Normalerweise wird Salsa mit Musik und Tanz verbunden. In Wahrheit ist sie viel mehr als das, obwohl Musik und Tanz die repräsentativsten Äußerungen des soziokulturellen Phänomens Salsa darstellen. Dieses Phänomen entstand als sozialer und kultureller Protest. César Miguel Rondón meint, daß, wie der Tango in den Randvierteln von Buenos Aires, der Jazz in den Suburbs von New Orleans, die Salsa in den Latino-Vierteln von New York geboren wurde. Musikalisch äußert sie sich zuerst, als Eddie Palmieri Arrangements mit kubanischen Rhythmen kreiert, deren melodischer Teil von Posaunen getragen wird. Nach Rondön symbolisiert der abgebrochene, schrille Klang dieses Instruments den Protest, im Gegensatz zu den hochstilisierten Klängen der Violine, der Flöte und der Trompete -den Basisinstrumenten der kubanischen Musikformationen-. Die Aufnahme der Gruppe La Perfecta von Eddi Palmieri durch die Latinos in New York und der Karibik war unmittelbar und begeistert. Seine Gruppenformation mit Posaunen übernahmen u.a., Willie Colón, die Gebrüder Lebrón, Angel Canales und die Dimensión Latina. Die Tänzer kreierten ihren eigenen Stil und forderten immer mehr Tempo in den Rhythmen und immer mehr Freiheit.
Am Anfang interessierten die Texte niemanden, nicht die Musiker, nicht die Produzenten, nicht die Konsumenten; man hatte einfach keine Zeit, sich mit ihnen zu beschäftigen. Man verwendete eingängige Wendungen, die den Platten ihre Namen gaben (Ponte Duro mit Roberto Roena; Yo no sé mit dem Sextett La Plata; Vamos a gozar mit José Fajardo; Aguardiente y tiene sabor mit Angel Canales; Congo Bongo y Agitando mit den Fania All Stars etc.), oder man besang Musik und den Tanz (Vamos para el baile mit La Perfecta; Oriente y a las seis mit dem Sextett Joe Cuba; Cuero Estirao mit Johnny Colón; Mi Musica mit Ismael Rivera y sus Cachimbos etc.), wählte balladenhafte Themen oder man sang ganz einfach gar nicht. Früher oder später wandten sich die Texte jedoch sozialen Themen zu: auf der einen Seite dem Alltag der deklassierten in der großen Stadt (Calle Lima, Calle Sol und andere mit Willie Colón und Hector Lavoe; Agúzate mit Ricardo Ray und Bobby Cruz; Pedro Navaja, te estan buscando, u.a. von W. Colón und Rüben Blades, etc.), auf der anderen Seite dem sozialpolitischen oder sozial-existentiellen Protest (Plantación Adentro, Plástico, u.a. mit R. Bla-des und W. Colón; Latinos en los Estados Unidos mit W. Colón und Celia Cruz; Los Entierros mit Cheo Feliciano; La Carestia de la Vida mit Los Jóvenes del Hierro etc.). Es würde genügen, den Texten der Salsa-Klassiker etwas Auferksamkeit zu schenken, um zu begreifen, daß die Themenvielfalt viel breiter ist als das hier Wiedergegebene; es fehlen die Liebe, die Arbeit, der Humor, die Hommages usw.
Man weiß weder genau, wer das Wort prägte, noch wann das geschah, aber es steht fest, daß Mitte der 60er Jahre die „Salsa“ ihren Charakter erlangte und das Phänomen begann, sich in der ganzen Welt auszubreiten. Das Wort existierte schon lange vorher in der karibischen Musik durch den alten Brauch der Musiker dieser Region Amerikas, den Geschmack der Musik und des Tanzes mit dem Geschmack der Speisen und der schärfsten Gewürze zu vergleichen (Echale Salsita -Gib ihm Würze- mit Ignacio Pineiro; Salsa y Sabor -scharfe Soße und Geschmack-mit Tito Puente; Ritmo de Azúcar -Rhythmus des Zuckers- mit Andy Harlow; etc.).
