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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Verpasste GelegenheitZum Chile-Kongress in Münster

Karen Ziemek | | Artikel drucken
Lesedauer: 3 Minuten

Vom 19.-21.11.1998 fand in Münster ein Kongress zum Thema Neoliberalismus weltweit – 25 Jahre ‚Modell‘ Chile (1973-1998) statt. Eingeladen waren Chile-Interessenten und Dritte-Welt-Aktivisten, um die Debatte über Neoliberalismus, Globalisierung, Sozialabbau und ökologische Krise fortzusetzen. Die Hälfte der Referenten stellten lateinamerikanische, zumeist chilenische Wissenschaftler. Darunter waren die Historiker Luis Vitales und Manuel Cabieses, Fabiola Letelier, Referentin über Menschenrechtsverletzungen, und Urs Müller-Plantenberg, der über die Solidaritätsbewegungen sprach.

Die Schwerpunkte sollten Ökonomie, Politik, Feminismus, Ökologie, kulturelle Identität und die Theologie der Befreiung sein. Allerdings dominierte der Themenblock „Der Militärputsch in Chile vor 25 Jahren“ die gesamte Veranstaltung. Einige chilenische Teilnehmer debattierten ausgiebig darüber, ob nun der Putsch von 1973 als eine konservative Revolution zu begreifen sei. Das passte zu der Einschätzung José Bengoas, der im Forum zur kulturellen Identität meinte, dass die chilenische Kultur eine sehr vergangenheits-bezogene sei! Nach siebzehn Jahren Diktatur und acht Jahren „Redemokratisierung“ gelte es, gesellschaftlich noch einiges aufzuarbeiten. Verdrängtes werde hervorgeholt, Unschönes ausgesprochen und endlich die Angst vor der Repression überwunden.

Eine chilenische Mutter war zu Gast, um vom Schicksal ihres Sohnes zu erzählen. Er ist einer der Verschwundenen der Diktatur. Seine Mutter sagte, und sie entschuldigte sich noch für ihre einfachen Worte, sie sei inzwischen alt und habe nun keine Angst mehr. Jetzt könne sie endlich für die Gerechtigkeit der Opfer kämpfen. Niemals mehr wolle sie zulassen, was in Chile unter Pinochet geschah. Nunca más!

Die Abschlussworte sollten durch Luis Vitales vorgegeben werden. Eine neue Linke brauche das Land… Der Kongress verzettelte sich jedoch in alten Utopien und Begriffen, ohne neue Wege und Denkmuster überhaupt angesprochen zu haben. Die Themen waren zu rückwärtsgewandt und einseitig. Die Themen Umwelt und Frauen blieben wieder einmal nur schönes Beiwerk.

Wer sich in den Kongress einbringen wollte, hatte dazu kaum Gelegenheit. Die Zahl der Referenten war derart hoch angesetzt, dass keine Zeit für eine breitere Diskussion oder Reflexion über etwaige Resultate des Kongresses blieb. So verloren sich die Ideen und Anregungen gerade der jüngeren Teilnehmer. Dennoch waren sie es, die die einzige Resolution zur aktuellen Situation der deutschen Chile-Politik verfassten. Besonders die Forderung an die deutsche Regierung, einen Antrag auf Auslieferung Pinochets zu stellen, fand großen Beifall. Dabei geht es vor allem darum, sich mit Schweden, Spanien, Belgien und Frankreich zu solidarisieren und den Druck auf die britische Regierung zu erhöhen.

So ist es schade, dass der Kongress die Gelegenheit verschlafen hat, mehr Druck auszuüben. Trotz Standortdebatte und Globalisierungsängsten in Deutschland sind Demokratie und Menschenrechte wichtige und zu erhaltende Werte, die wir nicht vorschnell für Absatzmärkte aufgeben sollten. Gerade von der neuen Regierung wäre zu erwarten, in diesem Sinne auch zu handeln und auf eine Auslieferung Pinochets zu pochen. Vielleicht müsste man sie auch einfach mal daran erinnern, dass Globalisierung nicht nur wirtschaftlich neue Möglichkeiten eröffnet, sondern auch für die Menschenrechte!

Gerade im Menschenrechtsbereich hat sich gezeigt, dass Nichtregierungsorganisationen entscheidende Akzente setzen können. Die Tatsache, dass Pinochet in Europa festgehalten wird, entwickelt sich allmählich zum Symbol der Hoffnung für andere Völker. Ex-Diktatoren können nicht mehr unbeschwert ins Ausland reisen. Amtierende Diktatoren ahnen, dass sie vielleicht doch mal für ihre Taten verantwortlich gemacht werden könnten.

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