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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Die Monroe-Doktrin im Spannungsfeld von hemisphärischer Hegemonie und Weltordnung

Peter Gärtner | | Artikel drucken
Lesedauer: 18 Minuten

Als Präsident James Monroe am 2. Dezember 1823 in seiner Rede zur Lage der Nation vor dem Kongress seine außenpolitischen Prinzipien verkündete, konnte er nicht ahnen, dass er damit den Grundstein einer Doktrin legte, die für 200 Jahre zum Markenzeichen des Selbstverständnisses der USA auf der internationalen Bühne werden sollte. Neben der Abschiedsbotschaft (Farewell Address) des ersten Präsidenten George Washington zählt sie zu den „kanonischen“ Texten der US-Außenpolitik. Ihre Langlebigkeit resultiert aus Metamorphosen, durch die das Spannungsverhältnis zwischen „mission“ und „power“ im wieder aufs Neue ausbalanciert wurde. Damit liefert die Geschichte der Monroe-Doktrin ein einzigartiges Spiegelbild vom Aufstieg der USA von einer um ihre Unabhängigkeit kämpfende Siedlerkolonie zur „einzigen und im Grunde ersten wirklichen Weltmacht“ (Brzezinski 1999, S. 15).

Amerika den Amerikanern – Die Geburtsstunde der Monroe-Doktrin (1776-1823)

Präsident James Monroe (1817-1825) verkündete seine Botschaft zu einem Zeitpunkt, in dem zwei Revolutionen – die der USA (1775-1783) und die Spanisch-Amerikas (1810-1825) –aufeinandertrafen. Fast fünfzig Jahre nach dem Beginn ihrer Unabhängigkeitsrevolution hatten sich die Vereinigten Staaten territorial, institutionell und machtpolitisch weitgehend konsolidiert. Durch das rasche Voranschreiten ihrer Expansion nach Westen waren sie jedoch in Grenzkonflikte mit drei europäischen Mächten – Russland, Spanien und Großbritannien – geraten, die es zu klären galt. Mit Spanien konnte in Gestalt des Adams-Onís-Vertrages bereits 1819 eine Einigung erzielt werden, die den USA – neben der Einverleibung Floridas – nördlich des 42. Breitengrades erstmal einen völkerrechtlich verbindlichen Zugang zum Pazifik verschaffte. Den dadurch heraufbeschworenen Territorialstreit mit Russland konnte Washington 1824 zu seinen Gunsten beilegen, während der Disput mit London um das Oregon-Country erst 1846 einvernehmlich geregelt wurde. Das bestimmende Thema der Rede Monroes bildete jedoch die Unabhängigkeitsrevolution (Independencia) Spanisch-Amerikas. Diese hatte nach dem Einmarsch Napoleons in Spanien ihren Anfang genommen und inzwischen soweit an Stärke gewonnen, dass der US-Senat auf Vorschlag des Präsidenten am 8. März 1822 Mexiko, Kolumbien, Peru, Chile und Rio de la Plata diplomatisch anerkannte. Da es sich hierbei um ehemalige Kolonien Spaniens handelte, die sich auf revolutionärem Wege selbst befreit hatten, war zu befürchten, dass die Mächte der Heiligen Allianz diese zu rekolonialisieren beabsichtigten. Die Gefahr der europäischen Rückeroberung steigerte sich noch, als Frankreich in deren Auftrag die liberale Revolution, die 1820 in Spanien ausgebrochen war, im August 1823 militärisch unterdrückte.

