Die Agricultura Sostenible beinhaltet in ihrem Konzept eine Reihe von Zielen, die zwangsläufig auch neuer Gedanken in der betrieblichen Verfahrensgestaltung bedürfen. Sie muß garantieren oder dazu beitragen, daß die Diversität der angebauten Nutzpflanzen gesichert werden kann, eine Schädigung der Umwelt vermieden wird, nur geringe Mengen Fremdenergie im Betrieb benötigt werden, eine Verbindung von Pflanzenbau und Tierzucht gewährleistet ist, ein gleichmäßiges Ausschöpfen des betrieblichen Arbeitsvermögens gesichert wird.
Diesen sehr weitläufigen und nicht leicht zu realisierenden Anforderungen wird die gegenwärtig praktizierte Gestaltung der Verfahren auf den Fincas in Mittelamerika nicht gerecht. Die Entwicklung einer angepaßten Technologie ist daher unbedingt notwendig.
Nun bleibt immer noch die Frage offen: Was ist denn eigentlich „Angepaßte Technologie“?
Aus agrarökologischer Sicht wird der bäuerliche Betrieb als Austauschglied zwischen der natürlichen und sozialen Umwelt betrachtet. Dabei dienen die angewandten Verfahren dazu, aus den genutzten Teilsystemen natürliche Umwelt (NET) und transformierte natürliche Umwelt (TET) die notwendigen Austauschprodukte zu gewinnen, die den Erhalt des Betriebes (P) sichern und über die Austauschbeziehungen mit der sozialen Umwelt (SET) die externen Inputs garantieren (Abb.l). Eine Sostenibilität (Nachhaltigkeit) der Landwirtschaft wird dann erreicht, wenn durch den Austausch alle Teilsysteme in ihrer Stabilität erhalten werden. Dieser Fall stellt in der Gegenwart die Ausnahme dar. Hauptgrund für diese Situation ist nicht die fehlende Kenntnis über diese Zusammenhänge zwischen den Teilsystemen, sondern das Fehlen geeigneter Verfahren, die die Stabilität des Gesamtsystems unterstützen. Aus dieser Erkenntnis heraus hat sich die viel diskutierte, aber nur in wenigen praktischen Ansätzen verbreitete Konzeption der Angepaßten Technologie entwickelt.
Angepaßte Technologie ist kein geschlossenes Konzept, das für die ländlichen Räume in Entwicklungsländern gilt und die dort herrschenden Zustände zementieren soll. Vielfältig wie die Ausgangspunkte der Betrachter sind auch die Ansätze, die für die Angepaßtheit von Technologie gemacht werden. Daher soll hier eine nicht umfassende aber anwendbare Definition für die Angepaßte Technologie in ländlichen Räumen gegeben werden, die als Grundlage für weitere Diskussionen genutzt werden kann.
Angepaßte Technologie in den ländlichen Räumen der Entwicklungsländer ist an den Bedürfnissen und Fähigkeiten der Menschen orientiert, sie sichert das Überleben der Masse der Bevölkerung und steht der Landflucht entgegen, dient der Entwicklung von Eigeninitiative, Kreativität und Selbstbestimmung von einzelnen, Familien oder Gemeinschaften, und sie berücksichtigt Fähigkeiten und Erfahrungen der in die Verfahren einbezogenen Arbeitskräfte, hat also ganz gezielt ökonomische Entwicklung im Auge. Doch das ist nur eine Seite. Nicht außer Acht zu lassen ist der soziale Ansatz, denn die Angepaßte Technologie soll keine Unterbeschäftigung und Arbeitslosigkeit erzeugen, sondern sozial gesicherte Perspektiven schaffen. Aber heute darf auch die Erhaltung unserer Umwelt nicht als Stiefkind der Entwicklung behandelt werden. Die angepaßte Technologie ermöglicht mit ihren Konzepten nachhaltige Landwirtschaft über lange Zeiträume, bekämpft Umweltrisiken und ist standortbezogen.
Nun ist die angepaßte Technologie aber auch kein Allheilmittel, derer wir ja genügend vorgesetzt bekommen, sondern sie ist nur ein Element der gesellschaftlichen Entwicklung.
