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Der englische Patient und sein spanischer Richter

Daniela Vogl | | Artikel drucken
Lesedauer: 8 Minuten

Die Berichterstattung der britischen und spanischen Presse über die Verhaftung des chilenischen Ex-Diktators amBeispiel von The Guardian, The Observer, The Times, El País Internacional und El Mundo

Chile: Augusto Pinochet - chilenischer General und Diktator, Foto: Public DomainSowohl die britische als auch die spanische Presse sprechen sich in der Zeit vom 25. Oktober bis zum 10. Dezember 1998 durchgehend für eine Auslieferung Pinochets an Spanien, vor allem aber für ein Gerichtsverfahren gegen den Ex-Diktator, aus. Die Vorbildwirkung, die ein derartiges Verfahren auf die internationale Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen und somit die Durchsetzung der Menschenrechte haben kann, wird als enorm positiv herausgestrichen. Allerdings thematisiert die britische Presse, allen voran die Tageszeitung The Observer, die negativen wirtschaftlichen Folgen, die eine Entscheidung Großbritanniens, Pinochet an Spanien auszuliefern, mit sich bringen könnte, ausgesprochen stark. Besonders hervorgehoben werden in diesem Zusammenhang die umfangreichen Waffeneinkäufe, die Chile bei britischen Produzenten tätigt, und die nach einer positiven Antwort auf den spanischen Auslieferungsantrag wohl sofort gestoppt werden würden. Am 25. Oktober 1998 ist von möglichen Millionenverlusten für britische Firmen, besonders die staatliche British Aerospace, die Rede.

In derselben Ausgabe wird daraufhingewiesen, dass Spanien aus seinem Auslieferungsantrag international große Vorteile zieht, da er der Regierung der Partido Popular dazu verhilft, die endgültige Abkehr von ihrer eigenen autoritären Vergangenheit zu demonstrieren. Mit diesem Argument will der Observer wohl den Beweis führen, dass nicht Spanien als Urheber des Haftbefehls gegen Pinochet, sondern Großbritannien, das nur auf den spanischen Auslieferungsantrag hin gehandelt hat, die wirtschaftlichen und außenpolitischen Kosten eines Gerichtsverfahrens gegen den Ex-Diktator zu tragen hätte. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass in der spanischen Presse wirtschaftliche Gesichtspunkte der „Affäre Pinochet“ kaum thematisiert und schon gar nicht als Argument gegen eine Auslieferung des Ex-Diktators verwendet werden. Dabei hat Spanien gewiss nicht weniger ökonomische Nachteile zu befürchten als Großbritannien. Ganz im Gegenteil stehen bedeutende spanische Investitionen in die chilenische Wirtschaft, so der Mehrheitsanteil der Telefonica an Chiles Telekommunikationswesen, auf dem Spiel.

Auf die mögliche Verschlechterung der spanisch-chilenischen Beziehungen auf politischer Ebene geht die spanische Presse zwar stärker ein, interpretiert sie aber nicht als ein Argument gegen den spanischen Auslieferungsantrag, sondern sieht gerade durch die chilenischen Proteste die Richtigkeit ihrer eigenen Position bestätigt. So wird auf Vorfälle wie die Verbrennung spanischer Flaggen bei Demonstration in Chile zwar einerseits ausgesprochen entrüstet reagiert, anderseits wird der Leser von verschiedenen Kommentatoren der Tageszeitung El País sinngemäß dazu aufgefordert, sich an solche Bilder zu gewöhnen, da sich Spanien auch durch derartige Aktionen nicht von einer Verfolgung von Menschenrechtsverletzern abbringen lassen würde.

In diesem Zusammenhang werden überraschenderweise in der britischen und nicht der spanischen Presse Parallelen zwischen der spanischen Transition, die ohne jegliche Anklagen gegen die Verantwortlichen der Franco-Diktatur verlief, und der chilenischen Situation bis zum spanischen Auslieferungsantrag gegen Pinochet gezogen. Aus diesen Parallelen folgernd wird die spanische Anklage gegen Pinochet als etwas übereifrige Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit Spaniens dargestellt, die sogar die chilenische Transition gefährden könnte.

