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Rot wie Blut, schwarz wie Öl, grün wie die Selva
Der Kampf der peruanischen Indigenen um ihr Land

Sven Schaller | | Artikel drucken
Lesedauer: 9 Minuten
Peru - Rot wie Blut, schwarz wie Öl, grün wie die Selva (260 Downloads )

Erst wenn der letzte Baum gerodet,
der letzte Fluss vergiftet,
der letzte Fisch gefangen ist,
werden die Menschen feststellen,
dass man Geld nicht essen kann.

(unbekannt)

Perus Indigene fordern Recht auf Land - Foto: AIDESEPWieder stand Peru kurzzeitig im Fokus der Weltmedien. Wieder kam es zu Toten. Und wieder ging es um die Frage, wem gehören die Öl-, Gas- und Waldressourcen in der Selva. In der Region Bagua im Amazonas stehen sich nun seit Wochen Indigene und Polizeieinheiten gegenüber. Die Ureinwohner beklagen, dass sie gemäß internationalen Konventionen zu allen Belangen der Ressourcenausbeutung in ihrem Territorium befragt werden müssen. Da diese Konsultationen regelmäßig unterbleiben und der Staat trotzdem zahlreiche Gesetze diesen Inhalts erlässt, führen verschiedene Aktionen immer wieder in eine Gewaltspirale. Den jüngsten Konflikten in Perus Selva fielen bis heute 23 Polisten, zehn Zivilisten und eine unbekannten Zahl an Indigenen (wahrscheinlich mehr als 40) zum Opfer.

Der genaue Hergang der Konfrontationen ist weiterhin nicht geklärt. Fest steht, dass sich seit dem 09. April 2009 die Ureinwohner in den fünf Departamentos Cusco, Ucayali, Loreto, San Martín und Amazonas aktiv gegen die Dekrete des Präsidenten Alan García zur Neuregelung der Ausbeutung ihrer Territorien zur Wehr setzten. Sie blockierten Flüsse, Straßen und Erdölförderanlagen.

Am 05. Juni 2009 versuchten schließlich Sicherheitskräfte, eine Straßenblockade in der Nähe der Stadt Bagua zu räumen. Dabei wurden aus Helikoptern Tränengasgranaten auf die friedlichen Demonstranten abgefeuert. Es entwickelten sich nun heftige Gefechte zwischen der Polizei und den etwa 1000 Demonstranten, bei denen – nach Regierungsangaben – neun Polizisten und sieben Indigene starben. Die Auseinandersetzungen verlagerten sich daraufhin in die umliegenden Städte Bagua, Bagua Grande und Jaén. Die Indigenen stürmten öffentliche Einrichtungen, darunter auch eine Polizeistation, so dass spätestens von diesem Zeitpunkt an auch die Demonstranten über AKM-Gewehre verfügten. Zeitgleich besetzten Ureinwohner die Estación 6 des Oleoducto Nor Peruano in Imacita und nahmen 38 Polizisten als Geiseln. Bei der gewaltsamen Befreiungsaktion kamen neun Sicherheitskräfte um Leben. Bis zum Nachmittag schafften es die Polizeieinheiten, die Kontrolle über die Ortschaften zu sichern. Seitdem herrscht in der Region eine Ausgangssperre zwischen 18 Uhr und 6 Uhr.

Als Auslöser für die gewaltsamen Auseinandersetzungen wurde von der Regierung ziemlich schnell der Führer der protestierenden Indigenen, der Vorsitzende der Asociación Interétnica de Desarrollo de la Selva Peruana (Interethnische Vereinigung für die Entwicklung des peruanischen Regenwaldes, Aidesep), Alberto Pizango, verantwortlich gemacht. Nach einer internationalen Pressekonferenz, bei der er der Regierung Genozid vorwarf, musste er untertauchen. Er beantragte politisches Asyl in der Botschaft von Nicaragua und bekam freies Geleit zugesichert. Inzwischen befindet sich Pizango in Nicaragua.

Das Vorgehen der Regierung und der Polizei wurde von NGOs, Menschenrechtsgruppen und Politikern, darunter der Ex-Präsident Alejandro Toledo und der Zweite bei den letzten Präsidentschaftswahlen, Ollanta Humala, scharf kritisiert. Der Präsident Boliviens, Evo Morales, bezeichnete die Proteste der Ureinwohner als „eine große Lehrstunde zum Verständnis der Verteidigung ihres Lebens und der Umwelt“, was zu diplomatischen Spannungen zwischen beiden Staaten führte. Auch die Vorsitzende des UN-Menschenrechtsrats über die Rechte der indigenen Völker, Victoria Tauli-Corpuz, forderte die sofortige Beendigung „aller Gewaltakte gegen die indigenen Gemeinschaften und Organisationen“.