Angepaßte Technologie ist in diesem Zusammenhang als eine entwicklungssichernde Maßnahme zu verstehen, wobei Entwicklung aber nicht gleichbedeutend mit Wachstum und materieller Besitzanhäufung zu sehen ist. Die Notwendigkeit der standortbezogenen Entwicklung macht eine Systemanalyse für den ländlichen Raum und nicht nur der Landwirtschaft unumgänglich. Deren Durchführung muß als eine Komponente des jeweiligen Gesamtprojektes bearbeitet werden und eine Identifikation der vorherrschenden Austauschbeziehungen zwischen bäuerlicher Wirtschaft und ihrer Umwelt zum Ziel haben.
In ihrer betrieblichen Umsetzung spielt die standortgerechte Verfahrenstechnik im Pflanzenbau eine Schlüsselrolle bei der Sicherung einer angepaßten Technologie für den Gesamtbetrieb.
Die Erfahrungen aus dem Pflanzenbau zeigen, daß von Kubas Bauern nach 1990 der Weg von einer „industriellen“ Landwirtschaft zu einer extensiven Ausbeutung der landwirtschaftlichen Flächen beschriften wurde. Beide Verfahrensweisen reduzieren die Bodenfruchtbarkeit und ihnen muß entgegengewirkt werden. Die Agricultura Sostenible bietet hierfür eine Vielzahl von Möglichkeiten. So ist ein Zwischenfruchtanbau zur Humusanreicherung im Boden denkbar oder auch eine sehr intensiv gestaltete Fruchtfolge kann positive Effekte hervorrufen, die zu einer Sicherung der Bodenfruchtbarkeit beitragen. Diesen Gedanken folgen auch di e Fruchtfolgeplanungen für komplexe Versuche zur Agricultura Sostenible.
Mit der angestrebten Diversität und Intensität im Pflanzenbau lassen sich für die landwirtschaftlichen Fincas eine Vielzahl von einzelnen Arbeiten für z. T. sehr unterschiedliche Ansprüche stellende einjährige Nutzpflanzen und auch mehrjähriger Obstkulturen beobachten, wobei bei einer meist geringen Gesamtackerfläche nur kleine Felder zu bearbeiten sind. Dieser Zustand ist für eine optimale Verfahrensgestaltung keineswegs förderlich . Um für einzelne Nutzpflanzen an den natürlichen Standort angepaßte Verfahren zu entwickeln, ist die Notwendigkeit einzelner Arbeiten zu überprüfen. In diesem Zusammenhang muß in den Betrieben eine Überprüfung traditioneller und konventioneller Verfahren vorgenommen werden, die die Beweggründe bei der Entscheidung für oder gegen bestimmte agronomische Praktiken und Maßnahmen untersucht. Bereits vorliegende Analysen zu anderen Standorten in Kuba belegen, daß weder traditionelle noch konventionelle Verfahren für eine nachhaltige Landwirtschaft im vollen Umfang nutzbar sind. Neuere Untersuchungen aus Mittelamerika dokumentieren aber, daß auch an Standorten, die lange Zeit einseitig genutzt wurden, durch veränderte Maßnahmen ein rascher Beitrag zu einer verbesserten Nachhaltigkeit pflanzenbaulicher Verfahren geleistet werden kann.
Ebenfalls berücksichtigt werden muß, daß mit der Integration von Zugtieren und Tierzucht als wichtiger Komponente einer Agricultura Sostenible, in den Betrieb neue Verfahren eingeführt werden müssen, die vor allen Dingen die Futterversorgung der Tiere sichern.
Im Lande wurden mit der Zugtieranspannung in den letzten Jahren sehr massiv neue Erkenntnisse gesammelt. Der herrschende Mangel an Kraftstoffen in der kubanischen Landwirtschaft hat eine verstärkte Hinwendung zur Einführung und Wiederbelebung der Zugtieranspannung gebracht. Viele Geräte wurden zu diesem Zweck entwickelt, die in ihrer Gestaltung auf den neueren Erfahrungen aus der Zeit der Traktornutzung beruhen. Damit konnte die Vielfalt der verfügbaren Maschinen für die Zugtieranspannung vergrößert werden, was eine bessere Anpassung an unterschiedliche Standorte und eine höhere Arbeitsqualität sichert. Häufig unbeachtet blieben jedoch die Handlichkeit und die Anschaffungskosten für die Geräte. Ein Geräteträger mit einer Masse von fast 120 kg kann von einem einzelnen Arbeiter nicht mehr bewegt werden, ist also nicht für die Bedingungen des einzelbäuerlichen Betriebes angepaßt.
