Die Rundreise zweier Mapuche-Aktivisten durch Deutschland
Der Saal des Leipziger Instituts für Ethnologie war mit mehr als 100 Interessierten fast überfüllt, als Manuel Chocori und José Catrilao, zwei werken (gewählte Sprecher) der Mapuche ihre Stimme erhoben, um über die Situation ihres Volkes in Chile zu berichten. Beide waren auf Einladung der Regionalgruppe Köln der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) im Oktober 2014 drei Wochen lang auf einer Rundreise quer durch Deutschland unterwegs und machten am 20. Oktober 2014 auch in Leipzig Station.
Die Mapuche stellen mit etwa einer Million die größte indigene Gruppe Chiles. Auch über 20 Jahre nach dem Ende der Militärdiktatur haben die Mapuche unter sozialer Marginalisierung, Armut, Diskriminierung und politischer Verfolgung zu leiden. Nachdem sich die Mapuche jahrhundertelang erfolgreich gegen die Eroberung durch die Spanier gewehrt hatten, wurden sie erst ab den 1880er Jahren gezielt vom chilenischen Staat dezimiert, der ihr Territorium zur Kolonisierung freigab. Dabei brach die Republik Chile Vereinbarungen mit den Mapuche über deren Souveränität, welche schon seit der spanischen Kolonialzeit Bestand hatten. Um fruchtbares Land für – hauptsächlich europäische – Siedler zu gewinnen, wurden die im Süden Chiles lebenden Mapuche bis in die 1940er Jahre systematisch verfolgt, getötet oder von ihren angestammten Gebieten vertrieben. Dies wird in Chile offiziell als die „Befriedung Araukaniens“ bezeichnet. Die Folgen der Zwangsumsiedlung mit dramatischer Reduktion der Flächen wirken bis heute nach:
Während europäisch-stämmige Großgrundbesitzer Grundstücke von tausenden Hektar besitzen, müssen die Mapuche mit Kleinstparzellen auskommen. So leben die ländlichen Mapuche als Kleinbauern zumeist unter dem Existenzminimum. Anbauprodukte der Großgrundbesitzer hingegen (z.B. Wein und Obst) landen häufig auch auf dem deutschen Markt. Durch die Landknappheit wandern Mapuche bereits seit Jahrzehnten in die Großstädte aus und werden dort oft als Hausangestellte oder billige Arbeitskräfte ausgebeutet.
Ein weiteres Problem für die Mapuche ist die explosive Ausbreitung der Forstunternehmen seit der Militärdiktatur unter Pinochet. Der Süden Chiles bietet ideale Bedingungen für den Anbau von Eukalyptus- und Pinienwäldern, was dazu geführt hat, dass solche Monokulturen seit den 1970er Jahren und bis heute massiv staatlich gefördert werden. Dies hat allerdings erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt – und diese bekommen vor allem die Mapuche-Kleinbauern zu spüren: Für den Anbau der Eukalyptus- und Pinienwälder wird häufig der für den Süden Chiles typische kalte Urwald mit Jahrtausende altem Baumbestand abgeholzt, was weitreichende Folgen für das Klima und die Artenvielfalt in der Region hat. Zudem bietet der native Wald den Mapuche nicht nur seit Jahrhunderten genutzte Nahrungsquellen, sondern nimmt auch in ihrem Weltbild und ihrer Kultur eine wichtige Rolle ein.
Durch die Monokulturen kommt es zu einer Auslaugung und Erosion der Böden. Da Mapuche-Dörfer häufig von Pinien- oder Eukalyptuswäldern eingekreist sind, wird eine kleinbäuerliche Existenz wegen Wassermangels zusätzlich erschwert. Hinzu kommt, dass der Anbau solcher Monokulturen den flächendeckenden Einsatz von Pestiziden notwendig macht. Diese werden zumeist aus der Luft großflächig versprüht. Dadurch haben auch die dort ansässigen Kleinbauern unter hoher Pestizidbelastung und belastetem Grundwasser zu leiden.
