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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Ché im Kongo
Afrikanischer Traum oder Geschichte eines Scheiterns? (Teil II)

Peter Gärtner | | Artikel drucken
Lesedauer: 17 Minuten

Teil II: Entscheidung am Tanganjikasee

Kuba, Kongo: Che im Kongo 1965 - Foto: Creative CommonsAls Ernesto Che Guevara mit dem ersten Kontingent der kubanischen Freiwilligen in der Nacht von 23. zum 24. April 1965 den Tanganjikasee überquerte, um in die Kämpfe im Osten des Kongo einzugreifen, befanden sich die revolutionären Kräfte bereits in der Defensive. Der Auftrag der Kubaner bestand darin, die Aufständischen militärisch soweit auszubilden, dass sie dann wieder in die Offensive gehen konnten. Ursprünglich waren dreißig Ausbilder vereinbart worden. Später sollten „weitere einhundertdreißig Männer, ausnahmslos Schwarze“ den Kampf aufnehmen (Ernesto Che Guevara: Der afrikanische Traum, S. 28). Che Guevara rechnete damit, dass der Kampfeinsatz drei bis fünf Jahre dauern würde (ebenda, S. 80). Gemessen an diesen Erwartungen erscheint der Rückzug, den Che mit seinen Kampfgefährten nach siebenmonatigem Kampf antreten mussten, als ein Scheitern. Es stellt sich jedoch die Frage, was zu dieser Entscheidung geführt hat. Inwiefern waren die ursprünglichen Hoffnungen Che Guevaras gerechtfertigt? Welche Entwicklungen führten dazu, dass sie nicht in Erfüllung gingen? Wäre die Niederlage des kongolesischen Befreiungskampfes zu verhindern gewesen? Welches Gewicht besaß der Einsatz der Kubaner im Ringen um das weitere Schicksal des Kongo? Will man plausible Antworten auf diese Fragen finden, dann muss man den Einsatz der Kubaner und die Entscheidung, die am 20. November 1965 zu ihrem Rückzug geführt hatte, in die damaligen Entwicklungen im Kongo einordnen. Ebenso gilt es, das Geschehen auf afrikanischer und internationaler Ebene zu berücksichtigen.

Der Zeitraum, in dem Che Guevara im Kongo kämpfte, wurde durch zwei innenpolitische Ereignisse umrahmt, die verdeutlichen, wie unübersichtlich sich die Situation 1965 gestaltete. Vom 13. März bis 30. April 1965 fanden im Kongo Wahlen statt, die die Position des damaligen Ministerpräsidenten Tshombé, dessen Partei 122 von 167 Parlamentssitzen gewonnen hatte, deutlich stärkten. Am 13. Oktober wurde er jedoch von Präsident Kasavubu entmachtet, der wenig später – am 25. November – selbst einem Staatsstreich von Armeechef Mobutu zum Opfer fiel. Kasavubu hatte Tshombé geopfert, um zu erreichen, dass die Organisation der Afrikanischen Einheit (OAU) ihre Unterstützung für die Aufständischen aufgab. Ohne Wissen Mobutus hatte er zudem zugesichert, die Söldner, die an der Seite der Regierungstruppen (ANC) kämpften, nach Hause zu schicken. Bereits am 19. Juni war in Algerien Präsident Ben Bella gestürzt worden, der einer der wichtigsten Unterstützer des kongolesischen Befreiungskampfes gewesen war. Am 11. November hatte Ian Smith die Unabhängigkeit von Rhodesien erklärt und damit in der unmittelbaren Nachbarschaft der Aufständischen einen rassistischen Siedlerstaat etabliert. Alle diese Ereignisse beeinflussten den Verlauf der Kämpfe in starkem Maße. Besonders der Verlust der Unterstützung durch die afrikanischen Staaten und die Stärkung des rassistischen Blocks im Süden des Kontinents verschlechterten die Chancen der Aufständischen deutlich. Aber auch das Zerwürfnis zwischen der Sowjetunion und der Volksrepublik China, die jeweils unterschiedliche Fraktionen der freedom fighters unterstützten, wirkte sich negativ auf den Ausgang des Befreiungskampfes aus. Hinzu kam, dass China im Verlauf des Jahres 1965 sein Interesse an Kuba verloren hatte. Eine Ironie der Geschichte bestand darin, dass am 28. April – als sich Che Guevara bereits im Kongo befand – die Dominikanische Republik von US-Truppen besetzt wurde (vgl. zu diesen Ereignissen Gott 1996, S. 9-15). Aber kehren wir zunächst zum Jahr 1964 zurück, als die zweite Runde des kongolesischen Befreiungskampfes in Kwilu und Kivu ihren Anfang genommen hatte.