Perus Öl Ressourcen in der Selva und die Territorien der Indigenen - Karte: IBCFür das Verständnis der Vorfälle in Bagua, Yurimaguas und anderen Selva-Regionen ist es notwendig, die Frage nach dem Recht auf Land zu stellen. Einmal mehr zeigt dabei die Analyse, dass der peruanische Staat wirtschaftliche Interessen über die Interessen der Ureinwohner stellt – eine Charakteristik, die sich durch die neoliberale Wirtschaftspolitik seit den 1990er Jahren manifestiert hat und selbst vom amtierenden, vielfach als „sozialdemokratisch“ klassifizierten Präsidenten mit Vehemenz durchgesetzt wird.

Wie sehr sich die Lage der Indigenen in den letzten 30 Jahren verschlechtert hat, offenbart ein kurzer historischer Abriss bezüglich ihrer Rechte auf Territorium. Zunächst schien der Jahrhunderte lange Kampf um die Anerkennung ihres Lebensraumes für die peruanischen Ureinwohner am 09. Mai 1978 endlich zum Erfolg zu führen, als der Staat mit dem Dekretgesetz Nr. 22175 (Ley de Comunidades Nativas y de Desarrollo Agrario de la Selva y de Ceja de Selva, Titel II, Artikel 10) die Integrität des territorialen Eigentums der Ureinwohner garantierte. Das Land der Ureinwohner galt zudem als unveräußerlich, unverjährbar und unpfändbar (Titel II, Art. 13). Das Recht des Staates auf die Erforschung und Ausbeutung von Erz- und Öllagerstätten in den übrigen Regionen der Selva (Titel III, Art. 31, b) wurde davon nicht berührt.

15 Jahre später befand sich Peru mitten in der neoliberalen Schockperiode, deren Ideologie sich auch in der Verfassung von 1993 niederschlug. Die Kommunen der Ureinwohner sind gemäß Titel III, Kap. VI, Art. 89 weiterhin autonom im Gebrauch und in der freien Verfügung ihres Landes. Auch das Eigentum am Boden bleibt unverjährbar. In der Auslegung bedeutet dieser Passus aber, dass der Verkauf ihres Bodens durchaus möglich wäre, denn der Wortlaut „unveräußerbar“ taucht nicht mehr auf.

Es gibt jedoch einen weiteren Artikel dieser neuen Verfassung, der direkte Auswirkungen auf den Besitz von Land der indigenen Gemeinschaften hat. Denn im Kapitel II (Von der Umwelt und den natürlichen Ressourcen) heißt es im Art. 66: „Die natürlichen Ressourcen, erneuerbar oder nicht erneuerbar, sind Eigentum der Nation. Der Staat ist in deren Nutzung souverän.“ Das bedeutet, dass das Recht der Ressourcennutzung möglicherweise Vorrang vor dem Recht auf Boden für die Ureinwohner genießt.

Das ist zugleich der Standpunkt der peruanischen Regierung. Sie argumentiert immer wieder, dass die wenigen Ureinwohner kein Recht hätten, einer ganzen Nation die Förderung von Bodenschätzen abzusprechen und deren Entwicklung zu behindern. Im Übrigen beschränkt sich diese Argumentationslinie nicht allein auf Peru. Ähnliche Verlautbarungen finden sich auch bei Brasiliens Präsident Lula da Silva (z.B. beim Gesetzesvorhaben 1610/96 über Bergbau auf dem Territorium von Indigenen) oder Ecuadors Staatsoberhaupt Rafael Correa. Sie spiegeln den Grundkonflikt zwischen den lateinamerikanischen Nationalstaaten und den Ureinwohnern um deren angestammte Rechte wider.

Die Indigenen berufen sich hingegen auf die ihnen in der Konvention 169 der International Labour Organisation (ILO) zugestandenen Rechte. Diese umfassen unter anderem die Pflicht der Regierung, die Gemeinschaften immer dann bei Entscheidungen zu konsultieren, wenn diese direkt davon betroffen sein würden (Art. 6, Abs. a). Im Bezug auf die natürlichen Ressourcen in ihren Territorien sind die Rechte der indigenen Gemeinschaften darüber hinaus in besonderem Maße zu schützen. Die Rechte umfassen dabei sowohl die Nutzung, die Bewirtschaftung wie auch den Erhalt der Ressourcen (Art. 15, Abs. 1). Für den Fall, dass der Staat die Eigentumsrechte an Ressourcen besitzt (sic, Verfassung Perus von 1993) und deren Ausbeutung plant, haben die Regierungen die betreffenden Völker zu konsultieren. Sie „müssen wo immer möglich an dem Nutzen aus solchen Tätigkeiten teilhaben und müssen einen angemessenen Ersatz für alle Schäden erhalten, die sie infolge solcher Tätigkeiten erleiden. (Art. 15, Abs. 2; Hervorhebung durch den Verf.).