Darin stimmt die Haltung der hier zitierten-britischen Presse übrigens mit der Einstellung des Ex-Diktators überein. In einem Leserbrief an die Times vom 8. November 1998 beschuldigt dieser Spanien nämlich, die Versöhnung der Chilenen zu behindern und die eigene, spanische Geschichte zu vergessen. Als Höhepunkt des Zynismus schreibt er in demselben Leserbrief, dass die chilenische Demokratie durch die spanische Aktion gegen seine Person beschädigt wurde.

Hinweise auf die Parallelen zwischen der spanischen und der chilenischen Transition fehlen in der spanischen Presse gänzlich. Hingegen ist ein wichtiger Teil der Berichterstattung den spanischen Opfern der chilenischen Diktatur gewidmet, die immer noch als Spanier angesehen werden, selbst wenn es sich dabei um Menschen handelt, die schon in der dritten oder vierten Generation in Chile leben. Dass unter hunderttausenden von Ermordeten, „Verschwundenen“ und Gefolterten, die „eigenen“, spanischen Opfer so stark hervorgehoben werden müssen, macht auf den ausländischen Leser einen durchaus befremdlichen Eindruck, da es das chilenische als Leid zweiter Klasse erscheinen lässt.

Reichlich seltsam mutet auch der viele Raum, der der Berichterstattung über zwei Spanier, die sich in Chile nach eigenen Worten „einen dummen Scherz“ geleistet haben, an. Die Spanier hatten kurz nach der Verhaftung Pinochets, in einer E-mail „spaßeshalber“ an ihre Familien geschrieben, dass sie von Anhängern Pinochets entfuhrt und misshandelt worden wären. Damit lösten sie nicht nur eine Großfahndung der chilenischen Behörden und, nach Aufklärung des Sachverhalts, ihre eigene Ausweisung aus, sondern verursachten auch starke Unruhe in Teilen der chilenischen Bevölkerung, die große Angst vor einer Rückkehr zur Gewalt hatten.

Chile: Wandbild von Augusto Pinochet und Margaret Thatcher - Foto: noaz_Allerdings muss angemerkt werden, dass die spanische Presse im allgemeinen stärker auf die Opferperspektive eingeht, während in Großbritannien vor allem rechtliche und wirtschaftliche Fragen eine große Rolle spielen. Ein bedeutender Teil der britischen Berichterstattung ist außerdem Pinochet selbst gewidmet. Dieser Teil ist außerordentlich sarkastisch gehalten und macht sich dabei an dem von einem auf den anderen Tag angeblich so bedenklich gewordenen Gesundheitszustand des Ex-Diktators, dem filmreifen, mitleidheischenden Auftritt seiner Frau und den äußerst komfortablen Lebensumständen der beiden in Großbritannien fest. Mehr Sarkasmus als diese drei Punkte zieht allerdings noch die Freundschaft zwischen Pinochet und der ehemaligen britischen Premierministerin Margret Thatcher auf sich. In Kolumnen zu diesem Thema zeigt sich die schwärzeste Seite britischen Humors. Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass die Inschutznahme Pinochets durch die ehemalige Premierministerin und jetzige Baronin auch innenpolitisch ein ernsthaftes und schwerwiegendes Thema ist und auch von den Medien als solches aufgegriffen wird. Harsche Kritik an Maggie Thatcher, aber auch an dem reichlich blassen Verhalten weiter Teile der Labour Party wird vor allem vom Guardian geübt, während die Times am 22. Oktober sogar einen seitenfüllenden Leserbrief Thatchers abdruckt, indem eine freundschaftliche Behandlung Pinochets durch die britischen Gerichte eingefordert wird, da dieser durch seine Hilfe im Falklandkrieg ja schließlich britische Leben gerettet hätte. Außerdem fügt sie noch hinzu, dass in Chile immer beide Seiten, also auch die Opposition, Grausamkeiten begangen hätten. Auf diesen offensichtlichen Zynismus, mit dem Maggie Thatcher impliziert, dass einem Diktator Menschenrechtsverletzungen an seiner eigene Bevölkerung verziehen werden sollten, sofern er nur auf britischer Seite steht, antwortet die Guardian-Redakteurin lsabel Hilton am 23. Oktober 1998 mit der Frage: „ What are you saying, Lady Thatcher? That crimes against humanity don ‚t matter if it’s our son of a bitch who commits them?“ Gleichzeitig geht Hilton in ihrem offenen Brief an Thatcher darauf ein, dass Pinochet wohl doch kein so guter Freund Großbritanniens sein kann, da seinem schmutzigen Krieg gegen die Opposition auch Engländer zum Opfer gefallen sind und seine Unterstützung im Falklandkrieg wohl kaum auf seine Bewunderung für britische Werte wie Demokratie und Grundrechte, sondern auf eigene strategische Interessen gegenüber Argentinien zurückzuführen ist.