Simba-Aufstand und westliche Intervention

Kuba, Kongokrise 1961 - Karte: Creaive CommonsDamals wurde der Kongo durch drei Aufstände erschüttert, die sehr viel tiefer gehende Auswirkungen hatten als die Wirren von 1960. Der Zyklus dieser neuen Befreiungskämpfe wurde im Januar 1964 von Pierre Mulele in Kwilu eröffnet. Im Februar folgte Gaston Soumaliot mit der Erhebung im Ostkongo. Von Burundi aus eroberte er zuerst Uvira, dann Fizzi. Im Juni stieß er von dort aus auf Albertville in Nordkatanga vor, das er ebenfalls einnehmen konnte. Im Norden brachte Nicholas Olenga am 4. August Stanleyville unter die Kontrolle der Aufständischen. Dort wurde am 7. September 1964 die Volksrepublik Kongo ausgerufen, an deren Spitze Ministerpräsident Christoph Gbenye stand. 13 Ländern erkannten die Revolutionsregierung an. Ende September 1964 kontrollierten die Aufständischen die Hälfte des Landes. Die Situation war so ernst, dass Präsident Kasavubu am 26. Juni Moise Tshombé aus dem Exil zurückgeholt und ihn am 10. Juli als Ministerpräsident an die Spitze einer neuen Regierung gestellt hatte. Dieser sollte mit Hilfe seiner Katanga-Gendarmen und seiner guten Kontakte zu den Söldnern die Befreiungsbewegung im Zuge einer Gegenoffensive in die Knie zwingen.

Aber erst die direkte militärische Intervention Belgiens und der USA im November 1964 brachte eine Wende. Unter dem Eindruck des Vietnam-Krieges sah Washington im Kongo einen „afrikanischen Dominostein“, dessen Fall um jeden Preis verhindert werden musste, wobei der Einsatz eigener Truppen als letztes Mittel galt. Hier sprangen Belgien und die angeheuerten Söldner in die Bresche, die sich aber voll auf die Unterstützung der US Air Force und der CIA verlassen konnten. Eine Reihe von Exil-Kubanern kämpfte damals ebenfalls als Söldner im Kongo. Ihre Feuerprobe erlebte diese imperialistische Kooperation, in die auch Großbritannien eingebunden war, mit einer kombinierten Boden- (Operation Ommegang) und Luftoffensive (Operation Dragon Rouge). Am 24. November landeten 343 belgische Fallschirmjäger in Stanleyville und befreiten dort mit Hilfe von Söldnern unter dem Kommando von Mike Hoare etwa 2.000 europäische Geiseln. Diese waren von den „Simbas“, wie sich die meist jugendlichen Rebellen nannten, gefangen genommen worden, um einen Abbruch der imperialistischen Intervention zu erzwingen. Nach der Einnahme von Stanleyville wurden mit Hilfe eingeflogener Söldner, die meist aus Südafrika und Rhodesien stammten, die Städte entlang der Grenze zu Sudan und Uganda von den Regierungstruppen erobert. Damit sollten die Aufständischen von äußerer Hilfe abgeschnitten werden. In der letzten Phase (Herbst 1965) ging es um die Einnahme des Gebietes von Fizzi und Baraka am Tanganjikasee. Erst in diesen Kämpfen in der Endphase des abflauenden Aufstands kamen die Kubaner unter der Führung von Che Guevara zum Einsatz (Michaels 2012).

