Sie nennen sich „Die mutigen Vier“. Der Name ist treffend. Man muss Mut haben, um ohne viel Übung vor Publikum zu Rappen, ohne Breakdance-Praxis. Gnadenlose Kritiker mögen sagen: ohne Talent. Aber sie haben Spaß. Javier ist 14 Jahre alt, Yuliese 15, Yasmani auch 15 und der Älteste, Liosnel, ist 20. Sie leben in Trinidad, einer Kolonialstadt an der Südküste der Karibikinsel Kuba. Vor drei Monaten haben sie die Gruppe Exigencia Latina gegründet. „Wir singen für die Menschen in Trinidad“, sagt Yasmani. „Damit die Leute nicht ihre Lebensfreude verlieren. Wir wollen ein glückliches Volk, ein fröhliches Land.“
Drei der jugendlichen Rapper gehen noch zur Schule. Yasmani träumt davon, mit der Musik berühmt zu werden: „Wir verteidigen die Revolution. Wenn wir mal an einem Wettbewerb teilnehmen, werden wir ein Lied über die Revolution singen. Nur solche Lieder haben eine Chance, Wettbewerbe zu gewinnen. Wir singen über den Kommandanten Che Guevara.“
Der Revolutionsheld Che Guevara ist noch immer ein Mythos auf Kuba. In Tausenden Liedern wird er zum Märtyrer stilisiert. Doch in der Musik haben die mutigen Vier modernere Vorbilder. Mit ihren Kindergesichtern imitieren sie die Mimik des puertorikanischen Rappers Daddy Yankee und im Tanz versuchen sie sich an dem Stil der kubanischen Gruppe Existencia. Die vier sind angetreten, die Reggaetonszene in Kuba aufzumischen. Reggaeton ist eine lateinamerikanische Weiterentwicklung des HipHop, die von Puerto Rico aus den Subkontinent erobert hat.
Während ihres Liveauftritts sind die Stimmen der mutigen Vier eher schüchtern, ihre Bewegungen mehr improvisiert als ordentlich synchronisiert. Aber ihr Charisma ist unbestreitbar. Das bisher einzige Publikum der Gruppe Exigencia Latina waren Freunde der Jungs auf privaten Geburtstagsfeiern. Doch dann hat ihnen das „Haus der Kultur“ in ihrer Heimatstadt Trinidad die Türen geöffnet. Es ist ihr erstes Konzert vor Menschen, die sie nicht kennen. Die Bühnenshow ist nicht besonders gut, aber das Potential ist erkennbar. Sie ernten freundliches Lächeln und Applaus.
Yuliese ist ein stiller Mestize. Er gibt dem Auftritt eine mystische Aura. Javier, der Kleinste, versteckt sein Gesicht unter einer weißen Mütze. Er ist der „Mister Cool“ der Gruppe. Yasmani, dunkelhäutig, hübsch und mit einer sanften Stimme, könnte der Star der Mädchen werden.
Nach drei Liedern ist das Konzert von Exigencia Latina im Haus der Kultur zu Ende. Die vier Jungen springen von der Bühne. Aufgedreht hüpfen Yasmani und Javier auf und ab. Yuliese bemüht sich anfangs noch, den Eindruck des unnahbaren Rappers zu wahren, doch auf der Straße schließt er sich seinen Kameraden an. Sie rennen über den Pflasterstein der Altstadt von Trinidad bis zum zentralen Platz. Dort setzen sie sich auf eine Bank vor dem Rathaus und atmen die frische Luft der Nacht. In wenigen Stunden wird die Schule beginnen. Dann werden sie wieder einmal das Kommunistische Manifest von Karl Marx lesen. „Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!“ Doch in diesem Moment haben sie Spaß und fühlen sich wie moderne HipHop-Stars. Liosnel, der Älteste, hat schon in mehreren anderen Gruppen mitgemacht. Mit Exigencia Latina versucht er sich das erste Mal in der Vermarktung einer Gruppe. Er ist sich bewusst, dass er ein bestimmtes Image wahren muss, um auf Kuba erfolgreich sein zu können. Der HipHop hat seine Wurzeln in der US-amerikanischen Protestkultur. Aber bei den allmächtigen Behörden des kommunistischen Staates kommt das nicht gut an.
„Unsere Texte handeln von positiven Dingen“, erläutert Liosnel. „Wir singen keine Protestlieder. Hier auf Kuba kann man keine Texte über soziale Probleme machen. Das ist eine heikle Angelegenheit. Das wird nicht erlaubt. Eine Gruppe, die so was singen würde, bekäme Probleme.“
HipHop ist bei vielen jungen Musikern auf Kuba auch deshalb so populär, weil sie für einen Auftritt nur ihre Stimmen brauchen. Instrumente könnten sie sich nicht leisten. Umso wichtiger ist die computergenerierte Hintergrundmusik. Sie gibt den Rhythmus vor. Deshalb ist Fernando das eigentliche Rückrad der Gruppe. Er besitzt einen Computer und arrangiert den musikalischen Background. Fernando ist 24 Jahre alt, wohnt aber noch in der Wohnung seiner Eltern. Das ist ganz normal für junge Erwachsene auf Kuba. Sie ziehen meist erst aus, wenn sie verheiratet sind. Selbst dann leben die verschiedenen Generationen häufig weiter als Großfamilie zusammen.
