O Viraqocha, Herr über die Grenzen der Welt!
Barmherziger, der Sein den Dingen gibt
und die Menschen erschuf in dieser Welt,
sie essen und trinken lässt,
vermehre Nahrung und Früchte der Erde,
die Kartoffeln und alle anderen Speisen, die du erschufst,
mache, dass viel davon da ist …
Ketschua Lyrik. Verlag Philipp Reclam Leipzig 1976
Sie heißen Princess, Victoria, Diana, Camilla oder Charlene. Aber von irgendwelchen Royals ist hier definitiv nicht die Rede, sondern von wirklich bedeutsamen Dingen. Wir interessieren uns für 马铃薯, आलू, картошка, картопля, potato – oder einfach die Kartoffel*.
Wir wollen wieder einmal an die nahrhafte Knolle erinnern, zumal wir sie doppeln feiern können. Heute hat sie z.B. einen Ehrentag: Der 19. August wurde irgendwann in den USA zum National Potato Day erklärt, in der Folge ernannte ihn irgendjemand zum Internationalen Tag der Kartoffel. Ob er das tatsächlich ist, sei dahingestellt. Einen solchen Internationalen Tag gab es schließlich schon an einem 13. April, 6. September oder 18. September. Ach ja, nicht zu vergessen der 30. Mai – der peruanische Día Nacional de la Papa, den die FAO, die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO, in diesem Jahr zum Día Internacional erklärt hat. Aber der Mai ist bereits vorbei, also feiern wir heute den 19. August.
Die vielen Feiertage für la papa sind auf jeden Fall angemessen, schließlich belegt sie Platz 5 im Ranking der meistangebauten Nutzpflanzen der Welt. Und wo werden die meisten Kartoffeln angebaut? Ja, richtig – in China. Mit 99 Millionen Tonnen pro Jahr ist die Volksrepublik unangefochten der größte Kartoffelproduzent der Welt; weit abgeschlagen folgen auf den Rängen Indien, Russland, die Ukraine, die USA und schließlich Deutschland. Die wichtigsten Produzenten Lateinamerikas sind auf den Plätzen 17 und 20 Peru und Brasilien, die aber mit 4,4, und 3,8 Millionen Tonnen in einer ganz anderen Liga spielen. Chile und Bolivien, die neben Peru auf den höchsten Pro-Kopf-Verbrauch in Lateinamerika verweisen können, folgen erst auf den Rängen 41 und 43. Die Kartoffel wird heute auf der ganzen Welt angebaut und hat mittlerweile große Bedeutung für die Ernährung nicht nur in Amerika und Europa, wo sie bereits in der frühen Neuzeit ankam, sondern auch in Asien und Afrika.
An dieser Stelle wollen wir nicht lang und breit die Geschichte der Kartoffel referieren, Quetzal-LeserInnen ist diese sowieso schon bekannt. Erinnert sei hier nur daran, dass die Knolle aus Südamerika stammt und die ersten Belege für ihre Kultivierung im präkolumbischen Amerika gut 7000 Jahre alt sind und am Titicacasee gefunden wurden. Der zwischen Peru und Chile lange währende Streit, woher denn la papa nun eigentlich kommt, ist wohl inzwischen entschieden: Genanalysen verorten die Herkunft der Kartoffel in eine Region, die das heutige südliche Peru und das nordwestliche bolivianische Altiplano umfasst. Der Ursprung der heute in Europa kultivierten Kartoffeln, das sei hier ausdrücklich festgehalten, geht aber gleichermaßen auf Pflanzen aus Peru sowie von der chilenischen Insel Chiloé zurück. Die drei Herkunftsländer der kleinen Knolle sind auch heute noch die größten Konsumenten auf dem Kontinent. Wobei festgehalten werden muss, dass es schwer ist, eine konsistente Übersicht über den Pro-Kopf-Verbrauch zu finden. Bolivien steht mit gut 100 kg an der Spitze; Peru, der größte Produzent Lateinamerikas folgt mit ca. 90 kg, während Chile mit einem Konsum von 50-55 kg zwar den lateinamerikanischen Durchschnitt (knapp 24 kg) deutlich überflügelt, aber doch auffallend hinter Bolivien und Peru zurückbleibt. Wenn man den sich widersprechenden Zahlen glauben darf, dann wächst der Kartoffelkonsum in allen drei Ländern.
