Der Klimawandel in den Anden und seine Folgen
Der Klimawandel ist da. In Europa, in Lateinamerika, weltweit. Er wird voranschreiten und nicht mehr aufzuhalten sein. Den betroffenen Regionen und vor allem den Menschen bleibt deshalb nichts anderes übrig, als sich an diese neue sich abzeichnende Realität anzupassen.
Doch anpassen an was? In der politisch-medialen Debatte dreht sich fast alles ausschließlich um die höhere Durchschnittstemperatur: zwei Grad, vier Grad, sechs Grad. Aber welche direkten und indirekten Folgen wird der Klimawandel insgesamt haben? Diese Frage ist für die Betroffenen viel wichtiger als die Fokussierung auf die Temperatur. Auf jeweils über tausend Seiten und in mehreren Arbeitsgruppen haben Wissenschaftler daher seit Jahren in den Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC)-Sachstandsberichten alle Aspekte zum Klimawandel beleuchtet, allerdings oftmals ohne eindeutige Antworten geben zu können, weil die Komplexität und die Unsicherheiten zu hoch sind. Einige Trends (z.B. die steigende Temperaturentwicklung) sind sehr wahrscheinlich, während Wissenschaftler für andere Entwicklungen (z.B. die Veränderungen bei den Niederschlägen) weiterhin nach Gesetzmäßigkeiten und geeigneten Vorhersagemodellen suchen, v.a. im jeweiligen regionalen Kontext.
Dem gegenüber stehen diejenigen, die den Klimawandel jetzt schon spüren, aber am wenigsten über die wissenschaftliche Debatte wissen – wie die marginalisierten Landwirte im Andenhochland. Oftmals noch immer Analphabeten können sie weder in Büchern noch Zeitungen lesen, wenn sie überhaupt Zugang zu diesen Medien haben. Aber sie verstehen die Veränderung in der Natur und in ihrer unmittelbaren Umgebung.
So sehen die Landwirte in den Anden vor ihrer Nase – oder genauer: über ihren Köpfen –, was sich abspielt. Die einst mächtigen Gletscher schmelzen dahin. In Peru hat sich beispielsweise die vergletscherte Fläche zwischen 1970 und 2003 um 22 Prozent verringert. In Bolivien ist der Chacaltaya-Gletscher bereits komplett verschwunden und die Eisfläche der Cordillera Real hat sich zwischen 1975 und 2006 um 43 Prozent verringert. Die Klimaprojektionen sagen die Fortsetzung dieses Trends voraus. Einige Modelle prophezeien das komplette Verschwinden der Gletscher in den Anden noch in diesem Jahrhundert.
Mit der Gletscherschmelze versiegt eine wichtige Quelle für die Wasserversorgung in den tiefer liegenden Regionen. Doch ein weiterer Fakt kommt hinzu: Es gibt in den mittleren und südlichen Kordilleren immer weniger Niederschlag. Wurden in der Regenzeit vor 20 Jahren noch 1000 Millimeter Niederschlag gemessen, belief sich der Wert im Jahr 2008 auf nur noch 833 Millimeter. Das heißt, pro Jahr gab es einen durchschnittlichen Rückgang der Niederschlagsmenge von 12 Millimeter – oder 1,1 Prozent.
Das Wasser wird also knapper. In einigen Regionen herrscht jetzt schon häufig Dürre. Und an der Westseite der Anden in Peru und Chile prognostizieren verschiedene Klimamodelle in den nächsten 80 Jahren einen weiteren Rückgang der durchschnittlichen Niederschläge um zehn bis dreißig Prozent. Hinzu kommt, dass der Regen in Zukunft voraussichtlich weniger gleichmäßig fallen wird, sondern viel häufiger als bisher in Extremwettern. Das jüngste Beispiel für derartige sintflutartige Regenfälle ereignete sich im März dieses Jahres.
Bei den Betroffenen besteht noch eine gewisse Hoffnung, dass sich in der Realität alles anders entwickelt, als in den Modellen vorhergesagt. Schließlich ist vieles selbst für die beteiligten Wissenschaftler noch unklar – gerade bei den hydrologischen Veränderungen. Vor Ort wird es aber trockener. Jetzt und heute. Das sehen die Landwirte. Daher versuchen sie, sich an diese geänderten Gegebenheiten anzupassen. Niemand von ihnen würde von Klimaadaptation sprechen. Sie reagieren auf etwas, das sie zwar wahrnehmen, aber oft nicht verstehen können.