Wie sollte sich Washington in dieser spannungsgeladenen Situation verhalten? Zunächst zeichnete sich ein gemeinsames Vorgehen mit Großbritannien ab, das jedoch im Herbst am Rückzieher Londons scheiterte. Immerhin fühlte sich Monroe – in Absprache mit seinem Außenminister und Nachfolger John Quincy Adams (1825-1829) sowie den Ex-Präsidenten Thomas Jefferson (1801-1809) und James Madison (1809-1817) – stark genug, um zu verkünden, dass „Amerika den Amerikanern!“ gehören sollte. Diese revolutionär klingende Formel hatte jedoch einen Pferdefuß, der im Laufe der Zeit immer deutlicher sichtbar wurde. Hauptadressat der Monroe-Doktrin war die Mächte des „alten“ Europa. Ihnen wurde das Recht auf den Erwerb neuer oder die Rückeroberung ehemaliger Kolonien in der gesamten westlichen Hemisphäre verwehrt. Im Gegenzug erklärten die USA, sich aus den Konflikten auf der anderen Seite des Atlantiks heraushalten zu wollen. Damit war einerseits klar, dass die europäischen Kolonien in Nordamerika (Kanada und Alaska) und der Karibik (die Antillen, das heutige Belize und die drei Guayanas) von Washington eine Bestandsgarantie erhielten, während andererseits die jungen Staaten, die aus der antikolonialen Revolution Spanisch-Amerikas hervorgegangen waren, sowie Brasilien, das 1822 von Portugal als Kaiserreich die Unabhängigkeit erhalten hatte, nicht nur dem kolonialen Zugriff ihrer ehemaligen Mutterländer, sondern auch dem anderer Kolonialmächte entzogen waren. Die Kehrseite der Medaille bestand jedoch darin, dass mit der Monroe-Doktrin zugleich auch zwei Kategorien von Amerikanern definiert wurden: Jene, die als Siedler das rasch wachsende Territorium der Vereinigten Staaten bevölkerten und deren „Empire“ für sich die Rolle des „Beschützers“ der gesamten Hemisphäre beanspruchte, und die anderen, die sich als „Schutzbefohlene“ in ihr Schicksal zu fügen hatten.

Fortsetzung und Vollendung der Westexpansion im Schutze der Pax Britannica (1823-1898)

Das Problem bestand jedoch darin, dass die USA bis zum Ende des 19. Jahrhunderts nicht die Macht (power) besaßen, ihren Hegemonieanspruch (mission) allein durchzusetzen. Damals war nur eine Macht in der Lage, eine europäische Invasion in der westlichen Hemisphäre abzuwehren: Großbritannien. Als Trittbrettfahrer der Pax Britannica profitierte Washington davon, dass London, das Lateinamerika als informellen Teil in sein Empire einverleibt hatte, ebenfalls am Ausschluss der Mächte Kontinentaleuropas interessiert war. Zugleich standen sich die USA und Großbritannien in der westlichen Hemisphäre als Rivalen gegenüber. Solange sich die Vereinigten Staaten auf die Ausweitung ihres Staatsgebietes beschränkten und dabei – wie im Falle der Grenzziehung zu Kanada – an einer Kompromisslösung interessiert waren, ergaben sich aus dieser asymmetrischen Machtkonkurrenz keine größeren Konflikte. Die Monroe-Doktrin fungierte bis zur Schließung der Grenze (frontier) 1890 als Schutzschirm und Legitimitätsgrundlage der territorialen Westexpansion der USA. Dazu wurde sie mit dem Prinzip des „manifest destiny“ kombiniert und ergänzt, wonach es die offensichtliche Bestimmung der US-Amerikaner sei, den gesamten Doppelkontinent zu beherrschen. Dieser Selbstlegitimierung fielen in den 75 Jahren von der Verkündung der Monroe-Doktrin 1823 bis zum Spanisch-Amerikanischen Krieg 1898 die Bewohner und Territorien all jener Nachbarn zum Opfer, die nicht über die Machtfülle des Britischen Empire verfügten. Am härtesten traf es die indigenen Völker, die sich in einem dreihundertjährigen Kampf vergeblich gegen den Verlust ihrer Souveränität und den Raub ihrer Lebensräume zu Wehr setzten. Um 1900 waren sie fast ausgerottet. Das zweite Opfer war Mexiko, das zwischen 1835 und 1853 etwa die Hälfte seines ursprünglichen Staatsgebietes an die USA abtreten musste. Drittens unterwarf Washington 1898 jene Gebiete, die zur Konkursmasse des Spanischen Imperiums gehörten. Anders als in den ersten beiden Fällen wurden diese jedoch nicht Teil der Vereinigten Staaten, sondern erhielten entweder den Status eines Protektorats (Kuba) oder von Kolonien (Puerto Rico in der Karibik sowie die Philippinen und Guam im Pazifik). In allen drei Fällen – beim Genozid an den indigenen Völkern, bei der territorialen Verstümmelung des unabhängigen Mexikos und bei der Eroberung der spanischen Kolonien – ging Washington mit überlegener militärischer Gewalt gegen die Opfer seiner Expansion vor. Im Grenzstreit zwischen der britischen Kolonie Guayana und Venezuela 1895 musste dann selbst London einlenken. Die Briten akzeptierten die Interpretation des damaligen US-Außenministers Richard Olney, der mit ausdrücklichem Verweis auf die Monroe-Doktrin die Vereinigten Staaten zum Souverän über der gesamten Doppelkontinenz erklärt hatte (Gilderhus, S. 10).