In dem Maße, wie die Schwächen der Simba-Krieger in den Kämpfen mit den Söldnern zu Tage traten und sich die Kommandeure an der Spitze der Aufständischen zumeist als unfähig oder unwillig erwiesen, ihren Aufgaben gerecht zu werden, litt auch die Moral der Kubaner. Zwar konnten sie kleine Siege erringen, was aber an der militärischen Überlegenheit der Regierungstruppen kaum etwas änderte. Am 27. September starteten die Söldner mit insgesamt 300 Mann ihre Offensive gegen Baraka, das Ende Oktober von den Aufständischen aufgegeben werden musste. Am 1. November erfuhr Che, dass die OAU umgeschwenkt war und nun Präsident Kasavubu unterstützte. Daraufhin spielte er sogar mit dem Gedanken, sich zu Mulele durchzuschlagen, fand aber unter den Kubanern keine Unterstützung dafür. Angesichts dieser ausweglosen Situation erfolgte am 20. November der Rückzug über den Tanganjikasee nach Tansania. Fünf Tage später putschte sich Mobutu in Leopoldville an die Macht, die er erst 1997 wieder preisgab. Es gehört zu den Ironien der kongolesischen Geschichte, dass der Diktator 32 Jahre nach der Niederlage des Simba-Aufstandes von jenem Laurent Kabila gestürzt wurde, in den Che damals das größte Vertrauen gesetzt hatte.

Washingtons globaler Gegenschlag: Kongo, die Karibik und Vietnam im Jahr 1965

Ein Blick auf die Weltkarte der internationalen Konflikte von 1965 bestätigt Che Guevaras Sicht von den drei kontinentalen Brandherden des globalen antiimperialistischen Kampfes. In jenem Jahr hatten die USA auf allen drei Kontinenten, in denen dieser Kampf ausgefochten wurde, ihre militärischen Aktionen auf je ein Schlüsselland fokussiert:

In Lateinamerika rückte neben Kuba, das sich nach wie der besonderen Aufmerksamkeit Washingtons erfreute, die benachbarte Dominikanische Republik ins Visier der westlichen Hegemonialmacht. Im April 1965 besetzten US-Truppen den Karibikstaat Damit intervenierte eine US-Regierung erstmals seit 1933 wieder offen in einem lateinamerikanischen Land. In Afrika rückte seit 1964 der Kongo erneut ins Zentrum der Afrika-Politik der USA. Im selben Jahr eskalierte Washington mit einem inszenierten „Zwischenfall“ im Golf von Tongking (2. und 4. August) den Indochina-Konflikt. Auf der Basis einer entsprechenden Resolution des US-Kongresses ließ Präsident Lyndon Johnson Nordvietnam vom Februar 1965 bis Oktober 1968 ununterbrochen bombardieren (Operation „Rolling Thunder“; Logevall 2010, S. 294-296).

In Indonesien massakrierte die Armee mit Zustimmung und Unterstützung der USA im Oktober 1965 mehr als 500.000 Mitglieder und Sympathisanten der Kommunistischen Partei des Landes. Zu den Opfern zählten auch Anhänger von Präsident Ahmed Sukarno sowie Angehörige der chinesischen Minderheit. Die größte KP außerhalb des „Eisernen Vorhangs“ wurde so per Genozid zerschlagen. Anders als in Indochina hatten die USA damit ihr Ziel erreicht. Fortan sorgte General Suharto, der den Inselstaat mehr als 30 Jahre diktatorisch regierte, dafür, dass die Friedhofsruhe in diesem Teil Südostasiens nicht gestört wurde (Scott 1985).

Wenn der Indochina-Konflikt zu Recht als Schnittpunkt der beiden wichtigsten Dynamiken in den internationalen Beziehungen nach 1945 – des Kalten Krieges und der Entkolonialisierung – bestimmt wird (Logevall 2010, S. 281), dann gilt dies ebenso für Kuba und den Kongo: In allen drei Konfliktherden vereinten sich wie in einem Mikrokosmos „alle großen politischen Kräfte, die die globale Geschichte des Jahrhunderts vorantrieben: Kolonialismus, Nationalismus, Kommunismus und demokratischer Kapitalismus. Es handelte sich um einen Kampf sowohl zwischen Ost und West als auch zwischen Nord und Süd“ (ebenda; Übersetzung P. G.). Eine weitere Gemeinsamkeit bestand darin, dass es sich in der Wahrnehmung Washingtons, die der Logik der Dominotheorie folgte, um Testfälle handelte, bei denen die Glaubwürdigkeit der USA als westliche Supermacht auf dem Spiel stand (Logevall 2010, S. 297; vgl auch Greiner 2007, S. 61ff). Ein zweites Kuba (Kongo) und ein zweites China (Vietnam) mussten um jeden Preis verhindert werden! Für Eisenhower war Lumumba schlicht ein „Mann Moskaus“, und Kennedy zog aus seinem kubanischen Desaster den Schluss, das „Engagement“ der USA in Indochina massiv zu verstärken (ebenda, S. 293). Nach dessen Ermordung (November 1963) setzte Johnson die folgenschwere Eskalationspolitik seines Vorgängers im Präsidentenamt fort. Waren 1963 bereits mehr als 16.000 US-Militärberater in Südvietnam im Einsatz, so stieg allein die Zahl der Bodentruppen bis Ende 1965 auf über 180.000. 1968 erreichte die US-amerikanische Militärpräsenz mit 536.100 Mann ihren Höhepunkt.

