsmittelbedarfs der Hauptstadt Havanna werden auf diese Weise gedeckt. Diese agro-ökologische Wende der kubanischen Landwirtschaft ist zwar unter den Zwängen der Sonderperiode eingeleitet worden, hat sich aber inzwischen zur tragenden Säule der einheimischen Nahrungsmittelproduktion entwickelt. Auf dieser Grundlage ist es Kuba gelungen, seine Abhängigkeit von Nahrungsmittelimporten von 70 Prozent 1980 auf 42 Prozent im Jahr 1997 zu senken. Die Koexistenz von (reduzierter) industrieller Landwirtschaft, die in Gestalt der großen Staatsfarmen auf etwa zehn Prozent der Agrarfläche fortbesteht, und bäuerlichen Familienbetrieben, die mit relativ wenig technischem und chemischem Input einen Großteil der Nahrungsmittel produzieren, bildet den Kern des kubanischen Landwirtschaftsparadoxons (Altieri/ Funes-Monzote 2012).
Immerhin fallen die Auswirkungen der ökologischen Wende Kubas derart ins Gewicht, dass der World Wildlife Fund (WWF) Kuba in seinem „Living Planet Report 2016“ zum „nachhaltigsten Land der Welt“ erklärt hat (Iozzi 2016:3). Zu ähnlichen Schlussfolgerungen kommen Studien aus Deutschland (Göll/ Seifried 2015) und Schweden (Strömdahl 2015). Obwohl das kubanische Landwirtschaftsparadox noch nicht entschieden ist, verkörpert die Inselrepublik die Chance, zum Wegweiser für eine alternative Lebensweise zu werden, die sich fundamental von der bisher praktizierten imperialen Lebensweise unterscheidet. Während letztere auf der profitgetriebenen Aneignung und Externalisierung von menschlichen und natürlichen Ressourcen beruht (Brand/ Wissen 2017), bietet des kubanische Modell die Chance, mit der (selbst)zerstörerischen Logik des gegenwärtigen Krisenkapitalismus zu brechen (Boillat et al. 2012).
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Literatur
Altieri, Miguel/ Funes-Monzote, Fernando: The Cuban Agricultural’s Paradox: The Persistence of the Agroecological Paradigm and the Emergence of Biotechnology, in: Monthly Review, January 2012, S. 16-26
Boris, Dieter: Imperiale Lebensweise? Ein Kommentar, in: Sozialismus, Hamburg, 44 (2017) Heft 7/8, S. 63-65
Boillat, Sébastien/ Gerber, Julien-F./ Funes-Monzote, Fernando: What economic democracy for degrowth? Some comments on the contribution of socialist models and Cuban agroecology, in: Futures, 44 (2012), S. 600-607
Botella Rodríguez, Elisa et al.: Seguridad Alimentaria en la Unión Europea, América Latina y el Caribe: los casos de Cuba y España. Hamburg, Mai 2017
Brand, Ulrich/ Wissen, Markus: Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus. München 2017
Göll, Edgar/ Seifried, Dieter: Nachhaltige Entwicklung und die Energiewende in Kuba. Eine kritische Bilanz. Potsdam 2015
Iozzi, Debora: Cuba, a Model of Sustainable Agriculture Towards Global food Security. Council on Hemispheric Affairs, Washington D.C., 12. Dez. 2016
Morris, Emily: Unexpected Cuba, in: New Left Review, No. 88, July-Aug. 2014, S. 5-45
PROKLA-Redaktion: Der globale Kapitalismus im Ausnahmezustand, in: PROKLA, Heft 185, 46 (2016) 4, S. 507-542
Spoor, Max/ Thiemann, Louis: „Who Will Feed Cuba?“ Agrarian Transformation, Peasants and Food Production. Colloquium Paper No. 26, 4.-5. Februar 2016
Strömdahl, Jan: Cuba’s Transition to Ecological Transition. Stockholm 2015
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Bildquellen: [1], [2], [3] Quetzal-Redaktion, pg