Die Kubaner, angeführt von ihren bekanntesten Intellektuellen, bestehen -ungerechtfertigt- darauf, daß Salsa ein ungerechter und räuberischer Begriff sei, weil man unter einem einzigen Namen alle auf der Insel produzierten und in New York von zweitklassigen Orchestern nachgemachten Rhythmen abdecke; sie sagen, man müsse sie Afrokubanische Musik nennen. Im Gegensatz dazu würden viele latein- und US-amerikanische Intellektuelle die Salsa als afro-lateinamerikanische Musik definieren. Die rhytmische Grundlage lieferte Kuba; das Land hat eine musikalische Geschichte mit bedeutenden afrikanischen Einflüssen; aber die Salsa empfing auch von anderen Ländern der Region wichtige Beiträge.
Kuba, die Karibik und New York
Weiter in die Geschichte einzudringen als hier, würde bedeuten, sich mit der spanischen Eroberung, dem Handel mit afrikanischen Sklaven und den soziokulturellen Aspekten dieser Prozesse zu beschäftigen, was den Rahmen dieses Artikels sprengen würde. Bei den afrikanischen Sklaven in Amerika war es Brauch, vor und nach dem Essen oder während der Pausen mit selbstgefertigten oder europäischen Instrumenten oder allerlei Hausrat (Messern, Töpfen, Pfannen) zu musizieren und zu tanzen. Die Lieder pflanzten sich fort, die Sänger benutzten die verschiedensten Instrumente, und die regelmäßigen Feste wurden zu feierlichen Zusammenkünften. In Kuba nannte man ein Fest, auf dem man sang und tanzte, Rumba, und dieses Wort umfaßte auch, nach Odilio Urfé, verschiedene Varianten der getanzten Rhythmen: rumba estri-billo, rumba yambú, rumba guaguancó, rumba del teatro bufo, coros de rumba guaguancó, rumba tahona, tango congo, rumba a bierta und rumba colombiana. (Es ist interessant, festzustellen, daß in Cali, Kolumbien, ein häusliches Fest mit Musik aus der Konserve denselben Namen hat.) Das Wort Rumba kennt man heute als Bezeichnung für einen Rhythmus, vielleicht eine der genannten populären Varianten, die besonders wegen ihres Tempos hervorsticht. In Santiago, Palma, Soriano, Bayamo und Manza-nillo nannte man eine kleine Gruppe aus einer Gitarre und drei Sängern Bunga, später kamen Bongos, Marimbulas, Clave und Maracas -alle afrikanischen Ursprungs- hinzu, danach der Kontrabaß und, als letztes, die Trompete. Mit der Einführung dieses letzten Instrumentes hatte man die Formation, die man noch heute als klassisches kubanisches Son-Orchester ansieht. Der „San“ ist der Rhythmus, der Kuba musikalisch am besten beschreibt („El son es lo más sublime / para el cuerpo divertir“ -„Der Son ist das Beste für den Körper, um sich zu amüsieren“-: Suavecito von Ignacio Pineiro).
Die Forderungen der Tänzer, die Kreativität der Musiker, der soziale Fortschritt und äußere Einflüsse -vor allem aus Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika- provozierten eine Vervielfältigung der Rhythmen und die Vielfalt der Orchester, ebenso wie deren Normalisierung, die sie als Sextett, Septett, Charanga (eine Kopie eines französichen Orchesters, in dem Violinen und Flöte den Melodiebogen bestimmen) und schließlich als Jazz-Band in Erscheinung treten ließ. Nach dem, was wir wissen, waren es Mario Bauza und Frank Grillo, die 1941 mit der Gründung von Machito y sus Afrocubans die Richtung für diesen letzten entscheidenden Schritt vorgaben, nach Cesar Miguel Rondón eine Gruppe, die sich inmitten der Explosion des Bebop den Luxus leistete, die kubanischen Rhythmen mit den Harmonien und Läufen des Avantgarde-Jazz zu vereinen zu der berühmten und mit „Latin-Jazz“ schlecht umschriebenen Kreation des Mario Bauza, dem musikalischen Leiter von Afrocuban, und wie er selbst sagt, „Vater der Kreatur“… Seit dieser Gruppe, fährt Rondön fort, versuchten alle Formationen in und außerhalb New Yorks, die afrokubanische Rhythmen verarbeiteten, die Vereinigung des Jazz mit der Karibik zu erreichen, eine Vereinigung, die ihre goldene Zeit in den 50er Jahren in den Salons des immens wichtigen „Palladiums“ haben sollte. In derselben Epoche -der Dekade der 50er Jahre- setzte sich im musikalischen und tänzerischen Ambiente der großen New Yorker Clubs der Latin-Soul (wörtliche Übersetzung: lateinamerikanische Seele oder Gefühl) wegen seiner Anschmiegsamkeit durch. Er ist die der Salsa vorhergehende musikalische Form und ihr musikalisch am nächsten. Der schon erwähnte Machito brachte die Platte Machito heraus: „Latin Soul Plus Jazz“, wo sie sich perfekt ergänzen; einen intensiven Klang, kubanische Rhythmen, Jazz und afrikanische Perkussion vereinigend.