Kuba, Kongo: belgischer Prinz Bernhard und Mobutu Sese Seko 1973 - Foto: Ccreative CommonsDass das Jahr 1965 für die Revolutionäre im Kongo mit einer Niederlage endete, während sich Kuba und Vietnam gegen die USA behaupten konnten, verweist auf wichtige Unterschiede zwischen den drei Ländern, auf die Washington seinen Gegenschlag fokussiert hatte. Richard Gott, der Havanna im Oktober 1963 besucht hatte, fielen dort Plakate auf, die mit der Losung „Kuba ist nicht der Kongo“ genau darauf hinwiesen (Gott 1996, S. 10). Wenn im Umkehrschluss ebenso davon gesprochen werden kann, dass der Kongo nicht Kuba ist, dann sind damit vor allem zwei Punkte gemeint, die zusammen sowohl in der ersten (1960/61) wie auch in der zweiten Runde (1964/65) zur Niederlage der anti-imperialistischen Bewegung im Kongo führten: Strukturell erwies sich der Fluch des Kolonialismus als zu mächtig und hinsichtlich der subjektiven Bedingungen, die erforderlich waren, um vielleicht dennoch das Blatt wenden zu können, hatten die Feinde des unabhängigen Kongo mit der Ermordung Lumumbas eine Entscheidung zu ihren Gunsten erzwungen. Als die Belgier den Kongo 1960 überstürzt in die Selbständigkeit entließen, hatten sie zuvor dafür gesorgt, dass der Weg zu einer echten Unabhängigkeit mehrfach vermint war. Das Land verfügte kaum über Akademiker, im Offizierskorps der Force publique gab es keine Kongolesen, und alle wichtigen Wirtschaftsunternehmen befanden sich in den Händen von Ausländern. Die überwiegende Mehrheit der Kongolesen dachte und handelte nach wie vor in Stammeskategorien, weshalb die verschiedenen Sezessionsbestrebungen auf fruchtbaren Boden fielen. In dieser Situation stand und fiel der Befreiungskampf der Kongolesen mit der Person des Ministerpräsidenten. Die USA, die vom Sieg der kubanischen Revolution völlig überrascht gewesen waren, setzten 1960 alles daran, um ein zweites, afrikanisches Kuba zu verhindern. Alle anti-nationalen Kräfte – von den Belgiern über die Eisenhower-Administration bis hin zu Kasavubu, Mobutu und Tshombé – waren sich in einem Punkt einig: Patrice Lumumba musste „eliminiert“ werden! Nachdem sie ihr Ziel Anfang 1961 arbeitsteilig erreicht hatten, versandete und zerfaserte der kongolesische Befreiungskampf. Auch bei den Aufständen 1964/65 gelang es nicht, das Führungsvakuum, das der Tod Lumumbas hinterlassen hatte, zu füllen. Die direkte militärische Intervention des Westens erzwang dann die militärische Wende, so dass auch das Eingreifen der Kubaner unter Führung Che Guevaras eine erneute Niederlage des kongolesischen Befreiungskampfes nicht mehr verhindern konnte.

Das Paradoxon der kongolesischen Revolution – Versuch einer Auflösung

Der historische Befund liefert also Argumente, die sowohl Ches Verdikt, dass im Kongo die Bedingungen für eine Revolution fehlen, als auch das Gegenteil bestätigen. Wie ist dieses Paradoxon der kongolesischen Revolution nun zu erklären? Bei der Beantwortung dieser Frage gilt es zunächst zwischen den strukturellen Bedingungen (koloniales Erbe) und dem subjektiven Faktor (kompetente Führung) zu unterscheiden. In Hinblick auf den Kolonialismus als struktureller „Boden“ des Befreiungskampfes ist der Vergleich des Kongo mit Vietnam aufschlussreich.

