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Die Verhaftung Pinochets und das Völkerrecht

Anja Jaramillo | | Artikel drucken
Lesedauer: 4 Minuten

Am 17. Oktober 1998 wurde General Augusto Pinochet Ugarte in London festgenommen und unter Arrest gestellt. Gegen ihn lag ein Haftbefehl der spanischen Justiz vor, die wegen der Ermordung und Verschleppung zahlreicher Spanier während seiner Militärherrschaft ermittelte. Unmittelbar an die Verhaftung schlössen sich die Proteste der chilenischen Regierung und der Armee an, die Großbritannien völkerrechtswidriges Verhalten vorwarfen. Argumentiert wurde mit der diplomatischen Immunität Pinochets, die dieser aufgrund seiner Einreise mit einem Diplomatenpass nach Großbritannien genießen sollte. Denn Pinochet war nach seinem Abgang als chilenischer Staatschef 1990 Chef des Heeres geblieben und hatte sich danach zum Senator auf Lebenszeit ernennen lassen. Durch diesen Schachzug war ihm eine dauerhafte Immunität sicher, die ihn in seinem eigenen Land vor jeglicher Strafverfolgung schützte.

Die gleiche Strategie schien auch im Ausland aufzugehen. Unter den Tory-Regierungen war Pinochet in Großbritannien ein- und ausgegangen. Zwischen Margaret Thatcher und dem chilenischen General bestand ein nahezu freundschaftliches Verhältnis, was diese wohl dazu veranlasst haben mag, sich jetzt für Pinochet einzusetzen. Jedoch verkalkulierte sich der mittlerweile greise Stratege dieses Mal, indem er die Veränderungen in New Britain nicht ausreichend bedachte. Denn die New Labour-Regierung Tony Blairs setzt in der Außenpolitik einen starken Akzent auf die Menschenrechte, die eine wichtige Rolle spielen sollen, so wichtig, dass man Pinochet nicht weiter als Ehrengast hofieren, sondern der spanischen Justiz mit der Verhaftung des 82jährigen Chilenen in deren Bemühungen unterstützen wollte, den Ex-Diktator seiner gerechten Bestrafung zuzuführen.

Dennoch bleibt die Frage, ob die Maßnahme der Londoner Justiz nicht gegen völkerrechtliche Grundsätze verstößt. Richtig ist zwar, dass Pinochet mit einem Diplomatenpass einreiste. Jedoch wird man nicht automatisch durch den Besitz eines Diplomatenpasses zum Diplomaten im völkerrechtlichen Sinne, dessen Immunität im Ausland garantiert werden muss. Einen Diplomatenstatus genießt nach dem „Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen“ von 1961 nur, wer entweder als Diplomat vom Empfangsstaat akkreditiert ist, was bei Pinochet nach Aussagen des britischen Außenministeriums nicht der Fall ist, oder sich auf einer Sondermission befindet. Dass sich ihr ehemaliger Chefin Großbritannien auf einer solchen Mission befunden habe, behauptete die chilenische Armee zwar im Anschluss an dessen Verhaftung, dies war jedoch nur allzu leicht als Versuch zu durchschauen, den General doch noch zu retten. Immerhin war bekannt, dass dieser nach London gekommen war, um sich in einer Privatklinik einer Rückenoperation zu unterziehen. Trotz seines Diplomatenpasses hatte Pinochet somit keinerlei Ansprüche auf diplomatische Vorrechte, auf die er sich berufen könnte.

Jedoch könnte dem Ex-Diktator Immunität auch in seiner Eigenschaft als ehemaliges Staatsoberhaupt zustehen. Es ist heute als allgemeine Regel des Völkergewohnheitsrechts anerkannt, dass ein Staatsoberhaupt vollständige Immunität in allen rechtlichen Fragen auf dem Gebiet eines anderen Staates genießt. Dies gilt grundsätzlich auch nach Ende der Amtszeit, jedoch nur für Handlungen, die in der Eigenschaft als Staatsoberhaupt vorgenommen wurden, d.h. für offen gesetzte Hoheitsakte (acts of state), nicht jedoch für private Straftaten, die während der Amtszeit verübt wurden. Prekär ist dabei nur, dass rechtlich bisher nicht geklärt ist, in welche Kategorie die Gewaltakte einer Diktatur fallen. Doch selbst wenn die dem früheren chilenischen Staatschef vorgeworfenen Taten als Regierungshandlungen eingestuft würden, stünde seiner Verhaftung völkerrechtlich letztlich nichts im Wege. Denn nach Völkergewohnheitsrecht gilt der Grundsatz der Immunität nicht bei Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. In diesem Bereich soll kein Schutz vor weltweiter Strafverfolgung bestehen. Ausdrücklich normiert wurde dies jüngst im Statut des Jugoslawien-Gerichts: „Die amtliche Stellung eines Beschuldigten, ob als Staats- oder Regierungschef oder als verantwortlicher Amtsträger der Regierung, enthebt den Betreffenden nicht der strafrechtlichen Verantwortlichkeit.“ Darüber, dass die unter der Herrschaft Pinochets verübten Verbrechen als solche gegen die Menschlichkeit zu qualifizieren sind, dürfte international weitgehend Einigkeit bestehen. Während seines Militärregimes von 1973-1990 wurden etwa 3000 Menschen ermordet, oder sie verschwanden in den Fängen der Geheimpolizei, Tausende wurden gefoltert.

Entgegen der Annahme seiner Anhänger stellt die Festnahme des Ex-Diktators also keinen Verstoß gegen völkerrechtliche Grundsätze dar. Somit könnte durch die Verhaftung Pinochets in Großbritannien ein Zeichen gesetzt werden. Es mag den Hinterbliebenen und den Opfern der Militärdiktatur nicht nur in Chile, sondern auch in Argentinien, zumindest eine späte Genugtuung sein, dass die Täter zwar im eigenen Land strafrechtlich nicht belangt werden, letztlich jedoch zu Gefangenen in dessen Grenzen werden. Auch gegen Jorge Videla und General Leopoldo Galtieri, die in Argentinien für das Verschwinden und die Ermordung von 30.000 Personen, darunter auch zahlreicher Spanier, verantwortlich sind, liegen spanische Haftbefehle vor. Wird Pinochet tatsächlich an Spanien ausgeliefert und dort zur Rechenschaft gezogen, so könnte dies als internationaler Appell dahingehend verstanden werden, schwere Vergehen gegen die Menschlichkeit ohne Rücksicht auf politische Interessen strafrechtlich zu ahnden.

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