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Rolando Alarcón – Einige Anmerkungen zu seinem 50. Todestag

Gabi Töpferwein | | Artikel drucken
Lesedauer: 11 Minuten

Eine meiner Sünden bestand darin, dass ich mich einmal dem Eintritt eines wertvollen Künstlers in die Partei widersetzt habe, nur weil er ein Schwuler war“. Diese Aussage stammt von Luis Corvalán, Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chiles von 1958 bis 1990. Mit dem wertvollen Künstler meinte er wohl Rolando Alarcón.

Luis Corvalán spricht in diesem Satz gleich zwei Themen an, die in Bezug auf den Sänger und Komponisten Rolando Alarcón in Chile nicht selten eher despektierlich behandelt werden: Der Künstler war Kommunist und er war homosexuell. Besser hätten wir das nicht zusammenfassen können; aber es musste gesagt werden.

Um die Person Rolando Alarcón weben sich Kommentatoren immer wieder Rätsel, die sie dann zu lösen versuchen. Zum Beispiel mit der Frage, wieso Alarcón im Gegensatz zu seinen Mitstreitern wie Víctor Jara oder Violeta Parra heute weitgehend vergessen sei. Aber so einfach ist das leider nicht.

Vor vier Jahren schrieb Camila Sierra es in der Internetzeitung El Cuidadano, die chilenische Geschichte sei gemein und undankbar und versuche alles unsichtbar zu machen, was nicht der Norm entspreche. Die Autorin kam in einem Beitrag zum 90. Geburtstag von Rolando Alarcón zu diesem Schluss. Sie nannte Alarcón dann auch einen marginalisierten Musiker, den heute in Chile kaum noch jemand kenne. Marginalisiert – damit dürfte Sierra doch etwas übers Ziel hinausgeschossen sein. Rolando Alarcón war zu seinen Lebzeiten ein in Chile bekannter und renommierter Sänger, einer der Protagonisten in der sogenannten Nueva Ola, zu der man allgemein die Bewegungen der Neofolklore und der Nueva Canción Chilena zählt.

Doch Rolando Alarcón starb bereits Anfang 1973, da war er erst 43 Jahre als. Sein Tod, ein gutes halbes Jahr vor dem Militärputsch, bewahrte ihn davor, ein Opfer der Diktatur zu werden. Aber seine Lieder wurden es sehr wohl. Das Militär verbot seine Platten und vernichtete sie. Man vermutet, dass die Master der Alben, die unter seinem eigenen Label Tiempo erschienen waren, unwiderruflich verloren sind. Was mit ihnen geschah, weiß niemand. Möglicherweise erlitten sie das gleiche Schicksal wie sehr viele Masterbänder von DICAP, der Plattenfirma des Kommunistischen Jugendverbandes, die nach dem Putsch von den Militärs verbrannt wurden. Der Tod des Künstlers liegt ein halbes Jahrhundert zurück, das ist eine lange Zeit, in der ein Name schon vergessen werden kann und nicht mehr allen gegenwärtig ist. Aber vergessen ist Rolando Alarcón ganz offensichtlich nicht: Zu seinem 90. Geburtstag im 2019 wurde der Künstler in Chile nicht marginalisiert, sondern mit einem wahren Veranstaltungsmarathon gefeiert. Das ist im Übrigen eine Tradition, die zu jedem Geburtstag des Musikers zelebriert wird.

Hierzulande dürfte Rolando Alarcón tatsächlich ein weitgehend Unbekannter sein Das kann jedoch nicht die Tatsache entschuldigen, dass wir seinen 50. Todestag am 4. Februar etwas verschlafen, aber immerhin nicht vergessen haben. Und wir sind der Meinung, dass eine etwas verspätete Erinnerung besser ist als gar keine. Zumal 2023 neben seinem 50. Todestag einen weiteren Anlass gibt, an Rolando Alarcón zu erinnern.