Noch problematischer wird die Situation, wenn für den Umbau des Geräteträgers viel Zeit notwendig ist und nicht verfügbares Werkzeug – das kann schon ein einfacher Schraubenschlüssel sein – gebraucht wird. Solche Geräte landen nach nur wenigen Monaten auf einem Maschinenfriedhof, für den es in Entwicklungsländern zahlreiche Beispiele gibt. Bäuerlicher Pragmatismus muß in die Ideen der Konstrukteure einfließen.
Die Einführung angepaßter Technik ist eine vorrangige Arbeit, die von Agrartechnikern in einer Agricultura Sostenible zu leisten ist. Nur so ist eine langfristig wirksame Verfahrenswahl durch den Bauern zu erreichen, die es ihm ermöglicht, die vielen Arbeiten rechtzeitig zum optimalen Termin durchzuführen.
Um sich für einzelne, sich aus notwendig erachteten Arbeiten ergebende, geeignete Verfahrensvarianten im Pflanzenbau einzusetzen, sind auf der Grundlage des detaillierten Anbauplanes (Fruchtfolge, Anbauintensität) der Zeitraum für den Anfall der einzelnen Arbeiten und das jeweilige Arbeitsvolumen zu bestimmen. Auf dieser Basis kann der Bedarf an Arbeitsmitteln und Geräten kalkuliert werden.
Als wichtige Rahmenbedingung für ein solches Projekt sind die meteorologischen Daten für den Standort entsprechend aufzubereiten. Mit der auf der kubanischen Experimentalfinca befindlichen Wetterstation des Meteorologischen Dienstes sind die Voraussetzungen dafür ideal. In Zusammenarbeit mit der Wetterstation wäre es möglich, die Häufigkeit von Witterungszuständen zu berechnen, die eine Prognose zum Einsatzzeitfonds und für die Maschinenausstattung von Betrieben in der Region ermöglichen und so auch zur Verbesserung des ökonomischen Ergebnisses der Betriebe beitragen können.
Wie wichtig die Einhaltung der agrotechnischen Termine [1] (Zeitspannen) ist, zeigt ein Beispiel aus Kenia. Der Ertrag des angebauten Mais geht mit der Verzögerung der Aussaat ständig zurück. 14 Tage nach dem optimalen Aussaattermin sind je nach Düngergabe bereits Ertragseinbußen von 16 bis 33 % zu verzeichnen.
Zusammen mit den Erfahrungen aus der bäuerlichen Praxis wäre es möglich, aus den gewonnenen Witterungsdaten Entscheidungshilfen für eine standortgerechte Verfahrenswahl zu erhalten. Dies wird um so notwendiger, wenn mit reduziertem externen Energieeinsatz gearbeitet werden soll.
Aus der Zielstellung der Agricultura Sostenible, bei den betrieblichen Verfahren möglichst geringe Mengen an Fremdenergien einzusetzen, resultiert für die Verfahrenstechnik im Pflanzenbau die Frage nach dem anzuwendenden Mechanisierungsniveau für den Gesamtbetrieb und die einzelnen Arbeiten.
Im landwirtschaftlichen Betrieb regenerierbare Energiequellen für die Arbeitserledigung sind im Pflanzenbau die menschliche Arbeitskraft und Zugtiere. Das physikalische Leistungsvermögen des Menschen und das von Zugtieren ist jedoch begrenzt, so daß nur eine relativ geringe Arbeitsmenge im Vergleich mit der Leistung nach dem Einsatz von Traktoren bewältigt werden kann. In der Regel kann bei landwirtschaftlichen Arbeiten eine tägliche Einsatzzeit von nicht mehr als 4 Stunden sowohl für Menschen als auch Zugtiere erwartet werden.