Sprung in den imperialistischen Klub (1898-1914)

1898 erlangen die Vereinigten Staaten im Ergebnis ihres Sieges im Spanisch-Amerikanischen Krieg mit einem Schlag den Status einer Kolonial-, Hegemonial- und Weltmacht (Viehrig, S. 6). Er „war der erste Eroberungskrieg, den die USA in Übersee führten. Er hatte einen Vorstoß amerikanischer Macht bis weit über Hawaii und die Philippinen hinaus in den pazifischen Raum zur Folge. Um die Jahrhundertwende entwickelten amerikanische Militärstrategen eifrig Theorien für eine Vorherrschaft auf zwei Weltmeeren, und die amerikanische Kriegsmarine machte sich daran, Britannien seine die Meere beherrschende Rolle streitig zu machen. Mit dem Bau des Panamakanals, der eine Vorherrschaft sowohl über den Atlantik als auch über der Stillen Ozean erleichterte, bekräftigten die Vereinigten Staaten ihre Ansprüche auf einen Sonderstatus als alleiniger Sicherheitsgarant der westlichen Hemisphäre, den sie bereits Anfang des Jahrhunderts in der Monroe-Doktrin verkündet und in der Folgezeit mit Amerikas angeblich ‚offenkundigem Schicksal‘ gerechtfertigt hatten.“ (ebenda, S. 17f; Hervorhebung durch Brzezinski)

In diesem Zitat finden sich alle Ingredenzien einer erweiterten Interpretation der Monroe-Doktrin, die sich aus dem neuen Status der USA ergab. Mit den neuen Eroberungs- und Expansionsachsen in Richtung Karibik und Pazifik zielte Washington auf die Verdrängung Großbritanniens als führende Seemacht. Fortan behielten sich die USA das alleinige Recht vor, bei schlechter Regierungsführung oder internen Konflikten in den Ländern der westlichen Hemisphäre zu intervenieren. Noch bevor Präsident Theodore Roosevelt 1904 diesen imperialen Machtanspruch in Gestalt des nach ihm benannten Zusatzes (corollary) zur Monroe-Doktrin öffentlich manifestierte, hatte er 1903 mit der Sezession Panamas von Kolumbien vollendete Tatsachen geschaffen. Damit war den Weg frei für den Bau eines Kanals, der den Atlantischen mit dem Pazifischen Ozean verband und sich unter der Kontrolle der USA befand.

Er wurde just zur selben Zeit vollendet, als in Europa der Erste Weltkrieg ausbrach. Mit dem Jahr 1914 endete zugleich die Weltordnung der Pax Britannica, ohne dass eine stabile Nachfolgeregelung zu erkennen war. Die beiden wichtigsten Anwärter im Kampf um die vakant gewordene Hegemonie waren die USA und Deutschland, wobei sich Washington gegenüber Berlin in der besseren Position befand. Diese ergab sich zum einen aus der geopolitisch äußerst vorteilhaften Insellage des kontinentalen Kernlandes der Vereinigten Staaten. Sie gestattete es dem Land, sich erst dann an den beiden Weltkriegen zu beteiligen, als die Situation günstig war und der Einsatz den Sieg sicherte. Zum anderen ermöglichte es der geschickte Einsatz der Monroe-Doktrin, dass Washington damit zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen konnte. Erstens ermöglichte die Anerkennung der US-Hegemonie über die westliche Hemisphäre durch Großbritannien, dass einem friedlichen Hegemonietransfer zwischen beiden imperialistischen Mächten keine Hindernisse mehr im Wege standen. Nach 1895 gab es zwischen Washington und London keine größeren Konflikte mehr. Zweitens nutzte Washington die Monroe-Doktrin gegenüber Berlin als Instrument, um Deutschland der Zugang zu Lateinamerika streitig zu machen. Damit war bereits lange vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs klar, auf wessen Seite sich die USA im Falle ihres Kriegseintritts schlagen würden.