Im Jahr 1968 erschein sein Album Canciones de la Guerra Civil Española, es wird in diesem Jahr also 55 Jahre alt. Das Album, seine viertes Soloaufnahme, war in mehrerer Hinsicht ein Novum. Im spanischsprachigen Raum gab es bis dahin keine Edition von Liedern aus dem Spanienkrieg. Überhaupt waren bis dahin weltweit nur drei Platten zum Thema herausgegeben wurden – alle in den USA. Folkways Records hatte zwei davon (Six Songs for Democracy mit Ernst Busch und Songs of the Lincoln Batallion mit Pete Seeger und anderen) im Jahr 1961 unter dem Titel Songs of the Spanish Civil War wieder aufgelegt. Es ist möglich, dass Rolando Alarcón diese Ausgabe kannte. Er selbst hatte während seines mit einem Stipendium finanzierten Aufenthaltes in den USA für Folkways Records die Platte Traditional Chilean Songs aufgenommen, die 1960 veröffentlicht wurde. In dieser Zeit hatte er auch Pete Seeger getroffen. Aber davon abgesehen, man sollte auch nicht vergessen, dass in Chile viele spanische Emigranten lebten und ihre Lieder im Land nicht unbekannt waren. Canciones de la Guerra Civil Española hatte großen Erfolg, sowohl was die Verkaufszahlen als auch was die Resonanz in Alarcóns Konzerten betrifft. Und es dürfte bis heute das erfolgreichste Album des Künstlers sein. Das Album wird in verschiedenen Ländern immer wieder aufgelegt, vermutlich nicht ganz legal. Ein Teil seiner Lieder ist übrigens auch in der 2014 in Deutschland herausgegebenen 7-CD-Box „Spanien im Herzen“ (Bear Family) zu hören.

Ein Novum war Canciones de la Guerra Civil Española auch deshalb, weil es als erste Edition unter dem Label Tiempo erschien, Alarcóns eigenem Label. Damit hatte sich der Musiker unabhängiger von den großen Plattenfirmen gemacht, er konnte fortan besser über den Inhalt seiner Schallplatten bestimmen. Alarcón hatte bei RCA, wo er seine Platten bis dahin herausbrachte, bereits Probleme gehabt, das eine oder andere sozialkritische Lied aufzunehmen; auch die Medien boykottierten einige seiner Lieder Seine folgenden Platten erschienen mit zwei Ausnahmen alle bei Tiempo. Die Ausnahmen erschienen bei DICAP und Hit Parade. Das waren zum einen Canta a los poetas soviéticos mit Vertonungen von Gedichten der sowjetischen Dichter Jewgeni Jewtuschenko und Bulat Okudschawa, die 1971 bei erschienen, und zum anderen wurde zwei Jahre zuvor A la resistencia española. Dieses Album teilte er sich mit der Gruppe Inti-Illimani: Die A-Seite enthielt Alarcóns Interpretationen von Liedern des spanischen Widerstands und die B-Seite Lieder der mexikanischen Revolution mit Inti-Illimani (A la revolución mexicana). Insgesamt brachte Rolando Alarcón elf Soloalben auf den Markt, in acht Jahren.

Aber fangen wir am Anfang an. Rolando Alarcón Soto, wurde am 5. August 1929 in Santiago de Chile geboren, wuchs aber in der Bergbaustadt Sewell auf. Seine Mutter war Grundschullehrerin, der Vater Bergmann. Rolando, der Gitarre und Klavier spielte, schlug den beruflichen Weg der Mutter ein und wurde ebenfalls Grundschullehrer. Dafür besuchte er die Escuela Normal in Chillán, die gleiche Lehranstalt übrigens, an der mehr als ein Jahrzehnt zuvor Luis Corvalán seinen Abschluss als Grundschullehrer gemacht hatte. Die Welt ist klein…

Als Lehrer legte Alarcón großen Wert auf die Musik, er wollte sie den Kindern nahebringen. Er bildete Chöre, auch große Chöre, damit viele Kinder mitsingen konnten. Vor allem die Folklore hatte es ihm angetan, er selbst sprach von einer großen Leidenschaft für die chilenische Musik. Diese Leidenschaft wollte er weitergeben. „Ich glaube, meine Zuneigung zur Folklore wuchs, als ich unser Volk besser kennen und verstehen lernte“. Lehrer bleib er zeitlebens, er wollte sein Wissen weitergeben. Er beriet junge Lehrer und zeigte sich auch als Musiker von einer „ruhigen, gutmütigen und zutiefst pädagogischen Seite“. „Rolando stach (…) hervor, weil er sehr rücksichtsvoll war, man konnte sehen, dass er ein Lehrer war und mit niemandem Probleme hatte.“ (Marta Orrego) Er sammelte Refalosas, Coplas, Cachimbos und schrieb selbst Lieder in den traditionellen Rhythmen, um diese bekannter zu machen. In Santiago betrieb er eine Gitarrenschule, für die er Räume in einem Kindergarten organisieren konnte, was für die Erwachsenen nicht eben bequem gewesen sein soll. Während der Regierungszeit der Unidad Popular war er schließlich musikalischer Berater des Bildungsministeriums.

