Inmitten der von Covid-19 verursachten globalen Krise ist ein neues Album des kubanischen Liedermachers Silvio Rodríguez Domínguez (San Antonio de los Baños, 1946) erschienen. Dies trägt den Titel Para la espera (Dt.: Für die Wartezeit), der sich zwar auf den Lockdown beziehen könnte, aber vielmehr auf das im Album enthaltene Lied Danzón para la espera verweist, welches bereits 2015 geschrieben wurde. Para la espera besteht aus dreizehn Songs, die zwischen 2010 und 2020 in La Habana aufgenommen wurden – zehn davon waren bislang dem Publikum unbekannt. Die anderen drei Lieder waren zuvor bereits veröffentlicht worden: Der Titel Jugábamos a Dios entstand für den Film Afinidades (Dir. Jorge Perugorría und Vladimir Cruz, 2010), wohingegen Viene la cosa bereits seit 2016 in Rodríguez‘ Repertoire bei seinen Auftritten in den kubanischen Stadtvierteln zu finden war. Und der Song Noche sin fin y mar wurde bereits 2018 im unlängst sanierten Theater José Martí (La Habana) dem Publikum vorgestellt.
Im Gegensatz zur vorherigen Aufnahme, Amoríos (2015), in welcher der Kubaner von einem Jazz-Quartett samt GastmusikerInnen und sogar einem Sinfonieorchester (Orquesta Sinfónica de la Universidad de las Artes zu La Habana) begleitet wurde, handelt es sich bei der neuesten Platte um ein intimes Soloalbum. Hier singt Rodríguez allein und begleitet sich selbst mit der Gitarre, spielt Bass und Percussion und fügt zweite Stimmen hinzu. Außerdem übernahm er die Covergestaltung.
Para la espera ist das zwanzigste Studioalbum des berühmten Kubaners, dessen Laufbahn 1975 mit der Veröffentlichung des Debüt-LP Días y flores begann und inzwischen auch etliche Singles, Livealben und Kollaborationen umfasst. Das Album, das vergangenen Juni durch den YouTube-Kanal der Musiker offiziell präsentiert wurde, wird kostenlos und ausschließlich in digitaler Form vertrieben. Getreu dem populären Engagement, das Rodríguez kennzeichnet, erklärte er kürzlich, er wünsche sich damit, dass die Lieder ungehindert verteilt und angehört werden.
Auf musikalische Ebene zeigen sich die dreizehn Songs durchweg direkt und ohne prächtige Ornamente – was sich auch auf der formalen Ebene bestätigt, nicht nur bei der bereits erwähnten Intimität, sondern auch in Bezug auf die ehe kurze Dauer der einzelnen Titel, die im Durchschnitt drei Minuten lang sind. Dennoch (oder wohl gerade aus diesem Grund) liefert der Musiker schöne, geniale Arrangements sowohl bei den nur von der Gitarre begleiteten Arpeggien (wie beispielsweise in La adivinanza, Noches sin fin y sin mar, Jugábamos a Dios, Una sombra und Después de vivir) als auch bei den Melodielinien der Instrumente und dem Gesang (Aunque no quiero, veo que me alejo, Si Lucifer volviera al paraíso und Danzón para la espera). Die Liedtexte belegen – falls das noch ausdrücklich gesagt werden muss –, dass in dem Kubaner die Poesie in Strömen fließt. Thematisiert werden unter anderem das Leben und der Tod – das Album wurde sieben kürzlich verstorbenen Freunden des Künstlers gewidmet –, die Freiheit und das Verstreichen der Zeit.
Para la espera endet mit der Instrumental-Ballade Página final, eine Art Epilog, der uns zeigt, weshalb Musik eines der besten Mittel ist, um in nur zwei Minuten sehr viel zum Ausdruck zu bringen. Bereits beim ersten Anhören dieses Albums ist für die Geburt neuer „Hymnen“ in Sicht. Somit leistet Silvio Rodríguez nicht nur einen unentbehrlichen Beitrag zum universellen Lagerfeuer-Repertoire, sondern er macht auch ein wichtiges Geschenk an die Seele.
Silvio Rodríguez
Para la espera
Ojalá, 2020