Während Ches afrikanischer Traum im Kongo nicht in Erfüllung ging, gelang es den Vietnamesen ihrerseits, das „Ende des amerikanischen Traums“ (so der Untertitel bei Frey 2006) zu besiegeln. Vietnam befand sich 1960 – anders als der Kongo – nicht mehr am Beginn des Kampfes um seine Unabhängigkeit, sondern hatte bereits zwei Kolonialmächte – Japan 1945 und Frankreich 1954 – militärisch in die Knie gezwungen. Indem die vietnamesischen Kommunisten die Landfrage in den Mittelpunkt ihres Programms stellten und mit einer konsequenten Agrarreform der mehrheitlich bäuerlichen Bevölkerung eine echte soziale Perspektive boten, schufen sie eine stabile Basis des Befreiungskampfes. Hinzu kommt das zähe Streben der Vietnamesen nach nationaler Einheit. Es erwies sich als so stark, dass die USA, die in Indochina die neo-koloniale Nachfolge Frankreichs angetreten hatten, gesamtvietnamesische Wahlen, wie sie im Genfer Abkommen von 1954 bis spätestens Juli 1965 vorgesehen waren, für zu gefährlich hielten. Wie Eisenhower in seinen Memoiren bezeugt, fürchtete Washington, dass „möglicherweise 80 Prozent der Bevölkerung für den Kommunisten Ho Chi Minh gestimmt“ hätten (Zitat aus: Kapfenberger 2014; vgl. zum Genfer Abkommen auch Körner 1973).

Anders als der Kongo, der am 26. Februar 1885 als „Privatstaat“ des belgischen Königs Leopold II. auf der Berliner Afrika-Konferenz von 14 europäischen Staaten aus der Taufe gehoben worden war, konnte Vietnam auf eine Jahrhunderte lange Geschichte als König- und Kaiserreich zurückblicken. Der Kommunist Ho Chi Minh, der am 2. September 1945 feierlich die Gründung der unabhängigen Demokratischen Republik Vietnam proklamiert hatte, symbolisiert die enge organische Verbindung von Nationalismus und Sozialismus, die seit 1941 das feste Fundament des vietnamesischen Befreiungskampfes bildete (Frey 2006, S. 224/225). Ähnliches lässt sich zwar von Kuba sagen, nicht jedoch vom Kongo.

Dort verfügte Patrice Lumumba über die besten Voraussetzungen, ein solches Fundament zu schmieden. Mit seiner Ermordung beseitigte die neo-koloniale Allianz von ausländischen Mächten (USA, Belgien) und einheimischen Kollaborateuren (Tshombé, Mobutu, Kasavubu) genau jenen subjektiven Faktor, der die strukturellen Defizite des kongolesischen Befreiungskampfes hätte kompensieren können. Immerhin wirkte Lumumbas Vermächtnis von der nationalen Einheit des Kongo fort, und die Aufstände von 1964 eröffneten ein neues Gelegenheitsfenster für die Fortsetzung der kongolesischen Revolution. Geschlossen wurde dieses dann wieder durch das direkte militärische Eingreifen des Westens.

Bezieht man die internationale Politik in den Vergleich der drei Schlachtfelder des Kalten Krieges ein, dann zeigt sich in der Rivalität zwischen den USA, der Sowjetunion und der Volksrepublik China trotz aller konkreten Unterschiede eine wichtige Gemeinsamkeit. So soll sich Mao Zedong im April 1964 zur Bedeutung des Kongo wie folgt geäußert haben: „Wenn wir den Kongo bekommen können, dann können wir auch ganz Afrika haben“ (zitiert bei Moutz 2014, S. 173; Übersetzung P. G.). Angesichts der realen Kräfteverhältnisse von 1965 im Kongo sollte dieser „afrikanische Traum Chinas“ aber vorerst unerfüllt bleiben. Aber gerade die Tatsache, dass 1965 alle drei Mächte im Kongo das entscheidende Schlachtfeld sahen, auf dem über die Zukunft Afrikas entschieden wurde, ist ein klarer Beleg für Schlüsselrolle des Landes im anti-imperialistischen Befreiungskampf in der ersten Hälfte der 1960er Jahre.

