Seit dem Sieg von Fidel Castros „Bewegung des 26. Juli“ über den Diktator Fulgencio Batista im Jahr 1959 wird auf Kuba kein Begriff so sehr strapaziert wie „Revolution“. Seit neun Jahren ist davon auch der Energiesektor betroffen. 2005 rief Kubas Präsident die Energierevolution, die revolución energética, aus. Seitdem ist das Land (wieder einmal) im Umbruch.
Weiten Kreisen der Öffentlichkeit unbekannt, war der Umsturz in der kubanischen Energiepolitik mindestens ebenso radikal wie die Energiewende in Deutschland. Ein gemeinsames Ziel in beiden Ländern bestand in der Verbesserung der Energieeffizienz – und im Energiesparen. Freilich, den Anstoß zu diesem Prozess gab auf kubanischer Seite nicht die Gesellschaft, die Druck zu einer Senkung der CO2-Emissionen und zum Klimaschutz ausübte. Kuba war zu dieser Revolution gezwungen worden, nachdem die schweren Verwüstungen während der Hurrikan-Saison 2004 und 2005 das Energiesystem haben zusammenbrechen lassen (z.B. Ausfall des Großkraftwerks in Matanzas). An vier Tagen pro Woche kam es zu Stromausfällen, die länger als eine Stunde andauerten. Die mangelhafte Energiebereitstellung traf auf eine – im Vergleich – sehr hohe Nachfrage in den privaten Haushalten, da die meisten Elektrogeräte wie Ventilatoren oder Kühlschränke extrem veraltet und entsprechend ineffizient waren.
An diesem Punkt setzte die kubanische Regierung an. Sie verordnete und förderte ein Modernisierungsprogramm, das auf dem Prinzip des Energiespar-Contractings funktionierte. Dieses auch Performance-Contracting genannte Modell basiert darauf, dass die Investitionen in effiziente Elektrogeräte durch die Einsparung bei den Energiekosten amortisiert werden. 2005 begann die Energierevolution zunächst mit dem (für die Haushalte kostenlosen) Austausch von neun Millionen Glühlampen gegen Energiesparlampen. Das brachte für den Staat bereits eine Einsparung von schätzungsweise zwei Prozent der Stromnachfrage. Beim (für die Haushalte ebenfalls kostenlosen) Austausch von über einer Million Ventilatoren und einer Energieersparnis je Haushalt von 60 bis 70 Kilowattstunden pro Jahr, verringerte sich die nationale Energienachfrage um weitere 0,5 Prozent. Für die Regierung stand den Anfangsinvestitionen von etwa 10 Millionen Euro eine jährliche Kosteneinsparung von zirka 12 Millionen Euro gegenüber. Die Anschaffungskosten amortisierten sich damit innerhalb eines Jahres.
In einem weiteren Schritt wurden Programme zum Austausch von Kühlschränken aufgelegt. Allerdings erfolgte hier die technische Erneuerung nicht mehr gratis. Der durchschnittliche Kaufpreis lag bei etwa 6100 kubanischen Peso (rund 180 Euro), und damit beim durchschnittlichen Jahresgehalt. Allerdings konnten die meisten Haushalte für den Austausch auf einen langlaufenden, günstigen Konsumkredit zurückgreifen. Das Kreditprogramm im Zuge der Energierevolution umfasste neun Milliarden Peso (etwa 287 Millionen Euro). Auch wenn mit den Produkten aus China nicht die effizientesten Geräte auf dem Markt den Weg nach Kuba fanden, so lag die Stromersparnis der modernen Kühlschränke je Haushalt bei 350 bis 550 kWh pro Jahr. Das ist umso bedeutender, da der Kühlschrank mit seinem Jahresverbrauch von 700 bis 900 kWh den größten Posten im durchschnittlichen Stromkonsum von 1670 kWh pro Haushalt und Jahr darstellte. Für das Land bedeutete der Austausch von 2,55 Millionen Kühlgeräten eine jährliche Stromeinsparung von etwa 1150 Millionen kWh – 6,5 Prozent des Gesamtbedarfs und entsprechend Minderausgaben von 230 Millionen Euro. Allerdings hätte der Einkauf der effizientesten Geräte am Markt pro Kühlschrank zusätzliche Einsparungen von 150 kWh pro Jahr ermöglicht, was sich trotz der höheren Anschaffungskosten über die Lebensdauer amortisiert hätte. Finanzielle Restriktionen der kubanischen Regierung und die noch immer bestehenden Exportbeschränkungen nach Kuba standen dieser Alternative allerdings entgegen.