Ein Verzicht auf den Einsatz von Traktoren ist also mit einem ausreichenden Bestand an Arbeitskräften und Zugtieren zu kompensieren. In welchem Maße dies möglich ist, wird vor allen Dingen ein betriebswirtschaftliches Problem für die Finca. Solange die für Arbeitskräfte und Zugtiere notwendigen Kosten unter den Maschinenkosten bleiben, wird ein Verzicht auf Traktoren möglich.
Ein völlig anders geartetes Problem ist die Frage der Sicherung der Arbeitsqualität bei ausschließlicher Nutzung von menschlicher Arbeitskraft und Zugtieren. Insbesondere Arbeiten, die in kurzer Zeit erledigt werden müssen (Unkrautkontrolle) oder denen, die einen hohen Energieeinsatz erfordern (Bodenbearbeitung), werden beim Einsatz menschlicher Arbeitskraft oder tierischer Zugkraft in ihrer Qualität häufig als schlecht beurteilt, weil geforderte pflanzenbauliche Termine oder Ansprüche nicht eingehalten werden können. Insgesamt stellen sich für die angepaßte Verfahrenstechnik die Bodenbearbeitung, die Pflege und die Ernte als besonders problematisch dar, da in diesen drei Zeiträumen durch die angewendete Verfahrenstechnik wesentlich über den Ertrag und die Rentabilität der jeweils angebauten Kulturen entschieden wird.
Zwangsläufig sind also Lösungen im Pflanzenbau zu suchen, die das anfallende Arbeitsvolumen reduzieren oder die Eingriffe in das genutzte Agroökosystem minimieren. Wege dahin sind die Nutzung von Landsorten, die an die Standortbedingungen angepaßt sind und eine bessere Schädlings- und Krankheitstoleranz aufweisen (Reduzierung der zeitintensiven Pflegearbeiten) oder Kulturmaßnahmen (Mischanbau, Anbau entlang von Konturlinien), die den notwendigen Energieeinsatz zur Anpassung und Erhaltung der Agroökosysteme reduzieren.
Natürlich wird unter solchen Bedingungen ein niedrigeres, dafür aber sicheres Ertragspotential und ein größeres nicht mechanisierbares Arbeitsvolumen zu erwarten sein. Dem steht aber der weitgehende Verzicht auf den Einsatz externer Produktionsfaktoren gegenüber.
Wenn durch die Anbauverfahren ein geringerer Naturalertrag nicht zu vermeiden ist, muß dieser Ertrag auch mit sehr geringen Verlusten geborgen werden. Die in Kuba und anderen lateinamerikanischen Ländern gebrauchte Methode, die geernteten Bohnen durch das Überfahren mit Traktoren aus den Hülsen zu dreschen muß z.B. unbedingt ersetzt werden. 15 … 25 % Verluste während der Ernte nach dieser Verfahrensweise liegen weit über den Werten, die von einfachen Standdreschern erreicht werden.
Das Konzept der Agricultura Sostenible kann mit seinen Zielen einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung unserer Umwelt leisten und gleichzeitig eine nachhaltige Agrarproduktion sichern. Unumgänglich bleibt die Anpassung der Technologie an dieses Konzept. Jedoch gerade in diesen Bereich ist die Neubewertung bisher angewandter Verfahren notwendig. Der Verzicht auf den umfangreichen Einsatz externer Ressourcen wird hohe Anforderungen an die Kreativität und Entscheidungsfindung des Bauern stellen. Ohne gelebte Erfahrung bleiben Agricultura Sostenible und Angepaßte Technologie weiterhin Theorie. Sicherlich sind für die Quantifizierung des Arbeitsvolumens und der Qualität einzelner Arbeiten bei verschiedenen Nutzpflanzen und Anbausystemen erste Ansätze gefunden, eine Gesamtanalyse für die Agricultura Sostenible fehlt jedoch noch.
Vor dieser Aufgabe steht das gemeinsame deutsch-kubanische Projekt auf der Finca Bainoa (Westkuba). Die Voraussetzungen, die gesteckten Ziele zu erreichen, sind gegeben. Notwendig bleibt die Koordinierung der Arbeiten aller Beteiligten und die aktive Einbindung der ländlichen Bevölkerung der Region.
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[1] Agrotechnische Termine bezeichnen Zeiträume, in denen Pflanzenbestände durch ihr biologisches Entwicklungsstadium einer „Hilfe“ durch den Menschen bedürfen.