Die Inkas, so heißt es, kultivierten etwa 3.500 verschiedene Kartoffelsorten, die an die unterschiedlichsten Anbaubedingungen angepasst waren und als Hauptnahrungsmittel die Ernährung im Inkareich sicherstellten. Bis heute kennt man in den Anden ca. 3.000 Sorten, und man bemüht sich mittlerweile zudem, traditionelle, fast vergessene Sorten wiederzubeleben und altes Wissen zu erhalten. Die Kartoffel ist in der Kultur der traditionellen Kartoffelländer Bolivien, Chile und Peru tief verwurzelt, war (und ist) sie doch die wichtigste Ernährungsgrundlage und bestimmte den Alltag entscheidend.
So gibt es z.B.bis heute in einigen Dörfern um Cuzco eine Kartoffelprüfung für potenzielle Schwiegertöchter. Diese bekommen von der künftigen Schwiegermutter Kartoffeln mit besonders vielen Augen in die Hand gedrückt. Schafft die Schwiegertochter es, die „Prüfungsknollen“ sauber zu schälen, dann hat sie beste Chancen auf Anerkennung durch die Schwiegermutter. Andere Länder, andere Sitten.
Weltweit sind mehr als 5.000 verschiedene Sorten dokumentiert, sowohl kultivierte als auch wilde. Gesammelt werden diese, ob nun mit oder ohne royalen Namen, in der Gendatenbank des Centro Internacional de la Papa (CIP) in Peru. Und damit sind wir beim zweiten Jubiläum, denn das CIP wurde 1971 gegründet, feiert in diesem Jahr also seinen 50. Geburtstag. Die Gründung des Zentrums gerade in Peru ist angesichts der Bedeutung der kleinen Knolle in dem Andenstaat natürlich alles andere als Zufall. Angesiedelt ist das CIP in La Molina, daneben existieren aber mehrere experimentelle Außenstellen, z.B. in Hancayo und San Ramón. In anderen Ländern Lateinamerikas, in Afrika und Asien gibt es Regionalbüros.
Das Ziel der Einrichtung war von Beginn an, die Anbaubedingungen für Kartoffeln zu verbessern und damit einen Beitrag zur Armutsbekämpfung zu leisten; der besondere Schwerpunkt der Arbeit liegt daher auf den weniger entwickelten Ländern in Afrika, Amerika und Asien. Auf der Homepage heißt es dazu: „Das CIP liefert innovative, wissenschaftlich fundierte Lösungen, um den Zugang zu erschwinglichen, nahrhaften Lebensmitteln zu verbessern, ein integratives, nachhaltiges Geschäfts- und Beschäftigungswachstum zu fördern und die Klimaresistenz von Agrar- und Ernährungssystemen mit Wurzeln und Knollen zu verbessern.“ Mit diesem Anspruch liegen nicht nur die Verbesserung der Pflanzen und genetischen Ressourcen, der Anbau und Pflanzenschutz im Fokus, sondern ebenso die Produktionssysteme und soziale Fragen. Die Ergebnisse der Forschungen und Feldexperimente werden der Öffentlichkeit in unzähligen Publikationen zugänglich gemacht. Gleiches leistet das Zentrum übrigens auch für die Süßkartoffel, die ja streng genommen gar keine Kartoffel ist.
Für die Durchsetzung seines Anspruchs, Ernährungssicherheit zu erreichen und somit Menschenleben zu retten, ist dem CIP übrigens keine Anstrengung zu groß und kein Weg zu weit. 2015 startete das Instituto Internacional de la Papa zusammen mit der NASA ein Projekt zum Anbau von Kartoffeln unter Mars-Bedingungen. Die Vision besteht im „Bau einer kontrollierten Kuppel auf dem Mars, in der die wertvolle Kulturpflanze angebaut werden kann, um zu zeigen, dass Kartoffeln auch in den unwirtlichsten Umgebungen angebaut werden können“.
Da das noch Zukunftsmusik ist, wollen wir hier unseren kleinen Beitrag zur Unterstützung der Kartoffel leisten, die ja ein wirklich gesundes Nahrungsmittel ist. Hierzulande ist eine solche Unterstützung offenbar nötig, denn der Konsum von Kartoffeln ist in Deutschland stark gesunken. Wir haben deshalb Rumi, Christine und Romina aus Bolivien, Chile und Peru um ihre Lieblingsrezepte gebeten. Das sind die Ergebnisse. Guten Appetit!