Von der Pax Britannica zur Pax Americana (1914-1945)

In den 30 Jahren zwischen dem Beginn des Ersten und dem Ende des Zweiten Weltkrieges agierten die USA größtenteils als Weltmacht im Wartestand. Seinen Ausdruck fand dieser ambivalente Zustand im Pendeln zwischen Engagement bei der Mitgestaltung der Nachkriegsordnung auf der internationalen Bühne während der Regierungszeit von Woodrow Wilson (1913-1921) und in der dritten Amtszeit von Franklin D. Roosevelt (1941-1945) einerseits und dem geopolitischen Rückzug in die westliche Hemisphäre und die Pazifikregion in den Jahren zwischen 1921 und 1941 andererseits. In ökonomischer und finanzpolitischer Hinsicht profilierte sich Washington bereits vor und während des Ersten Weltkrieges als führende Macht.

Während der beiden Weltkriege profitierten die USA von ihrer Insellage. Durch zwei Ozeane von den Schlachtfeldern des Ersten und Zweiten Weltkrieges getrennt und als Hegemon über den amerikanischen Doppelkontinent konnte sich Washington in beiden Fällen von allen Mächten die beste Ausgangsposition im Ringen um die Weltherrschaft sichern. Bereits aus dem Ersten Weltkrieg, in den die USA im April 1917 auf der Seite der Entente eintraten, gingen sie als die eigentlichen Sieger hervor. Im Ergebnis des Krieges hatte sich die Macht des Britischen Empire weiter verschlissen und Deutschland schien auf absehbare Zeit als Konkurrent ausgeschaltet zu sein. Aber erst im zweiten Anlauf entschieden sich die Vereinigten Staaten, die vakante Rolle eines globalen Hegemon anzunehmen. Der im Dezember 1941 gestartete Zwei-Fronten-Krieg gegen Deutschland, das sich den gesamten europäischen Kontinent bis auf die britischen Inseln und die stark angeschlagene Sowjetunion unterworfen hatte, und Japan, das Ostasien und die Kolonialgebiete der europäischen Mächte von Indochina über Singapur bis zum heutigen Indonesien beherrschte, ließ die bisherige Strategie des „Fortress America“ – meist unter der Bezeichnung des „Isolationismus“ bekannt – obsolet werden. Der japanische Angriff auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 gab den entscheidenden Anstoß, die Sicherheitsperimeter der USA über die beiden Ozeane hinweg auf die Gegenküsten in Westeuropa und Ostasien auszuweiten.

In den Jahren, in denen die USA als Weltmacht im Wartestand agierten, diente die neu ausgerichtete Monroe-Doktrin als Instrument zur Durchsetzung und Absicherung ihrer Hegemonie in der westlichen Hemisphäre. Um dies zu erreichen, setzte Washington je nach Zeitabschnitt und Situation verschiedene Strategien ein. Neben der offenen Interventionspolitik des „big stick“ kam auch die auf ökonomische Abhängigkeit ausgerichtete „dollar diplomacy“ zum Einsatz. Die Ereignisse in Europa und der wachsende Widerstand in Lateinamerika ließen es dann angeraten sein, der US-Politik in der Region eine neue Richtung zu geben. Dies geschah dann unter Franklin D. Roosevelt in Gestalt der „Politik der guten Nachbarschaft“ (good neigbor policy) unter Indienstnahme des Pan-Amerikanismus. Das hauptsächliche Ziel Washingtons bestand ab 1933 darin, die Region zu stabilisieren und durch gemeinsame Militärabkommen einzubinden, um im Falle einer Intervention von „raumfremden“ Mächten besser gerüstet zu sein.