Außer Glühbirnen, Ventilatoren und Kühlschränken umfasste das Umtauschprogramm zudem Fernseher, Wasserpumpen und Klimaanlagen. Über den gesamten Zeitraum der Energierevolution hinweg hat Kuba über 20 Millionen ineffiziente Elektrogeräte und praktisch zu 100 Prozent die Glühbirne durch Energiesparlampen ersetzt.
Angesichts dieser Bilanz sollten sich die Einsparungen im Haushaltbereich auch in der Elektrizitätsnachfrage des Landes niederschlagen. Aber die U.S. Energy Information Administration (EIA) weist – auf welcher Datengrundlage auch immer – einen Anstieg der kubanischen Elektrizitätsnachfrage von 12,1 Milliarden kWh im Jahr 2005 auf 14,0 Milliarden kWh im Jahr 2009 aus. Danach sinkt der Elektrizitätskonsum auf 13,6 Milliarden kWh im Jahr 2010. Hier endet die Statistik. Die International Energy Agency (IEA) gibt für das darauf folgende Jahr 2011 einen Verbrauch von 15,0 Milliarden kWh an. Diese Zahlen liegen leicht unter den Angaben der kubanischen Behörden, aber die Tendenz ist gleich. Beispielsweise lag gemäß dem Zentrum für Information und Entwicklung des Energiesektors (Centro de Gestión de la Información y Desarrollo de la Energía, CUBAENERGIA) der Stromkonsum 2011 bei 17,8 Milliarden kWh und 2012 bei 15,5 Milliarden kWh. Alle drei genannten Institutionen verzeichnen somit einen absolut steigenden Elektrizitätskonsum. Diese Entwicklung mag überraschen, da ja das eigentliche Ziel der Energierevolution die Verminderung der Elektrizitätsnachfrage war.
Eine detaillierte Aufschlüsselung zeigt, dass die Industrie mit 4,8 Milliarden kWh (31,2 Prozent) und der Haushaltssektor mit 7,3 Milliarden kWh (47,1 Prozent) den größten Anteil am Stromverbrauch haben. Warum steigt nun aber die Nachfrage nach Elektrizität? Möglicherweise treten auch in Kuba rebound- oder gar backfire-Effekte auf. Darunter versteht man Prozesse, bei denen trotz gestiegener Effizienz das Einsparpotenzial nicht erreicht wird, sondern (wie im Extremfall des backfire) sogar zu einem absolut erhöhten Bedarf führt. Für diese Argumentation spricht, dass in vielen Küchen Kerosin- und Gasherde durch elektrische Kochplatten ersetzt wurden, was zwar positive gesundheitliche Auswirkungen für die betroffenen Haushalte hatte (Stichwort Feinstaubemissionen bei Kerosin), aber die Stromnachfrage absolut natürlich in die Höhe trieb. Ein möglicher Indikator hierfür ist, dass die C02-Emissionen pro Kopf stagnierten – nämlich bei 2,56 t/cap (2011) im Vergleich zu 2,56 t/cap (2005). Auch eine Studie zur Energierevolution in Kuba (Dieter Seifried, 2013) gibt als Folge der „Elektrifizierung der Küche“ einen um 13 Prozent erhöhten Stromverbrauch an. Zugleich wurden dadurch allerdings 250.000 Tonnen Erdöl-Äquivalente eingespart. Inwiefern zudem marode Industrieanlagen die Einsparungen im Haushaltsektor wettmachten, kann an dieser Stelle nicht abschließend beurteilt werden.
Die Energierevolution umfasste jedoch nicht nur Aspekte der Energienachfrage, sondern auch neue Formen der Energiebereitstellung. Beim Energiemix dominiert nach wie vor das Öl. 2011 stammten 80 Prozent des Gesamtenergieangebots aus Erdöl, 0,7 Prozent aus Erdgas. Erneuerbare Energien machten 13,2 Prozent aus, davon der größte Teil auf Basis von Biomasse (Bagasse). Und die alternativen Energien gewinnen zunehmend an Bedeutung. Die zentralen Großkraftwerke haben scheinbar ausgedient – zumindest in den Planungen. Sie sind marode, und der Import von Erdöl verschlingt Unmengen an Devisen. Täglich werden 171.000 Barrel eingeführt. Die Förderung eigenen Öls, etwa 51.000 Barrel pro Tag, bringt dagegen die Schwierigkeit mit sich, dass die neuen Ölfelder – vor allem in den Tiefseegebieten im Norden – immer schwieriger zu erschließen sind, was die Preise nach oben treibt.