Peru
Papa a la Huancaína
2 große gelbe Chilischoten
250 Gramm Frischkäse
8 Soda-Cracker (groß)
1 Tasse Kondensmilch
¼ Tasse Pflanzenöl
1 kleine Zwiebel, in kleine Würfel gehackt
1 Knoblauchzehe, gehackt
Salz und Pfeffer nach Geschmack
4 mittelgroße Kartoffeln
2 Eier
8 schwarze Oliven
4 Kopfsalatblätter
Kartoffeln und Eier kochen, abkühlen lassen. Dann schälen und in Scheiben schneiden.
Zwei Esslöffel Öl in eine Pfanne geben, Zwiebel, Knoblauch, die in Stücke geschnittenen Chilischoten und den Pfeffer dazugeben und bei mittlerer Hitze anbraten.
Darauf achten, dass es nicht zu stark bräunt. Wenn die Zwiebel glasig aussieht, vom Herd nehmen und in einen Mixer geben.
Den Käse, die Cracker, die Kondensmilch, das Öl und eine Prise Salz dazugeben.
Das Ganze pürieren bis eine homogene Mischung entsteht. Die Konsistenz der Creme notfalls mit Crackern bzw. Kondensmilch regulieren. Bei Bedarf mit Salz nachwürzen.
Die Creme in eine Schüssel geben und einige Minuten ruhen lassen.
Die Kartoffeln jeweils auf einem Salatblatt anrichten, die Huancaina-Creme darüber gießen und mit Oliven und den Eiern garnieren.
Chile
Pastel de Papa
(Kartoffelpastete)
Für das Kartoffelpüree:
12 mittelgroße Kartoffeln
350ml Milch
2 Stücke Butter
Salz
Pfeffer
Für das Hackfleisch:
Etwas Bratöl
500g Hackfleisch
1 große Zwiebel
3 Knoblauchzehen
100ml Rindfleischbrühe
Salz
Pfeffer
Oregano, getrocknet
Paprikapulver, edelsüß
ein wenig Kreuzkümmel
Für die Füllung:
10 Schwarze Oliven
3 gekochte Eier
6 Stücke gekochtes Hühnchenfleisch (Brust oder Schenkel, ohne Knochen)
Eventuell etwas Zucker zum Bestreuen
Püree und Hackfleisch wie gewohnt zubereiten.
Das Hackfleisch in eine flache Auflaufform füllen und glatt streichen.
Die gekochten und halbierten Eier, die Stücke Hühnchen und die Oliven gleichmäßig auf dem Hackfleisch verteilen.
Alles mit dem Püree bedecken und falls ihr es gern etwas süßer mögt, mit etwas Zucker bestreuen. Im vorgeheizten Ofen bei 180°C für circa 15 Minuten backen oder bis das Pastel de Papa goldbraun ist. Sofort servieren. Dieses Rezept wird in Chile üblicherweise mit einem „chilenischen Salat“ (Salat aus Tomaten und Zwiebeln) gereicht.
Bolivien
Chuño Phuti con Huevos y Queso
(Chuño Phuti mit Eiern und Käse)
10 gekochte Chuños
3 Eier
100 Gramm Käse
Salz und Pfeffer
Die Chuños über Nacht in Wasser einweichen.
Am nächsten Tag in frischem Wasser kochen.
Die gekochten Chuños in Stücke schneiden und mit 2 Esslöffeln Öl anbraten.
Drei Eier umrühren und hinzufügen.
Mit einem Holzlöffel gut umrühren. Mit Salz und Pfeffer abschmecken.
Zum Schluss den geriebenen Käse hinzufügen und 2-3 Minuten kochen lassen.
Servieren und ggf. mit Kräutern abschmecken oder garnieren.
Bei Chuño handelt es sich um gefriergetrocknete Kartoffeln, die seit Jahrtausenden von den Andenvölkern hergestellt werden. Der Prozess der Trocknung macht die Kartoffeln haltbar. Rumi hat Chuño vorgeschlagen, meint aber, die seien nicht unbedingt nach dem Geschmack der Europäer. Doch probieren geht ja bekanntlich über studieren. Das Rezept haben wir ausgewählt, weil man es auch hierzulande bewältigen kann.
Man kann Chuño in verschiedenen Varianten (weiß, schwarz) online kaufen.
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*Die Auswahl der Sprachen ist alles andere als willkürlich, sie folgt dem Ranking der bedeutendsten Kartoffeln produzierenden Länder.