Nach der Rumba und dem Son wurden neue Rhythmen kreiert. („La rumba tiene algo / que invita a guarachar; / el guaguancó te alborota la sangre, / pero es que nadie comprende / que todo sale de la madre rumba, / si si es lo mejor, / es lo mejor, es lo mejor“ -„Die Rumba hat etwas,/ das zum Guaracho einlädt/ der Guaguancó wühlt dir das Blut auf,/ aber niemand begreift,/daß alles von der Mutter Rumba kommt/ ja, ja, sie ist das Beste…“: Madre Rumba -Mutter Rumba- von H. Jauma, mit Celia Cruz und La Sonora Matancera.) Der Guaguancó, einer der verbreitetsten Rhythmen in der heutigen Salsa, ist eine Variante der Rumba. Miguel Failde (1858-1921) kreierte den Danzón, Aniceto Diaz den Danzonete (1929); Orestes López und die Gruppe Arcano y sus Maravillas den Mambo (1938); Enrique Jorrin den Cha-Cha-Cha (1951); Antonio Maria Romeu die Charanga Mitte der 50er Jahre; man nahm die Guaracha wieder auf, ein schneller Rhythmus des Volkes, oft in Spottliedern verwendet.
Alle diese Rhythmen machten Furore in der Karibik, in den USA und in den entferntesten Gegenden der Welt. „Kuba -sagt Rondón- war der Anfang und das Ende der populären Musik der Karibik, von dort kamen Ausdrucksformen, die später in New York, Caracas, Puerto Rico und sogar Mexiko ausgebaut wurden … und die Frage ist nicht, ob unter den verschiedenen Ländern der Region nur Kuba Rhythmen von Wert und Interesse besaß; es geht einfach darum zu verstehen, daß Kuba alle notwendigen Bedingungen in sich vereinigte, um zum musikalischen Zentrum der Karibik zu werden. Nach dem Auftreten des Son in den 20er Jahren -der Son, der schon in den 30ern als wirklich karibisch und nicht ausschließlich kubanisch angesehen wurde- wäre es sehr schwierig gewesen,
Rhythmen zu entwickeln und international durchzusetzen, die nicht dieses Merkmal gehabt hätten…“ Es gab mit der puertoricanischen Plena und Bomba Ausnahmen, die von der Meisterschaft eines Rafael Cortijo und seiner Combo hervorgebracht wurden, welcher jedoch trotzdem nicht aufhörte, kubanische Rhythmen, vor allem Guaracha und Guaguancó, zu spielen.
Als Folge der Beschleunigung der Charanga kam in New York Anfang der 60er Jahre die Pachanga auf. („Se formö la discusion en el barrio /de si lapachanga es charanga, /porque la pachanga es el baue que esta de moda, / porque la pachanga es el baue que no incomoda“ -Es gab einen Streit im Barrio, l ob die Pachanga eine Charanga ist, / weil die Pachanga der Tanz ist, der in Mode ist, / weil die Pa changa der Tanz ist, der nicht unbequem ist“: La Pachanga se baila asi -Die Pachanga tanzt man so – mit Joe Quijano und seinem Orchester). Genau hier beginnt der andere Angriffspunkt dieser Argumentation.