Erneuerbare Energieträgen haben dem gegenüber den Vorteil, dass sie Strom dezentral erzeugen und bei Unterbrechung des Stromnetzes – zum Beispiel infolge von Hurrikanen – weniger anfällig sind. Bis 2020 soll daher der Anteil der erneuerbaren Energien auf 16,5 Prozent ansteigen. Im Fokus steht vor allem der Ausbau bei der Windkraft und bei Solaranlagen. Deren Anteil an der Gesamtstromerzeugung liegt aktuell noch bei verschwindend geringen 0,12 Prozent. Es gibt allerdings klar erkennbare Initiativen. So wurden beispielsweise seit 2001 auf 2360 Schulgebäuden Photovoltaik-Anlagen installiert. Und 2013 ging die erste Solarfarm mit einem MW Kapazität ans Netz. Sechs weitere Solarkraftwerke sind in Planung.
Trotz dieser Projekte zur Förderung der erneuerbaren Energiequellen wurden in den letzten Jahren weiterhin Dieselgeneratoren in großem Umfang installiert. Gemäß Schätzungen haben die 1500 Generatoren insgesamt eine Kapazität von über 3 GW – ein Vielfaches der Windturbinen und Solarpaneele. Angesichts dieser Zahlen stellt sich die Frage, warum die Regierung die Reformierung der Energieerzeugung nicht noch energischer angeht, zumal die laufenden Kosten für Dieselgeneratoren relativ hoch sind. Bei Windrädern oder Solarpaneelen wären die laufenden Kosten hingegen praktisch gleich null.
Dieses Argument erlangt zudem mit Blick auf die Stromgestehungskosten Bedeutung. Durchschnittlich kostet die Erzeugung von 1 kWh in den kubanischen Erdölkraftwerken umgerechnet 0,20 €. Das ist fast doppelt so teuer wie der deutsche Durchschnittspreis. Für die meisten kubanischen Haushalte brachte die Energierevolution jedoch keine Mehrbelastung – zumindest für die Wenigverbraucher. Haushalte mit einem Energieverbrauch weniger als 100 kWh pro Monat zahlen pro kWh (einen sehr stark subventionierten) Preis von gerade einmal 0,09 kubanischen Pesos (CUP; etwa 0,003 €). Im Bereich 101 bis 150 kWh Stromverbrauch pro Monat kostet die kWh 0,3 Pesos (etwa 0,01 €). Stufenförmig steigt der Preis pro kWh auf 1,3 Pesos (etwa 0,04 €) bei über 300 kWh Verbrauch pro Monat. Der Höchstbetrag beläuft sich auf 5 Pesos (etwa 0,16 €), wenn der Haushalt monatlich über 5000 kWh an Strom konsumiert. Für Haushalte im Bereich über 1000 kWh haben sich die Stromkosten seit 2011 somit mehr als verdoppelt (von 1,3 Pesos auf 3,0 Pesos pro kWh).
In der Gesamtschau ist die kubanische Energierevolution als Erfolg zu werten. Allerdings ist der Prozess noch lange nicht abgeschlossen. Der Effizienzsteigerung in den Haushalten muss eine vergleichbare Entwicklung bei den Industriebetrieben folgen. Wie gezeigt, haben zudem rebound-Effekte einen Teil der Effizienzsteigerungen überkompensiert. Die vermehrte Stromnachfrage sollte verstärkt durch Elektrizität aus erneuerbaren Energiequellen genutzt werden. Hierfür bieten sich neben dem Ausbau der Solar- und solarthermischen, Wind- und Kleinwasserkraftwerke vor allem die Kaskadennutzung von Reststoffen aus der Agrar- und Tierwirtschaft (Biomassenutzung), Wellenkraftwerke oder Geothermie an. Die kubanische Energierevolution 2.0 wartet somit auf ihre Initialisierung.
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Bildquellen: [1] Quetzal-Redaktion, ssc; [2], [3] Public Domain