Die Weltordnung der Pax Americana …

Mit dem Sieg über Hitler-Deutschland und das kaiserliche Japan 1945 hatte sich die geopolitische Gesamtlage Washingtons grundsätzlich verändert. Das Ende des Zweiten Weltkrieges bedeutete zugleich den Beginn einer neuen Weltordnung – der Pax Americana. Das Territorium der beiden Hauptverlierer des Zweiten Weltkrieges bildete fortan den entscheidenden Dreh- und Angelpunkt zur Beherrschung des östlichen und westlichen Randes der riesigen eurasischen Landmasse. Aus US-Sicht verbot sich ein Rückzug in die westliche Hemisphäre, der nach Ende des Ersten Weltkrieges noch eine Option gewesen war, aus zwei Gründen von selbst: In Europa, das de facto zweigeteilt war, stellte die Sowjetunion, die dort die Hauptlast des Kampfes gegen Deutschland getragen hatte und nun als östliche Supermacht den USA gegenüberstand, einen Machtfaktor dar, dem es entgegen zu treten galt. Ähnlich sah es auf der anderen Seite Eurasiens aus. In China hatten die Kommunisten im Bürgerkrieg die Kuomintang besiegt und 1949 die Volkrepublik ausgerufen. Die USA und ihre Verbündeten reagierten darauf mit dem Kalten Krieg, der in Asien zwei große „heiße“ Kriege – den Koreakrieg 1950-1953 und den Vietnamkrieg 1945-1975 – einschloss.

Im Kampf um ihre globale Hegemonie und zur Zurückdrängung der „kommunistischen Gefahr“ entwickelte Washington die grand strategy des „containment“. Bereits 1941 hatte Nicholas Spykman (1893-1943) mit seiner Rimland-Theorie den Grundstein dafür gelegt. Sie geht davon aus, dass die Kontrolle über Eurasien der Schlüssel zur Weltmacht ist. Als Macht, die in der westlichen Hemisphäre verwurzelt ist, könne die USA nur dann die globale Hegemonie erlangen, wenn sie die Randregionen (rimlands) der eurasischen „Weltinsel“ beherrscht und verhindert, dass sich auf diesem „Superkontinent“ eine Gegenmacht etablieren kann. Dieses geopolitische Konzept wurde von George Kennan (1904-2005), dem Architekten des „containment“, im Kalten Krieg kongenial umgesetzt.

Welche Konsequenzen hatte die Errichtung der Pax Americana für die Monroe-Doktrin als „kanonischer Eckpfeiler“ der US-Außen- und Sicherheitspolitik? Um diese Frage beantworten zu können, muss man sich zunächst Klarheit über den welthistorischen Platz, die materiellen Grundlagen und die machtpolitischen Strukturen der amerikanischen Weltordnung verschaffen. Mit Alfred McCoy, der sich in seinem jüngsten Buch „To Govern the Globe“ dem Thema der Weltordnung aus vergleichend-historischer Langzeitperspektive und mit Blick auf die heutigen globalen Krisen (Klimawandel, Energiekrise, wachsende Ungleichheit, Kriegsgefahr etc.) zugewandt hat, lässt sich die Pax Americana (McCoy, S. 191-260) in Kurzfassung wie folgt beschreiben:

1. Nach dem Iberischen Zeitalter (1494-1808) und der Pax Britannica (1815-1914) ist die Pax Americana die dritte historische Weltordnung. Allen drei ist gemeinsam, dass sie zwar umfassender, dauerhafter und sozial tiefer verwurzelt sind als Imperien, es jedoch eines Imperiums bedarf, das als Hegemon die Fähigkeit und die Macht besitzt, die Welt nach seinen Vorstellungen zu ordnen. Eine Weltordnung basiert einerseits auf Prinzipien und Institutionen, die allgemein anerkannt sind. Anderseits besitzt jede Weltordnung eine zweite Seite, die von McCoy als „realpolitik“ (S. 15) bezeichnet und durch sich verändernde Kräfteverhältnisse innerhalb der Weltordnung bestimmt wird.