In ihrem Handeln greifen sie oft auf altüberlieferte Instrumente zurück – in der Hoffnung, damit die geeigneten Antworten auf die neuen Herausforderungen zu geben. Ein solches Beispiel betrifft den Bau von Qochas. Das sind kleine Wasserreservoirs, eingefasst von einem etwa einen Meter hohen Damm. Das Speichervolumen dieser Qochas bleibt zwar gering. Oft sind es weniger als 3.000 Kubikmeter Wasser. Aber diese künstlichen Teiche sollen nicht direkt für die Bewässerung genutzt werden. Vielmehr zielt deren Einsatzgebiet auf die lokale Flora (und Fauna) sowie das Mikroklima. Gefüllt werden die Teiche hauptsächlich durch die Niederschläge in der Regenzeit. In der Folge sickert durch die Erddämme laufend Wasser in die Umgebung. Unterhalb der Qocha wächst mehr Gras, die Vegetation gedeiht. Und das Mikroklima wird feuchter. Diese Beschaffenheit zeigt schon, dass ein künstlicher Tümpel wenig ausrichten kann. Aber wenn Hunderte von Qochas über ein Tal verteilt sind, dürfte der Effekt messbar sein – zumal wenn die Teiche kaskadenartig angeordnet sind, so dass das talwärts fließende Wasser mehrfach aufgefangen und genutzt werden kann.
Die ersten Qochas stammen aus der Zeit um 500 v. Chr. Allein im Einzugsgebiet der Flüsse Pucara und Azángaro nördlich des Titicacasees gibt es 12.000 dieser künstlichen Teiche. Pro Quadratkilometer finden sich in dieser Zone also etwa 80 Qochas.
Dieser Teil der Anpassung an den Klimawandel, das Wassermanagement, ist nur eine Seite der notwendigen Aktivitäten. Es zeichnet sich aber ab, dass selbst mit dem Bau von Qochas die Landwirtschaft sehr stark umgestaltet werden muss. Wassermangel, Extremwetter, Frost und Hagelschlag, neue Plagen infolge der höheren Temperaturen – die Tage des Anbaus von Kartoffeln, Oca oder Quinoa sind wohl in vielen Regionen der Hochanden gezählt. Im Zuge des Klimawandels geht der Trend voraussichtlich dahin, dass in den mittleren und südlichen Anden weniger Ackerbau und mehr Viehwirtschaft betrieben werden wird. Ideale Nutztiere wären dafür Ziegen, Schafe oder noch besser die alteingesessenen Llamas, Alpakas und Vicuñas, da diese im Unterschied zu Kühen das Gras nicht mit der Wurzel herausreißen. Zudem könnte die Wolle für eine lokale Textilproduktion genutzt werden. Diesen weitreichenden Schritt mussten die Landwirte jedoch bislang nicht gehen. Er zeichnet sich allerdings in Konturen bereits am Horizont ab.
Denn auch die sozioökonomischen Folgen des Klimawandels in den Anden werden nicht zu verhindern sein. Beginnt erst die Umstellung auf die verstärkte Viehzucht, gerät der gesamte Alltag, ja das gesamte System in Bewegung. Schließlich wird die Viehwirtschaft weniger Landwirte ernähren als es vormals der Ackerbau tat. Es droht somit eine Beschleunigung der Landflucht – eine Tendenz, die ohnehin schon zu beobachten ist, weil die individuellen Entwicklungsmöglichkeiten von der Landbevölkerung in den urbanen Zentren als viel größer angesehen werden als in den abgelegenen, kaum erschlossenen Bergregionen.
Der Trend der Landflucht wiederum würde sich auch auf die Qochas auswirken. Im Moment errichten noch mehrheitlich die Dorfgemeinschaften (ayllus) in Gemeinschaftsarbeit (ayni) diese Teiche, denn alle Gemeindemitglieder profitieren davon. Damit bleiben die Kosten praktisch bei null. Lösen sich hingegen die Dorfgemeinschaften auf, wird der Unterhalt der Qochas schwierig. Es bietet sich eigentlich nur die privatwirtschaftliche Lösung an, die dann aus den Gewinnen der Viehwirtschaft finanziert werden müsste. Mithin also ein kompletter Umbruch der Sozialstruktur.
Es deutet sich somit an, dass der Klimawandel spürbare Folgen in den Anden haben wird –zunächst im Wassermanagement, dann in der Wirtschafts- und Sozialstruktur. Und für die betroffenen Landwirte heißt das, dass sie ohne Regen in die Traufe kommen.
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