Peru hat die Konvention 169 der ILO mit der Resolution der Legislative (Resolución Legislativa/Ley Nacional del Perú) Nr. 26253 ratifiziert. Ihre Einhaltung ist somit obligatorisch. Oder anders formuliert: Die Nichteinbeziehung der indigenen Gemeinschaften in den Entscheidungsprozess über die Nutzung ihres Landes und der darauf liegenden Ressourcen bedeutet eine Verletzung internationalen Rechts.

Die Erteilung der Konzession für die Förderzonen (lote) 77 und 78 am 26.03.1996 zugunsten eines Konsortiums aus Mobil, Exxon und Elf zur Erkundung beziehungsweise zur Förderung von Erdöl stellte im peruanischen Kontext die erste eindeutige Nichteinhaltung der Bestimmungen der Konvention 169 der ILO dar. Weder im Tal des Rio Las Piedras noch in der Zona Reserva Tambopata-Camdamo (beide im Departamento Madre de Dios) wurden die Ureinwohner (z.B. die Harakambut) vor der Vertragsunterzeichnung konsultiert.

Alberto Pizango - Foto: AIDESEPAuch die jüngsten Konflikte entzündeten sich einmal mehr an der fragilen juristischen Situation, in der sich die Ureinwohner der Selva bezüglich ihrer Rechte auf Land befinden. Im Juni 2008 hatte das peruanische Parlament zwar ein Paket an Gesetzen zu diesem Punkt verabschiedet, aber damit die Rechte der Ureinwohner keineswegs gestärkt. Vielmehr wurden die Modifikationen an der Rechtsprechung aus Sicht der Regierung notwendig, um die nationalen Regelungen mit den Vereinbarungen des Freihandelsabkommens (TLC) mit den USA abzugleichen. Zugleich erhofft sich die Regierung durch die Festschreibung der Rahmenbedingungen für die forstwirtschaftliche Nutzung, die Ausbeutung von natürlichen Ressourcen und die Wasserrechte in den Territorien der Indigenen, verstärkt (ausländische) Investitionen in den Amazonas zu locken.

Konkret handelt es sich bei den Modifikationen um die Dekrete 1020, 1064, 1080, 1089 und 1090, die – obwohl die Ureinwohner davon direkt betroffen sein werden – ohne deren vorherige Konsultierung verabschiedet wurden. Vor allem das Dekret Nr. 1090 (Decreto Legislativo que aprueba la Ley Forestal y de Fauna, Dekret zur Verabschiedung des Gesetzes für Forst und Tierwelt) sowie das Dekret Nr. 1064 (Decreto Legislativo que aprueba el Régimen Jurídico para el Aprovechamiento de las Tierras de Uso Agrario, Dekret zur Verabschiedung der Rechtsordnung für die Nutzung der landwirtschaftlich genutzten Flächen) stehen als Symbol für den geplanten Ausverkauf der Selva.

Aufgrund der Verletzung der Bestimmungen der ILO-Konvention 169 reichte die Ombudsfrau (Defensoría del Pueblo) Beatriz Merino Lucero am 04.06.2009 eine Verfassungsbeschwerde gegen das Dekret Nr. 1064 ein, die inzwischen angenommen wurde.

Am 10.06.2009 setzte der Kongress infolge der Proteste die umstrittenen beiden Gesetzesdekrete Nr. 1090 und Nr. 1064 außer Kraft. Allerdings einigten sich die Abgeordneten zunächst lediglich auf eine unbefristete Aussetzung der Dekrete, während eine gänzliche Annullierung der Erlasse u. a. mit den Stimmen der Regierungspartei von Alan García nicht zur Abstimmung zugelassen wurde. Erst am 19.06.2009 kam es mit 82:12 Stimmen zur Annullierung der umstrittenen Dekrete, wobei offen blieb, was den Regierungsumschwung veranlasst hatte.

Die Sprecherin von AIDESEP, Daysi Zapata, bezeichnete deshalb die Proteste als einen „historischen Sieg für alle Ureinwohner“. Trotzdem: Möglicherweise gewinnen die Indigenen der Selva dennoch nicht viel. Ihr Kampf wird lediglich vertagt. Solange es keine umfassende staatliche Garantie für ihre Territorien gibt, bleibt ihre Lage prekär. Weitere Proteste sind vorprogrammiert. Weitere Tote dann wohl auch.

Karte: Instituto del Bien Común Perú

Bildquellen: Asociación Interétnica de Desarrollo de la Selva Peruana_ (AIDESEP)

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