2. Als Hegemon verfügen die USA über vier entscheidende Elemente, um ihre Weltordnung zu errichten (S. 220-228):

a) eine außergewöhnlich starke Ökonomie, flankiert von internationalen Institutionen wie Weltbank, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Welthandelsorganisation (WTO) sowie dem US-Dollar als anerkannte Weltwährung;

b) die unangefochtene Vormachtstellung auf militärischem Gebiet, die neben den weltweit höchsten Militärausgaben den hoch entwickelten technologischen Standard der Streitkräfte, das globale Netz der ca. 800 Militärstützpunkte, die aus zahlreichen Kampfeinsätzen gewonnenen Erfahrungen sowie den riesigen militärisch-industriellen Komplex (MIK) einschließt;

c) das große internationale Gewicht als maßgeblicher Architekt des UN-Systems und das weltweite Netz von Verbündeten, das von der NATO bis zu den bilateralen Sicherheits- und Beistandspakten im asiatisch-pazifischen Raum reicht;

d) die hohe Effizienz und Reichweite der Geheimdienste – von den verdeckten Operationen der CIA bis zur Kontrolle der globalen Informationsströme durch die NSA.

3. Hinzu kommt die „soft power“ im medial-kulturellen Bereich und bei der Normensetzung im Völkerrecht sowie im Bereich der Menschenrechte (S. 214-219).

4. Ein wesentliches Merkmal in der Abfolge der drei genannten Weltordnungen sind die Unterschiede ihres energetischen Fundaments. Während im iberischen Zeitalter neben der Muskelkraft von Tier und Mensch die Wind- und Wasserkraft dominierte, bildete in der Pax Britannica die Verbindung von Kohle und Maschine die Grundlage der industriellen Revolution. Die Pax Americana zeichnet sich dadurch aus, dass nunmehr die Nutzung von Erdöl und Erdgas die hauptsächliche energetische Basis bildet. Die zentrale Stellung der USA bei der Förderung, der Verarbeitung und der Kontrolle der Transportrouten dieser beiden fossilen Energieträger bildet einen entscheidenden Machtpfeiler der amerikanischen Weltordnung, der nun unter dem Druck des Klimawandels ins Wanken gerät (S. 113f, 242, 259f, 303-310).

… und der Platz der Monroe-Doktrin im amerikanischen Hegemoniezyklus

Im Rückblick lassen sich die unterschiedlichen Funktionen der Monroe-Doktrin klar erkennen. In der Etappe des Empire-building bis 1898 diente sie im Windschatten der Pax Britannica zum Schutz der West-Expansion der weißen Siedler vor der möglichen Intervention kontinentaleuropäischer Mächte. Danach, als die USA als Weltmacht im Wartestand sich in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen nicht entscheiden konnte, die vakante Rolle eines globalen Hegemons einzunehmen, wurde die modifizierte Doktrin (Roosevelt Corollary 1904) als Instrument zur Absicherung der Übersee-Expansion und zur Erringung der Hegemonie über die westliche Hemisphäre (1898-1945) eingesetzt. In dieser Etappe des Hochimperialismus, die ganz im Zeichen des Kampfes rivalisierender Mächte um die Weltherrschaft stand, gelang es Washington, „raumfremden“ Mächten den Zugang zur eigenen Hemisphäre zu verwehren. Gegenüber Lateinamerika bewährte sich die Monroe-Doktrin bei der Zurichtung des eigenen „Hinterhofes“. Mit dem globalen Ausgreifen der USA nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 und der Errichtung der Pax Americana erfolgte faktisch eine Bifurkation der Monroe-Doktrin in eine regionale und eine globale Variante.