Es ist bekannt, daß die USA und besonders New York Konzentrationspunkte der Glücksucher aus den lateinamerikanischen Ländern waren und sind; dabei sind die Caribenos die „Nutznießer“ iherer geografischen Herkunft. Der Strom aus Kuba verstärkte sich 1959 und in den Jahren unmittelbar danach wegen der Revolution Castros, dasselbe geschah mit der Dominikanischen Republik um 1965, als dieses Land politische Instabilität und eine direkte Intervention der USA erlitt. Die puertoricanische Gemeinde ist immer bedeutend gewesen. Andere wichtige Emigrantengruppen sind die venezolanische, die kolumbianische, die panamaische; der Leser möge die anderen hinzufügen („Latinos en los Estados Unidos / ya casi somos una nación, / venimos de la America India, / del negro y del espanol…“ -„Latinos in den Vereinigten Staaten / wir sind fast schon eine eigene Nation, / wir kamen vom indianischen Amerika, / vom schwarzen und vom spanischen Amerika…“-: Los latinos en los Estados Unidos mit Celia Cruz und Willie Colón).
Es gelang nur einer kleinen Fraktion der „Fremden“, in der großen Stadt ein gutes Leben zu finden, der Rest blieb jenseits des Glücks, verschmäht von der Gesellschaft der Gastgeber, verachtet von rassistischen Sektoren, angefeindet von den offiziellen Stellen und ohne Aussicht auf Besserung. Diese fatale Situation und das Heimweh sind es, die die Suche der Latinos nach einer leichten und angenehmen Zuflucht in ihrer Musik, den kubanischen Rhythmen, anregte; eine Suche, in die sich die Beiträge der Musiker der anderen Kolonien und der in den USA aufgewachsenen einreihen.
Die Salsa pickte sich das Beste jedes Landes, nicht nur der lateinamerikanischen, heraus r sie fügte Tempo und ihren Charakter, ihren Geschmack hinzu. Die Musiker wußten, daß sich ihr Publikum nicht nur mit den Rhythmen der Karibik, sondern mit jeder Musik identifizierte, die sie hervorbrächten, wenn sie nur dieselbe Qualität hätte und den Körper zur Bewegung einlüde. Man nahm auf und veränderte, z.B. die folgenden Rhythmen: aus Kolumbien: den Porro und den Merecumbé (Maria Lionza mit W. Colón und R. Blades; Ay Cosita Linda mit La Sonora Matancera und anderen Gruppen), die Cumbia (Colombia que linda eres mit der Gruppe Tipica Novel, La Pollera Colorá mit der Sonora Poncena), den Paseo Vallenato (unendlich viele Stücke, der kubanischen Charanga ähnlich); aus der Dominikanischen Republik: Merengue (unzählbare Lieder, eines der beliebtesten ist El Negrito del Batey mit der legendären La Sonora Matancera und der Stimme des ebenfalls legendären Alberto Beiträn. Es ist wichtig klarzustellen, daß, obwohl die Salseros Merengue spielen, die Merengueros sich ihre Unabhängigkeit erhalten haben und in einem erbitterten und gesunden Wettbewerb mit der Salsa stehen.); aus Puerto Rico: die Plena und die Bomba; aus Argentinien: den Tango und die Milonga (Milonga para una nina mit der Gran Combo de Puerto Rico; El dia que me quieras mit Eddi Palmieri und Cheo Feliciano etc.); aus Spanien: den Zapateado Flamenco (Los gitanos si denen sabor mit Celia Cruz und Tito Puente); aus Mexiko: die Ranchera und den Corrido; aus den USA: den Fox, den Charleston, den Soul, den Rock. Sogar die klassische Musik ging in die Salsa ein, was vielleicht am besten durch die Platte Juan Sebastian Fuga von Ricardo Rey dokumentiert wird. Die Berührungen der brasilianischen Musik mit der Salsa sind ebenfalls zahlreich gewesen: Lukumi, Makumba, Vudú mit dem Puertoricaner Charlie Palmieri; Usted abusó y Berimbau mit W. Colón und Celia Cruz; Blackaman mit R. Blades und Seis del Solar; etc.