Fernandos Zimmer ist spärlich ausgestattet. Ein Bett, ein paar Pappkartons mit Schuhen und Kleidern, an der Wand ein Poster von Daddy Yankee und darunter, wie ein wertvolles Kunstwerk auf einem stabilen Holztisch, der PC.
„Wir haben jetzt auch Zugang zu Computern“, erklärt er. „Man kann sie im Laden kaufen. Ich habe meinen PC mit Hilfe meiner Eltern bezahlt. Außerdem habe ich Verwandte im Ausland. Die haben mir etwas Geld geschickt. Aber ins Internet kommt man nicht so ohne weiteres. Ein Freund kann manchmal an seinem Arbeitsplatz ein Programm runterladen. So habe ich meine Musikprogramme bekommen, mit denen ich die Hintergrundmusik komponiere. Dabei nutze ich viele Rhythmen und Töne der afrokubanischen Kultur. Viele Elemente religiöser Musik aus Afrika eignen sich besonders gut für den HipHop. So entsteht eine Mischung mit kubanischem Charakter. Ich lasse mir das nicht bezahlen. Wieso auch? Das sind meine Freunde.“
Es wäre illegal, wenn sich Fernando seine Arbeit bezahlen lassen würde. Dafür bräuchte er eine staatliche Lizenz und müsste hohe Steuern zahlen. Privatwirtschaftliches Engagement von Kulturschaffenden wird nicht gern gesehen. Das überlässt der Staat lieber seinen eigenen Behörden. Und die mögen HipHop nicht, egal wie populär er bei der Jugend ist. In den Kulturzentren wird diese Musik zwar nicht verboten, aber man bemüht sich darum, sie auszusondern. Die Direktorin des „Hauses der Kultur“ in Trinidad hält sich an die politischen Vorgaben. Sie fördert bevorzugt traditionelle kubanische Musik: „Im Haus der Kultur arbeiten wir mit Amateuren, jungen Anfängern. Sie bilden ihre Gruppen und machen die Musik, die ihnen am besten gefällt. Im Moment sind das Reggaeton und HipHop. Aber wir leiten diese Jugendlichen an, so dass sie auch kubanische Musik in ihr Repertoire aufnehmen. Die Ballade, den Danzón oder die Bauernmusik. Traditionelle, kubanische Musik.“
Das Büro der Direktorin im Haus der Kultur ist spärlich ausgestattet. Vor einer Wand stehen ein paar Aktenordner auf dem Zementfußboden, an der gegenüberliegenden Wand hängen die Urkunden der Universitäts- und der Parteikarriere der biederen Dame, die an einem eisernen Schreibtisch sitzt. Die Holztür des Raums ist marode, genauso wie der schnörkellose Fensterrahmen. Es ist das Ambiente einer Amtsstube des Verwaltungsapparats eines verarmten Landes. Dem Recht auf freie Meinungsäußerung und künstlerische Freiheit räumt die Bürokratin keine große Priorität ein. Sie gibt sorglos zu, dass sie die jungen Leute in ihrer musikalischen Entfaltung zensiert, kontrolliert und einschränkt: „Wir nutzen den Reggaeton, um an dem zu arbeiten, was wir eigentlich mit den jungen Leuten erreichen wollen. Die Tendenz in diesem Land ist es nämlich, den Reggaeton zu eliminieren. Wir wollen diese Musik ausmerzen, weil sie keine kubanische Musik ist.“
Das Städtchen Trinidad hat einen wunderschönen, kolonialen Stadtkern. Der Ort ist voller Musik. Immer und überall tanzen Menschen, in den Straßen, in den Hinterhöfen ihrer Häuser, in den Parks, auf den nahe gelegenen Stränden. „Die Leute aus Trinidad können keine fünf Minuten stehen, ohne zu tanzen“, meint Javier. „Wenn man über die Straße geht, fängt man an zu singen. Egal wo. Die jungen Leute jedenfalls singen immer. Du wartest auf jemanden, langweilst dich, da fängst du an zu tanzen, ohne Musik. Die Leute finden das ganz normal.“
In Trinidad gibt es zahlreiche Diskotheken. Eine davon, die „Fonoteca“, steht auch offen für Jugendliche wie Yasmani, Javier und Yuliesse. An der Bar dieser Jugenddisco kann man Saft und Sodas bestellen, für einen kubanischen Peso, etwa drei Euro-Cent. Kein Alkohol, keine Zigaretten. Ein alter Mann kassiert und gießt ein. Seine Hand zittert, trotzdem geht kein Tropfen daneben. Er spricht gerne darüber, wie sich die Zeiten auf Kuba verändert haben: „Die Jugend heute hat viele Freiheiten. Zu meiner Zeit war das anders. Damals gab es viele Verbote, viele Tabus. Man konnte viele Dinge nicht machen. Die kurzen Röcke zum Beispiel. Damals war das nicht möglich. Heute laufen die Mädchen mit engen, kurzen Hosen rum, als ob es Tangas wären. Und es sieht gut aus. Mir gefällt das. Wir damals hatten solche Möglichkeiten nicht. Mir macht es Spaß, zuzuschauen, wie sie Spaß haben.“
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Bildquelle: Andreas Boueke_.