Solange auch nur die geringste Chance für die Fortsetzung der kongolesischen Revolution bestand, sahen es Che Guevara und die mit ihm kämpfenden Kubaner als ihre internationalistische Pflicht an, für diesen afrikanischen Traum unter Einsatz ihres Lebens zu kämpfen. Um es auf den Punkt zu bringen: Jede Revolution birgt das Risiko ihres Scheiterns in sich, und im Vergleich zu Kuba oder Vietnam lag dieses Risiko im Kongo deutlich höher. Aber ohne dieses Risiko ist keine Revolution zu haben. Ob sie oder die Konterrevolution den Sieg davontragen, entscheidet sich in einem harten Ringen mit offenem Ausgang. Gewissheit haben die Akteure erst, wenn dieser Kampf ausgefochten ist. Dass im Kongo das Kräfteverhältnis letztlich zugunsten des Imperialismus ausfiel, ist vor allem auf das Zusammenwirken von drei Faktoren zurückzuführen: Erstens die Bürde des kolonialen Erbes, die im Kongo deutlich schwerer ins Gewicht fiel als in Vietnam oder Kuba; zweitens das Führungsvakuum, das die Ermordung von Patrice Lumumba hinterlassen hatte; drittens die militärische Überlegenheit des Westens, gegen die die Stammeskrieger der „Simbas“ mit ihrem Glauben an dawa und ihrem Mangel an Disziplin kaum eine Chance hatten. Die Kubaner kamen zu spät und waren zu wenige, um daran etwas ändern zu können. Victor Dreke, nach Che der zweite Chef der kubanischen Brigade, äußerte sich rückblickend dazu: „Die Revolution im Kongo war bereits verloren, als wir ankamen, aber es ist immer etwas Trauriges, der Niederlage einer Revolution beizuwohnen“ (Taibo II/ Escobar/ Guerra 1996, S. 245).

Dennoch war die Entscheidung, die kongolesische Revolution militärisch zu unterstützen, richtig. Solange sich diese Revolution dem US-Imperialismus auch unter ungünstigen Bedingungen entgegen stellte, konnte und wollte Kuba nicht abseitsstehen. Diesem Grundmotiv internationalistischer Solidarität verlieh Che selbst mit folgenden Worten Ausdruck: „Unser Land, die einsame Bastion des Sozialismus vor den Toren des Yankee-Imperialismus, schickt seine Soldaten zum Kämpfen und zum Sterben in fremdes Land, auf einen fernen Kontinent, und übernimmt öffentlich die volle Verantwortung für ihr Handeln. In dieser Herausforderung, in dieser klaren Parteinahme angesichts des großen Problems unserer Zeit – des erbarmungslosen Kampfes gegen den Yankee-Imperialismus – liegt die heroische Bedeutung unserer Teilnahme an dem Kampf im Kongo“ (Guevara 2000, S. 21/22).

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Literatur

Frey, Marc: Geschichte des Vietnamkriegs. Die Tragödie Asiens und das Ende des amerikanischen Traums. München 2006 (8. Auflage)

Gott, Richard: Che Guevara and the Congo, in: New Left Review, 220, Nov.-Dez. 1996, S. 3-35

Greiner, Bernd: Krieg ohne Fronten. Die USA in Vietnam. Bonn 2007

Guevara, Ernesto Che: Der afrikanische Traum. Das wieder aufgefundene Tagebuch vom revolutionären Kampf im Kongo. Köln 2000

Kapfenberger, Hellmut: Frieden hintertrieben, in: junge Welt vom 21. Juli 2014

Körner, Ruth: Indochina-Abkommen und Südostasien-Pakt. Ein Beitrag zur Vorgeschichte des Vietnamkrieges, in: Vierteljahreshefte zur Zeitgeschichte, 21 (1973) 2, S. 200-230

Logevall, Fredrik: The Indochina wars and the Cold War, 1945-1975, in: Leffler, Melvyn/ Westad, Odd Arne (eds.): The Cambridge History of the Cold War, vol. II: Crises and Détente, Cambridge et al. 2010

Michaels, Jeffrey: Breaking the Rules: The CIA and Counterinsurgency in Congo, 1964-1965, in: International Journal of Intelligence and Counterintelligence, 25 (2012) 1, S. 130-159

Mountz, William: Americanizing Africanization: The Congo Crisis 1960-1967. Dissertation, University of Missouri, May 2014.

Scott, Peter Dale: The United States and the Overthrow of Sukarno, 1965-1967, in: Pacific Affairs, 58, Summer 1985, S. 239-264.

Taibo II, Paco Ignacio/ Escobar, Froilan/ Guerra, Felix: Das Jahr in dem wir nirgendwo waren. Ernesto Che Guevara und die afrikanische Guerilla. Berlin/ Amsterdam 1996.

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Bildquellen: [1]; [2]; [3], Creative Commons

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