Die Salsa explodiert
Diese Bereicherung war fruchtbar, intensiv, fieberhaft. Kurze Zeit, nachdem diese Explosion begonnen hatte, fiel es jemandem ein, dieses Phänomen mit einem Namen zu taufen, der einfach, synthetisch, expressiv, klangvoll und ausbeutbar, kommerzialisierbar war: „Salsa“. Und im Jahre 1964 verwandelte sich der nordamerikanische Anwalt Jerry Massucci in einen Geschäftsmann, um, zusammen mit dem gefeierten puertoricanischen Flötisten und Dirigenten Jhonny Pachecho, das ehrgeizigste Musikunternehmen dieser Tage zu gründen: die Plattenfirma Fania Records. Sie beabsichtigten, die Salsa in die ganze Welt zu tragen, sie kauften, mit wenigen Ausnahmen, die herausragenden Musiker ihrer Gattung und führten etwas ein, was es bis dahin nur bei Jazz und Rock gab: die Massenkonzerte, deren erstes Experiment 1971 im New Yorker Kasino Cheetah mit einem gigantischen Orchester stattfand, zusammengesetzt aus den Stars der Marke Fania All Stars: Larry Harlow, Jhonny Pachecho, Ray Barreto, Willie Colón, Yomo Toro, Hector Lavoe, Roberto Roena, Bobby Valentin, Cheo Feliciano, Puppi Legarretta, Nicky Marrero, Reynaldo Jorge, Santos Colon, Barry Rodgers, Orestes Vilato, Ismael Miranda, Pete „El Conde“ Rodriguez, Adalberto Santiago, Roberto Rodriguez, Hector Zarzuela, Larry Spencer (und Ricardo Ray und Bobby Cruz der Marke Valla Records als Special Guests). Danach folgten der Madison Square Garden in New York, das Stadion „Roberto Clemente“ in San Juan de Puerto Rico, das Stadion „El Champín“ in Bogota, das Stadion von Barranquilla, das „Coliseo del Pueblo“ in Cali, die Sporthalle „Nuevo Panama“, das „Coliseo El Poliedro“ in Caracas, der Sportpalast in Santo Domingo, das Stadion in Curazao und viele andere.
Der Autor dieser Betrachtung glaubt, daß folgende Faktoren an diesem Prozeß beteiligt waren:
1) Auf der einen Seite brachten die Ereignisse in Kuba die Ansiedlung hervorragender Musiker dieses Landes in New York mit sich (Jose Fajardo, Belisario Lopez, Puppi Legarretta, Israel Lopez „Cachao“, Alfredo „Chocolate“ Armenteros, Celia Cruz, La Sonora Matancera und viele andere); und auf der anderen den Boykott der musikalischen Produktion der Insel.
2) Mit der Verlagerung des musikalischen Zentrums der Antillen von Kuba nach Puerto Rico gewann die spanischsprachige Musik der Karibik neue Klänge hinzu. Auf dem Höhepunkt der Kreativität erfand der Puertorikaner Ricardo Ray zwei klassische Rhythmen der Salsa: den Boogaloo und den Jala-jala, und man nahm die descarga für die anspruchsvollsten Tänzer wieder auf. Diese wird von großen Orchestern interpretiert, und jeder Musiker hat dabei einen improvisierten Solopart -dieses Merkmal kopierte man beim Jazz-. Die Puertoricaner -Tito Puente, die Brüder Palmieri, Ricardo Ray, Rafael Cortijo, Rafael Ithier, etc.- führten, zusammen mit dem Panamaer Willie Colon und dem Dominikaner Jhonny Pachecho, etwas in die Salsa ein, das man als „Klang des Barrios“ kennt, dessen Rhythmen und Melodie sich an keinen der Rhythmen anpassen, die die Vorläufer der Salsa bilden, obwohl man Elemente des Guaguancó erahnen kann.
3) Der Druck der Konsumenten, die ständig auf neue Stücke drängten. Dieser Druck zwang die Plattenfirmen und die Musiker zu Experimenten, um die rhythmischen und klanglichen Möglichkeiten zu erkunden, unter denen natürlich auch Fehlschläge waren. Ein typischer Mißerfolg war der Shing-a-ling des Puertoricaners Jhonny „El Bravo“ López.