1955 gründeten Schüler eines Sommerkurses der bekannten Folkloristin Margot Loyola die Gruppe Cuncumén, die nicht nur Folklore spielte, sondern diese auch sammelte und erforschte. Alarcón, einer der Mitbegründer, übernahm die Leitung der Gruppe und bestimmte deren Stil in hohem Maße. Zwei Jahre nach ihrer Gründung schloss sich übrigens ein junger Schauspielstudent namens Víctor Jara der Gruppe an. Mit Cuncumén bereiste Alarcón ganz Chile und war auch mehrmals im Ausland unterwegs, vornehmlich in sozialistischen Ländern. Bis zu seinem Ausscheiden erschienen fünf Langspielplatten.

Daneben hatte er die bereits erwähnte Platte in den USA für Folkways aufgenommen. 1964 folgte dann ein gemeinsames Album mit Silvia Urbina, die ebenfalls zu den Gründungsmitgliedern von Cuncumén gehörte und wie Rolando Alarcón die Gruppe im Jahr 1962 verließ.

1965 erschien mit Rolando Alarcón y sus canciones sein erstes Soloalbum. Da war er bereits ein bekannter Sänger und Komponist, der Lieder für verschiedene Gruppen und Solisten schrieb. Seine Lieder, meist von anderen Künstlern gesungen, errangen vordere Plätze auf diversen Festivals, wie z.B. bei dem berühmten Festival in Viña del Mar. Für seine Kompositionen wurde er mehrfach ausgezeichnet, so z.B. 1965 mit dem Goldenen Lorbeer. Lieder wie Doña Javiera Carrera, Yo defiendo mi tierra, Mi abuelo bailó sirilla, Si somos americanos oder Mocito que vas remando gehören heute zum nationalen musikalischen Erbe Chiles.

Der Produzent Camilo Fernández, der bei RCA einige von Alarcóns Liedern aufnahm, schätzte ihn vor allem als Komponisten. „Ich hielt ihn für einen besseren Komponisten als Interpreten. Er hat uns mit den Cuartos große Hits beschert, aber er gab nicht das Profil eines erfolgreichen Künstlers ab. Ich habe ihn immer als eine Art franziskanischen Priester gesehen, halbwegs gutmütig, sehr bedächtig, er war nicht das, was man einen Star nennen würde.“ Der Künstler selbst bekannte, dass ihn das Komponieren mehr erfüllte als das Singen.

Von den Medien wurde er sowohl gefeiert als auch verdammt. Sein Lied „Se olvidaron de la patria“ über ein Grubenunglück im Norden Chiles durfte im nationalen Radio nicht gespielt werden. Bereits 1963 erregte er mit dem Lied ¿Adónde vas, soldado? Aufsehen; das Militär nahm ihm dieses Stück sehr übel. ‚Wir wollen keine Bataillone‘, hieß es dort, ‚wir wollen nur Frieden‘. Etwa zu dieser Zeit verlor die seit 1957 ausgestrahlte Rundfunksendung Chile ríe y canta die staatliche Förderung. Der Grund war das Repertoire von Alarcón, insbesondere die Ausstrahlung seines Liedes Yo defiendo mi tierra missfiel der Zensur.

Rolando Alarcón Karriere als Solist fiel zusammen mit Veränderungen in der chilenischen Musiklandschaft. Mitte der 1960er Jahre vollzog sich die Trennung der Nueva Ola. Neofolklore und Nueva Canción beschritten unterschiedliche Wege. „Als die Peña gegründet wurde, war sofort klar, wohin die eine Gruppe ging und wohin die andere. Wir waren politisch identifiziert und sie waren ‚rechts-unpolitisch‘, und das spiegelte sich dort wider, obwohl wir nie eine ideologische Diskussion hatten, denn sie gingen zur Peña und wir hatten ein sehr gutes Verhältnis. (…) Für sie war es ein Hobby, etwas, das ihnen Arbeit und Geld gab, das sie nicht brauchten. Wir hatten ein Lebensprojekt, kein Hobby.“ (Angel Parra).