Der Observer betont am 25. Oktober, dass genau die Gesetze, die die Möglichkeit, Pinochet an Spanien auszuliefern, überhaupt erst ermöglicht haben, während der Regierungszeit seiner Freundin Maggie Thatcher verabschiedet wurden.

Abgesehen von Pinochets Freundschaft zu Maggie Thatcher gehen Guardian und Observer auch auf einen Ausspruch Pinochets ein, in dem er seine Bewunderung für die zivilisierte Beherrschtheit der Engländer hervorgehoben hat. Hier wird das Argument geführt, dass es nun genau dieses Verständnis von Zivilisation ist, das die Mehrheit der Briten ein Gerichtsverfahren gegen den Ex-Diktator befürworten lässt.

Im Gegensatz dazu zieht die Times im Einklang mit der Parteilinie der Tories Parallelen zwischen Pinochet und dem argentinischen Präsidenten Menem, dessen Besuch in England sich mit der Verhaftung des Ex-Diktators zeitlich überschneidet. Ihrer Meinung nach müsste, wenn dem spanischen Auslieferungsantrag stattgegeben wird, auch Menem wegen Kriegsverbrechen an britischen Soldaten im Falklandkrieg angeklagt werden. Diese Logik weist der Guardian scharf zurück und legt zur Begründung seiner Haltung dar, dass Menem während des Falklandkriegs noch gar nicht argentinischer Präsident war, etwaige Menschenrechtsverletzungen an britischen Soldaten also von seinen Vorgängern an der Spitze des argentinischen Staates, die wie Pinochet Militärdiktatoren waren, und nicht von ihm verübt wurden. Außerdem ist für den Guardian ein bewaffneter Konflikt zwischen zwei Staaten nicht mit dem Völkermord eines Diktators an der eigenen Bevölkerung vergleichbar.

Interessant ist, dass sowohl an die britische als auch an die spanische Presse so viele Leserbriefe zum „Fall Pinochet“ gerichtet wurden, dass sie jedes andere Thema vollkommen verdrängten. Dabei lässt sich feststellen, dass unter den britischen und spanischen Leserbriefschreibern die Befürworter einer Auslieferung überwiegen, während aus Chile vor allem Briefe eingehen, die der Verteidigung Pinochets dienen sollen. So heißt es in einem Leserbrief an den Guardian vom 29. Oktober 1998: „We are not a Spanish colony anymore, and will never be a British one“.

Im Meinungsteil der spanischen und britischen Presse melden sich auch ausgesprochen viele Intellektuelle und Schriftsteller zum spanischen Auslieferungsantrag gegen Pinochet zu Wort. Als Beispiele sollen hier einige wenige wie Galeano, Dorfman, Vazquez Montalban, Rushdie und Montero genannt werden. Galeano wie Vazquez Montalban weisen auf die „santa alianza“, die (Un-)heilige Allianz zwischen Pinochet und dem Kapital hin, die zwar für eine Globalisierung der Märkte eintritt, eine Globalisierung der Menschenrechte aber nicht zulassen wollen.

Insgesamt wird die Berichterstattung über den „Fall Pinochet“ zwar stark von der innenpolitischen sowie historischen Situation Spaniens und Großbritanniens geprägt, als gemeinsame Linie aller Artikel, sogar über die ideologischen Grenzen der einzelnen Zeitung hinaus, ist aber die eindeutige und starke Befürwortung eines Verfahrens gegen den Ex-Diktator festzustellen.

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Bildquellen: [1] Public Comain; [2] noaz_

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