4) Die Konkurrenz zu Jazz und Rock. Der Jazz, wie bereits erwähnt, wurde in den Armen vierteln von New Orleans geboren und hatte eine Tradition des „Kampfes“ gegen die musikalischen Konventionen von mehr als einem halben Jahrhundert hinter sich -wir schreiben die zweite Hälfte der 60er Jahre-; der Rock, mit seiner reichen Geschichte von weniger als einem Jahrzehnt, mit seiner Energie und Vitalität, eroberte die nordamerikanischen Jugendlichen -einen Markt, der die Plattenfirmen immer interessiert hatte- und die Latinos in diesem Land betrachteten ihn mit Argwohn. All das passierte in einem Umfeld voller sozialer Probleme, wie sie in einer so hochentwickelten und dekadenten Gesellschaft normal sind, damals verschärft durch die Komplikationen, die der Krieg gegen Vietnam mit sich brachte. Mit dem Jazz arrangierte sich die Salsa, indem sie seine Elemente übernahm: den Aufbau der Formationen, den Big-Band-Stil, die Improvisation, die Soli und die vereinzelten Jazzläufe (einige Beobachter meinen, die Salsa sei die am weitesten entwickelte Tochter des Jazz.). Mit dem Rock liebäugelte man öfter, aber am Ende war er es, der mehr Elemente der Salsa übernahm als sie von ihm; daraus entstand der sogenannte Latinrock, der mit einer Salsainstrumentierung und mit weiteren Salsaelementen, die ihn charakterisieren, gespielt wurde. Die bekanntesten Verfechter dieses Stiles waren die Mexikaner Carlos und Jorge Santana, welche ebenfalls eingeladen wurden, mit den Fania All Stars zu spielen, woraus faszinierende Experimente entstanden.
Auf der Suche nach einer Vielfalt neuer klanglicher Möglichkeiten folgten die Gruppen nicht einer vorgegebenen Linie, sondern man behielt die kubanische Perkussionsinstrumentierung fast unverändert bei: Timbales oder Pailas, Bongos, Tumbadoras, Clave, Campana, Guiro, Maracas und Baß; außerdem beanspruchen die Rhythmen nach wie vor eine herausragende Stellung in den Arrangements, vor allem der Son und der Guaguancó.
Die Zeiten haben sich geändert, wie die Alten sagen. Es gab Entwicklungen und Ereignisse auf der sozialökonomischen, der technischen (elektronische Musikinstrumente) und der kulturellen Ebene, die an der Salsa -wie an der Musik überhaupt- nicht spurlos vorübergegeangen sind. Einige Kritiker meinen, daß die Steigerung der Qualität dieser Musik in den 70er Jahren langsam ein Ende nahm. Sie stellen sogar eine Platte an den Scheitelpunkt, und zwar die von Willie Colón und Rüben Blades Siembra -Ernte-, erschienen 1977. Nach dieser gab es eine Stagnation oder sogar Krise. Aber die Plattenfirmen und die Musiker hörten nicht auf, zu experimentieren, alte erfolgreiche Stücke mit neuen Elementen wiederaufzunehmen. Es gibt ein reiches, nicht zu bezweifelndes kulturelles und musikalisches Erbe der Salsa, von dem weiterhin die anspruchsvollsten Ohren und Tänzer profitieren (genau dasselbe passiert mit der klassischen Literatur), und mit dem die Salsa immer einen herausragenden Platz in der Lebenslust und der Kultur der karibischen Länder, und in geringerem Maße, auch der Länder des amerikanischen Festlands, einnehmen wird. Jene, die viel gereist sind, versichern, daß es in Lateinamerika keine Stadt gibt, die nicht ein Plätzchen für ihre Salseros bereithält. Folglich besitzt die Salsa einen hohen Grad an Universalität, weil sie von hier und von dort etwas auswählte, und deshalb ist sie ein Schlüsselfaktor der Integration, der Identität und der Verbrüderung unter den Lateinamerikanern; sowohl in ihrer großen Heimat, südlich des Rio Grande, als auch außerhalb von ihr. Die Nation der Salsa wuchs und hatte Bestand, die Salsa wird niemals sterben.