Bei der Peña, von der Angel Parra spricht, handelte es sich um die berühmte Peña de los Parra, die Rolando Alarcón 1965 mitgegründet hatte und zu deren Stammgästen er fortan zählte. „Er hatte keine Show, sondern eher eine 30- bis 40-minütige Liedersitzung, bei der man mitsummen und klatschen konnte. Es war ein sehr partizipativer Auftritt, bei dem er auch ein sehr angenehmes Lächeln zeigte. Rolando verlieh der Peña eine sehr heitere Note, weil er als Person sehr heiter war.“ (Angel Parra)

Die Neofolklore verlor an Zugkraft und die Interpreten der Bewegung des Neuen Liedes gewannen zunehmend an Popularität: Die Parras (Violeta, Angel, Isabel), Víctor Jara, Rolando Alarcón, Patricio Manns, um nur die bekanntesten zu nennen. Daneben Gruppen wie Quilapayún, Inti-Illimani oder Aparcoa. Rolando Alarcón gilt als wichtiger Vertreter sowohl der einen als auch in der anderen Gruppe. Er hat mit seinen Liedern auch wichtigen Vertretern der Neofolklore (Los Cuatro Cuartos, Los Cuatro Brujas) mit zu ihrem Erfolg verholfen. ‚Rechts-unpolitisch‘ war er allerdings nie und die Entwicklung zur Bewegung des Neuen Liedes war für ihn nur folgerichtig. „In Wirklichkeit hatte Rolando diese Linie schon seit vielen Jahren. Mit Cuncumén hatten wir bereits die Möglichkeit, durch Chile zu touren, und die Bedürfnisse des Volkes waren enorm.“ (Silvia Urbina)

Rolando Alarcón starb überraschend am 4 Februar 1973. Er befand sich auf Tournee mit dem Programm Chile ríe y canta, als er sich wegen gesundheitlichen Problemen in ärztliche Behandlung begeben muss. Der Künstler litt an einem nicht behandelten Magengeschwür, das operiert werden musste. Während der Operation erlitt er einen Herzinfarkt.

Zu „dem Meer von Menschen“, das sich auf dem Allgemeinen Friedhof in Santiago von dem Musiker verabschiedete, gehörte auch Präsident Salvador Allende.

So sehr einige Kommentatoren heute rückblickend immer wieder einmal die Marginalisierung von Rolando Alarcón beschwören und beklagen, sein Name wäre heute fast vergessen, sie alle kommen letztlich zu dem Schluss, dass sehr viele Chilenen seine Lieder mitsingen oder zumindest mitsummen können. Auch die jungen, die diese Lieder in der Schule lernen. Die Refalosas, Coplas, Cachimbos …

Hier, zum „Nachhören“, eine Übersicht der Platten von Rolando Alarcón. Die meisten sind auf verschiedenen Musikportalen im WWW zu finden:

  • Traditional Chilean Songs (Folkways Records), 1960
  • Chile nuevo. Volumen 1/mit Silvia Urbina (Edición independiente), 1964
  • Rolando Alarcón y sus canciones (RCA Victor), 1965
  • Rolando Alarcón (RCA Victor), 1966
  • El nuevo Rolando Alarcón (EMI Odeón Chilena), 1967
  • Canciones de la Guerra Civil Española(Tiempo – Astral), 1968
  • El mundo Folclórico de Rolando Alarcón (Tiempo – Astral), 1969
  • A La Resistencia Española/A La Revolución Mexicana (Hit Parade), 1969
  • Por Cuba y Vietnam (Tiempo), 1969
  • El hombre (Tiempo), 1970
  • Canta a los poetas soviéticos (DICAP), 1971
  • Canciones desde una prisión (Tiempo), 1971
  • El alma de mi pueblo (Tiempo), 1972

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Quellen:

www.interferencia.cl/articulos/50-anos-de-la-muerte-de-rolando-alarcon-de-los-cuncumen-la-carrera-solista-del-autor-de-si

www.radio.uchile.cl/2015/01/31/la-desconocida-vida-del-profesor-rolando-alarcon/

www.elciudadano.com/artes/los-90-anos-de-rolando-alarcon-la-vida-profunda-de-un-musico-marginado/07/31/

www.biobiochile.cl/biobiotv/programas/2022/02/04/efemerides-el-4-de-febrero-de-1973-muere-el-folclorista-rolando-alarcon.shtml

Marco Antonio de la Ossa Martínez: Rolando Alarcón y las Canciones de la Guerra Civil Española. In: ARTSEDUCA Revista electrónica de educación en las Artes. Nr.12/Septiembre 2015. S. 66-95. https://www.e-revistes.uji.es/index.php/artseduca/article/view/2035

Bild: [1] CoverScan

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