Diese Ausdifferenzierung ergab sich aus der Erweiterung des Hegemonialbereiches der USA. Mit der Kontrolle über die Ränder (rimlands) Eurasiens im Westen und Osten, ergänzt durch die Hegemonie über den Nahen Osten und verbunden mit der Ausschaltung imperialistischer Rivalität im eigenen Machtblock, erfolgte auch eine Neujustierung der Monroe-Doktrin im Rahmen des Kalten Krieges gegen die Sowjetunion. Indem ihr Geltungsbereich globalisiert wurde, diente sie Washington nunmehr als Instrument im weltweiten Kampf gegen den Kommunismus. In diesem Sinne markiert sie faktisch den Anspruch der USA auf globale Vorherrschaft (primacy). In der Regel wurde sie unter dem Namen des jeweiligen Präsidenten angewandt, um die Interessen der USA unter den konkreten zeitlichen und räumlichen Bedingungen durchzusetzen. Die Beispiele reichen von der Truman- und Eisenhower-Doktrin bis zur Carter- und Bush-Doktrin. Die Kennedy-, Johnson und Reagan-Doktrin verweisen eher auf die ursprüngliche regionale Variante der Monroe-Doktrin gegenüber Lateinamerika, wo sie bei der Bekämpfung anti-imperialistischer Bewegungen und Revolutionen praktisch im Dauereinsatz war. Als Beispiele seien an dieser Stelle der Sturz des guatemaltekischen Präsidenten Jacobo Arbenz (1954), die Invasion in der Schweinebucht (1961), der Putsch in Brasilien (1964), die Intervention der USA in der Dominikanischen Republik (1965), der CIA-Einsatz gegen Ernesto Che Guevara in Bolivien (1967), der Sturz von Salvador Allende in Chile (1973), der Contra-Krieg gegen die Sandinisten in Nicaragua (1980-1989), die Invasion gegen die Karibikinsel Grenada (1983) und die Invasion in Panama (1989) genannt.

Nach dem Zusammenbruch und Auseinanderfallen der Sowjetunion fühlten sich die USA als Sieger des Kalten Krieges. Man glaubte, nun sei das Ende der Geschichte erreicht. In dieser Ära der Unipolarität, als die USA die „einzige Weltmacht“ waren, glaubte man in Washington, die Monroe-Doktrin im Sinne des Unilateralismus handhaben zu können.

„Es ist ein Unilateralismus, der die restliche Welt wie den eigenen Hinterhof betrachtet: Man muß sich nicht um jeden Winkel kümmern, aber ab und zu durchfegen und vor allem darauf achtgeben, daß sich nirgends etwas zusammenbraut, das den Hausbewohnern gefährlich werden könnte.“ (Kermani, S. 37)

Die spätere Entwicklung in Lateinamerika, als unter dem Eindruck der von Hugo Chávez geführten Bolivarischen Revolution in Venezuela in mehreren Wellen Linksregierungen an die Macht kamen, zeigt jedoch zweierlei: Zum einen, dass Washington die Monroe-Doktrin erneut zum Einsatz bringen musste, weil sich im eigenen Hinterhof Widerstand regte; zum anderen, dass man auf diese Weise die eigene Hegemonie nicht mehr durchsetzen konnte. Längst hat der Übergang von der unipolaren Pax Americana zu einer multipolaren Weltordnung eingesetzt. Wie diese aussehen wird, muss die Zukunft zeigen.

 

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Literatur:

Brzezinski, Zbigniew: Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft. Frankfurt a. M. 1999

Gilderhus, Mark: The Monroe Doctrine: Meanings and Implications, in: Presidential Studies Quarterly, Vol. 36 (March 2006), No. 1, Presidential Doctrines, S. 5-16

Kermani, Navid: Strategie der Eskalation. Der Nahe Osten und die Politik des Westens. Göttingen 2005

McCoy, Alfred: To Govern the World. World Orders & Catastrophic Change. Chicago 2021

Viehrig, Johannes: „Propheten der Expansion“. Ideologische Grundlagen des amerikanischen Imperialismus zwischen Bürgerkrieg und Erstem Weltkrieg. Dissertation, Jena 2013

Bildquellen: [1] Quetzal-Redaktion_gc; [2] Quetzal-Redaktion_fiodor

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