Die Aktivisten erzählen von ihren eigenen Erfahrungen und Vorstellungen
Auf all diese Probleme gingen Manuel Chocori und José Catrilao konkret ein und sprachen über die Bemühungen der Mapuche, Teile ihres angestammten Landes zurückzugewinnen. Da sich hierbei der Weg über staatliche Institutionen als langwierig (dies kann sich Jahrzehnte lang hinziehen) und systematisch nachteilig für indigene Gemeinschaften darstellt, wählen viele organisierte Mapuche-Gemeinden den Weg der Landbesetzung. José Catrilao berichtete hierbei von seiner eigenen Erfahrung. Seine comunidad Lof Yeupeko Katrileo, welche sich in der Region Vilcún nahe Temuco befindet, wurde von ihm und anderen Aktivisten vor einigen Jahren besetzt und wird bis heute autonom von den Mapuche selbst verwaltet. Dabei zeigen sie – entgegen dem in der chilenischen Bevölkerung weitläufig verbreiteten Vorurteil, Mapuche seien faul und zählten deswegen zu den Ärmsten der Gesellschaft –, dass eine indigene Gemeinde durchaus selbstverwaltet Böden kultivieren und gute Erträge einbringen kann. Außerdem konzentriert sich die comunidad auf die Wiederpraktizierung und das Erstarken ihres kulturellen und religiösen Lebens als Mapuche. So wird unter anderem eine eigene Schule gegründet, wo traditionelle Lebensweisen wiederbelebt und an die jüngeren Generationen weitergegeben werden. Generell lässt sich verzeichnen, dass sich die Lebensbedingungen selbstorganisierter Mapuche-Gemeinden auf zurückgewonnenem Land um einiges höher sind als durch die paternalistische Hilfe des chilenischen Staates, welche sich an Mapuche richtet.
Manuel Chocori kam als Repräsentant verschiedener Mapuche Gemeinden im Widerstand, die versuchen, ihr altes Land wiederzugewinnen.Er bekräftigte zunächst, dass ein zentrales Problem bei der Lösung der Landfrage der fehlende politische Wille des chilenischen Staates sei. Dieser mache sich zum Komplizen multinationaler und ausländischer Konzerne, indem er deren Aktivitäten in traditionellem Mapuche-Territorium gesetzlich begünstige und die Forderungen der Mapuche kriminalisiere.
So erklärte Chocori, dass das wohl drastischste aus der Pinochets-Diktatur verbliebene Gesetz, das sogenannte Anti-Terror-Gesetz, massiv gegen Mapuche-Aktivisten eingesetzt wird. Durch die entsprechende mediale Unterstützung dieser staatlichen Praxis entsteht ein Bild, welches Mapuche als Terroristen verunglimpft und gleichzeitig einen massiven, dauerhaften Polizeieinsatz in den Konfliktgebieten rechtfertigt. Hierbei kommt es zur Militarisierung einer ganzen Region, und Mapuche-Gemeinden werden oft Opfer einer repressiven Vorgehensweise der staatlichen Organe durch willkürliche Hausdurchsuchungen und viele weitere Schikanen. Erst vor einigen Monaten hat Amnesty International auf die prekäre Lage der Mapuche und das repressive Vorgehen der chilenischen Sicherheitskräfte kritisch hingewiesen. Außerdem verurteilte der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte Chile erst kürzlich dazu, die Anklage gegen Mapuche-Aktivisten auf die das Anti-Terror-Gesetz angewendet wurde, fallen zu lassen.
Informieren und Fürsprache für ihre politischen Ziele
Manuel Chocoris und José Catrilaos Rundreise führte sie nicht nur durch Säle voller interessierter Zuhörer, sondern auch nach Berlin und Brüssel. Dort trafen sie sich mit politischen Vertretern und machten diese auf ihre Situation und den vorherrschenden Konflikt aufmerksam. Beide Mapuche-Vertreter trafen sich mit Parlamentariern des Europäischen Parlamentes und Abgeordneten verschiedener Bundestagsfraktionen in Berlin. Darunter befanden sich Vertreter des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe sowie die Chile-Beauftragte der Bundesregierung. Durch diese Treffen erhoffen sich Chocori und Catrilao mehr Aufmerksamkeit für die Ereignisse in Chile und mehr politischen Druck aus Europa. Vor allem baten sie aber auch darum, europäische und deutsche Firmen, die in Chile in Mapuche-Gebieten investieren oder dort arbeiten, genau zu beobachten und zur Einhaltung humanitärer und ökologischer Standards zu bewegen.
An diesem Abend im Leipziger Institut für Ethnologie sprachen beide werken informativ und aufrüttelnd über die politische Vision der Mapuche-Gemeinden im Widerstand sowie über die Legitimation verschiedener Formen politischer Mobilisierung, von öffentlichen Protesten bis hin zu Landbesetzungen. Sie berichteten über ihre Erfahrungen und Erlebnisse, die sie während Aktionen wie der Besetzung ihres angestammten Landes gemacht haben, und gaben Einblicke in ihren Kampf um kulturelle Selbstbestimmung.
Dabei stehen die Wiederbelebung und Erhaltung ihrer traditionellen Lebensweise sowie religiöse und wirtschaftliche Vorstellungen an zentraler Stelle. Manuel Chocori und José Catrilao waren von dem regen Zuspruch auf ihrer Rundreise sehr erfreut und zählen auch weiterhin auf die Unterstützung der Mapuche und Solidarität aus Deutschland.
Bildquelle: [1], [3] Gerd Seidel_, [2] antitezo