Notizen zur Salsa-Ballade oder balladenhaften Salsa
Sie kam wie der Rettungsanker für die Plattenfirmen, ein Experiment, welches diese eingedenk der Überlegung starteten, daß die Ballade immer ein zahlreiches und kaufkräftiges Publikum gehabt hat. Und welche Früchte es trug! Natürlich zuerst vom kommerziellen Standpunkt aus, aber auch für ihre Fans war es natürlich ein musikalischer Erfolg; andere würden das zurückweisen, das ist eine Frage des Geschmacks. Ich glaube, daß die Salsa-Ballade keine Salsa ist, man könnte sie höchstens als ihre Tochter betrachten; ihre Schwachpunkte sind, nach meinem Verständnis, die flächige, strenge Musik, mit sehr begrenzten Möglichkeiten der Schlaginstrumente; die Dialoge zwischen der Perkussion und der Melodiesektion fehlen völlig, die Lyrik ist, wegen der weinerlichen Texte, stereotyp; es verschwanden die typisch afrikanischen Refrains. Insgesamt ist der balladenhafte Stil bestimmender als der afro-lateinamerikanische.
Das Phänomen kam auf zu Beginn der vergangenen Dekade unter dem Taktstock des Veteranen des Salsa-Arrangements Louis Ramirez (Titere soy yo, Estar enamorado, Todo se der-rumbó, etc.). Ein anderer Veteran, der von dieser Ecke kam, war Joe Quijano (Vuelvo a vivir, Vuelvo a cantar), und auch die Gruppe La Solución (Mi vida er es Tu, Ladrón de tu Amor}. Der typische Vertreter dieser Welle war Eddi Santiago, der sich zum balladenhaften Stil verstieg, mit dem diese Welle begann. Hier lohnt es sich, eine andere Seite der Analyse zu wagen. Die Salseros ließen sich als Leute mit geübten Gehör charakterisieren, sie besitzen eine natürliche Boshaftigkeit im Erkennen der Gruppe, die den genauesten Schlag führt, und derjenigen, deren Kadenz an ihre Seelen rührt oder auch nicht; von daher gewinnt nicht jede Musik, die sich als Salsa gibt, ihre Zustimmung. In der goldenen Zeit der Salsa in Europa hielten sich kolumbianische „Salsa“Gruppen, wie Fruko y sus Tesos und The Latin Brothers nur mit vielen Schwierigkeiten, und es gab nur diese -welche anderen ließen sich erwähnen?- Die kolumbianischen Salsabaladeros haben sich nicht nur gehalten, sondern sie haben sich ausgebreitet. Die „Salsa“ der Gruppe Niche nahm nicht die Tradition der 60er und 70er Jahre auf, sie gründete ihren Erfolg auf Balladen. In Wahrheit hat Joe Arroyo nicht die Ballade ausgebeutet, jedoch hat die durch die Salsaballade erzwungene Simplizität ihm geholfen; wahrscheinlich aber weniger als seine Meisterschaft beim Spielen der Rhythmen der kolumbianischen Atlantikküste und sein Kokettieren mit denen der nichtspanischsprachigen Karibik (was Joe joesón und caribeno nennt). Die anderen haben sich am Lärm gesundgestoßen, in den sich auch der „merengue“ mischt: Los Ineditos, Guayacan, Grupo Clase, Checo Acosta, Los Timidos, Or-chesta Mat’e Cafia, etc. Während dieser Zeit versuchte es die Gruppe Raices mit der Orthodoxie, doch sie schafften es nur mit ihren Langspielplatten, von denen, nach meinem bescheidenen Gehör, die erste -Abriendo el camino- die beste ist. Gerechterweise muß man feststellen: Musik hören und über sie reden ist sehr einfach im Vergleich mit der Komplexität der Probleme, sie zu machen.
Übers. aus dem Spanischen: Anka Schmoll
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*Dies ist die bearbeitete Fassung eines Beitrags, der während der Ersten Woche der Lateinamerikanischen Integration an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Föderalen Universität von Rio de Janeiro (Brasilien) im November 1989 vorgetragen wurde.